@izzy_bizzy:
Deine Hinweise sind sicherlich nicht gänzlich von der Hand zu weisen, insb. den Vertrag betreffend. Ein Beispiel, wie solche Verträge abgefaßt sind, hat Holger übrigens vor längerer Zeit (im Rahmen eines anderen Berichtes) in seinem Blog gepostet:
viewtopic.php?f=49&t=4201
Wer einen solchen Vertrag unterschreibt, der verkauft sein Privatleben für einen Zeitraum X völlig - nur wird dabei vergessen, daß die Notlage evtl. so groß ist, daß - für den Erhalt von (anscheinend) fachlich einwandfreier Hilfe - ebenjene Kamerabegleitung in Kauf genommen wird.
Ich möchte hier nicht in enormer Weise Interna ausplaudern, aber ich bin mit einigen Lehrern befreundet, die einige Geschichten erzählen, bei denen sich einem die Nackenhaare aufstellen. Gerade was das Problem des Fernbleibens der Schule und häufiges Abhauen von Zuhause (was meist Hand in Hand geht) anbetrifft, zeigen sich einige Vertreter des Jugendamts erschreckend ratlos. Sei es, daß man einem Kind immer wieder droht, es an einen Ort weit weg von zuhause zu bringen (eine Drohung freilich, die seit Jahren konsequenzlos gebetsmühlenartig wiederholt wird), sei es, daß man ein auffälliges türkisches Mädchen Urlaub bei der Familie (die mehrfach postalisch angekündigt hat, sie verheiraten und da behalten zu wollen) in der Türkei machen läßt, und auf die Mitteilung, daß sie nicht zurückgekehrt ist, entgegnet, daß sie dann ja immerhin nicht mehr verantwortlich seien.
Kurzum: Es herrscht hier nicht selten eine enorme Überforderung aller Beteiligter - Eltern, Sozialarbeitern und Lehrern. Das hängt zum einen mit der grausam schlechten Ressourcensituation in den Jugendämtern zusammen, zum anderen auch mit ineffektiven Mitteln, dieser Problematik zu begegnen. Auch wenn die beiden oben genannten Einzelfälle sich wie Anklagen lesen - ich wüßte auch nicht (genausowenig wie meine Bekannten) welche Methode Früchte tragend wäre, also möchte ich diese beiden Beispiele auch nicht als Anklage verstanden sehen. Vielmehr zeigt es eine, teils auch fachliche Ratlosigkeit. Und häufiger fehlt schlicht und ergreifend die Zeit, sich umfassend zu kümmern. (By the way -Du erwähntest Pro familia - ich bin da nicht en detail informiert, aber meines Wissens geht es hier vor allem um sexualpädagogische Ansätze, nicht um Probleme wie Schulvermeidung - oder weißt Du da mehr? Würde mich wirklich interessieren).
In diese Kerbe schlagen genau solche Sendungen. Der Rezipient kennt das Format - er weiß, daß er mithin sehr schlecht in der öffentlichen Wahrnehmung wegkommen wird. Er weiß, daß RTL eine tendenziöse Berichterstattung machen wird. Aber er sieht auch die (vermeintlich) guten Ergebnisse der Sozialpädagogin, er sieht, daß es den Familien durch die erhaltene Beratung besser geht - und mit dieser Message allein wird ein Anker geworfen.
Jemand ist nicht unbedingt dumm genug, einen solchen Vertrag zu unterzeichnen - er ist nur schlicht und ergreifend verzweifelt genug. Gerade diese Leute zu ködern, die wahrscheinlich schon eine lange Geschichte der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt haben, ist etwas, das man dem Sender vorwerfen muß. Denn die schlußendlichen Ergebnisse scheinen ja nicht annähernd so toll zu sein, wie sie im Fernsehen dargestellt werden - was auch vollkommen logisch ist. Die Nachbetreuung ist ja auch, wie die zitierte Zuschauerredaktion selbst einräumt, so gut wie nicht vorhanden (loser telephonischer Kontakt). Und an 6 Arbeitstagen, die höchstwahrscheinlich eher Drehtage sind, erreicht man nicht besonders viel.
Ich finde, daß gerade der Aspekt in der öffentlichen Auseinandersetzung mehr betont werden sollte - wenn die Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma fast eine Einbahnstraße ist, und dem Hilfesuchenden kaum oder gar nicht hilft, dann gibt es auch keinen Grund dafür, sich auf einen solchen Knebelvertrag einzulassen. Aber es steht immer wieder die Abwägung im Vordergrund; das Jugendamt fühlt sich machtlos, Du, als Elternteil fühlst Dich machtlos, die Lehrer können Dir natürlich auch nicht helfen (wie auch? die sehen das kind ja höchstens 8 Stunden pro Woche) - und dann gibt es da diese fachlich qualifizierte Halbgöttin, und daran klammerst Du Dich. Pure Hoffnung und auch ein bißchen Wunschdenken. Aber dafür, daß Du Dein Kind wieder auf den richtigen Weg bringst, nimmst Du es auch in Kauf, wenn die halbe Nation sich ihr ekelerregendes Knabberzeug zwischen die Kiemen schiebt und schallend über Dich lacht. Gerade daran, daß sich dort viele Leute bewerben, merkt man, wie groß mithin auch die Verzweiflung ist.