Diskussion über den Blog-Artikel: Wahrheit und Dichtung
Die ARD hat sich derzeit voll auf Amazon eingeschossen - ein Stück weit ja auch zu Recht: Die Arbeitsbedingungen lassen zu wünschen übrig, der Versandhändler will die Arbeitskosten möglichst niedrig halten. All das ist kritikwürdig - und es ist gut, wenn das Fernsehen hier den Finger in die Wunde legt. Erste Veränderungen hat Amazon deshalb schon vorgenommen.
Und dennoch: Die Macher der Dokumentation vom 13. Februar scheinen den Bogen im Eifer des Gefechts dann doch etwas überspannt zu haben. So äußerte sich ja bereits eine interviewte Protagonistin im Nachhinein etwas differenzierter. Sie fühle sich von der Machern der Doku einseitig dargestellt. Hier ging es aber womöglich auch darum, den in der Dokumentation in ein diffuses Licht gerückten Seepark im Nachhinein besser darzustellen, denn dort arbeitet besagte Dame schließlich inzwischen. Insofern muss man da etwas vorsichtig sein. Angesichts der Machart der Dokumentation, nämlich auch mit inszenierten Szenen und düsteren Bildern zu arbeiten, überraschen solche Vorwürfe dennoch nicht.
Bei mir hat sich nun “Andreas” gemeldet, denn der hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Die WDR-Sendung “Aktuelle Stunde” hatte bereits am 18 Dezember 2012 einen Bericht über Arbeitsbedingungen bei Amazon gezeigt - und “Andreas” quasi als Kronzeugen interviewt. Auf eigenen Wunsch wollte er nicht erkannt werden, deshalb sieht man in dem Bericht sein Gesicht nicht und die Stimme wird nachgesprochen.
“Andreas” fühlt sich ebenfalls getäuscht von den Machern. Zwar wurden Aussagen von ihm korrekt wiedergegeben - alles Relativierende sei aber weggelassen worden. In dem Bericht ging es allerdings nicht um das Lager in Bad Hersfeld, sondern um das in Rheinberg. “Andreas” arbeitet seit 2011 dort. Kurz zuvor war das Lager erst eröffnet worden. Zu Beginn seien die Bedingungen unerträglich gewesen, dies habe er dem Interviewer auch erzählt. Allerdings betonte er den WDR-Leuten gegenüber ebenso, dass sich im Laufe des Jahres 2012 vieles verbessert habe und die “Kinderkrankheiten” in dem Lager beseitigt seien. Davon ist im Beitrag nichts zu hören. Der Bericht stelle ihn letztendlich “als armes, wehrloses Opfer des bösen Sklaventreibers Amazon dar”, was er nicht sei - zumal er einen unbefristeten Arbeitsvertrag habe und nicht zu denen gehöre, die während des Weihnachtsgeschäfts als Verstärkung eingestellt würden, um dann schnell wieder gefeuert zu werden. Auch sei nicht erwähnt worden, dass es in der Belegschaft längst eine gewerkschaftliche Organisation gebe, die auch schlagkräftig sei.
“Andreas”: “Gestern habe ich wieder eine E-Mail von denen bekommen, man möchte mich nach der Geschichte letzte Woche noch mal interviewen. Ich habe allerdings mit Verweis auf die einseitige Berichterstattung in beiden Fällen abgelehnt.”