Moin moin, lieber Fernsehkritiker,
hallo, liebe Gemeinde!
Ich habe gestern Abend den im Betreff genannten Film 0 gesehen und fand ihn derartig grausam, dass ich mich genötigt sah, mich hier zu registrieren und einmal Dampf abzulassen. Falls ich den falschen Bereich erwischt habe, tut es mir leid. Ich bin neu hier
Zunächst mal das positive: Der Film spricht das Problem „Schulbildung von Behinderten“ an. Es kommen sowohl Befürworter als auch Gegner der Integration von Behinderten in normale Schulen zu Wort, so dass man nicht das Gefühl hat, es mit allzu arger schwarz-weiß-Malerei zu tun zu haben. Es wird ziemlich deutlich, dass die Integration/Inklusion von Behinderten nicht kostenneutral umsetzbar, aber dennoch wichtig ist.
Was mir an dem Film jedoch überhaupt nicht gefallen hat, ist einmal auf den Punkt gebracht: Er ist an vielen Stellen schwachsinnig und unglaubwürdig. Beispiele:
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[li] Gestellte Behinderte: Vor allem die körperlich Behinderte wirkt unecht[/li][list]
[li] Die Schauspielerin Ist einfach nicht behindert: mir wurde bis zum Ende nicht ganz klar, an welcher Behinderung sie genau leiden soll[/li][list]
[li] O.k., sie sitzt ein bisschen schief und bemüht sich stellenweise, die Hand schief zu halten. Man sieht aber deutlich, dass mit ihr alles o.k. ist, und das wirkt nun mal total hölzern. (Ich musste spontan an den Gorilla aus „Herkules in New York“ denken.)[/][/li][li] Die Form der Behinderung ändert sich ständig: am Anfang kann sie nicht mal wirklich schreiben und nur sehr langsam tippen, an anderer Stelle im Film kann sie jedoch auch Handrollstuhl fahren, eine Getränkeflasche locker aus dem Kühlschrank holen und daraus trinken und sich sogar an einer Sprossenwand hochziehen und stehen (an einer Stelle kann sie sich sogar unbemerkt auf den Treppenlift begeben und auf diesem die Treppe runter fahren)[/][/ul][/][/li][li] ihr Rollstuhl wirkt wie ein Leihwagen:[/li][ul]
[li] Das Teil sieht aus wie geliehen (ist es ja wohl auch). Es scheint nicht an ihren Körper angepasst. Beispielsweise wird ihr Nacken auch gar nicht gestützt.[/][/li][li] Warum hat sie Überhaupt einen E-Rollstuhl, wenn sie auch mit einem Handrollstuhl zurechtkommt? So verlernt sie noch mehr![/][/li][li] Warum sitzt sie links am Tisch, wenn ihre Steuerung rechts am Rollstuhl ist? Wenn sie rechts sitzen würde, könnte ihre Steuerung neben dem Tisch sein und sie könnte näher an den Tisch fahren.[/][/li][li] Sie kann mit dem Rollstuhl nicht umgehen: Mit einem Rollstuhl, wie sie ihn fährt, kann man problemlos Türen öffnen, indem man sie aufdrückt, wenn man sie denn einen Spalt auf bekommt. Sie bekommt das aber nicht hin, sondern fährt immer dämlich gegen die Tür.[/][/ul][/][/li][li] Wie bereits erwähnt kann sie Türen nicht öffnen (nicht mal die zum Drücken ohne Klinke). An einer Stelle im Film sieht man jedoch, wie sie weinend in die Behindertentoilette fährt, um sich die Tränen mit Klopapier zu trocknen.[/li][ol]
[li] Wie hat sie die Tür auf bekommen? Es scheint mir unwahrscheinlich, dass sie jemanden gefragt hat.[/][/li][li] Wie ist sie da wieder rausgekommen?[/][/ol][/][/li][li] Wieso erst Inklusion in der neunten Klasse? Steffi war ihr Leben lang auf einer Sonderschule. Ich finde es – gelinde gesagt – erstaunlich, dass sie stofflich im Unterricht mitkommt. Immerhin steigt sie in einer neunten Klasse ein.[/li]Normalerweise hätten die Eltern Alarm schlagen müssen, als es um die Einschulung ging: Was sind denn das für Eltern, die ihre geistig normal entwickelte Tochter auf eine Sonderschule schicken, aber eigentlich auf eine normale Schule schicken wollen!? Es gibt Eltern, die es in Kauf nehmen, dass ihr körperlich behindertes Kind geistig total unterfordert wird, aber wenn sie sich um eine normale Schule bemühen, funktioniert das nicht erst in der neunten Klasse![/][/list][/]
[li] Es wird so getan, als ob die einzige Rettung der ominöse Schulhelfer wäre, der krank und deshalb nicht da ist. Es ist nun aber nicht so, dass nur die Schule dafür verantwortlich ist, dass Assistenzkräfte verfügbar sind: Allein bei Steffi geht es ja nicht nur um Eingliederungshilfe, sondern auch um Hilfe zur Pflege (beispielsweise beim Toilettengang). Folglich würde man sich natürlich beim zuständigen Amt melden und da alles beantragen und gegebenenfalls einklagen. (Auch das kann dauern, aber es müsste immerhin thematisiert werden!)[/][/li][li] Allgemein sind einige Sachen in dem Film für mich sehr cheesy:[/li][ul]
[li] Wieso übernimmt beispielsweise der Lehrer die Aufgabe eines Physiotherapeuten? Nur, weil man ihn nett bittet? Ich bezweifle sogar, dass er das darf…[/][/li][li] Und wieso soll die Behinderte ihr Training alleine machen? Das ist doch Quatsch! Man kann doch nicht ein so schwer behindertes Mädchen, das gerade so mit Ach und Krach an einer Sprossenwand stehen kann, alleine trainieren lassen! Da ist die Verletzungsgefahr doch viel zu groß! Wieso helfen ihm die Eltern dabei nicht?[/][/li][li] Wie ist es zu erklären, dass Steffi in der ersten Stunde kein Notebook dabei hat? Sie sagt, ihre Eltern hätten es vergessen, was mir nicht plausibel erscheint. (Bei dem Trara, das die Eltern um die Einschulung gemacht haben, vergessen die das doch nicht am ersten Tag!) Sie selbst konnte es aber auch nicht verschwinden lassen…[/][/ul][/][/li][li] Auch fragwürdig: das Ende. Die Körperbehinderte Steffi passt sich an und darf bleiben, während der geistig behinderte und aus meiner Sicht sozial hochkompetente Paul der Schule verwiesen wird, weil die Leute überhaupt nicht auf ihn eingehen, ihn provozieren und sich dann wundern, dass ihm der Kragen platzt.[/*][/list][/li]
Ich finde es ja gut, dass man sich mit dem Thema auseinandersetzt und das Leute dafür sensibilisiert werden, allerdings ist der Film offensichtlich von Leuten gemacht, die kaum oder vielleicht sogar nie mit Behinderten zu tun hatten. Schade.
Was denkt ihr über den Film?
Gruß,
Jonny