Grundsatzdiskussion zum Kapitalismus

Hier soll es darum gehen, wie sinnvoll die kapitalistische Wirtschaftsordnung überhaupt ist, und ob es eventuell überlegene Alternativen gibt.

Ich fange einmal mit dem Hinweis an, dass es die These gibt, dass die Marktwirtschaft in den 50er und 60er Jahren wesentlich besser funktioniert habe, und zwar gerade deshalb, weil sie nicht neoliberal geprägt gewesen sei.
Hierzu verweise ich auf einen kurzen Vortrag des früheren Chefvolkswirtes der UNCTAD (UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung), Heiner Flassbeck, auf den eine längere Diskussion folgt. Flassbeck vertritt genau diese Auffassung:

https://www.youtube.com/watch?v=fOEKannkLXM

Zum anderen sei auf einen Text von Stephan Schulmeister verweisen, in dem ganz ähnlich argumentiert wird:

Gegenstand dieses Essays ist das Haupträtsel der wirtschaftlichen Entwicklung der Nachkriegszeit: Die nach einer Vielzahl von Kriterien so unterschiedliche Performance zwischen den 1950er und 1960er Jahren einerseits und zwischen den letzten Jahrzehnten andererseits. In Europa sind die Unterschiede zwischen der Prosperitätsphase und der nachfolgenden Krisenphase wesentlich stärker ausgeprägt als in den USA. Überdies verschlechtert sich die ökonomische Performance in Europa seit den 1970er Jahren von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Dieser Prozess hat sich Anfang der 1990er Jahre verstärkt und mit Ausbruch der Finanzkrise 2008 nochmals beschleunigt. Er ist weiter im Gang und zieht Europa in die schwerste ökonomische, soziale und politische Krise der Nachkriegszeit. Die herrschende neoklassische Theorie kann diesen Prozess nicht erklären, sie hätte vielmehr eine umgekehrte Entwicklung erwarten lassen, also eine hartnäckige Krise in den 1950er und 1960er Jahren gefolgt von zunehmender Prosperität. Denn in den 1950er und 1960er Jahren konnten sich bedeutende Märkte nicht frei entfalten, die Arbeits- und Finanzmärkte waren strikt reguliert, der Devisenmarkt überhaupt geschlossen.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden diese Märkte hingegen dereguliert, am stärksten wurden die Finanzmärkte entfesselt. Dazu kommt, dass die Triebkraft des Wirtschaftswachstums nach neoklassischer Theorie, der technologische Fortschritt, in den 1950er und 1960er Jahren nahezu bedeutungslos war im Vergleich zu den nachfolgenden Jahrzehnten, die von bahnbrechenden Basisinnovationen geprägt wurden wie der Mikroelektronik, Biotechnologie oder der Nanotechnologie. Die ökonomische und soziale Performance war in allen europäischen Gesellschaften nach allen relevanten Kriterien in den 1950er und 1960er Jahren besser als in den vergangenen Jahrzehnten (siehe Abschnitt 2). Dies gilt für das Wirtschaftswachstum seine Stabilität, die Beschäftigungslage und die Entwicklung der Staatsfinanzen, aber auch für die Verringerung von Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen bis zur sozialen Sicherheit, dem Grundvertrauen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt und einem durchaus gemächlichen Tempo des beruflichen und privaten Lebens.
Seit den 1970er Jahren hat sich die Lage in Europa nach all diesen Kriterien verschlechtert, besonders markant kommt sie an folgender Paradoxie zum Ausdruck: Das Lebenstempo ist bis zur Hektik gestiegen, aber der Ertrag der gesteigerten Aktivitäten wird immer kleiner – man denke etwa an das emsige Schreiben von Job-Bewerbungen durch junge Menschen.
A propos Junge: Bis Anfang der 1970er Jahre gab es weder Jugendarbeitslosigkeit noch prekäre Beschäftigung, jeder junge Mensch konnte einen voll sozialversicherten Arbeitsplatz bekommen und sich daher auch eine Wohnung leisten. Heute ist das BIP pro Kopf in Europa mehr als doppelt so hoch, aber Millionen Junger können nicht „flügge“ werden, es fehlen Arbeitsplätze und erschwinglicher Wohnraum. Dieser Vergleich macht deutlich: Da ist seit Jahrzehnten etwas fundamental falsch gelaufen.

Zwar habe es auch in der Wachstumsphase nach dem Krieg vermehrte Ungleichheit wie das typisch sei für wirtschaftlich rasch wachsende Länder. Längerfristig habe sich aber auch die Lage der abhängig Beschäftigten verbessert.

Schulmeister vertritt folgende These (findet sich alles auf den ersten Seiten):

  • Man kann zwei fundamental unterschiedliche „Spielanordnungen“ einer kapitalistischen Marktwirtschaft unterscheiden, je nachdem, welche Aktivitäten das Profitstreben antreiben.
  • Im Realkapitalismus fokussieren die Anreizbedingungen die kapitalistische „Kernenergie“ auf unternehmerische Aktivitäten in der Realwirtschaft: Bei festen Wechselkursen, stabilen und unter der Wachstumsrate liegenden Zinssätzen, stabilen Rohstoffpreisen und „schlummernden“ Aktienmärkten kann sich das Gewinnstreben nur in der Realwirtschaft entfalten, die stetig expandierende Investitionsnachfrage ermöglicht ein hohes Wirtschaftswachstum und damit anhaltende Vollbeschäftigung.
  • Im Finanzkapitalismus dämpfen instabile Wechselkurse, Rohstoffpreise, über der Wachstumsrate liegende Zinssätze, und boomende Aktienmärkte unternehmerische Aktivitäten in der Realwirtschaft, gleichzeitig werden Finanzspekulationen immer attraktiver. Mit der Realkapitalbildung geht auch die Schaffung von Arbeitsplätzen zurück. Der Finanzierungssaldo des Unternehmenssektors dreht in einen Überschuss. gleichzeitig „erleidet“ der Staat ein nahezu permanentes Defizit. Bei über der Wachstumsrate liegenden Zinssätzen nimmt die Staatsschuldenquote immer mehr zu.

http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/Real-_Finanzkapitalismus_11_13.pdf

Ich stelle das einfach mal so zur Diskussion in den Raum.

Außerdem möchte ich noch die Diskussion aus einem anderen Thread fortsetzen. Siehe:
http://forum.massengeschmack.tv/showthread.php?18197-Wirtschaftliche-Auswirkungen-durch-Fl�chtlinge Siehe dort Megabjörnies Beitrag von Megabjörnie vom 13.02.2016.

@ Megabjörnie:

Wer die Entwicklung des Kapitalismus in den letzten vierzig Jahren aufmerksam verfolgt hat, wird erkennen, dass es eine langfristige Krisenentwicklung gibt. Hohe Arbeitslosigkeit ist kein deutsches, sondern ein globales Phänomen.

Die Frage wäre hier, ob sich dies nicht auch in der oben angedeuteten Weise erklären lässt.

Es ist leicht, der neoliberalen Politik von Kohl und Schröder die Schuld an der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich zu geben. Klar hat der Neoliberalismus unsere Lebensverhältnisse nicht verbessert, aber letztlich reagierte die Politik damit nur auf die Krise der Arbeitsgesellschaft. Bei fünf Millionen Arbeitslosen entsteht ein gewisser Handlungsdruck. Es war die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Die Frage ist ja nur: Was sind sinnvolle politische Schritte? Die jetzige „Lösung“ funktioniert ja nur deswegen (halbwegs), weil Deutschland aufgrund der Währungsunion permanente hohe Leistungsbilanzüberschüsse erzielen kann. Das aber geht direkt zu Lasten anderer und ist auf Dauer auch zum eigenen Schaden:
http://forum.massengeschmack.tv/showthread.php?18249-Lohnwettbewerb-mit-dem-Rest-der-Welt-alles-Bl�dsinn

Der Kapitalismus ist von Wachstum abhängig, weil die Produktivitätszuwächse einen nie endenden Druck erzeugen, immer mehr zu verkaufen, die Konsumpalette stetig zu erweitern, während die Konkurrenz dafür sorgt, dass ein Unternehmen nie aufhören darf, nach Möglichkeiten zu suchen, Arbeitskraft einzusparen, wo es nur geht.
Ein Übriges leistet natürlich auch die Kreditwirtschaft mit dem Zins.
Während Letzteres immer wieder gern als Argument genannt wird, warum Kapitalismus Wachstum braucht, trifft man Ersteres relativ selten an, obwohl es eigentlich viel wichtiger ist.

Zum einen kann Wachstum auch in eine ökologische Richtung gehen - das kommt immer auf die gesetzten Anreizsysteme an. Zum anderen könnte eine Marktwirtschaft prinzipiell auch „stationär“ funktionieren. Das Argument mit den Zinsen gilt so allgemein nicht, denn wenn sie so niedrig liegen, dass sie nur die Inflation ausgleichen, dann erzeugen sie auch keinen Wachstumsdruck. Dazu müsste man notfalls das Bankenwesen ändern (verstaatlichen); aber es besteht von dieser Seite her kein „prinzipieller“ Wachstumszwang, wie auch Norbert Häring ausführt:
http://norberthaering.de/haering/ueber_das_geld/3_Zinsen_kann_nur_zahlen,_wer_Kredite_produktiv_verwendet.pdf

Auch der andere Teil überzeugt mich nicht unbedingt. Wenn die Unternehmen keine technischen Neuerungen hervorbrächten, würden sie zwar keine Marktanteile gewinnen, aber allein deswegen auch keine verlieren. Auch dies könnte man - wenn man denn wollte - vermutlich staatlich entsprechend regeln. (Persönlich würde ich allerdings ein ökologisch sinnvolles Wachstum ohnehin der Stagnation vorziehen.)

Mit der mikroelektronischen Revolution in den Neunzigern wurde die Krise der Arbeit rasend beschleunigt. Wir können hier von einer Schere zwischen Prozess- und Produktinnovation sprechen: In der Produktion kann dank modernster Hard- und Software ein Arbeiter ganze Produktionsprozesse überwachen, wo man früher hundert Leute gebraucht hätte. Aber die 99 anderen Jobs sind nicht alle ersetzt worden, weil die Gesellschaft gar nicht so viele neue bescheuerte Konsumprodukte konsumieren kann oder will, wie sie es müsste, um Wirtschafts- und Produktivitätswachstum im Gleichgewicht zu halten.

Aber das ist doch schon lange so. Genau deswegen ist doch der Dienstleistungssektor so groß: Die Industrie braucht eben weniger Leute, um den Markt zu sättigen. Aber das bedeutet auch: Die Preise für Industriegüter fallen real, das Einkommen der Menschen nimmt real zu. Und mit dem zusätzlichen Geld kann man sich dann andere Dinge leisten. Etwa eine Geigenstunde oder einen Urlaub. Es gäbe genug Leute, die sofort wüssten, was sie mit mehr Geld anfangen könnten. An potentieller Nachfrage nach Dienstleistungen (und in der Tat auch nach Gütern) fehlt es sicher nicht. Hier sehe ich nun kein Problem.

Zitat Enio:

Die Frage ist nur: Gibt es ein in der Praxis funktionsfähiges System, das besser als eine vernünftig geregelte Marktwirtschaft ist?
Mag ja sein. Ich bin kein „Marktfetischist“. Wenn ein anderes System besser funktioniert und die Menschen dort mehr haben und glücklicher leben, nehme ich das gerne zur Kenntnis. Die Frage ist eben nur, ob es eine gute praxistaugliche Alternative gibt, die in der realen Welt auch wirklich funktioniert.

Zitat Megabjörnie:

Wer so fragt, dem geht es augenscheinlich noch viel zu gut.

Ich verstehe nicht, was an meiner Äußerung kritikwürdig sein soll. Sie spiegelt doch eine skeptische Haltung im besten Sinne wider: Offenheit und Lernbereitschaft bei gleichzeitiger Vorsicht und dem Wunsch, Dinge unvoreingenommen zu prüfen.

Ferner kann man sich auch mit Begriffen wie Commonismus ( im Unterschied zum Kommunismus ), Keimformtheorie und Internationale Kommunenwirtschaft auseinandersetzen.

Wie gesagt: ich finde es durchaus interessant, mich auch mit neuen Lösungsansätzen zu beschäftigen. Bevor ich das allerdings gründlich getan habe, kann ich nicht sagen, ob diese anderen System besser sind.

Wenn man „sinnvoll“ mal mit „zweckmäßig“ übersetzt, dann lautet die Frage: Wie zweckmäßig ist der Kapitalismus? Und dann fehlt der Frage etwas: Zweckmäßig - wofür denn eigentlich? Man kann nicht die Zweckmäßigkeit einer Sache prüfen, ohne den Zweck zu benennen.

Wenn man „sinnvoll“ mal mit „zweckmäßig“ übersetzt…

Ist so aber nicht intendiert. Mit „sinnvoll“ meine ich eher „vernünftig“. Und damit will ich fragen, ob der Kapitalismus ein Wirtschaftssystem ist, das der Gesellschaft insgesamt nutzt (oder für sie jedenfalls mindestens so gut oder besser ist als andere Systeme). Dies in Hinsicht auf allgemeinen Wohlstand, aber auch im Hinblick auf Lebensqualität. Klar, diese Definition ist etwas schwammig (was sich nicht ganz vermeiden lässt), aber ich denke, man weiß schon ungefähr, über was man spricht.

Ich bin der Meinung, das der Kapitalismus langfristig die einzige Wirtschaftsform bleiben wird, die für uns Menschen funktioniert. Vor allem, weil sie im Gegensatz zu diversen anderen Ansätzen nicht die wahre Natur des Menschen verleugnet. Der Mensch ist meiner Meinung nach schon aus Prinzip, sowohl gesellschaftlich als auch direkt biologisch (Selbsterhaltungstrieb/Survival of the fittest) begründet, ein Art mit ausgeprägten Egoismus. Dieser Egoismus hat individuell gesehen unterschiedlich große Kreise, die dann auch begründen, warum einige mit dem Kapitalismus vordergründig nichts anfangen können und ersetzen wollen und andere gut darin leben können.

Manche Menschen ziehen ihren Kreis nur um sich selbst, sie sind diejenigen, die wir gemeinhin als „Egoisten“ bezeichnen. Andere ziehen ihren Kreis um die Familie, Freunde, etc. Letztendlich lässt sich JEDE Aktion des Menschen auf eine egoistische Haltung zurückführen, dabei ist es wichtig den Begriff ohne die negative Konnotation zu sehen, der ihn umgibt. Denn es ist im Grunde ein Paradoxon, worauf sich das ganze zurückführen lässt: Selbst wenn ich den Wunsch habe, anderen Menschen zu helfen, quasi den Wunsch „selbstlos“ zu sein, dann hat es immer auch ein Ziel für mich selbst. Leicht negativ gesagt könnte es sein, dass mich andere Menschen als „selbstlos“ wahrnehmen, oder weil ich aus welcher Motivation auch immer es nur für mich selbst tun möchte. In dem Moment, in dem ich jemanden dann helfe (indem ich Geld spende, in einem Flüchtlingsheim aushelfe, einem Freund einen Rat gebe), dann tue ich damit in letzter Konsequenz etwas für mich, ich erfülle meinen Wunsch (nämlich selbstlos zu sein). Daraus schlussfolgere ich für mich, das es keine Selbstlosigkeit in dem Sinne gibt.

Während andere Wirtschaftsformen wie der Kommunismus verleugnen, das der Mensch so ist, und man sich dann wundert, warum er nicht funktionieren kann („Aber das war ja kein real existierender Sozialismus/Kommunismus“) und darauf besteht das es trotz den Versuchen in UdSSR, Kuba, China, etc. pp. ja nur noch keiner wirklich mal ausprobiert habe; währenddessen umfasst, „umarmt“ der Kapitalismus diesen menschlichen Wesenszug. Der Kapitalismus befördert geradezu den Egoismus, der uns bisher immer am meisten angetrieben hat, besser zu sein als der andere. Das gilt für die Einzelperson genauso wie für Unternehmen, dadurch entsteht Innovation und dadurch entsteht Wettkampf. Ohne dies - und ohne Krieg (was im Grunde genommen auch deshalb ein Wirtschaftsfaktor ist, weil das Wettrüsten auch ein Wettkampf ist) verbleibt der Mensch in Stagnation, wie man schön in der UdSSR und auch in der DDR sehen konnte. Wenn ich nicht innovativ sein muss, wenn ich nicht „besser“ sein muss, weil alle gleich sind, wird nichts passieren. Und es wird dann immer wieder Menschen geben, die gleicher sind als andere. Eine Gleichmacherei wird nicht auf Dauer funktionieren, das vermeintliche Fehlen von Machtstrukturen wird immer zu der Ausbildung von eigendynamischen Hierarchien führen. Man kann nicht jedem Menschen „ein bisschen Macht“ geben, denn er wird immer versuchen diese zu vermehren, seinen eigenen Vorteil für sich, für seine Peer-Groups zu suchen.

Man kann dazu auch immer gut auf das Experiment „Die Welle“ Bezug nehmen, um zu sehen das der Mensch an sich nicht gut ist. Und zumindest ich bin der Meinung, das diese Traumschlösser, wie kommunistische und sozialistische oder anders geartete Wirtschafts- und Gesellschaftsformen (Postwachstumsökonomie, BGE, etc.) von dem falschen Ansatz ausgehen und schlicht verleugnen, das der Mensch an sich nicht gut ist. Unsere Taten können in letzter Konsequenz gut sein, als „Nebenprodukt“ unseres Handelns, aber wir werden immer nach mehr streben. Mehr Geld, Mehr Reichtum, Mehr Glück, Mehr Macht. Und wenn man sie uns gibt, wollen wir trotzdem mehr, bis wir stürzen. Wir werden uns immer darüber definieren, besser als andere zu sein, über die Abgrenzung von anderen Gruppen auf Basis von Wesenszügen. Das sieht man doch sogar bei der Antifa, die Rassismus bekämpfen will und letztendlich in das gleiche Muster „Wir gegen die“ verfällt. Deswegen wird es auch immer eine Ausgrenzung auf Basis von bestimmten Punkten geben. Ob das nun der Rassismus sein wird, dem die Rassentheorie zugrunde liegt oder irgendeine andere Form der Ausgrenzung - Die gesellschaftlichen Strukturen in denen wir leben haben dieses Phänomen in letzter Konsequenz zurfolge, man spricht hier auch vom parochial altruism. Gruppen unterschiedlicher Größe definieren sich immer über andere, Normen, Regeln und Verhaltenskodexe führen immer zwangsläufig zu Konflikten zwischen diesen Gruppen.

Ist der Kapitalismus die beste Wirtschaftsform? Nein. Definitiv nicht. Aber um Winston Churchill im Sinne nach zu zitieren: Der Kapitalismus ist die schlechteste aller Wirtschaftsformen - außer allen anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind".

Möge der Hate beginnen! :slight_smile:

Aha. “Die wahre Natur des Menschen” - Ist das so?
All die Babys-aus-brennenden-Häusern-Retter, all die ehrenamtlichen, all die Aktivisten und zivilcouragierten sind in Wahrheit nur darauf bedacht, ihrem eigenen Ego zu schmeicheln und niemand ist wirklich am Wohl des anderen interessiert?
Oder ist dem Verfechter dieses Menschenbildes vielleicht doch nur der eigene Tellerrand im Weg?

War ja klar , dass das alles ist, was da bei dir hängen bleibt. Es geht nicht ums “Ego schmeicheln”, sondern seine Wünsche zu erfüllen. Und wenn der Wunsch ist, anderen Menschen zu helfen, erfüllt man damit in letzter Konsequenz auch genau diesen Wunsch. Ich hab leider vergessen, wie dieser Sachverhalt in der Psychologie bezeichnet wird (Es gibt einen Fachausdruck für diesen Ansatz). Letztendlich ist es TROTZDEM nur eine Philosophie, ich behaupte ja nicht der Wahrheit letzten Schluss zu kennen…
Wie weit man da jetzt gehen möchte, ob Selbstlosigkeit als Konzept überhaupt existiert ist ja eine ganz andere Frage, die ich für mich persönlich(!) geklärt habe, deswegen trenne ich sprachlich ja auch zwischen meiner eigenen persönlichen Meinung und der eigentlichen Argumentation. Es ist letztendlich nur eine Abstraktion, es schließt überhaupt nicht aus, dass jemanden am Wohl anderer Menschen liegt. Nur das jeder seine Grenze zieht, ist nun wirklich kein Geheimnis. Jeder macht irgendwo die Linie, WEM er hilft und wem nicht. Soll ja auch Feuerwehrmänner geben, die zwar Kinder aus brennenden Gebäuden retten, aber denen die Afrikaner scheißegal sind, ums mal etwas bildlicher auszudrücken. Und selbst dann erfüllt sich die Person dann in letzter Konsequenz auch damit den Wunsch, als Feuerwehrmann/frau Leben zu retten.

Ich kann nur nochmal wiederholen, dass es dabei [B]nicht [/B]um eine Rechtfertigung für egoistisches Handeln geht, es ist nur (m)eine Grundlage für die Erklärung menschliches Verhalten und ein Grund warum meiner Meinung nach dadurch der Kapitalismus die einzige Form ist, die genau das umarmt und deshalb auch funktioniert. Ich lasse mich jetzt nicht auf eine Meta-Diskussion darüber ein, ob ich ein schlechter Mensch bin, weil ich ein vorgeblich misanthropisches Weltbild vertrete. Das dieser Ansatz kontrovers sein wird, ist mir klar, aber trotzdem kannst du dir die subtile Kritik sparen - und auch dem Vorwurf, ich würde mir damit nur mein eigenes - vermeintlich egoistisches - Verhalten rechtfertigen. Du kennst mich persönlich nicht und das ich hier desöfteren als advocatus diaboli auftrete ist auch kein Geheimnis. Ich möchte nur einen kontroversen und “extremeren” Gesprächsbeitrag leisten, wenn dir das nicht gefällt, steht es dir ja frei nicht darauf einzugehen.

Ich bin übrigens auch ehrenamtlich aktiv, verwende sogar recht viel meiner Zeit darauf, trotzdem kann ich darüber auch mit diesem Ansatz über mein eigenes “selbstloses Handeln” reflektieren.

Zitat IHaveNoOtherUsername:

In dem Moment, in dem ich jemanden dann helfe (indem ich Geld spende, in einem Flüchtlingsheim aushelfe, einem Freund einen Rat gebe), dann tue ich damit in letzter Konsequenz etwas für mich, ich erfülle meinen Wunsch (nämlich selbstlos zu sein). Daraus schlussfolgere ich für mich, das es keine Selbstlosigkeit in dem Sinne gibt.

So weit würde ich nun nicht gehen. Wenn ich jemandem zu helfen wünsche und diesen Wunsch umsetzte, dann erfülle ich zwar damit meinen eigenen Wunsch. Das ist natürlich richtig, aber auch trivial (oder sogar tautologisch). Es kommt aber auf die Wurzel des Wunsches an. Wenn mein Wunsch nicht durch meinen eigenen Nutzen, sondern primär durch meine genuine Empathie für andere motiviert ist, dann sehe ich darin keinen „verkappten Egoismus“. (Allerdings ist diese Frage für unsere Diskussion m.E. auch wenig praxisrelevant, so lange Menschen sich nur „im Effekt“ altruistisch verhalten. Ein Wirtschaftssystem muss das effektive Verhalten der Menschen berücksichtigen, und weniger die Gründe für dieses Verhalten.)
Zudem ist Deine Haltung doch etwas arg (oder einseitig) misanthropisch. Es gibt neben allen selbstbezüglichen Eigenschaften durchaus auch prosoziale Züge, die unter bestimmten Bedingungen auch zum Vorschein kommen können.

Auch hier kommt es natürlich wieder auf das „System“ an, wozu ich auch mal die Werte und Normen der Gesellschaft als ganzer dazurechne.
In Japan beispielsweise, wo man mehr das gemeinschaftliche Element mehr betont, laufen die Gehälter deutlich weniger auseinander als in vielen anderen Industriestaaten, Manager haben offenbar doch etwas andere Einstellungen als im Westen, und antisoziale Persönlichkeitsstörungen scheinen wohl deutlich seltener vorzukommen.

Abgesehen davon aber gebe ich jedoch zu, dass die Maximierung des Nutzens und auch das Streben nach Gewinn zumindest wichtige menschliche Eigenschaften sind, und starke Triebfedern für menschliches Verhalten. Die Idee, dass man durch die Schaffung von vernünftigen Regeln und geeigneten Anreizsystemen diese menschlichen Bedürfnisse berücksichtigt und zugleich so kanalisiert, dass sie der Gesellschaft als ganzer nutzen (oder jedenfalls in den meisten Fällen deutlich mehr nutzen als schaden) ist daher natürlich durchaus naheliegend.
Ich würde zwar nicht so weit gehen, zu sagen, dass damit die Frage nach dem besten Wirtschaftssystem definitiv geklärt ist; allerdings empfinde ich diesen Gedanken durchaus als Argument von erheblichem Gewicht. (Natürlich sollte man das Regelwerk und Anreizsystem dann so gestalten, dass nicht einige wenige Leute mit ihrem kurzfristigen und letztlich völlig unproduktiven Gewinnstreben das ganze System destabilisieren können. Die weiter oben vorgestellte These, dass das „realkapitalistische“ System der Nachkriegszeit dem heutigen „finanzpolitischen“ Kapitalismus überlegen war, halte ich für sehr bedenkenswert.)

Dass zumindest die Planwirtschaft, wie sie etwa im Ostblock betrieben wurde, absolut nicht überzeugend ist, würde ich unterschrieben; daran kann es ja auch kaum größere Zweifel geben. Ich hatte aber schon mal gehört, dass eine „anarchistische“ Organisation in Spanien vor dem Bürgerkrieg (und in der Ukraine der Vorsowjetzeit) ganz erfolgreich gewesen seien. So heißt es in der Wikipedia:

[I]"Während des Spanischen Bürgerkrieges wurde die Idee der anarchosyndikalistischen Sozialen Revolution der anarchistischen Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo auf breiter Basis umgesetzt. In der kurzen Zeitspanne von 1936 bis 1937 wurde fast die gesamte katalanische Agrarproduktion, die Schwerindustrie, das öffentliche Verkehrssystem und weite Teile des Dienstleistungssektors von den Arbeitenden selbstverwaltet. Diese Kollektivierung geschah spontan, sie wurde nicht von oben angeordnet. In einigen Wirtschaftszweigen wie der Schwerindustrie oder der Agrarproduktion konnten dabei zum Teil starke Produktionssteigerungen erzielt werden, was unter anderem zur Folge hatte, dass erstmals in der Geschichte Kataloniens die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln sichergestellt werden konnte. Schwerpunkte der kollektiven Selbstverwaltung waren Aragonien, Levante, Kastilien, Extremadura und der freie Teil Andalusiens. Es wird geschätzt, dass ca. 3 Millionen Menschen den Kollektivwirtschaften angehörten.[2]

Während das kollektive Wirtschaften auf der Betriebsebene erfolgreich war, kam es volkswirtschaftlich zu erheblichen Schwierigkeiten unter anderem, weil die Regierung unterschiedliche politische Konzepte vertrat und einen Plan zur Kollektivierung der gesamten Wirtschaft ablehnte. In Katalonien hingegen konnte die erste gesetzliche Verankerung der Arbeiterselbstverwaltung in der Geschichte durchgesetzt werden." [/I]

Die Richtigkeit dieser Behauptungen habe ich nun nicht nachgeprüft. Auch weiß ich nicht, was diese Wirtschaftsform genau vom klassischen planwirtschaftlichen Sozialismus unterscheidet. Zudem bliebe die Frage, ob solche Konzepte sich auf die Weltwirtschaft übertragen ließen, und ob diese Art der Organisation tatsächlich effektiver und dem allgemeinen Wohlergehen zuträglicher wäre als eine gut geregelte Form der Marktwirtschaft. Insofern wiederhole ich, was ich schon zuvor gesagt hatte: Ich bin im besten Sinne des Wortes „skeptisch“ (offen für neue Ideen oder andere Meinungen, dabei aber kritisch).

Ohne dies - und ohne Krieg (was im Grunde genommen auch deshalb ein Wirtschaftsfaktor ist, weil das Wettrüsten auch ein Wettkampf ist) verbleibt der Mensch in Stagnation, wie man schön in der UdSSR und auch in der DDR sehen konnte.

Diese Aussage halte ich dann doch für problematisch, denn sie kann wie eine Verteidigung des Krieges oder sogar seine Befürwortung klingen (vermutlich habe ich sie aber auch nur missinterpretiert). (West)europa und Japan hatten seit über 60 Jahren keinen Krieg mehr und sind in dieser Zeit - trotz allen negativen Entwicklungen - enorm aufgeblüht. Diese Gesellschaften sind menschlich, sozial (oder auch ökonomisch) sicherlich „lebenswerter“ als viele andere Gesellschaften, die Krieg führen oder geführt haben (etwa Irak, Syrien, Länder in Afrika mit ihren Bürgerkriegen).

Krieg bedeutet immer eine ungeheure Zerstörung, unermessliches Leid, Verarmung und Elend, und er bringt oft die schlechtesten Seiten des Menschen zur Geltung. Selbst wenn er auch einige günstige Effekte haben mag (die Formulierung klingt fast schon zynisch), so können diese die schlechten Seite niemals aufwiegen oder gar rechtfertigen. Das Streben nach Gewinn kann man vermutlich (wenn man es will) in geordnete Bahnen lenken und zum Wohle der Gesellschaft fruchtbar machen, Kriege aber nicht.

Nachtrag:

Zitat IHaveNoOtherUsername:

Und wenn der Wunsch ist, anderen Menschen zu helfen, erfüllt man damit in letzter Konsequenz auch genau diesen Wunsch. Ich hab leider vergessen, wie dieser Sachverhalt in der Psychologie bezeichnet wird (Es gibt einen Fachausdruck für diesen Ansatz).

„Rerziproker Altruismus?“ Wobei das letztlich auch ein Konzept ist, von dem man sich fragen kann, welche Reichweite es letztlich besitzt.
Aber solche Frage, wie jetzt IHaveNoOtherUsername und Scumdog sie diskutieren, sind zwar an sich interessant, aber wie schon gesagt für unsere Diskussion nur bedingt relevant, weil es für ein Wirtschaftssystem darauf ankommt, was die Leute in der Praxis tun, und nicht, was die (vermeintlichen) „wahren“ Gründe für ihr Verhalten sind. Abgesehen davon ist eine Diskussion des Themas „Natur des Egoismus und Altruismus“ komplex und mit vielen (auch begrifflichen) Fallstricken behaftet, die dann leicht auch zu Missverständnissen führen können. Es stellt sich daher die Frage, ob es sinnvoll ist, dieses Thema (zumal in diesem Thread hier) gründlich zu diskutieren.

Ja natürlich ist das tautologisch. Für mich ist das aber ein entscheidender Faktor.

Diese Aussage halte ich dann doch für problematisch, denn sie kann wie eine Verteidigung des Krieges oder sogar seine Befürwortung klingen (vermutlich habe ich sie aber auch nur missinterpretiert)

Ja, da hast du mich falsch verstanden. Natürlich wünsche ich mir keinen Krieg, aber Krieg bzw. Militär im allgemeinen ist eine sehr starke Triebfeder für Innovation. Ja, das ist zynisch, aber man kann sich ja auch mal anschauen wie viele Technologien im zivilen Bereich aus militärischer Anwendung stammen. Es war nur ein Vergleich, denn letztendlich ist die dahinter stehende Motivation beim Krieg einfach ausgedrückt auch „Besser sein als andere“, was zu erstaunlichen technologischen Fortschritten führte (Atombombe zum Beispiel). Das ist überhaupt keine Bewertung ob Krieg gut ist oder nicht, aber den Effekt auf den technologischen Fortschritt kann man eben nicht wegdiskutieren.

Ich musste nur ein wenig mehr ausholen, weil die einzige Aussage „Kapitalismus funktioniert, weil der Mensch schlecht ist“ halt ein wenig einfach gedacht ist und dieser Diskussion nicht gerecht wird. Das soll keine Meta-Diskussion zum Altruismus an sich sein, deswegen habe ich mich extra bemüht das herauszustellen. Kann man gerne alles anders sehen und kontrovers diskutieren, aber ich finde das Weltbild ist in dem Zusammenhang schon sehr relevant. Man sieht es ja am Beispiel Scumdog und mir, wenn zwei verschiedene Menschenbilder aufeinandertreffen.

Aber solche Frage, wie jetzt IHaveNoOtherUsername und Scumdog sie diskutieren, sind zwar an sich interessant, aber wie schon gesagt für unsere Diskussion nur bedingt relevant, weil es für ein Wirtschaftssystem darauf ankommt, was die Leute in der Praxis tun, und nicht, was die (vermeintlichen) „wahren“ Gründe für ihr Verhalten sind

Ich rede hier ganz bewusst von Egoismus und die Basis daraus bilden meine Ausführungen. Ja, es sind nur die „vermeintlich wahren Gründe“, aber wenn man der Meinung ist, dass sich daraus das menschliche Verhalten ableitet, ist das für die Betrachtung von Wirtschaftsformen nicht unerheblich. Und es gibt nun einmal andere Systeme, die ein bestimmtes Menschenbild vorraussetzen. Und bisher hat sich jedes System immer als eines herausgestellt, in dem sich eine Gruppe von einer anderen abgrenzt oder eine Mehr/Minderheit eine Mehr/Minderheit unterdrückt.

Ich habe nun nicht soviel Zeit.
Daher nur folgendes:

  1. Wir brauchen tatsächlich erstmal eine Definition von “sinnvoll”.
    Mein Vorschlag: Da es um eine gesellschaftliche Definition gehen soll, kann “sinnvoll” nur das sein was einer möglichst großen Menge Menschen die möglichst größten Vorteile verschafft. (Prämisse für meine Argumentation; wenn man mir an der Stelle widerspricht, dann ist eine Diskussion über alles nachfolgende hinfällig.)

Kann der Kapitalismus das leisten?

Ja: Zumindest wenn wir die Gruppe Menschen möglichst klein halten. Sagen wir mal: Deutsche
Ein globaler Kapitalismus ist absolut in der Lage einer möglichst großen Gruppe von Deutschen einen möglichst großen Vorteil zu verschaffen. Einer der Gründe warum ich beim Tanken derzeit auch immer gleichzeitig in dem Zeug dusche. Was interessieren mich den ein paar Ausländer die dazu noch in diesem komischen Ausland wohnen? Billig tanken!

Nein: Aus genau der oben beschriebenen Situation heraus. Der Kapitalismus ist für eine bestimmte Gruppe von Menschen einfach genial, für jeden der nicht auf der Siegerseite steht ist der Kapitalismus schlicht und ergreifend grausam und die allermeisten stehen nicht auf der Siegerseite.

Das liegt vor allem an einigen lustigen Geschichten die gerne über den Kapitalismus erzählt werden:

  1. Gleiche Chancen für alle: Jeder von euch muss die gleiche Ziellinie überqueren, ist doch total fair. Für jeweils 500€ darf man 20 Meter weiter vorne starten. Kapitalismus hält sich an den einfachen Grundsatz: Wer hat dem wird gegeben.

  2. Jeder kann reich werden: Ja, allerdings fällt es den Leuten die in 1 mehr Startkapital hatten natürlich viel leichter und ganz wichtig: Jeder aber nicht alle. Allerdings sind noch soviele Plätze für Reiche frei, das man derzeit noch von “jeder” sprechen kann. Insofern ist das Hauptproblem hier wieder: Wer hat dem wird gegeben.

  3. Harte Arbeit wird belohnt: Nein, nicht harte Arbeit wird belohnt, sondern lediglich die richtige Arbeit. Eine Krankenschwester kann so hart arbeiten wie sie will, mehr als überleben wird sie niemals hinkriegen. Wer in der richtigen Nische hart arbeitet der wird tatsächlich mehr belohnt als jemand der in der richtigen Nische halbherzig arbeitet. Insofern stimmt es.

Kurzum: Der Kapitalismus belohnt nur diejenigen die in einer egoistischen Gesellschaft über Einsatz von Ellenbogen nach oben kommen wollen. Jeden der das aus welchen Gründen auch immer nicht will bestraft der Kapitalismus und auf genau der Ebene bezieht er seine Legitimität. Diejenigen die oben sitzen haben alle einen sehr ähnlichen Charakter, deshalb können diejenigen die Macht haben auch sagen, dass alle anderen sich halt nur nicht genug angestrengt haben.
Das es auch einfach Menschen gibt die schlicht und ergreifend anderen helfen wollen wird dabei übersehen, bzw. als “selbst schuld” abgetan.

Soviel zum einzelnen Menschen.
Nun zur Gesellschaft.

Gesellschaftlich funktioniert der Kapitalismus nur deshalb weil er gar nicht sinnvoll funktionieren will. Es gibt keine soziale Absicherung für den einzelnen. Es ist ein Konkurrenzkampf auf wirtschaftlicher Ebene, wer den verliert der wird gefressen. Einfache Gleichung. Der Kapitalismus gibt keinen Anreiz für ein gesellschaftliches Zusammenleben außer das es durchaus zum eigenen Vorteil ist, wenn man nicht einfach jeden verhungern lässt.

Das macht den Kapitalismus aber auch so enorm krisenresistent. Es ist sogar eher so das Krisen benötigt werden. Wenn nicht ab und an irgendetwas sehr viel vernichtet dann bekommt das System Probleme weil es sich selbst aufbläht und daran kann es dann zerbrechen. Aber aus dem Schutt kann es dann auch wieder selbst auferstehen. Der Kapitalismus ist der Phönix unter den Wirtschaftssystemen.

Ergo: Nein der Kapitalismus ist nicht sinnvoll, aber er hat einige Vorteile wie z.B. die Krisenresistenz und die schon angesprochene Aufforderung zum persönlichen Wettbewerb.
Sinnvoll kann er aber nur sein, wenn man ihm Regeln auferlegt und zwar sehr strenge Regeln mit einer sehr kurzen Leine. Das was ich in einem anderen Thread schon erwähnt habe.
Es handelt sich bei der Sache um einen sehr bissigen, sehr großen und widerstandsfähigen Kettenhund. Es ist toll so einen Hund zu haben solange man an der richtigen Seite der Leine steht.
Deshalb stimme ich der Einschätzung im Eingangspost zu, dass der Neoliberalismus der letzte Scheiß ist. Eine Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft mit starker Kontrolle des Finanzsektors ist der (vermutlich) einzige Weg zu einem sinnvollen Wirtschaftssystem, dass ohne (zu starke) Unterdrückung persönlicher Freiheiten auskommt.

@ IHaveNoOtherUsername:

Ja, ich verstehe schon, was Du meinst. Man könnte die entscheidende These vielleicht etwas allgemeiner und „neutraler“ so zusammenfassen:
„Das Streben nach eigenem Nutzen und mehr Geld ist zumindest eine sehr wichtige menschliche Eigenschaft, mit der man immer rechnen muss und die man nicht einfach ignorieren kann. Ein gut funktionierendes System muss diesem Umstand Rechnung tragen und das Gewinnstreben der Menschen in sinnvolle Bahnen lenken und dadurch für die Allgemeinheit nutzbar machen.“
Wie gesagt halte ich das zumindest für ein ziemlich gutes Argument.

Zum Krieg: Mag alles sein - aber auch Friedensphasen können große Innovationen mit sich bringen. Gerade in Zeiten des Wirtschaftswachstums. Man denke an die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts. Gut, manche Innovationen waren (auch= dem Kalten krieg geschuldet - aber bei Weitem nicht alle.

@ Skafdir:

Im Grundsatz stimme ich Dir insoweit zu, dass auch ich den Neoliberalismus mit großer Skepsis sehe und den Kapitalismus nicht glorifiziere. Wie auch "IHaveNpOtherUsername schon schrieb, ist er kein „gutes“ System - die große Frage ist nur, ob es ein besseres gibt. Den Vergleich mit einem potentiell gefährlichen Hund, der gut abgerichtet und an die Leine gelegt sein will, finde ich ganz gut. Darüber hinaus aber meine ich, dass Du die (gezähmte) Marktwirtschaft vielleicht doch ein wenig arg pessimistisch siehst. (Oder vielleicht spricht Du auch nur vom „ungezähmten“ Kapitalismus; in diesem Fall würde ich im Folgenden etwas an Dir vorbeireden.)

Ja: Zumindest wenn wir die Gruppe Menschen möglichst klein halten. Sagen wir mal: Deutsche

Und genau hier bin ich skeptisch. Je höher das Sozialprodukt der ganzen Welt, desto höher mögliche Gewinne. Dies hatte ich bereits in einem anderen Thread argumentativ zu stützen versucht:
http://forum.massengeschmack.tv/showthread.php?18197-Wirtschaftliche-Auswirkungen-durch-Fl�chtlinge

Ansonsten kommt es natürlich ganz darauf an, wie der konkrete oder „real existierende“ Kapitalismus aussieht. Er kann so aussehen, wie Du es beschreibst. Und wenn er sich selbst überlassen wird, dann neigt er offenbar auch dazu, tatsächlich genau so auszusehen. Man kann ihn aber natürlich auch gestalterisch so beeinflussen, dass er durchaus anders aussieht. Und das tut ihm sogar gut, wie ich in dem verlinkten Thread bereits zu zeigen bemüht war:

Das Wohlergehen der Unternehmen (im Sinne des Sektors der Unternehmen) hängt zumindest in einer realkapitalistischen Ordnung vom Masseneinkommen ab, und dieses wiederum von den Löhnen. Je höher die Löhne und somit das Masseneinkommen, desto besser für die Unternehmen. (Das gilt natürlich nur, insoweit Löhne die Produktivität widerspiegeln und Investitionen nicht abwürgen). Da der Gesamt-Umsatz größer ist, handelt es sich hier eben nicht um ein Nullsummenspiel für die Unternehmen. Ein „zu viel“ an Ungleichheit ist dabei kontraproduktiv. (Gewisse Unterschiede dürfen sein, aber man kann nicht einen Teil der Leute einfach völlig „abhängen“. Es scheint gute Argumente dafür zu geben, dass die zu extreme Ungleichheit ein wichtiger Faktor war, der zur gegenwärtigen Krise mit beigetragen hat. Teile der Gesellschaft konnten entweder gar nicht mehr oder nur noch auf Pump konsumieren, so dass die Nachfrage nicht mehr ausreichend hoch war:

Das Pochen auf gute Löhne entspricht nicht der einzelunternehmerischen Logik; der einzelne Unternehmer fährt besser, wenn er wenig bezahlt (jedenfalls wenn man mal von der Motivation der Arbeitnehmer und so weiter absieht). Es ist aber die „gesamtwirtschaftliche“ Logik, aus der sich ergibt, was die Unternehmen als Gruppe eigentlich fordern müssten - und zwar in ihrem ureigensten wirtschaftlichen Interesse. (In dem im ersten Beitrag verlinkten Text von Stephan Schulmeister wird ausgeführt, dass die Wirtschaftsinteressen von „Realkapitalisten“ und Arbeitnehmern eindeutig größer sind als die zwischen „Realkapitalisten“ und „Finanzkapitalisten“.)

Gesellschaftlich funktioniert der Kapitalismus nur deshalb weil er gar nicht sinnvoll funktionieren will. Es gibt keine soziale Absicherung für den einzelnen. Es ist ein Konkurrenzkampf auf wirtschaftlicher Ebene, wer den verliert der wird gefressen.

Und genau da kann man intervenieren. Wenn man für Vollbeschäftigung und gute Löhne sorgt (was ich prinzipiell für möglich halte) und zudem ein anständiges soziales Netz aufbaut, dann sind die Arbeitnehmer in keiner wirklich schlechten Position.
Gut, jetzt mag man einwenden, dass das gar kein „richtiger“ Kapitalismus mehr ist, sondern nur noch ein halber oder ein „gebändigter“. Das ist aber letztlich eine linguistische Frage. In der Sache selbst ist entscheidend, ob eine Ordnung, zu der ein wesentlicher Kern Marktwirtschaft dazu gehört, auch so gestaltet werden kann, dass sie „sozialverträglich“ ist.

Eine Krankenschwester kann so hart arbeiten wie sie will, mehr als überleben wird sie niemals hinkriegen. Wer in der richtigen Nische hart arbeitet der wird tatsächlich mehr belohnt als jemand der in der richtigen Nische halbherzig arbeitet.

Das ist so allgemein nicht richtig. In der Schweiz etwa verdienen Krankenschwestern und -pfleger deutlich besser:

„Eine Krankenschwester mit ein paar Jahren Berufserfahrung verdient in Lörrach 2200 Euro brutto. Wechselt sie in eine Basler Klinik, hat sie monatlich fünfzig Prozent mehr Gehalt auf dem Konto.“
http://fazjob.net/ratgeber-und-service/karriere-im-ausland/faz-archiv/125851_Deutsche-Aerzte-und-Krankenschwestern-ueberrollen-die-Schweiz.html

Wie eine Gesellschaft bestimmte Tätigkeiten entlohnt kann sie im Prinzip selbst bestimmen. Sie kann sich - jedenfalls, wenn sie die neoklassische Theorie des Arbeitsmarktes hinter sich lässt - souverän dafür entscheiden, Arbeiten wie die einer Krankenschwester ordentlich zu entlohnen. Sie kann sich auch einen relativ guten Mindestlohn fortsetzen. Das alles ist nicht naturgegeben, sondern liegt prinzipiell in der Verfügungsgewalt der Politik. Wenn man das politisch nicht macht, ist das weniger ein wirtschaftliches als ein politisches Problem.

Es ist sogar eher so das Krisen benötigt werden. Wenn nicht ab und an irgendetwas sehr viel vernichtet dann bekommt das System Probleme weil es sich selbst aufbläht und daran kann es dann zerbrechen.

Das scheint mir doch eine etwas streitbare These zu sein. Es gibt doch im Grunde sehr viel Potential (auch ökologisch sinnvolles) für Wirtschaftswachstum. Und das gilt eigentlich immer. Aufgebläht wird das System vor allem dann, wenn der „Finanzsektor“ spekulationsgetrieben über Jahre mehr wächst als die reale Wirtschaft und dann mit Kabumm in sich zusammenbricht. Zur Bretton-Woods-Zeit (der Zeit des Wirtschaftswunders) war genau dies nicht möglich. Der Finanzsektor war viel unbedeutender und streng reguliert, und dennoch (oder gerade deswegen) hat das System praktisch krisenfrei funktioniert.

Um es nochmals zusammen zufassen:
Es gibt eine Vielzahl möglicher Systeme, die einen wesentlichen Kern von „Marktwirtschaft“ beinhalten. Systeme mit ganz unterschiedlichen Regeln und Anreizen. Man kann diejenigen belohnen, die durch reale Investitionen (ordentlich bezahlte) Arbeitsplätze schaffen. Und man kann zugleich auch diejenigen belohnen, die einfach einer normalen anständigen Arbeit nachgehen, und sie in vollem Umfang an der zunehmenden Produktivität teilhaben lassen. Aber man kann natürlich auch diejenigen belohnen, die Wetten an den Finanzmärkten abschließen, die Nullsummenspiele sind und keinerlei neue Werte in der realen Welt schaffen, sondern die Realwirtschaft tatsächlich noch gefährden. Welches System wir derzeit haben, braucht wohl nicht weiter vertieft zu werden.

  1. Ziele eines Wirtschaftssystems:
    1.1 Jedes Wirtschaftssystem muss versuchen die Ressourcen, dazu zählen nicht nur Erdöl oder so was sondern alle Inputfaktoren (ökonomisch aufgeteilt in Kapital für alles was man anfassen kann und Arbeit für alles was irgendwie das Kapital verändert) Möglichst effizient zu nutzen, um das meiste aus diesem herauszuholen und einen “Kuchen” zum Verteilen überhaupt zu erschaffen. Wo es nicht zu verteilen gibt kann auch nichts verteilt werden.
    1.2 Ein Wirtschaftssystem muss eine Verteilung aller Produzierten Güter sicherstellen. Diese sollte natürlich Gerecht sein, doch was ist Gerechtigkeit? Ist es Gerecht wenn einer den Kuchen in Stundenlanger Arbeit Backt und sich dann 100 Leute von diesem Bedienen so das derjenige der den gemacht hat nur 1/100 bekommt? Auf der anderen Seite ist es Gerecht wenn jemand der überhaupt nicht die Möglichkeit hatte etwas zum Kuchen beizutragen (ohne das er selbst die schuld dafür Trägt) nichts vom Kuchen bekommt?
  2. Kapitalismus und Kommunismus
    2.1 Der Kapitalismus kann in den meisten Fällen den ersten Punkt erreichen. Die Ausnahmen die es gibt sind durchaus bekannt und es gibt auch Lösungen dafür. Wenn Punkt 1 Also nicht erreicht wird muss man nicht das System in Frage stellen, sondern nach einer Störung suchen und dort angreifen. Der Zweite Punkt, also der einer Gerechten Verteilung ist nicht ausgeschlossen. Jedoch kommt es hierbei darauf an welche Entscheidungen getroffen werden und das Grundproblem bleibt: Was ist Gerecht?
    2.2 Der Kommunismus kann das erste auch erreichen. Theoretisch. Praktisch wird dies schwierig da ein Kommunismus wie ihn Marx vorgesehen hat hierfür Räte vorgesehen hat die diese Entscheidung Treffen sollen. Basisdemokratische und damit Ehrenamtliche Räte( denn wenn man Berufsratsmitglieder hat dann kann das ja nicht mehr Basisdemokratisch sein) Wie viele Produkte können denn diese Leute Pro Tag Bewerten? Etwas was im Kapitalismus wenige Millisekunden dauern kann, und noch dazu Parallel aus der ganzen Welt stattfindet, muss dort erst aufwendig abgestimmt werden. Wenn Ich 20 Produkte Pro tag schaffe dann kann ich für die anderen kein Optimales Ergebnis erreichen. Und bis ich alleine die Produkte die in einem Kapitalistischen Supermarkt angeboten werden durch habe, sind die Entscheidungen für die ersten Produkte schon wieder veraltet, weil beispielsweise die Ernte Schlecht war oder sie war besonders gut. Was Die Gerechtigkeit angeht, so kann man sagen: Die Demokratische Entscheidung und die darauf folgende Gleichverteilung dürften von der Mehrheit als Gerecht wahrgenommen werden. Aber es gibt ausnahmen, und diese sind hierbei viel Stärker, da es keine Möglichkeit gibt dem zu entrinnen. Es ist ja alles vorgegeben.
  3. Der Kapitalismus ist nie Erfunden worden.
    Der Kapitalismus hat sich einfach entwickelt. Es scheint also schon dem Menschlichen Wesen zu entsprechen so zu Handeln. Wenn man ein Wirtschaftssystem Erfinden möchte muss man also den Geist des Menschen ändern, damit dies überhaupt funktionieren kann, oder ich bastle ein System das auch mit dem Menschen 1.0 Funktioniert. Denn den Menschen Ändern zu wollen, oder ihn dahin zu erziehen das er im Kommunismus funktioniert bedeutet Staatsterrorismus(aus wenn es im Kommunismus keinen Staat mehr gibt, aus dem weg dahin braucht man ihn schon noch). Alle mit der Richtigen Einstellung werden gefördert, und alle die dagegen sind müssen entweder angepasst oder Eliminiert werden. Das ist Menschenunwürdig.
  4. Fazit
    Daher komme ich zu folgendem Fazit: Wenn jemand etwas erfindet was die Punkte 1 und 2 Besser abdecken kann als der Kapitalismus ohne den Menschen dafür grundsätzlich ändern zu wollen, dann hat der nicht nur den Wirtschaftsnobelpreis verdient, sondern auch vieles andere. Aber bis jetzt gibt es das nicht. Das ist aber auch eine Schwierige Aufgab, denn das bisher beste Künstliche System (der Kommunismus) hat es nicht geschafft gegen den Kapitalismus anzukommen. letztendlich ist das aber eine frage des Wettbewerbs. Auch der Kapitalismus steht im Wettbewerb und bisher ist er weit vorne.

Ps. Besonders gut gefällt mir der Kapitalismus wenn so Leute wie Roland Koch bei Bilfinger Berger gefeuert werden oder Kanye West 53 Millionen Dollar Schulden hat.

Nun, das ist ja nicht irgendein nebensächlicher Aspekt deiner Argumentation, sondern das Fundament worauf sie sich gründet.
Ich finde es schon legitim nachzugucken, ob du vielleicht auf Sand gebaut hast.

Es geht nicht ums „Ego schmeicheln“, sondern seine Wünsche zu erfüllen. Und wenn der Wunsch ist, anderen Menschen zu helfen, erfüllt man damit in letzter Konsequenz auch genau diesen Wunsch.

Klar, man kann den Egoismusbegriff geradezu unendlich weit dehnen:
Jeder Weltverbesserer handelt letztendlich aus rein egoistischen Motiven, schliesslich lebt er ja in der Welt,
die verbessert wird - ergo: Eigennutz!
So definiert ist eine selbstlose Tat wirklich nicht möglich.

Klar ist jeder Mensch in gewissem Maße ein Egoist, wie du schon sagtest,
leitest daraus aber den Trugschluss her, daß der Mensch deshalb nicht zu selbstlosem Handeln fähig ist, es deshalb „seine Natur“ ist, egoistisch zu sein und er daher nur in einem System „artgerecht“ leben kann, das diesen Egoismus berücksichtigt und unterstützt.
Das stimmt aber eben nur sehr bedingt - oder man dehnt den Egoismusbegriff wie oben beschrieben ultimativ aus, damit es passt.

ob Selbstlosigkeit als Konzept überhaupt existiert ist ja eine ganz andere Frage

Nein, das ist die Rückseite derselben Medallie, die mindestens genauso viel Beachtung verdient, wenn man „die Natur des Menschen“ abbilden will.
Wobei die Frage imho eher ist, ob eine allgemeingültige „Natur des Menschen“ in diesem Sinne überhaupt existiert und inwieweit die tatsächlich angeboren ist.

Ich lasse mich jetzt nicht auf eine Meta-Diskussion darüber ein, ob ich ein schlechter Mensch bin, weil ich ein vorgeblich misanthropisches Weltbild vertrete.

Ich habe nur Fragen gestellt, die geklärt sein sollten, bevor man von der „wahren Natur des Menschen“ spricht.

[QUOTE=Icetwo;440361]
1.1 Jedes Wirtschaftssystem muss versuchen die Ressourcen, dazu zählen nicht nur Erdöl oder so was sondern alle Inputfaktoren (ökonomisch aufgeteilt in Kapital für alles was man anfassen kann und Arbeit für alles was irgendwie das Kapital verändert) Möglichst effizient zu nutzen, um das meiste aus diesem herauszuholen und einen “Kuchen” zum Verteilen überhaupt zu erschaffen. Wo es nicht zu verteilen gibt kann auch nichts verteilt werden. [/QUOTE]

Ja, da stellt sich tatsächlich die Frage, wie ein großes und komplexes Wirtschaftssystem dieses Problem der “Allokation der Ressourcen” effizient lösen soll - außer eben über den Markt oder die zentrale Planwirtschaft (die nach aller historischen Erfahrung in vielen Ländern eben vergleichsweise ineffektiv zu sein scheint). Da bin ich eben auch skeptisch. Die Alternativen zur Marktwirtschaft, die mitunter vorgeschlagen werden, scheinen - so mein Eindruck jedenfalls - dieses Problem nicht ausreichend zu berücksichtigen. (Aber vielleicht irre ich da auch.) In Jugoslawien hat man es wohl mit einer gewissen Selbstverwaltung der Betriebe versucht, aber sonderlich erfolgreich war das Modell wohl auch nicht.

@ alle: Schade, dass diejenigen, die den Kapitalismus grundsätzlich ablehnen, hier nicht mehr über Alternativen schreiben (die man m.E. durchaus vorurteilsfrei diskutieren könnte und sollte). Ebenfalls hatte ich eigentlich erwartet/gehofft, dass die im ersten Beitrag vorgestellten Thesen über die strukturellen Unterschiede der Marktwirtschaft früher (“Wirtschaftswunderzeit”) und heute diskutiert würden, eventuell sogar kontrovers. Bisher ist da aber jeweils nicht viel gekommen.

Man hat auch in der DDR Kleinstbetriebe (besonders im Tourismus) in Privater Hand gehabt. Die sind meistens dann schnell sehr viel Produktiver gewesen als die Großbetriebe (was schon mal merkwürdig ist). Das passte dann der Staatsführung nicht und man hat die ohne sie zu verbieten wieder klein gemacht. Dann hat man erkannt das es doch irgendwo wieder einen Mangel gab und hat die wieder walten und schalten lassen, bis sie wieder zu Produktiv wurden. und das ging ewig hin und her bei: Ferienwohnungen, Kiosken, Imbissbuden, Restaurants, Handwerkern und anderer Dienstleistungsbetriebe.

[post=440488]@Enio[/post]: Ich würde ja mal behaupte das die Diskussion bisher verhalten läuft liegt vor allem daran, dass man das eben nicht „mal kurz“ beantworten kann.

Aber ich versuche es mal, auch auf Bezug zu deiner Antwort.

Das scheint mir doch eine etwas streitbare These zu sein. Es gibt doch im Grunde sehr viel Potential (auch ökologisch sinnvolles) für Wirtschaftswachstum.

Und zwar in Verbindung mit der Wirtschaftswunderzeit. Ich sage die gab es in diesem Stil nur aus einem Grund: Zweiter Weltkrieg.
Der zweite Weltkrieg hatte soviel zerstört das etwas anderes als Wachstum gar nicht stattfinden konnte. Das Wachstum zog dann neue Bedürfnisse nach und neue Fortschritte setzten auf diese Bedürfnisse noch etwas drauf.
Aber es kann nun einmal nicht ewig wachsen. Bedürfnisse sind irgendwann gestillt. Soweit es nicht Gründe gibt die Bedürfnisse von Zeit zu Zeit erneut zu stillen ist irgendwann eine Sättigung erreicht. (Die IT-Branche schafft es bisher recht gut durch immer neue Fortschritte eine Art Boom am laufen zu halten.)

Also ja es kann auch andere Gründe für Wachstum geben, aber gerade klassische Branchen können nicht ewig wachsen. die kapitalistische Gesellschaft misst aber nur Wachstum, was absolut bescheuert ist.
Deutschlands Wirtschaft wächst nur um 0,5%, die von Hintertupfingen um 200%! Wie können wir nur so zurückfallen? -.-"

(Das ist allerdings kein prinzipielles Problem des Kapitalismus, das funktioniert auch ohne. Gerade mittelständische Unternehmen sehen irgendwann ein das Wachstum nicht mehr nötig ist - Inflationsausgleich mal ausgeschlossen. Ein Freund von mir hatte damit bis vor kurzem zu kämpfen. Weil er neue Technologie für Logistik an den Mann bringen sollte, der deutsche Mittelstand aber häufig sagte: „Uns geht es gut, brauchen wir nicht. Vielen Dank.“ - Ob das Verhalten wirtschaftlich klug ist sei mal dahingestellt.)

Wie auch immer: Solange unser System darauf setzt immer wachsen zu wollen, solange wird es immer wieder die Krise brauchen. Die muss nicht zwingend hier stattfinden, aber wenn nicht irgendwo etwas teures in die Brüche geht kommt es zur Flaute.
Irgendwo = Irgendwo wo man auch für seine Arbeit bezahlt wird, humanitäre Hilfe ist blöd die bringt kaum was ein.

Dazu als Fazit: Es mag also sein das ewiges Wachstum auch ohne Katastrophen möglich ist, ich glaube nicht wirklich dran. Es erscheint mir sogar eher absurd.


Zweiter Punkt: Kapitalismus an sich kann und will keine sozial gerechte Verteilung erreichen.
Das bleibt ja auch von deinen Aussagen stehen.
Positiv am Kapitalismus: Es wird eine enorme Wirtschaftskraft geschaffen.

Alle anderen positiven Punkte müssen im Gegensatz dazu erstritten werden. Gewerkschaften sind per se nicht kapitalistisch und wenn sie es sind verfehlen sie automatisch ihren Job. Hilfsorganisationen sind nicht kapitalistisch, Steuern sind nicht kapitalistisch, Sozialhilfe ist nicht kapitalistisch, allgemeine Krankenversicherungen sind nicht kapitalistisch, usw.

Alles was dafür sorgt das die BRD ein Land ist in dem tatsächlich jeder leben kann sind Einrichtungen die, wenn nicht explizit, dann zumindest implizit antikapitalistisch sind. Gemeinsam haben sie lediglich das sie die Früchte des Kapitalismus ernten um ihre Arbeit durchführen zu können.

Ich glaube nicht das wir spontan ein Wirtschaftssystem entwickeln könnten das in der Lage wäre mehr Wohlstand zu produzieren als der Kapitalismus. Aber wir müssen dabei darauf achten, dass die restliche Gesellschaft und vor allem die Politik antikapitalistisch handeln muss, weil es sonst nichts anderes geben kann als eine Diktatur durch die Kapitalisten. (VW-Lobbyisten schreiben Gesetze mit; Nestle versucht Regierungen daran zu hindern Wasser als Grundrecht zu bezeichnen, usw.)

Warum ist das eigentlich so?
Ohne Experte in dem Gebiet zu sein, aber ich bin mir ziemlich sicher das die Marktregulierung vor der Wende tatsächlich stärker war als danach.
Der Grund ist im Prinzip einfach, ohne kommunistische Konkurrenz gibt es keinen Grund mehr einen „guten“ Kapitalismus formen zu wollen. Den nun muss man sich keine Sorgen mehr machen das die Bevölkerung das kommunistische System dem kapitalistischen vorzieht.

Hier sei auf das Lambsdorff-Papier verwiesen. Das entstand zwar schon 1982, galt damals aber als zu radikal und unsozial, erst nach der Wende konnte Kohl nach und nach alle Forderungen durchsetzen. Forderungen die dann von Schröder sogar noch übertroffen wurde, Schröder hat neoliberalere Politik betrieben als Lambsdorff sich das 1982 erträumen konnte.
Wie war der Spruch noch gleich?

Die Regeln während der Wirtschaftswunderzeit wurden so wohl nur eingeführt weil man sich gegen den Kommunismus wehren musste. Das hat nichts mit „Verschwörungstheorie“ zu tun, zumindest nicht im Sinne von „es gibt eine Gruppe die versucht uns alle zu unterdrücken“. Es ist eigentlich viel schlimmer, es sind die „Sachzwänge“. Es war einfach ein Gebot der politischen und gesellschaftlichen Vernunft das die soziale Marktwirtschaft eingeführt wurde.
Sie wäre auch jetzt noch politisch und gesellschaftlich vernünftig, aber es gibt keinen Zwang mehr, also wird sie nach und nach abgeschafft um das „scheue Reh“ nicht zu vertreiben.
Das Ende der Sowjetunion war somit gleichzeitig das Ende der sozialen Marktwirtschaft, nur das dieses Ende schrittweise eingeleitet wird. Getreu dem armen sprichwörtlichem Frosch im kochendem Wasser.

Damit kommt das zweite Fazit: Wir müssten zur sozialen Marktwirtschaft der frühen BRD zurückkehren, aber das wird nicht passieren, weil es keinen Feind mehr gibt. Deshalb bleibt nun eigentlich nur noch folgende Frage zu klären:
Hat Shadowrun recht oder die Riesenschlange Sansibar? Ein positives Ende sehe ich nicht.

Wachstum wird nicht durch Katastrophen möglich. Das die Deutsche Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg so stark angewachsen ist lag daran, das Deutsches kapital zerstört war und die Amerikaner Frisches kapital hineingebracht haben. Denn K^c*L^d=Y. Vor dem Krieg war die Deutsche Wirtschaft allerdings schon mal Stark. Vielleicht nicht so Stark, aber zumindest Ähnlich (ich rede hier auch nicht über die Vorkriegszeit direkt sondern über alles seit Reichsgründung). Jetzt gibt es eine Regel: Wirtschaft kann nur so stark wachsen bis die Abschreibungen genauso hoch sind wie die Investitionen. Also: Wenn ich mir ein Auto kaufe dann wächst die Wirtschaft. Wenn ich mein Altes Auto aber durch ein neues ersetze dann ist die Investition genauso hoch wie die Abschreibung, und ich habe nur getauscht. Um Doch noch weiteres Wachstum zu erzeugen muss man Technischen Fortschritt haben. Und es ist unwahrscheinlich das die Menschheit in den nächsten 1000 Jahren gar nichts mehr Erfinden wird.

Zweiter Punkt: Kapitalismus an sich kann und will keine sozial gerechte Verteilung erreichen.

Das stimmt nicht. Der Kapitalismus kann eine Sozial gerecht Verteilung erreichen. Es kommt nur darauf an wie sich die Marktteilnehmer verhalten. Allerdings, das ist durchaus richtig, es ist, dadurch das so viele daran beteiligt sind eher ein Zufallsprodukt wenn sich alle in die gleiche Richtung bewegen würden. Hinzu kommt das Problem: Was ist eine Sozial gerechte Verteilung?

@ Skafdir:

Und zwar in Verbindung mit der Wirtschaftswunderzeit. Ich sage die gab es in diesem Stil nur aus einem Grund: Zweiter Weltkrieg.
Der zweite Weltkrieg hatte soviel zerstört das etwas anderes als Wachstum gar nicht stattfinden konnte.

In Afrika, Südamerika und Osteuropa gäbe es auch vieles, was man aufbauen könnte; doch es passiert nichts (oder wenig). Auch wenn Deine Zeit sicher knapp bemessen ist und ich Dich zu nichts „drängen“ möchte: Guck Dir, wenn Du Lust hast, vielleicht doch mal den Anfang des Video im ersten Beitrag an. Der eigentliche Vortrag geht nicht mehr als 15 min. Deine Meinung würde mich jedenfalls interessieren. :wink:

Aber es kann nun einmal nicht ewig wachsen. Bedürfnisse sind irgendwann gestillt. Soweit es nicht Gründe gibt die Bedürfnisse von Zeit zu Zeit erneut zu stillen ist irgendwann eine Sättigung erreicht. (Die IT-Branche schafft es bisher recht gut durch immer neue Fortschritte eine Art Boom am laufen zu halten.)

Wenn wir alle in herrlichen Villen leben würden, mit großer Limousine und Swimmingpool, würde ich Dir ja recht geben. Aber davon sind die meisten von uns doch sehr weit entfernt. Es gibt Millionen Menschen, denen nicht materielle Bedürfnisse fehlen, sondern das Geld zu ihrer Realisierung. Hätten sie das Geld, sie würden sofort wissen, was sie damit machen könnten. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass - abgesehen vielleicht von einigen Multimillionären oder bewusst bescheiden lebenden Menschen - Entsprechendes für die allermeisten Leute gilt.
Mit dem von Icetwo erwähnten technischen Fortschritt sollte eine erhebliche Steigerung des Wohlstandes möglich sein, über die viele sich sicherlich freuen würden.

Also ja es kann auch andere Gründe für Wachstum geben, aber gerade klassische Branchen können nicht ewig wachsen.

Das ist sicher zum Teil richtig, aber es gibt natürlich auch immer „neue“ Branchen, die hinzukommen können - etwa ein ausgeweiteter Dienstleistungssektor (abhängig auch von der effizienteren Herstellung „konventioneller“ Güter). Wie gesagt gehe ich davon aus, dass die allermeisten Leute noch weit davon entfernt sind, „gesättigt“ zu sein - und das gilt selbst für viele „konventionelle“ Güter (wie etwa gute Einrichtungsgegenstände).

Das ist allerdings kein prinzipielles Problem des Kapitalismus, das funktioniert auch ohne. Gerade mittelständische Unternehmen sehen irgendwann ein das Wachstum nicht mehr nötig ist - Inflationsausgleich mal ausgeschlossen. Ein Freund von mir hatte damit bis vor kurzem zu kämpfen. Weil er neue Technologie für Logistik an den Mann bringen sollte, der deutsche Mittelstand aber häufig sagte: „Uns geht es gut, brauchen wir nicht. Vielen Dank.“ - Ob das Verhalten wirtschaftlich klug ist sei mal dahingestellt.)

Das dürfte aber auch daran liegen, dass etwa der deutsche Binnenmarkt seit vielen Jahren annähernd so flach ist wie ein Brett, so dass sich Investieren kaum lohnt. Siehe erste Grafik im Artikel hier:

Zudem ist das Anreizsystem wohl generell eher so gestaltet, dass Investieren sich auch wenig lohnt. Man könnte durchaus Anreize schaffen für mehr Wachstum (das wie gesagt auch in eine sinnvolle und ökologisch vernünftige Richtung gelenkt werden kann).

Aber wir müssen dabei darauf achten, dass die restliche Gesellschaft und vor allem die Politik antikapitalistisch handeln muss, weil es sonst nichts anderes geben kann als eine Diktatur durch die Kapitalisten. (VW-Lobbyisten schreiben Gesetze mit; Nestle versucht Regierungen daran zu hindern Wasser als Grundrecht zu bezeichnen, usw.)

Ja, da stimme ich Dir völlig zu. Man hat ja - abgesehen davon - lange gedacht, dass alles gut wird, wenn man nur dem Markt so weit wie möglich alles überlässt. Eigentlich hat sich ja gezeigt, dass das jedenfalls in dieser Unbedingtheit und Allgemeinheit nicht funktioniert (Beispiel Wohnungsmarkt nach dem Ende des sozialen Wohnungsbaus). Man bräuchte starke und kompetente Institutionen außerhalb des Marktes.

Der Grund ist im Prinzip einfach, ohne kommunistische Konkurrenz gibt es keinen Grund mehr einen „guten“ Kapitalismus formen zu wollen. Den nun muss man sich keine Sorgen mehr machen das die Bevölkerung das kommunistische System dem kapitalistischen vorzieht. […]
Die Regeln während der Wirtschaftswunderzeit wurden so wohl nur eingeführt weil man sich gegen den Kommunismus wehren musste. Das hat nichts mit „Verschwörungstheorie“ zu tun, zumindest nicht im Sinne von „es gibt eine Gruppe die versucht uns alle zu unterdrücken“. Es ist eigentlich viel schlimmer, es sind die „Sachzwänge“. Es war einfach ein Gebot der politischen und gesellschaftlichen Vernunft das die soziale Marktwirtschaft eingeführt wurde.

Da ist sicher einiges Wahres daran. Dennoch greift diese Erklärung etwas zu kurz. Das Bretton-Woods-System der Währungskurse und die Politik der westlichen Länder nach dem 2. Weltkrieg war mehr oder weniger „keynesianisch“ geprägt. Der Keynesianismus war aber vor allem eine intellektuelle Reaktion auf die große Wirtschaftskrise der 1920er und 1930er. Man war zur Überzeugung gelangt, dass die Marktwirtschaft ein System ist, das instabil werden und zusammenbrechen kann, und dass es einer sorgfältigen Regulierung (insbesondere der Finanzmärkte) und eines starken, zu Eingriffen in das Geschehen fähigen Staates bedarf. Ebenso war man zur Auffassung gekommen, dass die Nachfrage, die vor allem durch das (steigende) Masseneinkommen generiert wird, eine entscheidende und unverzichtbare Komponente für den gesamtwirtschaftlichen Erfolg ist. Dieses Denken - und nicht allein die Konkurrenz mit dem „real existierenden Sozialismus“ - war für die Ausformung des Kapitalismus damals verantwortlich. Es ging darum, die Marktwirtschaft auf einen möglichst krisenfesten Wachstumspfad zu schicken (und auch darum, einen breiten Wohlstand zu erreichen).

Dieser Weg wurde aber schon in den 1970ern zunehmend verlassen. So wurde beispielsweise „bewiesen“, dass es nennenswerte spekulationsgetriebene Fehlbewertungen von Währungen durch die Devisenmärkte gar nicht geben könne - und eine „Blasenbildung“ sowieso nicht. Man müsse nur die Löhne so flexibel wie möglich gestalten und den (Finanz)märkten so viel Freiheit wie möglich geben, und alles werde von alleine gut. Solche Vorstellungen prägen die europäische und insbesondere deutsche Politik ja bis heute ganz entscheidend - die USA sind da sogar etwas flexibler.

Damit kommt das zweite Fazit: Wir müssten zur sozialen Marktwirtschaft der frühen BRD zurückkehren, aber das wird nicht passieren, weil es keinen Feind mehr gibt.

Diejenigen, die in der realen Wirtschaft ihr Geld verdienen (Unternehmer eingeschlossen), müssten zum Schluss gelangen, dass eine marktwirtschaftliche Ordnung, die derjenigen ähnelt, die man in der Wirtschaftswunderzeit hatte, für sie besser wäre als die heutige Ordnung. Die große Frage ist allerdings, wie lange es dauern wird, bis sich diese Überzeugung durchsetzen wird.

@ Icetwo:

Das die Deutsche Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg so stark angewachsen ist lag daran, das Deutsches kapital zerstört war und die Amerikaner Frisches kapital hineingebracht haben.

Aber reicht das als Erklärung wirklich aus?

Viele Länder haben einen großen Aufholbedarf - darunter auch solche, in denen eine gewisse Stabilität herrscht und die Bevölkerung nicht schlecht ausgebildet ist. (Man denke etwa an Osteuropa.) Die Entwicklung ist dort aber häufig doch eher bescheiden, trotz ausländischen Kapitals. Ein wirkliches „Wirtschaftswunder“ findet sich da selten.

Zudem hatte Deutschland schon früh, d.h. zumindest ab 1950 (moderate) Leistungsbilanzüberschüsse (die dann später auch wieder Defiziten gewichen sind).

Das müsste aber, wenn keine massive Intervention der Zentralbank stattgefunden hat, eigentlich doch Defizite in der Zahlungsbilanz bedeuten - also, dass per saldo mehr Kapital aus Deutschland im Ausland investiert wurde als umgekehrt. (Wenn ich hier keinen Denkfehler begehe.)

Könnte es nicht sein, dass das Wirtschaftswunder doch etwas mit dem damals anderen „System“ des Kapitalismus zu tun hatte?

[QUOTE=Enio;440544]
@ Icetwo:

Viele Länder haben einen großen Aufholbedarf - darunter auch solche, in denen eine gewisse Stabilität herrscht und die Bevölkerung nicht schlecht ausgebildet ist. (Man denke etwa an Osteuropa.)[/QUOTE]

Die Situation ist nicht vergleichbar. Die Grundbedürfnisse waren ja gedeckt. Das ist auch ein Trugschluss den ich in der Wirtschaftswunder Doku vom WDR gesehen habe und der mich unglaublich aufgeregt hat. Die haben da gesagt: 70% der deutschen Industrie anlagen waren nach dem Krieg in Takt. Ja und? das waren aber in den Seltensten Fällen Fabriken die etwas herstellen konnten was die Leute gebraucht haben. Dazu kommt die Zerstörte Infrastruktur, Die Zerstörten Wohnungen und Häuser. Das muss alles aufgebaut werden. Den Leuten hat es ja am nötigsten gefehlt. Essen, Kleidung, Heizmaterial. Aber das weicht hier zu sehr vom Thema ab. Jedenfalls hatten das die Ostblockstaaten nach der Wende nicht. Die hatten eine Industrie die so halbwegs Funktionierte, und das Kapital ist auch nicht in den Massen geflossen wie es durch den Marshallplan passierte. Und noch was: Es gab ja auch etliche Kriegsheimkehrer die erst in den 50ern wieder auf den Arbeitsmarkt konnten. Nach der wende waren aber alle Arbeiter in Polen oder Tschechien schon da wie sie vorher waren.

Zudem hatte Deutschland schon früh, d.h. zumindest ab 1950 (moderate) Leistungsbilanzüberschüsse (die dann später auch wieder Defiziten gewichen sind).
http://blog.zeit.de/herdentrieb/2013/11/04/die-mar-vom-deutschen-exportwahn_6709

Das müsste aber, wenn keine massive Intervention der Zentralbank stattgefunden hat, eigentlich doch Defizite in der Zahlungsbilanz bedeuten - also, dass per saldo mehr Kapital aus Deutschland im Ausland investiert wurde als umgekehrt. (Wenn ich hier keinen Denkfehler begehe.)

Der Denkfehler ist: Die Handelsbilanz stellt keine Investitionen dar, sondern den Wechsel Waren gegen DMark Schulden. Ich rede hier aber vom Kapitalstock der deutschen Volkswirtschaft. Da gehören die Außenhandels Bilanzen zwar dazu, sie sind aber nicht maßgeblich. Wenn ich beispielsweise Zerstörte Eisenbahnschienen mit Hilfe von Baumaschinen aus den USA zusammensetze, dann habe ich in Deutschland den Kapitalstock aufgebaut in einem Maße der den Wert der Baumaschine bei weitem übersteigen dürfte. Man hat die Zechen Wieder aufgebaut und die Stahlwerke aufgemacht und konnte mit importierten Erzen plötzlich stahl machen, den aus dem Ruhrgebiet nach Wolfsburg bringen, da einen VW Käfer Bauen und den in die USA exportieren wo dieser Käfer mehr wert ist als das Metall aus dem er besteht.

Könnte es nicht sein, dass das Wirtschaftswunder doch etwas mit dem damals anderen „System“ des Kapitalismus zu tun hatte?

Wie schon gesagt: Das BIP besteht aus Kapital und Arbeit, und das tut es heute und das tat es damals auch. Die Soziale Marktwirtschaft hat nichts mit der Erwirtschaftung sondern mit der Verteilung zu tun.

@ Icetwo:

Der Denkfehler ist: Die Handelsbilanz stellt keine Investitionen dar, sondern den Wechsel Waren gegen DMark Schulden.

Das hatte ich anders gemeint: Nämlich dass es deutschen Leistungsbilanzüberschüsse gab (in den 1950ern), denen ziemlich wahrscheinlich Zahlungsbilanzdefizite gegenübergestanden haben müssen - also Schulden(tilgungen) des Auslandes. Aber ich glaube, ich verstehe unabhängig davon, was Dein Punkt ist (Kapitalstock).

Die Situation ist nicht vergleichbar. Die Grundbedürfnisse waren ja gedeckt. …Dazu kommt die Zerstörte Infrastruktur, Die Zerstörten Wohnungen und Häuser. Das muss alles aufgebaut werden. Den Leuten hat es ja am nötigsten gefehlt. Essen, Kleidung, Heizmaterial.

Das mag ja sein. Allein: Das Wirtschaftswunder ging ja auch dann noch kräftig weiter, als diese Grundbedürfnisse bereits gestillt waren. Und in manchen anderen Ländern sind die Grundbedürfnisse auch kaum gedeckt - und doch setzt dort kein Wirtschaftswunder ein.

Die haben da gesagt: 70% der deutschen Industrie anlagen waren nach dem Krieg in Takt. Ja und? das waren aber in den Seltensten Fällen Fabriken die etwas herstellen konnten was die Leute gebraucht haben.

Auch wenn das ein wenig OT ist: Da man auch im Krieg die Leute jedenfalls mit dem Nötigsten versorgt hat, vermute ich mal, dass das nicht alles Waffenfabriken waren. Zudem kann man die Produktion in manchen Fällen vermutlich anpassen.

Dazu kommt die Zerstörte Infrastruktur, Die Zerstörten Wohnungen und Häuser.

Aber auch diese Zerstörungen scheinen - abgesehen vom Wohnungsraum - nicht so extrem gewesen zu sein (jedenfalls laut Wikipedia):

„Trotz der schwierigen Ausgangslage nach der bedingungslosen Kapitulation im Jahre 1945 waren im Gebiet der späteren Bundesrepublik anders als etwa im Hinblick auf großstädtischen Wohnraum etwa 80 bis 85 Prozent der Produktionskapazitäten unzerstört geblieben. Die Gesamtkapazitäten nach dem Krieg übertrafen sogar jene des letzten Friedensjahres 1938.[5] Auch das Straßen- und Schienennetz war nur punktuell stark zerstört: die zahlreichen Unterbrechungen durch zerstörte Brücken und Knotenpunkte konnten relativ schnell behoben werden. Ähnliches galt für die Schifffahrtswege, die durch zerstörte Brücken zunächst vielfach nicht befahrbar waren. Hier kam der Wiederaufbau schon vor der Währungsreform von 1948 gut voran, auch die Aufräumarbeiten in den Städten machten bis 1948 schnelle Fortschritte.“

Die Befriedigung der Grundbedürfnisse (Essen, Wohnen) müsste dann eigentlich bereits relativ bald möglich gewesen sein.

Das BIP besteht aus Kapital und Arbeit, und das tut es heute und das tat es damals auch.

Das gilt aber sogar für eine Planwirtschaft. Es kommt doch schon auch etwas darauf an, wie man die relevanten Faktoren in einem Gesamt-System integriert. Es würde mich überraschen, wenn verschiedene Formen der Marktwirtschaft, die sich jedenfalls dem Anschein nach im Hinblick auf Regeln, Rahmenbedingungen und Anreizsysteme doch sehr unterscheiden, sich nicht etwa im auch Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit unterschieden.

Die Soziale Marktwirtschaft hat nichts mit der Erwirtschaftung sondern mit der Verteilung zu tun.

Das ist ja gerade die spannende Frage. Beispielsweise hatte ich im ersten Beitrag einen Text von Stephan Schulmeister verlinkt, in dem die These vertreten wird, dass die Marktwirtschaft in der Wirtschaftswunderzeit wesentlich anders aussah als heute, und dass sie damals besser und effektiver war. Das mag man ja ganz anders sehen - aber irgendwie wurde das bisher noch gar nicht (anhand des Textes) diskutiert.

Eigentlich hatte ich gedacht, dass das ein so richtig kontroverses Thema ist, wo kräftig diskutiert wird. Aber bisher gab es erstaunlich wenig Beteiligung (bis auf einige, die sich dazu im Allgemeinen ziemlich sachlich engagiert haben).

[QUOTE=Enio;440549]]
Das mag ja sein. Allein: Das Wirtschaftswunder ging ja auch dann noch kräftig weiter, als diese Grundbedürfnisse bereits gestillt waren. Und in manchen anderen Ländern sind die Grundbedürfnisse auch kaum gedeckt - und doch setzt dort kein Wirtschaftswunder ein.[/QUOTE]

Die Entsprechende Kurve die das abbildet ist Stark ansteigend und dann immer flacher werdend. Das Hängt wiederum mit den Skaleneffekten zusammen. Es kommt halt darauf an wie viel Kapital ist da, Wie viel kommt dazu und wie weit ist man auf der Kurve schon fortgeschritten. Es gab auch kein Aufbau Programm für Osteuropa. Nur die Ehemalige DDR hatte ansatzweise so etwas aber das war auch der Ostblock Staat der am weitesten auf der Kurve war. Jetzt Aktuell kann man aber so eine Entwicklung beobachten. China Investiert nämlich gerade in Afrika. Das wird da in einigen Ländern zu einem sehr starken Wachstum Führen.

Auch wenn das ein wenig OT ist: Da man auch im Krieg die Leute jedenfalls mit dem Nötigsten versorgt hat, vermute ich mal, dass das nicht alles Waffenfabriken waren. Zudem kann man die Produktion in manchen Fällen vermutlich anpassen.

http://www.johnheartfield.com/John-Heartfield-Exhibition/john-heartfield-art/political-art-posters/heartfield-posters-aiz/butter-is-all

Aber auch diese Zerstörungen scheinen - abgesehen vom Wohnungsraum - nicht so extrem gewesen zu sein (jedenfalls laut Wikipedia):

[I]"Trotz der schwierigen Ausgangslage nach der bedingungslosen Kapitulation im Jahre 1945 waren im Gebiet der späteren Bundesrepublik anders als etwa im Hinblick auf großstädtischen Wohnraum etwa 80 bis 85 Prozent der Produktionskapazitäten unzerstört geblieben. Die Gesamtkapazitäten nach dem Krieg übertrafen sogar jene des letzten Friedensjahres 1938.[5]

Ja, natürlich. Weil die Nazis Jede menge Waffenfabriken gebaut haben.

Auch das Straßen- und Schienennetz war nur punktuell stark zerstört: die zahlreichen Unterbrechungen durch zerstörte Brücken und Knotenpunkte konnten relativ schnell behoben werden. Ähnliches galt für die Schifffahrtswege, die durch zerstörte Brücken zunächst vielfach nicht befahrbar waren. Hier kam der Wiederaufbau schon vor der Währungsreform von 1948 gut voran, auch die Aufräumarbeiten in den Städten machten bis 1948 schnelle Fortschritte."[/I]

Die Befriedigung der Grundbedürfnisse (Essen, Wohnen) müsste dann eigentlich bereits relativ bald möglich gewesen sein.

Es gab bis 1950 Lebensmittelkarten in der Bundesrepublik.

Das ist ja gerade die spannende Frage. Beispielsweise hatte ich im ersten Beitrag einen Text von Stephan Schulmeister verlinkt, in dem die These vertreten wird, dass die Marktwirtschaft in der Wirtschaftswunderzeit wesentlich anders aussah als heute, und dass sie damals besser und effektiver war. Das mag man ja ganz anders sehen - aber irgendwie wurde das bisher noch gar nicht (anhand des Textes) diskutiert.

Es ist ja nicht so als wäre deutschland das einzige land gewesen das damals so gewachsen ist. Fast alle Länder in Europa hatten damals ein Wirtscaftswunder. Das lag aber hauptsächlich an der Ausgangssituation und an dem Kapital