@ Ictwo:
Das ist sicher schon richtig. Nur würde ich doch noch etwas mehr beim „Anreizsystem“ bleiben. Nehmen wir beispielsweise an, man kann durch den Derivatehandel mit etwas Professionalität und etwas Glück weit mehr Geld verdienen als in der Realwirtschaft (jedenfalls, bis irgendwann ein Einbruch kommt). Das ist auch nicht gerade eine große Ermutigung, in die Realwirtschaft zu investieren.
@ Skafdir:
Löhne rauf => Wachstum
Ja, so kann man das einfach ausgedrückt zusammenfassen. Es geht im Wesentlichen darum, dass der (potentiell realisierbaren) Zunahme des Angebots eine entsprechende Nachfrage gegenübersteht; dass also die Löhne mit der Produktivität mithalten können. Die Löhne darüber hinaus zu steigern, wäre jedoch nicht sinnvoll.
Was wären die Konsequenzen?
Zwei Wege:
A: Die Internationale. Ein Staatenbund der so viele Staaten wie möglich umfasst und dabei gleiche wirtschaftliche Rahmenbedingungen schafft.
B: Das genaue Gegenteil. Die Rückkehr in den Nationalismus mit einem absolut reguliertem Außenhandel. Freien Markt dürfte es dann nur für den Binnenmarkt geben, während alles andere direkt staatlich geleitet wird. Dieser Staat muss natürlich auch vermeiden das seine Bewohner ausziehen.
So weit müsste man nicht zwingend gehen - obwohl mehr Kooperation und Koordination natürlich sehr wünschenswert wären. Wenn ein Land eine eigene Währung hat, dann bietet diese einen gewissen Schutz.
Betrachten wir zwei Länder A und B (und nehmen wir einfachheitshalber an, die ganze Welt bestünde nur aus ihnen). Beide seien im Allgemeinen wirtschaftlich vergleichbar; beide seien entwickelte Industrieländer. Aber Land A erhöht die Löhne nicht, obwohl es das könnte, während Land B genau dies tut.
Dadurch gewinnt Land A gegenüber Land B kurzfristig an Wettbewerbsfähigkeit, denn es kann seine Waren aufgrund der niedrigen Löhne entsprechend preiswerter verkaufen. Dies führt dazu, dass die Waren von Land A weltweit (also sowohl in Land A wie auch in Land B) beliebt sind, diejenigen von Land B aber aufgrund ihrer hohen Kosten weniger begehrt werden (weder die Leute in Land A noch die in Land B wollen sie kaufen).
Land A exportiert daher mehr an Ware nach B als es von Land B im Gegenzug importiert. Land A verzeichnet also Exportüberschüsse. Land B hingegen importiert spiegelbildlich nun mehr von Land A, als es dorthin exportiert, weist also Exportdefizite auf. (Daher addieren sich Exportüberschüsse und -defizite weltweit gesehen immer zu Null auf.)
(Um diese Lücke auszugleichen, muss sich die Volkswirtschaft von Land B bei der von Land A verschulden oder eventuell bestehende Schulden von A tilgen).
Das heißt aber auch: Die Währung von Land A wird von den Leuten aus Land B vermehrt nachgefragt, denn man braucht sie, um die Waren von Land A bezahlen zu können. Die Währung von Land B hingegen wird von den Leuten aus Land A weniger nachgefragt, denn da die Waren aus Land B nicht mehr wettbewerbsfähig (zu teuer) sind, will sie auch keiner mehr kaufen.
Dies führt nun aber nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage dazu, dass die Währung des Landes A relativ zu B aufwertet, während die von Land B abwertet. Das Umtauschverhältnis der Währungen von A und B ändert sich also so, dass man für eine Währungseinheit von A nun mehr Währungseinheiten von Land B kaufen kann als zuvor. Die Währungseinheiten von Land A gewinnen also, international betrachtet, an Wert, während diejenigen von Land B an Wert verlieren.
Das heißt aber: Die Waren aus Land A werden (international betrachtet) wieder teurer, die von B hingegen wieder billiger. Damit verliert A wieder an Wettbewerbsfähigkeit, während B an Wettbewerbsfähigkeit gewinnt.
Dieser Mechanismus funktioniert nicht immer perfekt - Wechselkurse werden auch durch Spekulationen oder andere Faktoren mit beeinflusst. Aber zumindest andauernde und starke Ungleichgewichte beim Export-Importverhältnis werden gewöhnlich korrigiert, und es kann sogar zu überschießenden Reaktionen kommen. „Lohndumping“ lohnt sich also nicht. (Zumal es auch negative binnenwirtschaftliche Folgen hat.)
Dass dieser Ausgleichsmechanismus besteht, ist übrigens absolut sinnvoll. Ein Land kann langfristig nur so viel importieren wie es auch exportiert. Andernfalls entstünden im Lauf der Zeit Ungleichgewichte, die allen Beteiligten schaden würden: Das Land, das ständig zu viel importiert hat, wird aufgrund von Überschuldung zahlungsunfähig, und das Überschussland kann im schlimmsten Fall seine Forderungen abschreiben (dann hätte es einen Teil der gelieferten Güter verschenkt) und verliert zudem noch seine Exportmärkte. (Andere Nachteile gibt es auch noch; da Land B aus dem obigen Beispiel sich bei Land A verschulden muss, bedeutet dies, dass Kapital von Land A nach Land B fließt, das in Land A dann nicht mehr zur Verfügung steht - auch nicht für Investitionen.)
Das heißt aber natürlich nicht, dass es sinnlos wäre, sich anzustrengen. Ein Land, das produktiver wird (im Gegensatz zu einem, das nicht produktiver wird, sondern einfach nur Lohndumping betreibt), wird durchaus belohnt: Es hat dann eben mehr Güter zur Verfügung, die es selbst konsumieren oder am Weltmarkt umtauschen kann als ein vergleichsweise unproduktives Land (und es kann auch mehr investieren).
Der Wechselkursmechanismus bestraft also keineswegs den Tüchtigen, sondern sorgt einfach nur dafür, dass ein Land, das etwas nimmt, (langfristig) auch eine entsprechende Gegenleistung erbringen muss, anstatt sich immer mehr zu verschulden; und er sorgt dafür, dass ein Land, das etwas verkauft, auch eine angemessene Gegenleistung annehmen muss, und nicht seine Forderungen gegenüber anderen Ländern beliebig vergrößern kann. Er verhindert also eine untragbare Verschuldungssituation, die für alle (!!) schlecht wäre.
Es ist also immer möglich, produktiver zu werden - nur eben nicht, beliebig wettbewerbsfähig zu werden.
Das ist aber genau das, was etwa die Bundesregierung nicht begreift, wenn es heißt, Europa müsse „wettbewerbsfähiger“ werden. Europa kann natürlich bemüht sein, besonders gute Produkte herzustellen oder insgesamt produktiver zu werden - aber so lange andere Länder eigene Währungen haben, nutzt es nichts, durch Lohnverzicht seine Waren auf dem Rücken der Arbeitnehmer besonders preiswert am Weltmarkt verkaufen zu wollen.
Siehe auch hier:
http://forum.massengeschmack.tv/showthread.php?18249-Lohnwettbewerb-mit-dem-Rest-der-Welt-alles-Bl�dsinn
Eine Zentralbank kann den Wechselkurs auch künstlich niedrig halten, indem sie einheimisches Geld gegen fremdes Geld verkauft und damit das Angebot an einheimischem Geld erhöht (wenn das allerdings so sehr geschieht, dass Handelsungleichgewichte nicht nur kompensiert, sondern Exportüberschüsse generiert werden, wird dies als unfair angesehen und könnte im schlimmsten Fall zu einem Währungskrieg führen).
Jedenfalls wirken Wechselkurse gewissermaßen ähnlich wie Zollschranken und können normalerweise effektiv verhindern, dass ein entwickeltes Land bei vergleichbar guten Erzeugnissen einfach nur deshalb „abgehängt“ wird, weil es im Gegensatz zu einer anderen Volkswirtschaften ordentliche Löhne zahlt. Weil aber freie Wechselkurse stark in beliebige Richtungen schwanken können und Spekulationen zu großen Verzerrungen führen können, versuchen viele Länder, ihre Kurse zu stabilisieren und an andere Länder zu binden. Deshalb wird ja auch vorgeschlagen, dass man zu einem System von festen, aber anpassbaren Wechselkursen zurückkehrt. Im Bretton-Woods-System gab es das, und in der Europäuschen Währungssystem, das dem Euro vorausging, auch. Hier wäre Kooperation besonders sinnvoll.
Und damit zum Euro: Genau dieses Austarieren der Wettbewerbsfähigkeit via Wechselkursanpassungen ist nun für die Länder der Euro-Zone nicht mehr möglich. Das wäre an sich kein Problem, wenn alle Länder ihre Löhne gemäß ihrer gestiegenen Produktivität verändert hätten. Dann sollten Lohnstückkosten und Preise sich länderübergreifend gemeinsam entwickeln. Dabei ist es auch völlig egal, wie produktiv eine Volkswirtschaft ist oder wie viel Urlaub die Leute haben - jeder muss sich nur an seine eigenen Verhältnisse anpassen. Manche südeuropäischen Länder haben die Löhne zu sehr erhöht, Deutschland aber eindeutig zu wenig. Das führt dann aber dazu, dass die Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone immer mehr auseinander läuft. Die südeuropäischen Ländern können ihre Löhne aber ohne noch mehr Deflation und Rezession nicht senken. In Deutschland hingegen will man sie nicht erhöhen (obwohl das ohne Rezession ginge), sondern laut Bundesregierung noch „wettbewerbsfähiger“ werden. Das wird dann eben zum Zerfall der Währungsunion führen - und dann wertet Deutschland in extrem kurzer Zeit auf und verliert die ganze dazugewonnene Wettbewerbsfähigkeit wieder. Und weil seine Wirtschaft ganz auf Export(überschüsse) eingestellt ist, steht es dann ziemlich dumm da. Die Zeit, die jetzt noch da wäre, um sich schrittweise anzupassen und sich wieder mehr auf den Binnenmarkt auszurichten, fehlt dann.
Deshalb hatte ich in einem anderen Thread auch geschrieben:
Und Handel funktioniert eh nur dann vernünftig, wenn beide Seiten Produkte haben, die die jeweils andere Seite möchte, oder anders gesagt: Handel funktioniert nur dann, wenn beide Seiten jeweils in bestimmten Bereichen wettbewerbsfähig sind…Wer in jeder Hinsicht wettbewerbsfähiger sein will als alle anderen, sollte dann eben auch nicht Handel treiben wollen, sondern nach Autarkie streben.
http://forum.massengeschmack.tv/showthread.php?18197-Wirtschaftliche-Auswirkungen-durch-Fl�chtlinge
Man kann seine Handelspartner eben nicht über gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit an die Wand konkurrieren und dann erwarten, dass sie einem weiterhin große Mengen an Waren abkaufen und hohe Beträge an Schulden zurückzahlen - mit was sollten sie das denn auch, wenn sie insolvent sind?
Genau das wird aber nicht begriffen. Wenn die EU-Kommission Deutschland für seine hohen Exportüberschüsse tadelt, dann wird das hierzulande gerne als Neid auf den Erfolg dargestellt, und als das Verlangen, dass Deutschland sich künstlich schwächer machen solle. Das ist natürlich ein völliger Blödsinn - Deutschland kann so viel exportieren, wie es will, und es kann auch so stark sein, wie es will. Es sollte nur bereit sein, dann auch entsprechend zu importieren, anstatt seine Waren zu Niedrigpreisen auf Pump zu verkaufen. Aber hierzulande verwechselt man Exportüberschüsse offenbar mit „Gewinnen“.
Früher hatte man die relevanten Zusammenhänge noch begriffen und unter Karl Schiller eine ausgeglichene Leistungsbilanz sogar als eines von vier wirtschaftspolitischen Zielen in ein Gesetz geschrieben (das Gesetz gilt eigentlich auch heute noch, auch wenn sich kein Mensch mehr darum kümmert). Leider muss man sagen, dass das gesamtwirtschaftliche Verständnis in Deutschland heute weit geringer zu sein scheint als in früheren Zeiten.
Beispielsweise wird von den anderen Ländern gefordert, dass sie auch so werden sollen wie Deutschland. Deutschland hat ja seine Arbeitslosigkeit durch seine Lohnzurückhaltung erfolgreich reduziert - das können die anderen doch auch tun, oder nicht? Nun, Exportüberschüsse führen zu einem Export von Arbeitslosigkeit (nicht zu ihrem Verschwinden). Das ist - kurzfristig betrachtet jedenfalls - eine angenehme Eigenschaft der Exportüberschüsse (für das Land mit den Überschüssen). Man spricht hier auch von einer „Beggar-thy-Neighbor-Politik“. Nur kann das eben gerade nicht jedes Land so machen, weil jedem Exportüberschuss ein entsprechendes Exportdefizit eines anderen Landes (oder mehrerer Länder) gegenübersteht. Es kann eben nicht jeder Exportüberschüsse erzielen. Die Welt als ganze kann eben nun mal nicht mehr exportieren als sie importiert. Und Deutschland konnte seine Exportüberschüsse nur erzielen, weil andere Länder Defizite zugelassen haben. Siehe dazu auch auch dieses Interview mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman:
http://www.tagesspiegel.de/politik/interview-mit-oekonom-paul-krugman-die-sparpolitik-in-griechenland-ist-unglaublich-destruktiv/11406210.html
Und damit kämen wir wieder auf den Anfang zurück. Die Prinzipien einer Marktwirtschaft müssen verstanden werden, damit man das System gut „lenken“ kann („lenken“ heißt nicht, dass man jede Kleinigkeit regulieren muss; es geht mehr um zentrale Weichenstellungen). Dieses Verständnis ist aber womöglich einfach gar nicht da.