Frau S. hat mir, nach Rücksprache, den Mitschnitt eines Interviews mit einem ihrer ehemaligen Kollegen zur Verfügung gestellt. Das Interview wird so nicht in dem Buch Verwendung finden, es gibt genug anderes Material zu dem Thema.
S.: Und wie kommt ihr an alle diese Leute für eure Sendungen?
P.: Der Sender hat da so Scouts. in er Regel freiberufliche. Die reißen sich um den Job. Die tingeln durch die Gegend, hören sich um, Kneipen sind ideal, und wenn die dann auf entsprechende Freaks stoßen, dann geht es an das Gänseausnehmen. Die Scouts müssen immer blicken, ob sich die Typen dafür einigen, dass die Unterschichtler, die Hartz-4er, da noch runterschauen können, auf die Freaks in der Sendung. Die entwickeln aber ein Händchen dafür.
S.: Unterschichtler?
P.: Ja, nun, ich weiß, ist soziologisch nicht korrekt, sagt man ja nicht mehr, aber gesucht wird eben da unten, bei Arbeitslosen ohne Bildungshintergrund, na ja, das, was eben früher so Unterschicht genannt wurde. Mit Bildungshintergrund - die jagen uns doch aus der Wohnung. Also die suchen schon so nach dem Motto: Doof und arbeitslos. Na ja, eingeblendet wird dann immer “arbeitssuchend” … zynischer geht es bei denen nicht mehr … Freaks kommen auch gut. Schiefes Gesicht, dicker Arsch, Schielen, kaputte Zähne, so alles, was ein erster Hingucker sein kann nach dem Motto: Boah ey, sieht der oder die aus!
S.: Die Scouts sind also nicht angestellt bei einem Sender?
P.: Nö. Die arbeiten frei und biedern sich bei allen möglichen Sendern an. Manchmal gibt es da Probleme, weil die nicht mehr wissen, wen die an welchen Sender verscherbelt haben. Und manchmal lassen Sender die Ware liegen und benutzen die gar nicht. Das ist für die Scouts blöd, weil die zwei Sorten Prämien kriegen, erstens die Fangprämie und zweitens die Ausbeutungsprämie. Es gab da mal welche, die haben einen Freak an zwei Sender verkauft. Das spricht sich in der Branche rum. Der war dann blitzschnell verbrannt.
S.: Wie läuft denn so ein Erstkontakt mit einem Opfer ab? So im Prinzip?
P.: Opfer ist gut. Die Scouts nennen sich auch manchmal Skalpjäger. Also, wenn man da einen potentiellen Idioten von den Scouts auf dem Silbertablett präsentiert bekommen hast, da gibt es echte Talente drunter unter den Scouts, dann fängt mein Job an, dann klingelst du da und sagst, du kommst von RTL oder Vox oder Kabel oder was weiß ich – und dann stehst du praktisch schon in deren Wohnzimmer, wenn die denn sowas überhaupt haben. Ekel darfst du da nicht kennen, du glaubst nicht, wie das manchmal bei diesen Freaks aussieht … die sind so geil auf Fernsehen, du kannst dir das nicht vorstellen. Wenn du die für ein bestehendes Sendeformat ködern willst, springen die dir schon fast ungefragt in die Tasche. Sonst musst du ein wenig quatschen, aber bei dieser Sorte kannst du erzählen, was du willst. Ganz wenige trauen sich nicht. Ablehnen an sich gibt es nicht. Na ja, und dann kommt die Frage nach dem Geld. Du glaubst nicht, mit wie wenig du die an der Angel hast! Na klar, plätschern ja fast alle im Hartz-4-Sumpf rum. Da zahlt der Sender das aus der Portokasse.
S.: Also werden die regelrecht gekauft?
P.: Nö. So kannst du das nicht sagen. Viele von denen sind einfach scharf drauf, im Fernsehen aufzutreten-. Die würden fast alles machen, nur um auf die Mattscheibe zu kommen. Und dann muss ja auch mal sagen: was haben die denn sonst vom leben? Nix. Da fühlt man sich aus Scout noch richtig wie ein Wohltäter – endlich kommt da mal Leben in die Bude. Das kapieren die aber gar nicht. Dass die dann hinterher wie die Begossenen da stehen, nix weiter haben als die Aufzeichnungen von der Sendung, weil, das Geld, das die kriegen, du glaubst nicht, wie schnell das weg ist … ich habe da noch keinen erlebt, der auch nur ein wenig mit Geld umgehen konnte …
S.: Gibt es denn auch mal kritische Fragen?
P.: Eigentlich nicht. Oft kommt zuerst die Frage, ob man sich ausziehen muss, also nackt vor der Kamera, was bei den Typen wahrlich keiner von uns will, haha, aber sonst ist da nix. Ob die Kinder schulfrei kriegen, ja, das kommt auch noch, ach ja, ob sie das Geld angeben müssen beim Arbeitsamt, der Agentur oder so … naja, das war es dann.
S.: Und wie kommt es dann zum Vertrag? Den müssen die doch lesen und auch verstehen, halbwegs?
P.: Halbwegs, haha. Also wir haben da einen Notar an der Hand, manchmal auch eine Rechtsanwältin. Oft lassen wir die aber auch weg. Und immer einen oder zwei Zeugen, oft auch aus dem Umkreis der Opfer, aber die sind halt genau so blöd, und, das ist immer lustig, die wollen dann auch immer irgendwie ins Fernsehen, also der Vertrag wird dann vorgelesen, immer wird gefragt, ob sie alles verstanden haben, ganz besonders bei dieser Sache mit der Verschwiegenheit, also da lassen wir uns immer viel Zeit, das macht sich gut … es gab noch nicht einen Vertrag, der dann nicht unterzeichnet wurde … doch, einen, da kam die Frau plötzlich drauf, einfach weil die nur doof war, dass die da was nicht verstanden hatte. Und da kam die nicht mehr runter. Das wurde uns dann zu blöd.
S.: Du redest immer davon, dass die Opfer blöd oder dumm sind. Was heißt das? Begreifen die, was da mit ihnen gemacht wird?
P.: Begreifen? Wenn die das begreifen würden, würden die das ja nicht machen. Du musst schon gleich beim Erstkontakt checken, ob die schon einen dreistelligen IQ haben, haha, also, ganz ehrlich, je bescheuerter desto besser. Die kannst du lenken, die merken nix. Die glauben immer noch, sie hätten da eine tolle Entscheidung getroffen, für die Zukunft, weil, da reden wir schon von, also nach dem Motto, dass ja alles anders und besser wird nach der Sendung.
S.: Und das geht euch dann so einfach über die Lippen?
P.: Hm, also manchmal, ja, schon, da kriegt man Skrupel, weil, du merkst ja, die verstehen nix, die glauben dir alles. Ja, und dann, das ist schon manchmal blöd, aber wir haben dann mit denen ja keinen Kontakt mehr, nach der Sendung, in der Regel ein halbes Jahr danach, dann fallen die tiefer als sie vorher waren. Manchmal gibt es da in der Presse so Erfolgsgeschichten, ich weiß da eine von einem Pfandflaschensammler, der soll angeblich einen Job bekommen aber, ehrlich, der hat ein halbes Jahr als Aushilfskraft gearbeitet in einem Getränkemarkt, war Werbung für den Inhaber, und dann war der weg. Säuft jetzt. Mehr als früher. Glaube mir, für die ändert sich nix zum Guten.
S.: Gewissen gibt es nicht?
P.: Doch. Schon. Manchmal. Aber scheiße, im Augenblick habe ich keinen anderen Job. Und irgendwie, ach Scheiße, sind die doch auch selber schuld. Kann ich auch nix dran machen. Doof ist, wenn da Kinder bei sind…
S.: Jetzt sagst du aber komischerweise, dass die selber schuld sind. Vorher hast du noch gesagt, die sind so doof, die können das gar nicht überblicken.
P.: Ja, irgendwie schon. Ach, ehrlich, das mit dem, dass die selber bestimmen, das ist schon so eine Art Beruhigungsmantra für mich. Sonst … Ne, die kapieren nix. Die sind, von dem Moment an, wo man denen sagt: Ihr kommt ins Fernsehen, fremdgesteuert.