Die Idee, irgendein Dokument in der Vergangenheit zu hinterlassen, ist sinnvoll.
Ich würde z.B. die Serie „Tschernobyl“ auf VHS überspielen und - sagen wir - im Januar 1986 anonym per Post an eine oder mehrere maßgebliche Stellen schicken. Dann zurückreisen in die Gegenwart und nachschauen, ob die Katastrophe stattgefunden hat. (Vorausgesetzt, wir befinden uns nicht im „Terminator“-Universum. Wobei … der T-1000 kam ja auch durch, obgleich der nix Organisches an sich hatte. Merkwürdig …)
Problem: Sobald du in der Vergangenheit gezielt etwas änderst, bekommst du es mit einem astreinen Zeitparadoxon zu tun. Beispiel Tschernobyl: Angenommen, jemand könnte den Vorfall im Nachhinein verhindern. Erstens gäbe es die TV-Serie dann gar nicht und somit nicht den Beweis, den du brauchst. Und erst recht gäbe es auch keine Motivation, in der Zeit zurück zu reisen. Daran kranken eh fast alle Spielfilme und Serien, die sich mit dem Thema beschäftigen, wie etwa „Zurück in die Zukunft II“: Die Protagonisten nehmen aus irgendeinem Grund als einzige die Veränderung wahr. Das ist natürlich dramaturgisch erforderlich, damit sie in der lage sind, den Fehler auszubügeln. Logischer wäre, dass die beiden nach ihrer Rückkehr in die Gegenwart das allgemeine Bewusstsein teilen. Noch schlimmer: Hätte Doc Brown unter den widrigen Bedingungen überhaupt seine Zeitmachine bauen können? Dann hätte es nie eine Zeitreise gegeben.
(Noch schlimmer ist in dieser Hinsicht übrigens „Back to the Future III“, das sogar innerhalb der eigenen Parameter failt. Ich sag nur: 2 DeLorians … einer davon ohne Zeitreise-Funktion, dafür mit intakter Kraftstoff-Versorgung. Bei dem anderen genau umgekehrt. So where’s the problem?!?)
Der Film behilft sich mit der Erklärung, dass die Veränderung der Zeitline ein Paralleluniversum erzeugt hat, das zusätzlich zu der bekannten Welt existiert. Womöglich gibt es dort einen zweiten Doc, der ins Irrenhaus eingeliefert wurde, und einen zweiten Marty, der in der Schweiz Rachepläne gegen seinen verhassten Stiefvater schmiedet. Dass die beiden nicht spätestens bei ihrer Rückreise in ihr eigenes Universum zurückgekehrt sind (wie zuvor ja auch der alte Biff, als er die Zeitmaschine nach 2015 zurück bringt), ist natürlich wiederum der Dramaturgie geschuldet. Ein positives Gegenbeispiel ist die Star Trek Folge „Die alte Enterprise“. Hier ändert sich mit der Veränderung der Zeitlinie auch sofort die Gegenwart mitsamt allen Personen und deren Bewusstsein. Doch natürlich braucht die Dramaturgie auch in diesem Fall jemanden wie Whoopie Goldberg, die den Durchblick behält …
Tatsächlich habe ich vor Jahren eine Doku gesehen, die sich mit verschiedenen Theorien paralleler Universen auseinander setzt. So gibt es z.B. in der ernsthaften Wissenschaft die Hypothese des sogennannten „Multiversums“. Immer mal wieder ploppt demnach in der übergeordneten Sphäre so eines auf. Womöglich erzeugt sogar jede Entscheidung, die jemals getroffen wurde, solch ein neues Paralleluniversum. Also müsste auch eine Welt existieren, in dem ein gewisser A.H. im Jahr 1907 an der Wiener Kunstakademie akzeptiert wurde und in der es daraufhin einen 2. Weltkrieg nie gegeben hat. Oder in der in Tschernobyl 1986 ein Mitarbeiter vor Ort war, der sich gegen seinen Vorgesetzten durchsetzen und somit die Havarie verhindern konnte. Der hat sich in unserer Realität an dem Tag vielleicht krank gemeldet.
Von einer empirischen Beweisbarkeit solcher Theorien scheint die Wissenschaft derzeit weit entfernt. Immerhin braucht es demnach aber auch keine Zeitreise, um etwas zu ändern, denn diese Welten gibt es dann ja eh schon. Wir können da bloß nicht hin. Jedenfalls noch nicht.
Daher neigen wir in Ermangelung von Alternativen dazu, die Ereignisse unserer Vergangenheit als selbstverständlich wahrzunehmen und das Positive darin zu sehen. Ohne das Reaktorunglück von Tschernobyl wären bestimmte technische Elemente nicht stillschweigend ausgetauscht worden, dann wäre es früher oder später irgendwann woanders passiert. Dies Weltbild ist deterministisch und hat nahezu religiösen Charakter. Frag einen Geistlichen nach der Welt und du landest früher oder später bei der Aussage: „Die Wege des Herrn sind unergründlich“. Wir selbst beten ja auch „Dein Wille geschehe“.
Dass Zeitreisen vor allem Nervensache sind, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.
Aus den 2000er Jahren gibt es die TV-Serie „Do over“ aus dem USA, die ab 2005 mit dem Untertitel „Zurück in die 80er“ auf Pro Sieben gezeigt wurde. Da findet sich die 34-jährige Hauptfigur Joel Larsen nach einem Stromunfall in seinem 14-jährigen Ich wieder und durchlebt erneut seine Jugend, natürlich mit dem Wissen und Bewusstsein, das er als Erwachsener angesammelt hat. In der Serie ist das ganz entspannt. Für mich ist es ein Albtraum! Wann immer alles wieder so ausgeschaut hat wie vor 30 Jahren, habe ich sofort Panik und will in dem Moment nur eines: Möglichst schnell in der Gegenwart aufwachen. Bislang hat das jedesmal funktioniert. Zum Glück …?
Ich denke, jenseits aller bekannten physikalischen Theorien bezüglich Lichtgeschwindigkeit, Wurmlöchern und komproimierter Masse liegt der Schlüssel für „Zeitreisen“ in unserem Gehirn. Immerhin gibt es ja auch Fälle, wo Leute nachweislich die Zukunft vorhersagen können. Sogar in meiner eigenen Familie.