Ich finde Gert Postel hochgradig spannend und das Interview mit Ihm sehr gelungen. Anfangs war er natürlich in seiner provozierenden Rolle, die er aus Eigenschutz anlegt, wie er selbst sagt, zum Glück hat er diese aber aufgrund guter Gesprächsführung auch schnell abgelegt.
Seine Sicht auf die Psychiatrie teile ich weitestgehend deshalb, weil er durch seine Tätigkeiten im Grunde tatsächlich den Beweis seiner Behauptungen erbracht hat. Nur teile ich seine Meinung nicht, dass jeder halbwegs gebildete ebenfalls solch eine Hochstaplerkarriere hinlegen könne. Auch wenn er aus Gründen der Diffamierung der Psychiatrie sehr viel Wert darauf legt, dass er nur ein einfacher Postbote sei, so halte ich Ihn doch für überaus intelligent und Wortgewandt, nur weil er als Postbote offensichtlich unter seinen Möglichkeiten blieb, heißt das nicht, dass nun fast jeder andere Postbote dies auch könnte.
[QUOTE=McAwesome;443182]Spannendes Interview und interessanter Typ. Aufgrund seiner geäußerten Kritik an der Psychiatrie und den dortigen Zuständen und der unter Psychiatern oft vorhandenen Hybris, so wie er sie beschreibt, sympathisiere ich so ein bisschen mit ihm. Ähnliches habe ich mal in einem Seminar erlebt, als sich ein psychologischer Gutachter uns präsentierte und sich vor lauter Selbstverliebtheit zu dem Satz hinreißen ließ: “Den Pädophilen erkenne ich schon am fischigen Händedruck.” Als Spruch vielleicht witzig, aber extrem unangebracht, wenn man sich vorstellt, dass so jemand darüber entscheidet, ob ein Mensch möglicherweise in der Sicherungsverwahrung landet oder als voll schuldfähig eingestuft wird usw. - also die weitere Lebensführung entscheidend vom Gutdünken eines solchen Menschen abhängt.
Aufgrund dessen musste ich auch schlucken, als Postel etwas stolz davon berichtete, wie er sich beim Oberstaatsanwalt mit den Worten vorstellte, dass in der forensischen Begutachtung der inflationäre Gebrauch der strafausschließenden oder strafmindernden §§ 20, 21 StGB nicht in Ordnung sei, weil wenn man eine Straftat begeht, man auch ein Recht auf eine Antwort durch die Gesellschaft habe und der StA daraufhin leuchtende Augen bekommen habe… Natürlich bekommt der Leiter der Strafverfolgung da leuchtende Augen.
Eine derart pauschale Herangehensweise, die von vorne herein einen inflationären Gebrauch durchaus sinnvoller Normen attestiert, heißt für mich ja gleichzeitig, dass Herr Postel folglich nicht mehr einzelfallbezogen begutachtet hat, sondern zur Vermeidung einer weiteren inflationären Nutzung eben gerade nicht auf die genannten §§ zurückgegriffen hat. Das hätte dann mit rechtsstaatlicher Begutachtung nichts mehr zu tun (weil er voreingenommen an den Fall rangeht), da man Aspekte in die eigene Begutachtung mit einfließen ließe, die mit dem konkreten Fall und der möglicherweise vorhandenen Störung des Täters nichts zu tun hat. Das wiederum kann im Zweifel dramatische Folgen für den Einzelfall haben, etwa dass eine Krankheit nicht attestiert und therapiert werden kann, der Strafvollzug im besten Fall keine positiven, im schlechtesten Fall negative Folgen für den Täter hat und dieser daraufhin unbehandelt und unfähig mit der eigenen Krankheit umzugehen, wieder am normalen Leben teilnimmt und möglicherweise aufgrund seiner vorhandenen Störung Straftaten begeht.
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Das finde ich nicht. Er ist offensichtlich der Meinung, dass Gutachter, aus welchen Motiven auch immer, inflationär Täter für unzurechnungsfähig halten, auch wenn dies nicht der Fall ist. Das Versprechen, diesen inflationären Gebrauch zu ändern impliziert nicht, dass er damit pauschal gegenteilig handelt, indem er inflationär Täter für zurechnungsfähig erklärt.