Das mag sein. Allerdings hätte Anne Will sie schon in Verlegenheit bringen können, indem sie Merkel auf ihre ganz offensichtlichen Widersprüche angesprochen hätte, die sie ja auch in diesem Interview wieder einmal gezeigt hat.
Beispielsweise sagte Merkel ja erst, dass es richtig gewesen sei, die Impfstoffbeschaffung der EU zu überlassen. Ein paar Sätze später sagt sie plötzlich, dass der Vergleich mit Israel hinke, weil Israel als viel kleinere Einheit wesentlich effektiver handeln könne als die EU mit 400 Mio. Einwohnern.
Da nicht nachzuhaken, ist doch schon eklatantes journalistisches Versagen. Merkel ist meiner Meinung auch kein Medien-Profi, sie wird schlichtweg nie gefordert und vermeidet Auftritte, bei denen sie gefordert werden könnte, beispielsweise in Diskussionen mit der Opposition.
So sieht’s aus, Merkel wurde nie kritisch reflektiert, das ging Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder ganz anders. Ich erinnere mich, wie scharfzüngig Nikolas Brender stets in Interviews mit Schröder war. Merkel hatte eine solche Situation in 16 Jahren nie.
Irgendwie gibt es seit Merkels Antritt nur noch Jubelperser in der Presse, und jeder, der Merkel kritisch sieht, wird als verdächtig eingestuft. Ich erinnere mich, dass bei uns Jusos in den 90ern der Spruch „Kohl muss weg!“ ganz normal war. Wer heute „Merkel muss weg!“ sagt, wird schon fast als Verfassungsfeind angesehen.