Aber selbst die Frage ob die Maßnahmen wirklich Zeit kaufen sind ja nicht hinreichend bewiesen. Zum Beispiel ist mir mindestens eine Studie bekannt, die aufzeigt, dass die Maßnahmen von März und April wirkungslos waren. Jetzt könnte man natürlich Argumentieren „aber man muss ja irgendwas tun“. Dann befindet man sich aber genau in der Falle, die ich auch dem Gericht in meiner noch laufenden Klage beschrieben habe: Die Illusion, dass nur möglichst repressive Maßnahmen möglichst effektiv sind.
Mit Legitimität ist gemeint, ob der Schluss, nur weil ein Ereignis in Italien eingetreten ist, dieses auch in Deutschland eintritt. Und da ist meine Meinung nein. Primär zielte das ganz aber auf was anderes ab. Befürworter repressiver Maßnahmen Argumentieren: Wir brauchen harte Maßnahmen, sonst holt hier in Armee bald auch die Leichen aus Krankenhäusern ab wie in Italien. Wenn man hingegen sagt: Es gibt auch Länder die ohne diese Maßnahmen gut auskommen, kommt das Gegenargument: In die weit sind die Länder denn mit Deutschland vergleichbar.
Das Problem ist nun aber, dass sich dieses Argument auch auf die harten Maßnahmen anwenden lässt. Wenn man dies aber nicht tut, dann ist die eigene Position halt nicht das Produkt von Logik, sondern von Gefühlen und Angst. Daraus entsteht eine kognitive Dissonanz.
Ziemlich deutlich wird die Dissonanz am folgenden Beispiel: Zurzeit sind einigen Leute vehemente Befürworter der Masken. Sie sagen selbst die kleine Wahrscheinlichkeit, dass jemand nicht angesteckt wird, recht aus, um die zur Pflicht für alle zu machen. Es ist nur Stück Stoff, das für den einzelnen keine Nachteile an. Vergleichen wir diesmal mit folgendem: Dem Verbot für Männer Blut zu Spenden wenn sie innerhalb der letzten 12 Monate Sex mit Männern haben. Diese Regel basiert darauf, dass es ein Fenster gibt, in dem die Blutkonserve ansteckend ist, der Test aber noch negativ ist. Die Meisten HIV Infektionen finden in Deutschland beim sexuellen Kontakt zwischen Männern statt (in 2019 61%) und der größte Anteil der bekannt HIV Positiven hat sich so angesteckt (auch 61% in 2019). Das heißt, dass durch das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben ca. 4% der Bevölkerung ausgeschlossen wird, aber hierdurch die größte Risikogruppe mit über der Hälfte der HIV Infektionen.
Jetzt ist es interessanterweise so, dass Leute sowohl für die Pflicht zum Tragen von Masken sind als auch für die Abschaffung des 12 monatigen Blutspendeverbot für die MSM Gruppe. Beide Positionen sind aber miteinander unvereinbar. Entweder man ist sowohl für das Tragen von Masken und für das 12 monatige Blutspendeverbot für die MSM oder man ist eben gegen beides. Eine andere Kombination ist logisch unvereinbar. Und die Überlegung, ob man in beiden eine unterschiedliche Position vertritt ist ein guter Test ob die eigene Position auf Logik basiert oder ob sie auf Ideologie basiert.
Natürlich sind die gemeinsamen Werte einer Gesellschaft nicht so griffig in ihrer Definition wie die Masse eines Objekts. Und natürlich lässt sich das nicht rein Falsifikatorisch beschreiben, denn man findet ja immer ein Individuum, was diese Werte nicht teilt. Aber nehmen wir doch mal als Beispiel das Wert der Freiheit. Das ist ein gesellschaftlicher Wert, der in allen modernen westlichen Staaten vorhanden ist (in den Gesellschaften aber unterschiedliche gewichtet ist wenn man z. B. Deutschland und die USA vergleicht). Ich selbst bin z. B. ein Mensch, der die Freiheit als extrem wichtiges Gut ansieht. Andere wiederum bewerten derzeit das abstrakte Gut der Volksgesundheit als sehr wichtig. Die zentrale Aufgabe des pluralistischen demokratischen Rechtsstaat besteht doch dann aber darin, genau beiden Individuen eine Entfaltungsmöglichkeit zu geben und nicht darin ein Wert universell für Alle als das wichtigste Gut, den wichtigsten Wert zu definieren. Denn dann sind wir keine pluralistische Demokratie mehr sondern eine autoritäre Demokratie.
Und ja, ich glaube tatsächlich, dass vielen die Gefährlichkeit des ganzen nicht bewusst ist. Dafür haben die Leute nach meiner Erfahrung eine zu schlechte geschichtliche und philosophische Bildung. Dafür haben einfach zu wenige Adorno gelesen und verstanden um zu sehen, wie viele Personen mit autoritärem Persönlichkeit da so rumlaufen und wie viele Menschen sich nach dem Sein als verwalteter Menschen sehnen.
Darum liegt das Problem auch gar nicht so primär am Staat. Aus meiner Zeit in der SPD kenne ich in meinem Bundesland einige Leute, die Mitglieder der Landesregierung sind. Das sind keine bösen Menschen, sondern moralisch integre Personen. Das Kernproblem ist die unkritische Masse. Ich finde man merkt deutlich, dass einer Mehrheit ziemlich egal ist in welchem Umfang sie überhaupt Grundrechte haben. Denen ist nur ihr Wohlstand wichtig und solange die PS5 pünktlich da ist, solange Netflix streamt und solange der Pizza-Bote kommt, ist doch alles in Ordnung.
Was mit regelrecht anwidert sind Intellektuelle, die da nicht gegen Anreden. Wenn zum Beispiel ein Gert Scobel sich schon fast an China anbiedert und die dortigen Maßnahmen hochhält und gleichzeitig Gegendemonstranten in Deutschland Pauschal als dumm bezeichnet und von der Banalität des Dummen spricht. Hannah Arendt in diesem Kontext zu verwenden und damit einen impliziten NS-Vergleich zu machen ist nicht nur eine völlige Verdrehung dessen was Arendt gesagt hat, sondern nach meiner Meinung auch eine NS-Verharmlosung.
Oder Nehmen wir Richard David Precht, der ja ganz aus dem Häuschen zu sein scheint, dass der Staat nun richtig durchgreift und Dinge so schnell angeht (man muss ihm jedoch zugutehalten, dass er in Bezug auf Digitalisierung zumindest die Entschleunigung des staatlichen Handelns hochhält). Wenn das tatsächlich die großen deutschen Intellektuellen unserer Zeit sind, dann kann ich nur sagen: „Nie wieder Deutschland“.
Und der Fehler liegt halt im „Macht das es aufhört“. Denn ich sage: Gebt mir einfach die relevanten Informationen, so das ich selbst meinen Teil zu beitragen kann, dass es aufhört.