Diskussion über den Blog-Artikel: Der wahre Horror
Fans der erfolgreichen Zombie-Serie “The Walking Dead” schauten am vergangenen Freitag bei der Deutschland-Premiere der dritten Staffel in die Röhre. Der Pay-TV-Sender FOX strahlte die erste Folge aus - jedoch um 33 Sekunden gekürzt. Auf Druck der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) waren kurz vor der Ausstrahlung noch Schnitte vorgenommen worden. Welche Schnitte dies genau waren, ist auf der Seite Schnittberichte.com gut dokumentiert. Ärgerlich ist dies nicht nur für die Fans, sondern auch für den Sender FOX, denn der war stolz darauf, nur fünf Tage nach der US-Fernsehpremiere schon die deutsche Fassung zeigen zu können. Doch was ist ein solcher Coup wert, wenn die Zuschauer sich frustriert abwenden und Folge 1 lieber auf anderen Wegen ungeschnitten anschauen?
“The Walking Dead” ist eine Horrorserie für Erwachsene. FOX hat die Jugendschutzbestimmungen eingehalten, eigentlich war alles korrekt. Zuschauer, die mit expliziten Splatterszenen Probleme haben, würden sich diese Serie ohnehin nicht anschauen. Die Frage ist also: Wen will die FSF eigentlich schützen, wenn sie bei einer solchen Serie Schnittauflagen macht?
Um Antworten auf solche Fragen zu bekommen, habe ich mich einfach an die FSF gewandt - und auch Antwort bekommen. Lesen Sie selbst:
1.) Was waren die Beweggründe für die Schnitte?
Die Ausschussmehrheit vermutete eine schwere Jugendgefährdung im Sinne des JMStV und der FSF-Prüfordnung (s.u.), die die Sendeunzulässigkeit nach sich zieht. Obwohl im realitätsfernen Genrekontext zweifelsohne relativierende Momente dieser Wirkungsannahme entgegenstehen, war der Ausschuss mehrheitlich der Ansicht, dass sich einzelne Gewaltbilder wegen ihrer spekulativen, sehr drastischen und detaillierten Darstellungsweise gegenüber dem narrativen Kontext verselbstständigen.
Die Episode stellt Gewalthandlungen gegen Zombies dar, die sich visuell deutlich von Menschen unterscheiden, so dass die Fiktionalität der Gewalthandlungen weitgehend präsent bleibt und distanzierend wirkt. Die Darstellung der Tötungen ist allerdings sehr drastisch und detailliert. Erschwerend im Sinne der Jugendschutzproblematik tritt hinzu, dass die Protagonisten zusehends verrohen und offen Lust an der Ausübung von Gewalt, dem massenhaften blutigen Dahinmetzeln von Zombies, zeigen und artikulieren.
Diskutiert wurde, ob die Episode die Gewaltlust der Protagonisten lediglich zeigt, oder ob sie dem Zuschauer Gewaltlust vermittelt bzw. ihn gezielt in den Blutrausch hineinzieht. Obwohl ersteres vermutlich intendiert ist (die Narration steht gegenüber der Gewaltinszenierung immer noch im Vordergrund, es gibt viele gewaltfreie und Gesprächspassagen), erscheint letzteres nicht völlig ausgeschlossen. Unterschiedlichen Wirkungen werden insbesondere im Unterschied zwischen Genreliebhabern und Fans im Gegensatz zu serienfremden Zuschauern vermutet. Szenen, die lediglich die Gewaltlust der Protagonisten zeigen (z.B. das lustvolle Abschießen einer Vielzahl von Zombies von einem Wachturm aus) wurden letztlich belassen, weil hier der Zuschauer zurückschreckt oder doch zumindest nicht sinnlich durch extreme Gewaltdarstellungen überwältigt wird. Andere Szenen, die das lustvolle Töten mit extrem drastischen Darstellungen verbinden, wurden dagegen mit Schnittauflagen belegt. Befürchtet wird eine „Verrohung“, also eine Desensibilisierung gegenüber Gewalt.
2.) Nach welchen Kriterien entscheidet die FSF, ob ein Film bzw. eine Serie geschnitten werden muss?
Grundlagen der Prüfung sind die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV), die in der Prüfordnung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (PrO-FSF) konkretisiert und in den Richtlinien zur Anwendung der PrO-FSF erläutert werden. Alle Dokumente finden sich im Download-Bereich der FSF-Website:
http://fsf.de/service/downloads/
Nach der FSF-Prüfordnung (§30 Abs. 1 PrO-FSF in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Nr. 3 JMStV) sind Programme unzulässig, die „extreme Gewalt in ihren physischen, psychischen und sozialen Erscheinungsformen verherrlichen oder verharmlosen. Von Bedeutung ist hierbei insbesondere, ob
(a) Gewalt als probates Handlungskonzept im Kontext des Programms unzureichend relativiert dargestellt wird;
(b) die Darstellungen von Gewalt so aneinandergereiht sind, dass die Problematik von Gewalt als Mittel der Konfliktlösung nicht hinreichend zum Ausdruck kommt;
© die Gewalthandlungen insofern verkürzt dargestellt sind, als z.B. deren Folgen und Wirkungen für die Opfer verschwiegen werden;
(d) die einzelnen Darstellungen von Gewalt derart breit und in grausamen Details ausgespielt sind, dass sie weit über das dramaturgisch Notwendige hinausgehen;
(e) die Gewalt gegen Personen, die nach ihrem Aussehen, ihrem kulturellen und sozialen Selbstverständnis, ihren Gewohnheiten oder ihrem Denken als andersartig empfunden werden, verharmlosend oder als gerechtfertigt dargestellt wird“ (§30 Abs. 1 PrO-FSF).
Im vorliegenden Fall sah der Ausschuss insbesondere die Kriterien des § 30 Abs. 1 Nr. d gegeben.
3.) Was wäre FOX passiert, wenn der Sender die Folge trotzdem ungeschnitten ausgestrahlt hätte?
Von den möglichen Sanktionen im Rahmen des FSF-Vereinsrechts abgesehen (je nach Schwere des Verstoßes Vereinsstrafen bis zu 100.000 €, Ausschlussverfahren; siehe § 7 FSF-Satzung) hätte der Sender mit einer Prüfung durch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) rechnen müssen. Stellt die KJM einen Verstoß gegen die Bestimmungen des JMStV fest, verhängt sie Sanktionen, die je nach Schwere des Verstoßes von einer Beanstandung und Sendezeitbeschränkung bis zum Ordnungswidrigkeiten- und Bußgeldverfahren reichen können.
4.) Sieht die FSF die Gefahr, dass solche Entscheidungen die Internet-Piraterie fördern, da sich Fans der Serie die ungeschnittene Fassung über andere Wege besorgen?
Es geht nicht darum, sämtliche Vertriebswege für ein Produkt zu verschließen. Klar ist auch, dass im Zeitalter des Internet die Möglichkeit besteht, ein bestimmtes Produkt auch auf legalem Weg zu (sehen zu) bekommen, wenn man dies möchte. Insofern setzt die Bereitschaft Internet-Piraterie zu begehen vermutlich mehr voraus als nur Frustration angesichts einer FSF-Prüfentscheidung.
Für das öffentliche Medium Fernsehen gibt es gesetzliche Grenzen des Zulässigen, die auch kulturelle Grenzen markieren: Bestimmte Formen von Gewalt sollen (im TV) nicht zur Normalität werden. Diese Grenze sah der Ausschuss in einzelnen Szenen überschritten. Dass hier nicht zwischen Pay-TV und Free-TV unterschieden werden kann, beruht nicht auf einem Votum der FSF, sondern ist gesetzliche Realität.
5.) Was sagen Sie zum Argument, dass eine Zombie-Serie ja gerade von den blutigeren Momenten lebt?
Dass eine Zombie-Serie von den blutigeren Momenten lebt, liegt auf der Hand, hebelt aber die Jugendschutzdiskussion nicht aus. Die Genrekompetenz von jugendlichen Serienzuschauern und –Fans, die es ihnen in der Regel erlaubt, auch die blutigeren Momente als genreimmanent distanziert zu betrachten, fand in der Diskussion durchaus Berücksichtigung. In der fraglichen Episode werden aber in einzelnen Bildern Darstellungskonventionen aus dem 18er Bereich so deutlich überschritten (z.B. das detailliert gezeigte Aufspalten eines Schädels und vergleichbar extreme Gewaltdarstellungen von besonderer Grausamkeit), dass diese als offensichtlich schwer jugendgefährdend eingestuft und mit Schnittauflagen belegt wurden, um sicherzustellen, dass Jugendliche nicht damit konfrontiert werden.
6.) Was sagen Sie dazu, dass die erste Folge der dritten Staffel in 100 anderen Ländern unbeanstandet und ungekürzt ausgestrahlt werden konnte?
Der Rechtsrahmen ist in Deutschland ein anderer als in anderen Ländern. Die Jugendschutzspruchpraxis stützt sich auf Wirkungstheorien und Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie, sie ist aber auch geprägt durch kulturelle und länderspezifische Sensibilitäten. Im internationalen Vergleich hat Deutschland im Hinblick auf Gewaltdarstellungen eine relativ strenge Spruchpraxis und damit auch ein hohes Schutzniveau.
Was ich letztendlich nicht verstehe, und da hat mir die FSF letztendlich auch nicht weiter geholfen: Warum wird bei einer Serie ab 18 Jahren (und das ist auch vollkommen richtig, dass sie nur für Erwachsene freigegeben ist) immer nach Jugendschutzkriterien verfahren? Natürlich: Jugendliche könnten, wenn sie es wollten, auch in den Genuss der Folge kommen. Aber wenn man so argumentiert, dann bedeutet dies ja letztendlich das Ende der Unterhaltung für Erwachsene. Muss jeder für Erwachsene freigegebene Film also so geschnitten sein, dass im Fall der Fälle auch ein Jugendlicher ihn konsumieren könnte? Ich halte das für absurd.
Ebenso halte ich das Argument, die Protagonisten befänden sich beim Töten der Zombies in einem Blutrausch, für albern. In “The Walking Dead” geht es um eine Gruppe von Überlebenden in einer Welt voller Zombies. Den noch übrig gebliebenen Menschen wurden viele Angehörige und Freunde genommen, dazu kommt die nicht wirklich positive Perspektive für das weitere Leben. Dass dann Zombies auch mit einer durch Hass und Frust hervorgerufenen Lust eliminiert werden, ist doch dramaturgisch vollkommen nachvollziehbar.
Was mich nervt, ist diese Bevormundung erwachsener Menschen. Die FSF stellt sich im Grunde über aufgeklärte Zuschauer und schreibt ihnen vor, was sie nicht gucken dürfen. Natürlich ist es leicht, sich auf die gesetzlichen Vorschriften zu berufen. Aber ich halte die in der FSF-Prüfungsordnung aufgeführten Punkte für so allgemein, dass das Gremium hier, da es sich um eine eindeutig als Horror definierte Serie handelt, auch großzügiger hätte agieren können.