Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg eine sog. Bildungsexpansion, in deren Rahmen das Bildungssystem massiv ausgebaut (organisatorische und inhaltliche Reformen) und die Lehrerausbildung reformiert und die Zahl der Lehrkräfte erhöht wurden. In diesem Zuge konnten vermehrt Arbeiterkinder an der Bildung teilhaben. Die Gründe der Bildungsexpansion sind aber vor allem ökonomische. Die Entwicklung der Produktion zur “wissensintensiven” Produktion machte eine erhöhte Bildungsdurchlässigkeit notwendig. Die Produktion benötigte qualifiziertere Arbeitskräfte aufgrund des Strukturwandels in den Wirtschaftssektoren. Andere zweitrangige Gründe waren die Arbeitskräfteknappheit wegen des “Mauerbaus”* oder auch der “Sputnik-Schock”.
Wenn ihr jetzt darüber streitet, ob das Abi zu schwer ist oder zu wenig Arbeiterkinder studieren, dann deswegen, weil ihr nicht begriffen habt, welchem Zweck Bildung in der Bundesrepublik unterworfen ist. Das Abitur soll nicht etwa ermitteln, wie klug jemand ist, sondern ist es ein Mittel von vielen zur Regulierung der Durchlässigkeit im Bildungssystem: Benötigt der Markt mehr qualifizierte Arbeitskräfte, wird die Durchlässigkeit erhöht (Abitur einfacher gestaltet, Lockerung von Zugangsbeschränkungen, also NC-Werte, Studiengebühren usw.) - und umgekehrt. Auf dieses Marktinteresse reagiert die Politik, wenn sie die Frage der Durchlässigkeit debattiert.
Ihr macht zum Maßstab eurer Beurteilung nicht das, was wirklich geschieht (Marktinteresse usw.), sondern das, was euren Idealen entspricht (Moral, Gerechtigkeit usw.) - und deswegen wird sich ExtraKlaus auch noch in 50 Jahren darüber wundern, warum Schüler den Lehrern auf der Nase herumtanzen und den Staat das nicht sonderlich interessiert.
[SPOILER][B] Interview mit Freerk Huisken: “Jede Universität ist eine Eliteuniversität”[/B] [Auszug]
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/interview-mit-freerk-huisken-jede-universitaet-ist-eine-eliteuniversitaet-a-282868.html
[I]Herzlichen Glückwunsch, Herr Professor Huisken, Ihre Bremer Universität scheint gerüstet zu sein für den Wettstreit, wer Deutschlands neue Eliteuni werden darf. So darf man Aussagen von Walter Dörhage, Abteilungsleiter Wissenschaft im Bildungsressort der Stadt, interpretieren.[/I]
[B]Freerk Huisken[/B]:
Jede Universität ist eine Eliteuniversität! Das bezeichnet den uralten Anspruch jeder Universität: Sie hat den Nachwuchs für die nationale Führungselite zu produzieren, die es in einer kapitalistischen Gesellschaft braucht, damit die große Masse der “kleinen Leute” auch funktioniert. Was zurzeit unter “Eliteuniversität” kontrovers diskutiert wird, betrifft die Sortierung innerhalb des Personals für die zukünftige Elite. Die “Besten der Besten” sollen mit forcierter Lernkonkurrenz, die dann auch zwischen den Unis eingerichtet wird, herausfiltert werden. Wer erst darin die einst verpönte Elitebildung entdeckt, der hat den entscheidenden Skandal des Bildungswesens hinter sich gelassen: Dass nämlich die Bürger mehrheitlich per Bildungswesen vom Zugang zu wissenschaftlicher Ausbildung ausgeschlossen werden. Wer erst am Programm zur Bildung von Eliteuniversitäten die Verletzung eines demokratischen Gleichheitsgrundsatzes beklagt, der hat es abgehakt, dass die Masse der Bürger für ihren späteren staatlichen und privatwirtschaftlichen Dienst wenig wissen muss und deswegen auch nur wenig lernen soll.
[I]Die deutschen Hochschulvertreter heben eifrig die Finger, um Ansprüche auf einen elitären Status zu reklamieren. Baden-Württembergs Rektoren erklärten gleich sieben Unis im Land für elitetauglich.[/I]
[B]Huisken[/B]: Das ist überhaupt nichts Neues, sondern nur die Fortsetzung des nationalen Rankings zwischen den Hochschulen.
[I]Was halten Sie von solchen Eliteeinrichtungen?[/I]
[B]Huisken[/B]: Meine Kritik an der Universität, ihrem Auftrag, ihrer Lehre und Ausbildung beginnt nicht erst dort, wo auf die stattfindende Konkurrenz zwischen dem akademischen Nachwuchs noch eine weitere draufgesattelt wird. Was mit dieser Zusatzselektion geleistet werden soll, wird außerdem mitgeteilt: Ohne deutsches Harvard, Yale oder MIT wird Deutschland in Sachen nobelpreisverdächtiger Spitzentechnologie, Spitzenmanagement und Spitzenführungskräften gegen die Konkurrenz USA nicht bestehen. Deshalb darf es auch nicht verwundern, wenn in den Eliteunis das “große Geld” der Abnehmer von “Spitzenkräften und -leistungen” von Anfang an präsent ist und die Richtung in Lehre und Forschung ganz unmittelbar vorgibt. Offener kann man gar nicht mehr aussprechen, wozu Wissenschaften hier und heute eingesetzt werden sollen: Deutschlands Stärke als Kapitalstandort gilt die ganze Anstrengung der rotgrünen Regierung. Eine zynische Klarstellung darüber, was mit “Wissensgesellschaft” gemeint ist. [/SPOILER]*"[I]Keine sehr schöne Lösung, aber tausendmal besser als Krieg.[/I]" - John F. Kennedy, US-Präsident