ARD am Montag - Schirach: Terror

Hey, hier ein kleiner TV-Tipp, der sich lohnen könnte: http://www.daserste.de/specials/ueber-uns/terror-von-schirach-interaktives-fernsehereignis-hart-aber-fair-100.html

Die Verfilmung des Theaterstücks “Terror” von Schirach. Es geht um ein Flugzeug, das von Terroristen gekapert wurde und auf ein Fußballstadion zurast. Ein Soldat schießt das Flugzeug eigenmächtig ab, um so die Zuschauer vor dem Schicksal zu bewahren. Im Film wie im Theaterstück geht es um die Gerichtsverhandlung und um die Frage: “Schuldig oder nicht?”. Der Clou: Die Zuschauer dürfen nach der Verhandlung selbst ein Urteil fällen und die Mehrheit entscheidet darüber, welches Filmende gezeigt wird bzw. welches Urteil der Richter spricht.

Das Theaterstück wurde vielfach in mehreren Ländern aufgeführt und die einzelnen Entscheidungen sind sehr spannend und online einsehbar: http://terror.theater/ - So sind die Japaner tendenziell eher für “Schuldig” und die Europäer eher für “Freispruch”.

Ich bin sehr gespannt auf die Fernsehumsetzung und vielleicht haben ja hier im Forum auch einige Menschen Lust, über dieses moralische wie juristische Dilemma zu diskutieren. Je nach “Erfolg” des Fernsehexperiments wäre das auch ein Thema für FKTV.

Ich hab den Ablauf noch nicht ganz verstanden.
Erst wird die Verhandlung gezeigt und dann kann der Zuschauer abstimmen und es wird je nachdem das Ende gezeigt und danach bei “Hart aber Fair” besprochen?

Genau. Du hast es doch verstanden :wink: Wobei es halt für „Freispruch“ und „Schuldig“ jeweils ein gedrehtes Ende gibt und eines davon entsprechend gezeigt wird.

Ich fand das ganze extrem spannend. Könnten die öfters machen.
Der Moment als die Staatsanwältin gefragt hat, warum das Stadion nicht evakuiert wurde fand ich “krass” denn an den Punkt habe ich bis dahin gar nicht gedacht.

Ich frage mich wie das Ergebnis oder die Entscheidung der Beteiligten aussähe, wenn das Verhaeltnis nicht 184 zu 70.000 sondern 184 zu 190 wäre.

Hoffe mal auf nen Beitrag in der nächsten FK.tv Sendung.

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Hier das alternative Ende für Urteil: schuldig
http://www.daserste.de/unterhaltung/film/terror-ihr-urteil/videos/terror-ihr-urteil-verurteilung-100.html

[QUOTE=nix;475977]Ich frage mich wie das Ergebnis oder die Entscheidung der Beteiligten aussähe, wenn das Verhaeltnis nicht 184 zu 70.000 sondern 184 zu 190 wäre.[/QUOTE]

Das ist ja genau der Punkt, wurde ja auch mit diesem Waggon-Gedankenexperiment und dem Dicken Mann den man abstechen muss, um 200 Menschen zu Retten angesprochen. Das alternative Ende ist interessant, aber in meinen Augen unrealistisch. Ich glaube in einem tatsächlichen Fall würde derjenige möglicherweise eine Freiheitsstrafe bekommen (wenn überhaupt), aber glaube nicht dass es sofort einen Haftbefehl gäbe, er wirkte ja nicht gerade Fluchtgefährdet. Hoeneß musste ja auch nicht sofort in den Knast, obwohl er verurteilt wurde.

Letztlich kann man in meinen Augen die Tat als solche vom Urteil trennen. Wenn er der absoluten Überzeugung ist, dass diese 184 Menschen dem Tod geweiht sind, und er 70.000 retten kann, dann muss er es tun. Allerdings unter Inkaufnahme der Tatsache dass [B]er[/B] sich den Anweisungen seiner Vorgesetzten widersetzt, und geltendes Recht bricht. Dann bringt er eben auch das Opfer auf, dass er verurteilt werden wird. Das kann ich moralisch für richtig finden, deswegen darf das Gericht ihn aber nicht freisprechen.

[QUOTE=nix;475977]
Ich frage mich wie das Ergebnis oder die Entscheidung der Beteiligten aussähe, wenn das Verhaeltnis nicht 184 zu 70.000 sondern 184 zu 190 wäre.
[/QUOTE]

Die 184 sterben doch sowieso. Auch dann wäre es die richtige Entscheidung.

Das Wagon Beispiel ging doch darum ob man aktiv handelt (selbst mit nem Messer den dicken töten) oder „passiv“ (nur die weiche stellen). hatte ich so verstanden, aber gut da waren es 1 zu 5.

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Anderes Beispiel war ja der Krankenhausfall. Hier mal abgewandelt:
Patient A Gehirntumor, Lebenserwartung 6 Monate passender Organspender für Patient B
Patient B Herzinfarkt, Lebenserwartung 30 Minuten bzw 40 Jahre mit Herz von Patient A

Verglichen mit dem Flugzeugfall:
15 Minuten Lebenszeit, Tod nicht abwendbar / 6 Monate Lebenszeit, Tod nicht abwendbar
Durch Tod von wenigen werden mehrere gerettet / durch Tod einer Person werden mehrere gerettet

Was tun und warum/warum nicht?

Mag sein dass ich da nen Denkfehler drin hab, ist ja auch schon spät :wink:

[QUOTE=TomK.;475983]Die 184 sterben doch sowieso. [/QUOTE]

Das genau kannst du eben nicht wissen. Und selbst wenn: wo wäre dann die Linie zu ziehen. @Wagon: ja war blöd formuliert, aber es ging eben um die Frage - wenn man abwägen darf, darf man dann immer abwägen?

[QUOTE=Tilman;475981]Wenn er der absoluten Überzeugung ist, dass diese 184 Menschen dem Tod geweiht sind, und er 70.000 retten kann, dann muss er es tun.[/QUOTE]
Ob man es tun muss oder nicht haengt immer individuell von der Person ab und wuerde ich nicht so verallgemeinern.

[QUOTE=Tilman;475981]Allerdings unter Inkaufnahme der Tatsache dass [B]er[/B] sich den Anweisungen seiner Vorgesetzten widersetzt, und geltendes Recht bricht. Dann bringt er eben auch das Opfer auf, dass er verurteilt werden wird. Das kann ich moralisch für richtig finden, deswegen darf das Gericht ihn aber nicht freisprechen.[/QUOTE]
Dem stimme ich zu 100% zu und ich finde, dass jeder andere Meinung dazu aeusserst problematisch ist. Wie letztendlich abgestimmt wurde wundert mich aber nicht und zeigt nur, dass es gut ist, dass in deutschen Gerichten die Entscheidungen nicht von emotionalisierten Laien getroffen werden.

“Muss” im Sinne eines inneren Zwanges dieser betreffenden Person. Unter den gegebenen Umständen und Annahmen (die Falsch sein können) hat er das Gefühl, dass er das jetzt tun muss.

Achso … dann macht das Sinn. Wenn er aus irgendwelchen moralischen Gruenden der Ueberzeugung ist, dass es richtig ist sich den Anweisungen seiner Vorgesetzten zu widersetzen, dann muss er das (ungeachtet der rechtlichen Konsequenzen) tun - das wuerde ich auch so unterschreiben.

Wirklich ein tolles Fernseherlebnis. Selten soetwas gutes im TV gesehen.

Ich habe für schuldig plädiert. Der Pilot ist nicht in der Position, über das Schicksal der Flugpassagiere selbstständig über die Köpfe der Verantwortlichen hinweg zu entscheiden. In einer solchen Situation kann man moralisch nicht richtig handeln, aber indem er den Schuss absetzte, hat er jedwede Chance auf ein gutes Ende so unwahrscheinlich es auch sein mag verhindert. Klar zynisch kann man sagen, dass die Menschen im Flugzeug sowieso keine Überlebenschance hätten, aber wer weiß das schon?
Der Befehl zum Nichtabschuss aus dem Befehlsstand muss ja auch nichts mit “Nichts tun” zu tun haben. Er könnte ja auch auf Informationen aus dem Flugzeug, die der Pilot nicht wissen kann fußen. Vielleicht hat ein Passagier bei Beginn des Sinkflugs eine Nachricht gesendet, in welcher stand, dass sie jetzt das Cockpit stürmen.
Woher kann der Pilot das wissen?
In 13 Minuten kann in einer solchen Situation sehr viel passieren. Für mich bleibt es dabei. Der Pilot hat nicht die Kompetenz und die Position zu entscheiden, ob die Menschen im Flugzeug zu sterben haben oder nicht. Er hat Gott gespielt und sich über das Gesetz und seiner Vorgesetzten gestellt. Das macht ihn juristisch für mich schuldig.
Ob er allerdings moralisch richtig gehandelt hat, frag ich mich indes auch, aber dies ist eigentlich nicht Aufgabe eines Gerichtes.

Grüße René

Hm, sieht Fefe das zu eng?

FeFe ist so unintellektuell wie immer. Also das im Theater zu machen, das ist ja was ganz anderes. (Er wusste natürlich, dass das Theaterstück existierte, natürlich!) Aber im TV? Also nein, das geht ja gar nicht. Weil das ÖR dann mit Sicherheit die Idee verletzt, warum es da ist.

Ist aber auch unverschämt, dass Autor und Regisseur (die beide wohl auf schuldig plädieren), das moralische Dilemma eben nicht einfach gestaltet haben und nur die rechtliche Komponente ins Zentrum gestellt haben, sondern Heldenrollen zugewiesen haben. Und die Sympathien könnten sich dann am Ende ausschlaggebend für das Urteil des Publikums gezeigt haben.

Das kann man natürlich so interpretieren, dass Autor und Regisseur (und die bösen ÖR!!) einfach nur einen Staat wollen, wo Flugzeuge der Bundeswehr Passagiermaschinen abschießen dürfen oder dass die einen Volksgerichtshof wiederhaben wollen oä. … Oder eben als ein ausgebautes moralisches Dilemma, dessen Abstimmungsergebnis mehr eine Aussage über das Volk trifft als über die verdiente Strafe in dem Fall. Für alle, die so eine Betrachtung überhaupt verkraften, dann heute überall in den deutschen Medien zu lesen.

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Will man eine deutlich intelligentere Kritik lesen - zumindest was die juristische Komponente angeht - sollte man sich eher “Fischer im Recht” antun:

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-10/ard-fernsehen-terror-ferdinand-von-schirach-fischer-im-recht

Bei Fischer ist dann zwar der einzige, der ein Fernsehstück oder einen Roman zu einem Gerichtsverfahren schreiben kann, ein Volljurist mit Strafrechtspezialisierung, der für die Erklärung des Falles 1500 Seiten oder 6 Filmstunden mindestens brauchen würde, aber immerhin lernt man bei der Kolumne etwas.

Fefe labert mal wieder scheiße. Der sollte echt bei den Sachen bleiben von denen er Ahnung hat und sonst einfach mal Dieter Nuhr folgen: Wer keine Ahnung hat, sollte manchmal einfach mal die Fresse halten!

@Klaus:
Das stimmt vielleicht, obwohl andere Leute ähnliche Bedenken geäussert haben.
Als Gegenpol allerdings ausgerechnet Dieter „Master of Bullshit“ Nuhr anzuführen, ist auch nicht sonderlich glücklich. :wink:

[QUOTE=Baru;476013] Und die Sympathien könnten sich dann am Ende ausschlaggebend für das Urteil des Publikums gezeigt haben.
[/QUOTE]

Wobei ich den Eindruck hatte, dass die Sympathien eher gegen den Angeklagten gelenkt wurden.
Die Staatsanwältin wurde IMHO sympathischer dargestelllt als der schnodderige Verteidiger.

Der Pilot erschien zudem schon recht selbstgerecht und arrogant, auch mit seiner Einschätzung die Passagiere seien gar nicht unschuldig sondern wussten ja worauf sie sich einlassen wenn sie ein Flugzeug besteigen. Zudem die Chance, dass die Passagiere noch versucht hätten, das Cockpit zu stürmen oder man das Stadion hätte evakuieren können. Man hat da den Zuschauern eigentlich genug an die Hand gegeben, um eher auf “schuldig” plädieren zu können, umso bemerkenswerter, dass ihn trotzdem eine so klare Mehrheit freisprach.

[QUOTE=eldorado;476017]umso bemerkenswerter, dass ihn trotzdem eine so klare Mehrheit freisprach.[/QUOTE]
Das scheint aber auch bei den Theatervorstellungen vornehmlich der Fall zu sein.

[QUOTE=Baru;476013]Bei Fischer ist dann zwar der einzige, der ein Fernsehstück oder einen Roman zu einem Gerichtsverfahren schreiben kann, ein Volljurist mit Strafrechtspezialisierung, der für die Erklärung des Falles 1500 Seiten oder 6 Filmstunden mindestens brauchen würde, aber immerhin lernt man bei der Kolumne etwas.[/QUOTE]
Auch wenn Fischer weit über das Ziel hinausschießt - wirklich interessanter, und vor allem sehr witzig geschriebener Text :mrgreen: (sollte Holger diesen Thread lesen, bei der Vorbereitung eines FKTV-Beitrags… die Kritik von Fischer unbedingt lesen)

Vorab: Ich war für schuldig bzw. lebenslängliche Freiheitsstrafe (konnte wegen Serverüberlastung leider nicht abstimmen). Eine schwächere Strafe hätte ich noch okay gefunden, einen Freispruch kann ich mit meinen persönlichen Werten nicht vereinbaren. Meine Argumente weichen kaum ab von allen, die bereits in der ARD oder auch hier im Forum geäußert wurden, darum führe ich das nicht nochmal aus.

Soweit ich das beurteilen kann, war der Film sehr nah an der Theatervorlage gehalten ohne entscheidende Auslassungen oder Zusätze. Mich störten jedoch einige Details. Im Gegensatz zu Volker sah ich die “Beeinflussung” eher zu Gunsten von Freispruch: So wurde der Pilot von Florian David Fitz dargestellt, der als “Schönling” natürlich eher Mitleid erregt, als wenn er - überspitzt - von Ralf Richter portraitiert worden wäre. Außerdem hat der Verteidiger während seines Schlussplädoyers mehrfach in die Kamera und damit direkt den Zuschauer angesehen, was die Staatsanwältin nicht tat. In meinen Augen könnte das unterbewusste Beeinflussung sein, aber vielleicht sehe auch nur ich das so.

Negativ fiel mir zudem auf, dass nur ganz kurze Zeit zur Abstimmung blieb und wir - ich hab es mit Freunden gesehen - kaum Zeit hatten, das Geschehene zu reflektieren und zu diskutieren. 30 Minuten wären angemessener gewesen. In der Zwischenzeit wurde Hart aber Fair gezeigt, wo schon neuer Input gegeben wurde. Besser hätte mir gefallen, wenn der Fall und die Argumente kurz und neutral zusammengefasst worden wären (z.B. durch die Figuren des Dramas selbst oder durch den “Gerichtsprotokollanten”). Also gänzlich ohne neue Argumente, denn der Zuschauer sollte nur urteilen auf Grundlage dessen, was er im Film sah - nicht auf Grundlage der ersten 10 Minuten von Hart aber Fair.

Auf die Verhandlung bezogen hätte ich noch viele weitere Fragen an Angeklagte und Zeugen gehabt. Beispielsweise: Der Pilot hat laut eigener Aussage derartige Szenarien mehrfach durchgespielt. Er hatte knapp 30 Minuten Zeit, darüber nachzudenken. Ist ihm eine Evakuierung des Stadions in den Sinn gekommen? Falls ja: Warum hat er nicht nachgefragt, ob das gemacht wird? Falls nein: Warum nicht? Schließlich ist der Katastrophenschutz Teil seines Jobs und seiner Ausbildung. Natürlich wäre die Evakuierung Aufgabe der Duty Control gewesen und diese müsste in solch einem Fall ebenfalls vor Gericht gestellt werden.

Abgesehen davon hat mich die Nebenklägerin gestört, die - bis auf die SMS ihres Mannes - nichts Relevantes beigetragen hat und nur die 90 Minuten füllen sollte und ein wenig Herzschmerz-Drama reinbringen sollte.

Für die letzten beiden Absätze mache ich aber nicht Film/ARD verantwortlich, da das im Theaterstück ebenso mein Kritikpunkt ist.

Zu Fefe: Seine Ansicht finde ich ebenfalls überzogen, aber seine Kritik ist nicht unberechtigt! Für mich ist die Folgerung aus der Abstimmung (ich hatte 75% Freispruch vorhergesagt :D), dass Volksabstimmungen Humbug sind.

*edit: Lesenswerter Kommentar dazu: www.ksta.de/kultur/kommentar-zu--terror--abstimmung-suggeriert-die-moeglichkeit-eines-anderen-urteils-24933840