Meine Freunde in Amerika (Intellektuelle, kenne die vom Studium in Europa) reden auch immer öfter von USA = 3. Welt. Das ist vielleicht etwas zu extrem, aber man kann m.E. beobachten, dass sich die USA und z.B. Mexiko in manchen Bereichen immer mehr annähern: beide extrem reich an Bodenschätzen, beide profitieren von sehr niedrigen Löhne, beides sind offiziell Demokratien, in Wirklichkeit aber eher Plutokratien, beide haben jetzt schon z.T. bürgerkriegsähnliche Zustände im Bereich “Bandenkriminalität” und “war on drugs” und und und…
Daher würde ich sagen, dass sich die USA zu einem “Schwellenland” zurück entwickelt haben, Tendenz fallend.
Allerdings zehren die USA immer noch von erheblich anderen Vergangenheit: bis in die 60er hinein waren die USA das modernste, hochindustrialisierteste Land mit einem der höchsten Lebensstandards und einer breiten Mittelschicht aufgrund eines hohen Lohnniveaus. Seit den 70ern stagnieren diese Löhne jedoch, was zu einer schleichenden Erosion des Mittelstands geführt hat. Immer mehr Menschen kommen mit einem Job nicht mehr über die Runden. Das Vermögen in den USA ist entsprechend ungleich verteilet: während 1% der Bevölkerung 40% des Vermögens besitzt, muss 80% der Bevölkerung sich etwa 10% des Vermögens teilen. Das wäre an sich noch nicht so schlimm, wenn es wenigstens eine bessere Verteilung des Einkommens gäbe, aber genau da gibt es mittlerweile tatsächlich fatale Ähnlichkeit mit der 3. Welt:
http://blog.zeit.de/herdentrieb/2009/08 … n-welt_960
Als ein Artikel von vielen zum Thema “Niedergang des Mittelstandes in den USA” mag dieser dienen:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-73290095.html
Ich bin mit einigen Vorrednern in einem Punkt einverstanden: das wollen wir wohl alle nicht, und es gibt Anzeichen, dass es hier ähnlich laufen könnte. Die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung steigt laut OECD in Deutschland stärker als im Rest Europas. Auf der anderen Seite steigen momentan die Reallöhne wieder, wovon in den USA nicht die Rede sein kann. Ich kann nur hoffen, dass wir aufhören, die USA als Vorbild zu sehen - ausgenommen wie man es nicht machen sollte. :ugly
Oder anders ausgedrückt: ungezügelter Kapitalismus? Nein Danke.
Aber mit Verlaub: was soll die Alternative sein? Sozialismus? Dass ich nicht Lache - der hat doch schon vorher den Löffel abgegeben, und ich hab kein Verstöndnis dafür, dass man nun versucht diese Leiche auszubuddeln und zu reanimieren :smt012
Es gibt doch etwas zwischen US-Kapitalismus und Sozialismus, und da können die Deutschen zu Recht stolz drauf sein: die “soziale Marktwirtschaft”. Oder anders ausgedrückt: gezügelter Kapitalismus, mit Regeln und Schranken durch Rahmengesetzgebung und unabhängige Aufsichtsbehörden. Vor allem an letzterem mangelte es im Finanzsektor, und auch das Bundeskartellamt kann jederzeit durch einen “Ministererlass” ausgehebelt werden - beides muss sich unbedingt ändern.
Aber wer meint, die Verhältnisse hier wären mit den USA vergleichbar, der sollte mal rüberfahren und sich die Zeltstädte dort anschauen. Oder Suppenküchen. Natürlich müssen wir aufpassen, dass das hier nicht so kommt - aber wir haben doch alle Mittel dazu in der Hand. Und was das Gesundheitssystem angeht:
- haben wir eins, dass diesen Namen auch (noch) verdient, in den USA gibt es das für einen Grossteil der Menschen gar nicht. Obama hat ja versucht das zu ändern, aber viele Amerikaner haben dafür gar kein Verständnis. Wir Europäer (bis auf England möglicherweise) haben ganz offensichtlich eine ganz andere Meinung zu solchen fundamentalen Dingen - zum Glück, wie ich finde.
- unser Gesundheitssystem unterliegt eben nicht den Regeln der sozialen Marktwirtschaft, sondern ist staatsdirigistisch bzw. von Lobbyisten diktiert - das muss sich natürlich ändern. WÜrden die Pharamunternehmen - wie in anderen Ländern auch - auf dem Markt mit Ihren Produkten konkurrieren, wären die Preise auch bei uns wesentlich niedriger; deutsche Medikamente kosten im Ausland im Schnitt 30-40% weniger. Und das war schon immer so: schon als Kind habe ich mich drüber gewundert, dasss meine Eltern beim Urlaub in Österreich deutsche Medikamente gekauft haben, wiel die da erheblich billiger sind.
Mein Fazit: wir müssen endlich anfangen, die “soziale Marktwirtschaft” überall durchzusetzen, und dabei auch das Kartellamt stärken, das Fusionen zu Grosskonzernen verhindert und so einen echten Wettbewerb zugunsten der Verbraucher ermöglicht. Die Grünen hatten nicht umsonst ein Programm, das bei der letzten Wahl leider etwas unterging: “green new deal”, das ist im Prinzip nichts anderes, wobei der Focus auf technischen Fortschritt im Bereich erneuerbare Energien liegt. Und damit bin ich am Anfang: der Aufstieg der USA wurde ermöglicht durch den “New deal”, und der Abstieg begann mit den Reagonomics in den 80ern, also mit der schrankenlosen Macht des Finanzmarktes und dem Abbau des Sozialstaates in den USA.
Sozialismus würde vielleicht eine gleiche Vermögensverteilung herbei führen - aber nur in dem Sinne, dass niemand mehr Vermögen hat, und alle gleich arm sind :twisted: