Wort(e) zum Montag 53: Edgar Allan Poe: Das verräterische Herz

Eines muss man allerdings anmerken, wenn man Poe in Deutsch liest. Die Übersetzungen basieren oft auf alten gemeinfreien Übersetzungen, die nicht immer vollständig sind. Manches wurde sicher aus Zensurgründen weggelassen. Die ganz alten Übersetzungen sind zudem auch mitunter sperriger zu lesen.

Bisher am vollständigsten ist die Werkausgabe von Arno Schmidt und Hans Wollschläger. Aber die Übersetzung finde ich stellenweise doch gewöhnungsbedürftig. Es wundert mich nicht, dass Gerd J. Pohl diese nicht verwendet.

Bei Schmidt/Wollschläger heißt es etwa am Ende von Das verräterische Herz:

Doch alles lieber noch als diese Qual! Alles ertragen - nur nicht diesen Spott! Ich hielt dies gleisnerische Lächeln nicht mehr aus! ich fühlt’s, ich mußte schreien oder sterben! und nun - horch! - wieder!- lauter! lauter! lauter!

„Gleisnerische Lächeln“? Muss ich erst mal im Wörterbuch nachschlagen.
In der Übersetzung, die Gerd J. Pohl verwendet:

Aber alles andere war erträglicher als meine Todesangst, war besser als ihr Hohn! Ich konnte ihr heuchlerisches Lächeln nicht länger ertragen. Ich fühlte, daß ich schreien müsse - oder sterben! – Und nun – horch – wieder – lauter! lauter!! lauter!!! lauter!

Original:

But anything was better than this agony! Anything was more tolerable than this derision! I could bear those hypocritical smiles no longer! I felt that I must scream or die! and now— again!—hark! louder! louder! louder! louder!

Im Nachhinein ist mir auch aufgefallen, dass die „Splatterszene“ in der Version von Pohl fehlt.

Bei Schmidt/Wollschläger heißt es nah am Original:

Sollten Sie noch immer der Ansicht sein, ich sei verrückt, so werden Sie sofort anders denken, wenn ich Ihnen die raffinierten Vorsichtsmaßnahmen beschreibe, die ich nun ergriff, die Leiche zu verbergen. Die Nacht schritt voran, und ich arbeitete hastig, doch in aller Stille. Zuerst zerlegte ich den Leichnam. Ich schnitt den Kopf herab sowie die Arme und Beine. Dann hob ich drei Bohlen im Fußboden der Kammer auf und deponierte alles zwischen den Verbundstücken. Darauf brachte ich die Bretter so geschickt, so fachkundig wieder an ihre Stelle, daß kein menschliches Auge - nicht einmal seines - etwas Unrechtes daran hätte entdecken können.

Während in der Version von Pohl klar zensiert wurde:

Wer mich auch jetzt noch für wahnsinnig hält, wird den Gedanken endgültig aufgeben müssen, wenn ich ihm erzähle, mit welch weiser Vorsicht ich den Körper verbarg. Die Nacht begann zu schwinden, und ich arbeitete in schweigender Hast. Zunächst riß ich drei Dielen aus dem Boden des Zimmers und verbarg den Toten zwischen der Füllung, dann setzte ich dieselben so geschickt, so schlau wieder ein, daß kein menschliches Auge – nicht einmal das seinige – die geringste Veränderung hätte wahrnehmen können.

Bei Das Fass von Amontillado hatte ich auch schon mal auf eine Fehlstelle hingewiesen. Da habe ich allerdings Gerd J. Pohl selbst in Verdacht. :wink: