Den Nachteil beim Mehrheitswahlrecht sehe ich aber darin, dass man in gewissen Regionen mit bestimmten politischen Präferenzen mit der eigenen Stimme kaum etwas ausrichten kann.
Ich zum Beispiel bin Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen im Kreis Paderborn. Dieser Kreis und im Speziellen der Bundestagswahlkreis Paderborn ist so CDU-dominiert, dass die CDU wahrscheinlich Fabian Klos (Vereinsikone des Paderborner Lokalrivalen Arminia Bielefeld) als Direktkandidaten aufstellen könnte und dennoch locker das Direktmandat gewinnen würde. Meine Stimme wäre daher im Prinzip so wertlos, dass ich den selben Einfluss auf die Mandatsverteilung hätte wenn ich meinen Stimmzettel nehmen und verbrennen würde statt ihn in die Wahlurne zu schmeißen.
Ein anderes Beispiel: Nehmen wir an, man würde die CDU ganz dufte finden und im Bundestagswahlkreis Berlin-Treptow — Köpenick leben, in dem Gregor Gysi (Die Linke) im Prinzip ein Abonnement für ein Direktmandat im Deutschen Bundestag hat. Auch hier wäre der Einfluss einer CDU-Stimme auf die Mandatsverteilung im Deutschen Bundestag eher von begrenzter Natur.
Was natürlich hinzukommt ist, dass ich annehmen würde, dass die meisten Leute wahrscheinlich eher die Spitzenkandidat:innen der großen Parteien kennen als diejenigen, die sich in ihren Wahlkreisen stellen.
Ich würde zumindest behaupten, dass mehr Leute Christian Lindner kennen als die Person, die die FDP in ihrem Wahlkreis aufgestellt hat. Dass mehr Leute Robert Habeck kennen als die Person, die die Grünen in ihrem Wahlkreis aufgestellt haben. Dass mehr Leute Friedrich Merz kennen als die Person, die die CDU in ihrem Wahlkreis aufgestellt hat. Oder auch, dass mehr Leute Olaf Scholz kennen als die Person, die die SPD in ihrem Wahlkreis aufgestellt hat.
Grundsätzlich finde ich den Gedanken an einen Abgeordneten, der nur dem Wahlkreis verpflichtet ist, durchaus charmant. Letztendlich schaffen wir aber eine Situation, in der im Prinzip die eigene Stimme nur in umkämpften Wahlkreisen einen wirklichen Unterschied für den Ausgang der Wahl im Bund entfalten kann.
Deshalb finde ich das deutsche Wahlsystem im Prinzip sehr gut. Weil es die regionale Komponente der Wahlkreisabgeordneten mit dem Prinzip der Verhältniswahl verbindet. Und würde daher sogar so weit gehen und sagen, dass mir weltweit kein besseres vergleichbares Wahlsystem für die Legislative einfällt.