Was unterscheidet Musikschleichwerbung von Spinatschleichwerbung?

Das ist jetzt eher eine philosophisch-ethische Frage. Oder eine medien-philosophische.

In letzter Zeit fällt mir ein gewisses gemeinsames Format auf in manchen Dokumentationen über Stars der Musikindustrie. Immer mehr “Portraits” haben das Format einer Werbesendung; sie beginnen recht sachlich, und münden in stumpf wiederholter Lobhudelei aus schnell geschnittenen, zusammenhanglosen Fanboy-Satzfetzen, gesprochen von allmöglichen Personen, die direkt oder fernab-indirekt den Lebensweg des Stars begleitet oder gekreuzt haben.

Das ist ein Format, das im deutschsprachigen Raum noch recht jung ist, aber im englisch-sprachigen Raum bereits in den 80er Jahren auftauchte, glaube ich, oder noch früher. In den deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten war dieser Fanboy-Stil der “Musikdokumentation” damals verpönt. Zu recht. Allerdings tendierte man damals ins andere Extrem: Die Interviewer verhielten sich ziemlich spröde, fast beamten-sachlich, um ja den kritischen Teil des Auftrags nicht aus dem Auge zu verlieren. Ich denke da an die 70er Jahre mit Gottschalks Musikerinterviews im Bayrischen Rundfunk, oder “Rockpop” im ZDF. Dieser extrem gegenteilige Stil war natürlich auch nicht schön. Aber dazwischen ist viel Platz.

In den letzten Wochen jedenfalls fiel mir das auf in Sendungen beispielsweise über Kraftwerk, Udo Lindenberg, Elton John, um nur drei zu nennen. Diese Dokumentationen erschienen gerade dann, wenn Werbekampagnen für ein neues Album oder eine neue Tour gestartet wurden. Das ist nicht verwerflich! Es gibt ja auch Dokumentationen über neu auf den Markt gebrachte Spinatprodukte. Oder über neue Kinofilme. Oder neue Romane. Aber die enthalten neben Lob meist auch kritische Kommentare. So war das auch früher in Musikdokumentationen. Sie bestanden nicht aus einseitiger Lobhudelei.

Die heutigen Sendungen, die ich meine, bestehen ja nicht einmal nur aus Lobhudelei; sie präsentieren diese Lobhudelei in eindringlicher Weise, wie sie sonst nur in der Werbeindustrie vorkommt. Die lobsprühenden Satzfetzen aus allen Ecken der Welt werden regelrecht in den Zuschauer eingehämmert, sie werden wiederholt, sie sind gegen Filmende jeweils kaum noch länger als zwei Sekunden. Und natürlich sind die Zitatsprecher gut in Szene gesetzt, vor ausgefeiltem Kulissenbild, man hört nie die zur Lobhudelei animierenden Fragen des Produzenten, sondern nur die Antworten der Sitzenden, als ob sie das spontan aus dem Nichts sagen würden. Das sind keine Ausschnitte aus normalen, beiläufigen Interviews, sondern das ist eine gezielt aus dem Mund entlockte Farbe von Äußerungen, die der Produzent vorab auf seinem Plan hat und auch so haben will.

Wenn es dabei um nichtkommerzielle Angelegenheiten ginge, wäre daran wenig auszusetzen. Und, ja, so einen Musikbeitrag betrachtet man unterbewusst erst einmal als Kulturbeitrag. Das ist etwas anderes als Spinatwerbung. Aber wenn der Musikbeitrag allein der Werbung eines Musikproduktes dient, dann wird es doch mal Zeit, diese Lobhudeleien mit den Augen eines Kaufinteressenten zu betrachten, weniger eines Musikinteressenten, oder nicht? Und da frage ich mich, ob die Musikindustrie mehr Freiheiten hat als die Spinatindustrie, beziehungsweise haben soll, wenn man das jetzt philosophisch diskutieren will.

Übrigens, nichts gegen Kraftwerk, Udo Lindenberg, Elton John …

Q

Ungefähr sowas?

Da wurde Xavier Naidoo portraitiert, kritische Punkte wurden komplett weggelassen und das - wie der Filmemacher Harold Woetzel betont - völlig zu Recht. In einer ungewöhnlich ausführlichen Antwort auf kress.de sieht er den Film als

Somit bleibt nur eine Konsequenz:

Um ganz sicher zu gehen, bringt man am Ende dann noch einmal auf den Punkt, was man von der „Doku“ zu halten hat:

Um zu Deiner Frage zurückzukommen: Musiker haben Fans, die bereit sind, ihr „Produkt“ bis zum Äußersten zu verteidigen - im Gegensatz zu einer Packung Spinat. Die Ärmste ist, wenn’s hart auf hart kommt, ganz auf sich alleine gestellt. Man schaue sich einmal die Kommentarspalte in dem Übermedien-Artikel an: 210 Kommentare, es ist damit der meist kommentierte Artikel auf dieser Seite (oder vielleicht sogar im Internet überhaupt) und ein Großteil der Kommentare der Xavier-Fans geht irgendwie völlig am Thema vorbei und beschäftigt sich damit, wie toll Xavier Naidoo ist und geht nicht auf den eigentlichen Grund des Artikels - die fürchterliche Machart der „Doku“ - ein.

Ich könnte mir zumindest vorstellen, daß es auch mit den Fans als Zielgruppe zusammenhängt. Eine Dokumentation über Musik richtet sich nunmal in erster Linie an die Fans und versucht nicht, neutrale Beobachter zum Fan zu machen. Mit Musik ist das ja immer so eine Sache: Entweder man mag sie, oder man mag sie nicht. Es ist schwer, jemanden durch rationale Argumente von einer Musik zu begeistern. „Hey, die engagieren sich ja im Kampf für $Ziel. Dann hol’ ich mir die neue Amigos-CD!“ - das wird eher nicht funktionieren.

Also ich denke auch, daß die Musikindustrie da mehr Freiheiten hat, kann es einerseits nachvollziehen, würde mir aber dennoch oftmals mehr Ausgewogenheit wünschen.

Ja, ungefähr sowas :slight_smile:

Die privaten Sender treiben das natürlich noch weiter; da wird das Eingeschlichene noch plumper, noch schriller …