Diskussion über den Blog-Artikel: Schneller, höher, seichter
Manchmal stelle ich mir seltsame Fragen. Zum Beispiel, wer es schafft, am längsten die feuchten Finger in die Steckdose zu halten oder wie viele Rentner in eine Dose Chappi passen. Ein kuscheliger Familiensender, bei dem das Herz traditionell in der Hose schlägt, hat sich nun dieser Menschheitsprobleme angenommen und liefert die Antworten:
Guinness World Records (RTL II; 26.09.; 20:15 - 21:10 Uhr)
Die Sehnsucht nach absurden Rekorden scheint tief in der deutschen Fernsehgenetik verankert zu sein. Ab 1998 durften nacheinander Reinhold Beckmann (Guinness - die Show der Rekorde, ARD), Jörg Pilawa (Rekordfieber, ARD), sowie Oliver Welke und Oliver Geissen (Guinness World Records - Die größten Weltrekorde, RTL) verschiedene Inkarnationen dieses Formats in den Quotentod moderieren. Trotzdem krabbelt der TV-Zombie immer wieder aus der Gruft und saugt sich in der Primetime fest.
RTL II nutzt die Gelegenheit, die aktuelle Auflage von immerhin acht Folgen, zur nationalen Aufgabe hochzutoupieren. “Wir holen den Rekord nach Deutschland!” verspricht man gleich zu Beginn mit stählernem Wochenschaupathos. Als ob das irgendjemanden juckt, ob der Weltrekord im Pferdestapeln von einem Töffel aus Deutschland, Russland oder dem Teletubbyland gehalten wird.
Andererseits stimmt es tröstlich, dass Deutschland derzeit keine anderen Sorgen zu haben scheint als die Anzahl der Volksgenossen im Gaga-Kompendium. Vor einer Nation, die Energie und Ehrgeiz aufs Guinness Book konzentriert, muss sich der Rest der Welt nach 67 Jahren endlich nicht mehr fürchten.
Weil elfeinhalb Monate im Jahr das Dschungelcamp geschlossen ist, und Sonja Zietlow irgendetwas moderieren muss, damit sie nicht als Verkäuferin für Körperstrümpfe bei Channel 21 endet, meldet sie sich nun professionell gut gelaunt aus dem Europapark Rust. Warum ausgerechnet von dort? Na, wegen der Synergieeffekte natürlich!
RTL II bekommt für lau eine bunte Showkulisse und der Freizeitpark freut sich über werbewirksame Fernsehpräsenz. Deshalb werden die verschiedenen Rekordversuche und Zwischenmoderationen auch an allen erdenklichen Ecken und Fahrgeschäften des Parks aufgezeichnet. Eine Hand wäscht die andere.
An Sonjas grüner Seite steht Micky Beisenherz, der ein sympathischer Kerl ist, aber leider äußerst kamerascheu. Neben dieser Sendung ist der Gute im Fernsehen fast gar nicht präsent. Gleich im Anschluss läuft übrigens das Panelquiz Stadt, Land, Promi spezial moderiert von … Micky Beisenherz.
Inhaltlich kann selbst ich chronischer Griesgram gegen die Sendung nicht viel einwenden. Mit bescheidenen Mitteln wird hier eine launige Stunde Programm fabriziert. Am letzten Mittwoch hatte ich bereits einen Blick riskiert:
Ein quadratischer Sachse scheiterte beim Versuch eine Waschmaschine mehr als 4,05 Meter weit zu werfen und war anschließend so enttäuscht als sei er im olympischen Kugelstoßfinale Letzter geworden; die FSK18-Aktrice Mia Magma zog sich innerhalb einer Minute neunmal den BH an und auch wieder aus; und zwei sadistische Kosmetikerinnen hatten ihre helle Freude daran, einem jungen Mann die Beine zu epilieren. Der arme Tropf liegt immer noch auf der Palliativstation der Uniklinik, falls Sie ihm einen Strauß Wachsblumen schicken wollen.
Diesmal werden Wasserbomben mit dem Bauch gestoppt, eine Frau an die Wand geklebt und eine Gläserpyramide auf dem Kinn balanciert. Das alles ist vollkommen banal, sinnfrei und harmlos. (ganze Folge in der Mediathek)
Wenn man sich Promicouch, Chris de Burgh und Gummibärchen wegdenkt, funktioniert diese Rekordeshow nicht anders als Wetten dass…?; und das mit einem Hundertstel des Budgets: Normale Menschen tun unnormale Dinge für 15 Sekunden Ruhm. Niemand wird bloßgestellt und sogar die mit spitzem Bleistift über den korrekten Ablauf wachende Wettkampfrichterin aus dem Schwarzbier-Hauptquartier in London, eine aparte Ungarin, möchte am liebsten die Kandidaten mit ihrer weichen Stimme zur Höchstleistung säuseln.
Kurzum: Eine seichte Flachwasseroase des Friedens im Radausender RTL II. Warum nicht öfters so? Wenn die Wollnys getrennte Wege gehen und Bert Wollersheim vielleicht doch wieder in den Bau wandert, werden bei Euch demnächst Sendestrecken frei. Aber dann lasst bitte die penetranten Produktplatzierungen weg.
Bis die Tage!