Religiöse Texte und ihre Auslegung

[QUOTE=Kildare;388378]Was meinst du mit “Bibel”?
[/QUOTE]
Der Klausi ist nicht mehr hier im Forum, aber was er mit Bibel meint ist wohl das was die Bibel nun mal ist: Das neue UND das alte Testament.

OK - aber wir können ja auch ohne Klausi über das Thema reden?

[QUOTE=Kildare;388392]OK - aber wir können ja auch ohne Klausi über das Thema reden?[/QUOTE]
Ja, aber wenn du Extraklaus ne direkte Frage stellst dann erwarte keine Antwort

[QUOTE=Kildare;388378]

Reden wir doch mal vom Neuen Testament.

Wo ist da was Gewaltverherrlichendes?

Der wichtigste Satz dort ist doch der: “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!”

Oder? [/QUOTE]

Also einmal
[SPOILER][/SPOILER]

Aber mal im Ernst: Zum einen steht in den Paulusbriefen, also auch NT, man solle sich doch auch an die 400-500 Gesetze aus dem alten Testament halten. Augen ausstechen und Leute steinigen wird also auch indirekt durch das NT gutgeheißen.
Außerdem können wir ja nich Islam und Christentum mit Zweierlei Maß messen. Die Christen können sich also die Stellen aus der Bibel aussuchen an die sie glauben und Moslems nicht?

Ich möchte auch mal einen sehr interessanten Punkt paraphrasieren, den Slavoj Zizek in dem Film A Perverts Guide to Ideology macht.

Und zwar beginnt er mit dem “Wenn Gott tot ist, dann ist alles erlaubt”, der Dostojewski zugeschrieben wird und meint er wäre genau falsch. Denn jede totalitäre Ideologie/Weltanschaunung, also in gewissem Maße auch jede Religion, hat soetwas wie “the big other”, eine Art Referenz in deren Namen man tätig wird, z.B. Gott, Allah, die Nation,die weiße Rasse, “the necessity of historical progress towards communism”, Sicherheit vor Terrorismus. Man ist dann nur Diener dieses abstrakten Konzepts und muss sich so an keine moralischen Grenzen mehr halten, da man ja bereits im Namen bzw für die oberste moralische Instanz oder das oberste Ziel handelt. Und durch genau dieses Prinzip kann man als radikaler Anhänger egal welcher Ideologie rechtfertigen über bestimmte moralische Grenzen hinwegzugehen. Deshalb kann in der Bibel stehen du sollst nicht töten aber trozdem gab es Hexenverbennung und Kreuzzüge. Der Kommunismus wollte Menschen befreien und für alle sorgen und Freiheit, Gleicheit etc, trotzdem gab es z.B. die Internierungslager und den Holodomor. Und beim Islam ist das genauso. Die Ideologie dient nur als Gefäß, das man mit seiner politischen Agenda auffüllt und dann durch sie amoralisches Handeln rechtfertigt, das sogar inkonsistent mit den eigenen ideologischen Grundsätzen sein kann. Zusammenfassend würde ich sogar sagen, dass nur ohne eine allgemeingültige Ideologie moralisches Handeln möglich ist, weil diese Referenz auf “the big other” entfällt und die Verantwortung jedwedes Handeln auf den Handelnden zurückfällt der sein Handeln dann vor anderen und sich selbst rechtfertigen muss. In einer pluralistischen Gesellschaft butzt man deshalb auch den Diskurs als Feedback-Schleife um seine eigene Weltanschauung mit gesellschaftlich-kulturellen Prämisen abzugliechen und so auszudifferenzieren.

Und ich würde sagen, dass die Menscheheit im großen und ganzen bereits mit dieser Leere, die die Abwesenheit einer immerwahren Ideologie hinterlässt, konfrontiert wurde und deshalb sich in eine Art Apolitismus flüchtet oder versucht diese Leere durch eine Ideologie oder Weltanschauung zu füllen und die Komplexität der Welt und der eigenen Probleme in den Polen der Ideologie einzufangen. Und so kann man seine Zeit damit Verbringen, seine eigene Ideologie bzw Weltanschauung zu suchen, zu verfeinern und sich dann in einer Sysiphos-Arbeit verfangen oder aber vorgefertigte Ideologien graduell aneignen bis dahin, dass sie zu einem totalitären Weltbild ausufert, das ebenfalls gewisse Vorzüge, wie die Reduktion der Komplexität und der oben beschriebene Amoralismus, hat. Und gerade in Zeiten gößter Not und Verzweiflung, in denen man nicht unbedingt mehr Zeit hat sein Weltbild auszudifferenzieren wird man eher letzeres tun.


Und noch was ganz anderes: auf Spiegel-Online gabs ein wie ich finde hochinteressantes Interview mit einem Bibel-Historiker über die Entstehungsgeschichte der Bibel, Ich nehme an, es lassen sich da durchaus Parallelen zum Koran ziehen, der zwar in viel kürzerer Zeit entstand, aber ja ähnlich funktioniert

Es sei an dieser Stelle folgender Brief zahlreicher muslimischer Gelehrter an den ISIS-Chef verlinkt. Dies deswegen, weil er wohl gut verträglich mit den Auffassungen ist, die unter muslimischen Geistlichen [I]global[/I] gesehen mehrheitsfähig sind. Meine Lektüre ist schon etwas her, aber soweit ich mich erinnere, entspricht die Sichtweise der Autoren in vielen Punkten auch recht gut einer “westlichen” Auffassung.

Die größte und problematischste Diskrepanz zeigt sich hingegen vielleicht in der nach wie vor bestehenden Akzeptanz von Körperstrafen. Diese Haltung ist aus unserer Sicht natürlich kritikwürdig und widerspricht dem Rechtsverständnis, wie es in Europa herrscht.

Aus dem Brief erhellt jedoch auch, dass die muslimische “Mainstream-Lehre” in wichtigen Punkten dem historischen Wandel unterworfen wird - so wird etwa die Sklaverei nachdrücklich abgelehnt.

Der Brief ist also auch so etwas wie eine Momentaufnahme dazu, wie viele Islamgelehrte jedenfalls in der arabisch geprägten Welt heute denken.

Weiterhin wäre zu beachten, dass es auch in der islamischen Welt modernere Strömungen gibt (abhängig auch von Land und Region), die die “problematischen” Teile dieses Briefes ablehnen würden, und dass auch weltweit betrachtet die Mehrheit der Muslime die “blutigen” Teile der Scharia ablehnt.

Dies vorausgeschickt nun zum Text selbst - er ist recht ausführlich und für den Außenstehenden nicht ganz leicht zu lesen.

Vielen Dank für den Brief. Habe ich noch nichts von mitbekommen.

Erstes überfliegen liefert einige interessante Sätze.

Und der Prophet Muhammed - Frieden und Segen seien auf ihm – sagte: „Wer auch immer über den Koran ohne Wissen spricht, soll seinen Platz im Höllenfeuer erwarten.“[7] Es wird auch höchste Zeit das Schwadronieren darüber, dass „sie Männer gewesen waren und wir auch Männer seien“ zu unterlassen, denn all jene, die dies behaupten, haben nicht ansatzweise das Verständnis und Unterscheidungsvermögen wie die geehrten Gefährten und die Imame der frommen Altvorderen (al-Salaf al-Ṣāliḥ), auf die sie sich beziehen.

Das als Antwort auf eine vom IS fehlinterpretierte Koranstelle finde ich einfach zu gut.

Wenn ich das richtig übersetze, dann heißt das wohl in etwa: „Boah, ihr seid zu dumm um ausm Bus zu gucken! Geht nach Hause!“

Das verspricht eine recht spaßige Lektüre zu werden. :voegsm:

@Enio

Mal angenommen, es stimmt: „Die Mehrheit der Muslime lehnt Teile der Scharia ab“, wie eben manche Christen auch Teile der 10 Gebote ablehnen, spätestens dann wenn sie „Ehe brechen“ :slight_smile:

Was tut das zur Sache? Entscheidend ist ja nicht, was die Mehrheit der Muslime ablehnt, sondern was sie indirekt/direkt unterstützt. Und wenn es eben in allen Ländern, in denen der Islamische Glaube in der Mehrheit gibt, keine „Demokratie“ und Relgionsvielfalt gibt, weil eben der Islam alles bestimmt, dann ist das eben schon ein unakzeptables Problem, das zeigt, daß es nicht drauf ankommt, was die „Mehrheit der Muslime“ denkt.

Auch wir müssen heute ja noch beim Christentum darauf hinarbeiten, daß Staat und Religion getrennt ist. Wir haben es in Deutschland schon fast hinbekommen. Aber so schlimm, wie in Islamischen Ländern die Religion des Islam das gesellschaftliche Leben einschränkt, daß gibt es in christlichen Ländern nicht in dieser Form. Selbst in ultrachristlichen Ländern werden Homosexuelle nicht gesteinigt, geköpft, und Frauen nicht geschändet, nur weil sie eine Frau sind.

Und wenn es eben in allen Ländern, in denen der Islamische Glaube in der Mehrheit gibt, keine „Demokratie“ und Relgionsvielfalt gibt, weil eben der Islam alles bestimmt, dann ist das eben schon ein unakzeptables Problem, das zeigt, daß es nicht drauf ankommt, was die „Mehrheit der Muslime“ denkt.

Ja, WENN - aber ist das so? Außerhalb der westlich geprägten Welt sind viele Länder keine Demokratien. Das westlich und säkular geprägte Albanien ist demokratisch, wenn auch noch instabil, und religiös tolerant. Noch deutlich wird das ev. sogar wohl beim religiös toleranten Kosovo, wo 90% der Einwohner Muslime sind. Das sind eben europäisch geprägte Länder.

Ähnliches gilt für diverse postsowjetische Republiken wie Aserbaidschan - der Kommunismus ist ja letztlich auch „westlich“ und trieb die Säkularisierung voran. Zwar sind viele dieser Länder nicht demokratisch - aber das gilt auch für andere asiatische Staaten und hat nichts mit der Religion zu tun, die Privatsache ist.

Und selbst in der nicht westlich beeinflussten Hemisphäre:
Bestimmt der Islam „alles“ in Tunesien, das gerade eine relativ moderne Verfassung verabschiedet hat? Bestimmt er alles z.B. im Irak (schon unter Saddam Hussein, der, soweit ich mich erinnern kann, Kirchen gebaut hat, so wie auch der König von Marokko)? Oder wie sieht es gar mit dem Alevitentum aus, das ohnehin traditionell besonders tolerant ist?

Vor allem aber und zum Rest Deines Beitrags: Hast Du mein erstes Posting in diesem Thread gelesen? Wenn ja, wo liegen dann nach Deiner Auffassung die Fehler meiner Argumentation (die ja implizit Deinen restlichen Beitrag trifft)?