Psychiatrische Kliniken

“Kuckucksnest” sollte man heutzutage m.E. nicht mehr unbedingt schauen. Liefert ein falsches / veraltetes Bild über Psychiatrien.

Edit, statt “sollte man nicht”, vllt eher: Ich würd den Film nicht weiterempfehlen.

Hab meine Äußerung im Edit doch umformuliert.

Da die Allgemeinheit wenig Ahnung davon hat, wie es in psychiatrischen KHs zugeht, bildet man sich seine Meinung dann schnell mal durch so einen Film. Zumindest hab ich schon öfter die Äußerung gehört, dass sich Leute die Psychiatrie so vorstellen, wie es in diesem Film dargestellt wird. Und das ist abschreckend, ggf. auch für Leute, die eigentlich Hilfe bräuchten.
Aber ja, man kann natürlich gucken, was man möchte.

Meine berufliche Erfahrung war, dass das eben nicht so weit weg von der Realität ist. Habe Zwangsmaßnahmen mit Fesselung am Bett gesehen, weil eine Person es nicht einsah, ihr Knie postoperativ zu schonen. Es ist alles okay, solange man keine psychiatrische Diagnose hat, hat man diese aber kann man zum Freiwild für psychiatrische Einrichtungen werden, da die Richter gerne alles abnicken.

Im Soderbergh-Film “Side Effects – Tödliche Nebenwirkungen”, der in der Gegenwart spielt, werden die Patienten in einer US-Psychatrie mit Elektroschocks therapiert.
Davon ausgegangen, dass diese Storyelemente auf Recherchen fußen, scheint das Verfahren immer noch Anhänger unter Fachärzten zu haben.

Ja, die gibt es immer noch in der psychiatrischen Therapie zur Behandlung von schweren Depressionen. Heutzutage jedoch unter Vollnarkose, man lernt dazu.

[QUOTE=Baru;463579]Meine berufliche Erfahrung war, dass das eben nicht so weit weg von der Realität ist. Habe Zwangsmaßnahmen mit Fesselung am Bett gesehen, weil eine Person es nicht einsah, ihr Knie postoperativ zu schonen.[/QUOTE]

Fixiert wird auf jeden Fall immer noch, ja. Das lassen sie auch gern mal als Warnung am Bett, grad auf der Akutpsychiatrie.
Aber z.B. Elektrokonvulsionstherapie wird m.W.n nur bei katatoner Schizophrenie und schweren Depressionen angewandt (und auch da m.E. nicht ohne Einwilligung bzw Betreuung), aber doch nicht, um jemanden quasi zu lobotomieren. Genau so darf Medikamenteneinnahme doch verweigert werden, es sei denn, es liegt eine Betreuung zwecks Gesundheitsfürsorge vor (was aber natürlich oft der Fall ist).

[QUOTE=Baru;463579]Es ist alles okay, solange man keine psychiatrische Diagnose hat, hat man diese aber kann man zum Freiwild für psychiatrische Einrichtungen werden, da die Richter gerne alles abnicken.[/QUOTE]

Selbst wenn man eine psychiatrische Diagnose hat, sollte eine Unterbringung doch eher an der Eigen- bzw Fremdgefährdung hängen?

Wie umfassend sind denn deine beruflichen Erfahrungen?

[QUOTE=Zankyou;463585]
Selbst wenn man eine psychiatrische Diagnose hat, sollte eine Unterbringung doch eher an der Eigen- bzw Fremdgefährdung hängen?[/Quote]

Die Patientin war nicht die schlauste (Aber keine schwere geistige Behinderung) und war in der Vergangenheit schon mal in der Psychiatrie gewesen. Das hat gereicht, ohne großes Zögern von der Chirurgie mit richterlichem Segen in die Geschlossene geschickt zu werden, als sie trotz gegenteiliger ärztlicher Anordnung immer wieder ihr Knie belastete bzw. nur sehr unregelmäßig die Unterarmgehstützen verwendete. Da wollte sie nun aber nach ein paar Tagen nicht mehr sein und hat sich vor die Tür aus Protest gesetzt. Ein Pfleger hat die Situation sehr schnell eskalieren lassen statt mit ihr zu sprechen und 5 Minuten später wurde sie schreiend von zahlreichen Pflegekräften auf ein Bett gefesselt. 24 Stunden später fiel den Ärzten dann auf, dass man sie doch eigentlich entlassen könnte.

Wer den Stempel „psychiatrische Erkrankung“ irgendwann mal bekommen hat, kommt ganz schnell wieder zurück in die Psychiatrie. Gilt natürlich nicht unbedingt für eloquente Akademiker, aber für alle, die irgendwie ein bisschen aus der Norm fallen oder weiter unten im sozialem Gefüge sind.

Wie umfassend sind denn deine beruflichen Erfahrungen?

3 Monate im Rahmen einer Pflegeausbildung. Nie wieder will ich dort arbeiten und das war nur eine sogenannte Halb-Geschlossene Psychiatrie. Es ist nicht sehr umfassend, aber für mich ausreichend, um eine Meinung zu haben. Zweifelhafte Entscheidungen, Drehtür-Patienten, schlechte, kaputte, deprimierende Ausstattung, Therapieangebot ein Witz, geht eigentlich nur um das Medikamenteschlucken und ein bisschen Weidenkörbe flechten.

[QUOTE=Baru;463588]
3 Monate im Rahmen einer Pflegeausbildung. Nie wieder will ich dort arbeiten und das war nur eine sogenannte Halb-Geschlossene Psychiatrie. Es ist nicht sehr umfassend, aber für mich ausreichend, um eine Meinung zu haben. Zweifelhafte Entscheidungen, Drehtür-Patienten, schlechte, kaputte, deprimierende Ausstattung, Therapieangebot ein Witz, geht eigentlich nur um das Medikamenteschlucken und ein bisschen Weidenkörbe flechten.[/QUOTE]

Ich als berufliche “Weidenkorbflechterin” gebe dir da in einigen Punkten recht. Wobei ich daraus andere Konsequenzen ziehe und gerne in diesem Bereich arbeite.
Aber es gibt in der Tat sehr erschreckende zustände in manchen Einrichtungen (zum Glück nicht überall). Du hast jedenfalls recht damit, dass man wenn man den Stempel Psychiatrie einmal hat dort nur sehr schwer wieder für immer raus kommt. Das halte ich auch für problematisch.
Nichts desto trotz gibt es viele Menschen die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind und diese auch bekommen sollen.
Krankenhäuser sind generell sehr trist eingerichtet, aber gerade in den letzten Jahren findet da langsam ein umdenken statt. Auch bei einem Knochenbruch oder Schlaganfall ist eine triste Atmosphäre nicht wirklich gesundheitsfördernd.
Problematischer als die Einrichtung finde ich aber die Einstellung mancher Mitarbeiter in diesem Bereich, da treiben sich leider manchmal komische Leute rum.

[QUOTE=Hedo;463590]Ich als berufliche “Weidenkorbflechterin” gebe dir da in einigen Punkten recht. [/QUOTE]

Nichts gegen die Ergotherapeuten in dem Bereich. Ich wüsste auch kein gutes Konzept, wenn man das in einer größeren Gruppe machen soll und die Gruppe aus einer wilden Mischung zwischen den Polen alter schwer-depressiver Mann und sehr junge hyperaktive Magersucht-Bulemie-Patientin besteht.

Ich will auch gar nichts gegen die Existenz von Psychiatrien allgemein sagen. Ich habe Fälle gesehen, die eindeutig ohne psychiatrische stationäre Einrichtungen völlig aufgeschmissen gewesen wären und sich selbst meistens oder seltener auch andere gefährdet hätten. Aber was ich erlebt habe, war dann auch wenig überzeugend. Auch so Sachen, dass besagte Magersucht-Bulemie-Patientin dort trotz fehlender Kompetenzen versuchsweise dort behandelt werden musste, weil sie aufgrund ihres zu niedrigen Gewichtes keinen Platz in den passenden Behandlungszentrum bekommen hat, obwohl es eindeutig war, dass sie trotz Zwangsernährung nicht nennenswert an Gewicht zugenommen hat in der Einrichtung. Ob sie das überlebt hat, habe ich dann nicht mehr mitbekommen.

Ich bin froh dass es Menschen wie euch gibt. Ich für meinen Teil kann mit “defekten Menschen” nicht umgehen.

[QUOTE=Baru;463591]Nichts gegen die Ergotherapeuten in dem Bereich. Ich wüsste auch kein gutes Konzept, wenn man das in einer größeren Gruppe machen soll und die Gruppe aus einer wilden Mischung zwischen den Polen alter schwer-depressiver Mann und sehr junge hyperaktive Magersucht-Bulemie-Patientin besteht.[/QUOTE]

Das ist in der Tat eine Schwierigkeit und macht das klientenzentrierte Arbeiten dort schwer. Vorallem wenn man dann auf ca. 20 Patienten 2-3 Therapeuten hat und wie du schon richtig sagst sind die Interessen und Neigungen meist sehr weit gestreut.
Trotzdem erleben viele Patienten die Ergotherapie dort als kleinen “Lichtblick”, weil es dort wärend des KH aufenthaltes die Möglichkeit gibt sich zu Betätigen. Ich würde da gerne ein sinnvoll vor schreiben, aber das stimmt leider auch nicht immer.

Ich fand die Erfahrung in einem Praktikum wärend der Ausbildung in einem psychiatrischem Krankenhaus auch am “heftigsten” und war damals froh nicht regelmäßig in den geschlossenen Bereich zu müssen. Aber ich habe inzwischen auch Einrichtungen gesehen in denen es definitiv anders zu geht. Es gibt noch einiges an Entwicklungsbedarf in dem Bereich.

[QUOTE=moep;463592]Ich bin froh dass es Menschen wie euch gibt. Ich für meinen Teil kann mit “defekten Menschen” nicht umgehen.[/QUOTE]

Was ist, wenn man phasenweise “defekt” ist, z.B. aufgrund eines Traumas? Das kann jedem passieren.

Ich störe mich ja ein wenig an dem Wort “defekt”. Aber das ist wohl auch Wortklauberei. Ich glaube ich habe verstanden was du meinst moep und finde das auch vollkommen legitim. Ich persönlich könnte mir nicht vorstellen auf dauer in einem Altenheim zu arbeiten und bewundere jeden Altenpfleger. Das liegt nicht daran, dass ich etwas gegen alte Menschen habe - im Gegenteil.

[QUOTE=Hedo;463598]Ich störe mich ja ein wenig an dem Wort “defekt”. Aber das ist wohl auch Wortklauberei.[/QUOTE]

Würde ich normalerweise auch, aber nicht in moeps Fall.

[QUOTE=Zankyou;463624]Was ist, wenn man phasenweise “defekt” ist, z.B. aufgrund eines Traumas? Das kann jedem passieren.[/QUOTE]

Dann kann ich mit dieser Person fuer diesen Zeitraum nicht umgehen? Ich verstehe nicht worauf die Frage abzielt.

Edit: bzgl. “defekt” hab ich absichtlich in Anfuehrungszeichen geschrieben weil mir kein besseres Wort fuer die Gruppe an Menschen eingefallen ist, die ich bezeichnen moechte. Ich glaube Zankyou weiss was ich damit aber meine, weil wir mal drueber gesprochen hatten. Im Endeffekt sehe ich das alles nicht so differenziert “wie es sich gehoert”

Da hier auch Profis mitlesen: Fixierung ist eine harte Maßnahme. Ihre rechtliche Beurteilung wurde anlässlich des berühmt berüchtigten Falles “Mollath” nochmal überarbeitet:

http://blog.beck.de/2014/02/01/patient-60-tage-lang-ununterbrochen-ans-bett-fixiert-psychiatrie-in-der-kritik

http://blog.beck.de/2015/08/06/fall-mollath-ein-jahr-nach-der-neuen-hauptverhandlung-das-bayerische-ma-regelvollzugsgesetz-baymrvg-tritt-in-