Was Menschen in einer Geschichte suchen, egal ob per Film, Theater oder sonstigem Medium erzählt, ist ein klarer, nachvollziehbarer Konflikt.
Menschen wollen sich in diese Konfliktsituation hineinversetzen und die Entscheidungen der Figuren beurteilen, vor allem wollen sie vergleichen, wie sie sich selber in dieser Lage wohl verhalten hätten. Eine Story verschafft uns die Möglichkeit, eine Krise im Geiste zu durchleben, also “günstig”, ohne wirklich gefährdet zu sein, eine Erfahrung zu machen.
Der Homo Sapiens tut eben nichts für umme. Im Kino kaufen wir - im besten Fall - Lebenserfahrungen, Know-How fürs Leben.
Deshalb kann man sagen, eine Geschichte ist nur so gut, wie der Konflikt, den die Figuren ausfechten, ob das nun Oedipus ist oder der kleine Toaster aus dem gleichnamigen Zeichentrickfilm. Ein guter Erzähler führt seinem Publikum eine Auseinandersetzung zwischen zwei “Parteien” vor. Das wollen die meisten Menschen sehen oder hören.
Das ist auch der Grund, warum viele anspruchsvolle Arthouse-Filme so wenig Zuschauer anlocken. Solche Machwerke zeigen menschliche Konflikte auf eine unkonventionelle Weise. Entweder ist das Problem der Figuren seltsam, untypisch, irgendwie unverständlich, kompliziert oder ihre Entscheidungen. Der OttoNormalTanker kann oder will sich nicht damit abmühen, herauszufinden, wer jetzt mit wem und warum ein Problem hat, oder was sich verdammt nochmal in dem kleinen Kästchen befindet, dass der dicke Chinese, der Nutte zeigt. :mrgreen:
Was Menschen als ernsten Konflikt bezeichnen, kann natürlich von Kultur zu Kultur, von Land zu Land verschieden sein. Es gibt ein paar Dutzend universelle Konflikte, die jeder Mensch nachvollziehen, sich hineinversetzen kann.
Auf dieser Seite sind einige aufgelistet:
http://www.buecher-wiki.de/index.php/BuecherWiki/Motiv
Aber ich empfehle “Elizabeth Frenzel” - Motive der Weltliteratur (Obwohl die Dame eine Antisemitin war, aber ihre Liste ist gut und vollständig):
http://www.amazon.de/Motive-Weltliterat … 3520301059
Einige müssen natürlich etwas aktualisiert, modernisiert werden. Z.B. Frau zwischen zwei Männern = Effie Briest
Alte, Der verliebte
Amazone
Arkadien
Bediente, Der überlegene
Bettler
Blutrache
Brüder, Die verfeindeten
Doppelgänger
Duell
Einsiedler
Fernidol, Das heimgeholte
Frau, Die verschmähte
Frauenraub, Frauennötigung
Freierprobe
Freundschaftsbeweis
Gattenehre, Die verletzte
Gattin, Die verleumdete
Gegner, der unerkannte
Goldgier, Geldgier
Gott auf Erdenbesuch
Gottesurteil
Hahnrei
Heimkehrer
Herkunft, Die unbekannte
Herrscher, Der beschämte
Hochstapler
Inseldasein, Das erwünschte und das verwünschte
Inzest
Keuschheitsgelübde
Kurtisane, Die selbstlose
Liebesbeziehung, Die heimliche
Liebeskonflikt, Der herkunftsbedingte
Märtyrer
Mann zwischen zwei Frauen
Mensch, Der künstliche
Menschenfeind
Mißvergnügte, Der
Mond, Der
Narr, Der weise
Nebenbuhlerschaft
Räuber, Der gerechte
Rebell
Ruinen
Schelm, Picaro
Sonderling
Spieler
Stadt, Die
Teufelsbündner
Tyrannei und Tyrannenmord
Unterweltsbesuch
Vater-Sohn-Konflikt
Vatersuche
Verführer und Verführte
Verführerin, Die dämonische
Verräter
Weissagung, Vision, vorausdeutender Traum
Wilde, Der edle
Zu “Gegen die Wand”:
Fatih Akin hat sich davor gedrückt uns die Perspektive der Familie des Mädchens zu zeigen, denn das hätte viel Erzählzeit gekostet, hätte vielleicht den Rahmen, die geplante Dramaturgie der Geschichte gesprengt.
In unseren Breitengraden können wir nun mal einen Zwang, die sexuelle Freiheit der Tochter, der Schwester zu unterdrücken, nicht nachvollziehen. Und so wie der Film jetzt ist, stützen wir uns deshalb auf Vorurteile, dass sowas selbstverständlich bei traditionellen Türken ist, dass die Auseinandersetzung mit ihrer Tochter kein Gewissenskonflikt darstellt. Doch genau das ist sicher nicht der Fall.
Herr Akin hat somit eine Chance versäumt, uns die Dilemmatta einer solchen zwischen zwei Kulturen zerrissenen Familie vorzuführen, so dass wir ihre Entscheidungen, wenn auch nicht gutheißen, so doch nachvollziehen können.
Er hat mit dem Film den hier lebenden Türken einen Bärendienst erwiesen.