Kritik an der Kritik von Kritiken zu Kunstfilmen

Das Thema klingt ja schon irgendwie ziemlich daneben und das glaube ich ist es auch aber ich habe mich darüber so aufgeregt, dass ich jetzt doch irgendwie gespannt bin ob mit mir nur irgendwas nicht stimmt oder ob ich nur überreagiere :?
Auslöser meines Problems war das jüngste Crossover zwischen DVD-Kritik und Pantoffelkino-tv, DVD-Kritik wurde dabei der Film “Dogtooth” zugesandt:
http://www.youtube.com/watch?v=dv82N6ulP88

Der Film wurde von Holger damals ziemlich gut bewertet (9/10):
http://www.youtube.com/watch?v=RzqPnJ9X5O8

Robert hat den Film jedenfalls ziemlich verrissen (1/10) Punkte
kurz noch zum Inhalt des Films:
Abgeschottet von der Außenwelt werden zwei Töchter und ein Sohn ganz im Sinne der reichen Eltern erzogen. Den pubertierenden Jugendlichen wird dabei ein verqueres Weltbild voller Lügengeschichten vermittelt: Die Welt hinter der Gartenhecke ist angeblich ein böser und gefährlicher Ort und gewohnten Begriffen des Alltages werden neue Bedeutungen zugesprochen. Das Familienleben ist geprägt von emotionsloser Disziplin und den unschuldig-perversen Spielen der drei Geschwister, die sich damit die Zeit vertreiben. Die scheinbar perfekte Idylle erhält erste Risse, als die Töchter und der Sohn sich die Frage stellen, was wirklich hinter der Gartenhecke liegt.

Soweit ist ja alles noch schön und gut, der Film ist eben relativ konventionslos, teilweise schon pornographisch und relativ brutal aber eben auch gewissermaßen ein Kunstfilm der durch den Bruch mit möglichst vielen Konventionen und dem Einbringen möglichst vieler Grotesker Elemente versucht möglichst eindringlich seine message zu vermitteln und den Zuschauer zu berühren.
Robert hat nun m.E. korrekt beanstandet, dass sich ein solcher Film nicht nur darauf berufen darf Kunst zu sein und dadurch das Fehlen von gelungenem story telling, screenplay, schnitt, beleuchtung, choreographie, Ton, Musik, visuellen Effekten, Dialogen etc. legitimiert. (trifft natürlich nicht unbedingt alles zu).
Holger hingegen ist eben der Meinung die Message die der Film vermittelt ist ihm so wichtig, dass der ganze Film als Kunstwerk zu betrachten ist und ihm des Gesamtbild sehr gelungen erscheint.
Beides ist m.E. völlig legitim.
jetzt aber das eigentlich ärgerliche, auf roberts kritik folgt sofort eine flut an kritiken, die ihm vorwerfen den film nicht verstanden zu haben, lediglich die Kunst daran nicht zu erkennen bzw. nur Hollywood-Mainstream Filme anzuerkennen. Und diese Arroganz ist es die mich so unglaublich wütend macht, wieso denken so viele Leute nur weil sie einen konventionslosen Film als kunst betrachten und ihn deshalb gut finden, plötzlich über die meinung anderer erhaben zu sein, bzw. ihre meinung nur noch durch argumente ad hominem festigen zu brauchen.
Und das ist übrigens nicht nur bei Dogtooth so, sehr ähnlich kommentarwechsel gab es auch bei filmen wie “a serbian film” oder auch “the tree of life”. Nicht das ich diese filme jetzt vergleichen möchte aber sie haben doch alle den anspruch durch (partielle oder vollkommene) konventionslosigkeit etwas auszusagen.
Möglich auch dass das alles nur auf die youtube kommentarwelt zurückzuführen ist, aber ich zumindest habe auch schon im bekanntenkreis oder auf moviepilot ähnliche debatten geführt oder verfolgt.
Möglicherweise reagiere ich auch nur über oder mache aus einer mücke einen elefanten, aber diese unantastbarkeit von kunstfilmen in den köpfen mancher menschen nervt einfach :smt011

Ich verstehe gut was du meinst, aber das hast du nicht nur bei Filmen sondern bei praktisch fast allem.

Sobald du eine, durch deine Meinung begründete, negative Kritik über einen Film, ein Buch, eine Person oder sonstwas schreibst kriechen sofort aus allen Ecken die “Fanboys”: “Stimmt doch alles gar nicht, du bist nur zu doof, etc. blah blah”. Ich habe da immer das Gefühl viele tun das, weil sie sich dabei anscheinend überlegen fühlen. :roll:

Und gerade auf YouTube Kommentare würde ich nun wirklich gar nichts geben. Die Kommentare dort sind unter aller Sau und bewegen sich auf einem Niveau, das man schon gar nicht mehr beschreiben kann. Ich verstehe inzwischen gut, wenn für einige Videos einfach schon mal von vornherein die Kommentarfunktion deaktiviert wird, auch wenn das zunächst mal einen “feigen” Eindruck hinterlässt.

Gerade bei Kunstfilmen, bzw. Kunst allgemein, habe ich auch oft das Gefühl, dass im Nachhinein weitaus mehr in bestimmte Dinge hineininterpretiert wird, als eigentlich vorgesehen war. Und somit oftmals auch, sorry wenn ich es so sage, belangloser Müller plötzlich zum genialen Meisterwerk erhoben wird. Das mag natürlich nicht bei allem der Fall sein, aber es kommt bestimmt oft genug vor. Und wer darin ein Meisterwerk sehen will, der soll es tun. Nur deshalb die Meinung Anderer, die damit einfach nichts anfangen können abzuwerten lässt tief in die Psyche solcher Menschen blicken.

Bei Filmen wie Dogtooth, oder The Tree of Life - also Kunstfilmen, die auf dem “Tabula-Rasa-Prinzip” basieren (Du interpretierst dein Inneres auf die dir gezeigte leere interpretationsreiche Fläche) hast du IMMER zwei Gruppen von Leuten.

Personen, die irgendeinen -im Kontext des Films vollkommen unfundierten- Scheiß hineininterpretieren und deswegen meinen, es wäre der geilste Scheiß seit der Erfindung des Toastbrots, oder Leute -wie zum Beispiel ich- die sehr bewandert in der Narration eines Films sind und deswegen die halbherzige Umsetzung, den Ideenmangel und die Faulheit hinter dem Gezeigten sehen.

Denn zur Arbeit eines Filmemachers gehört es, mit dem Zuschauer zu kommunizieren und nicht ihm irgendwelche lieblosen, verstümmelten Brocken vorzuwerfen.

MfG Forger

Dazu möchte ich anmerken, dass auch Regisseure - oftmals - durch ihre eigenen Assoziationen arbeiten und dadurch Interpretationsspielraum bringen, der möglicherweise nicht bewusst beabsichtigt, aber durchaus vorhanden ist? Einige sind da vielleicht stark im Selbstreflektieren während des Drehbuchschreibens und verstehen sich selbst einigermaßen dabei und sind dann in der Lage, das zu steuern, andere hingegen verlassen sich auf ihre Intuition und bringen dadurch etwas vergleichbares zustande.
Forgers Anmerkung zum Tabula Rasa Prinzip hat z.B. in mir gerade die Idee geweckt für einen “Kunstfilm”, wie man das wohl so nennt: Eine vergilbte, aber leere Leinwand, an einer Staffelei, in verschiedenen Positionen gefilmt. Mit Grenze, stärker reingehend, Perspektive wechselnd, Fischauge, Lichtfilter, verschiedene Beleuchtungen, das ganze in ruhiger Schnittfolge, ein Schnitt alle 2 Minuten. Wär ich halt nur nicht zu faul, sowas zu realisiern.

Und diese Arroganz ist es die mich so unglaublich wütend macht, wieso denken so viele Leute nur weil sie einen konventionslosen Film als kunst betrachten und ihn deshalb gut finden, plötzlich über die meinung anderer erhaben zu sein, bzw. ihre meinung nur noch durch argumente ad hominem festigen zu brauchen.

Weil es Filmnazis sind. Diese trifft man vor allem bei nozama. Wehe da schreibt jemand etwas Negatives über einen „anspruchsvollen“ Film und fügt nicht hinzu, dass er eigentlich sehr offen gegenüber Kunstfilmen ist. Dann kann er sich auf Kommentare gefasst machen. Wenn man mal darüber nachdenkt, dass gerade Menschen, die sich Kunstfilme anschauen, einen gewissen Grad an Intellekt besitzen und daher kein Problem damit haben sollten zu differenzieren, ist das schon krank, was Viele für Kommentare über sich ergehen lassen müssen.

Ich selbst bin jemand, der sich weniger für Filme aus Hollywood interessiert, ob alt oder neu, sondern mehr auf europäische Arthaus-Produktionen abfährt. Dennoch komme ich natürlich nicht an Filmen aus den USA vorbei. Das kommt auch wegen meinem großen Interesse an der Filmkultur und der gesamten Filmgeschichte. Ich denke, das ist der entscheidende Punkt. Ich kenne nicht einen ernstzunehmenden Filmkulturinteressierten- und beobachtenden, der kategorisch Grenzen für seine Sichtungserlebnisse zieht. Und in einer Zeit, wo Arthaus und Mainstream langsam aber sicher ein wenig miteinander zu verschmelzen beginnen, wäre das auch total idiotisch.

Außerdem kann niemand die Filme von Bergman, Lynch oder Bunuel voll und ganz verstehen. Das ist aber auch nicht Kino, wer so denkt, hat selbst etwas ganz Entscheidendes nicht kapiert. Kino ist Magie, es ist Unterhaltung, ob flott oder zäh, es ist eine Gestaltung der Realität, die in erster Linie immer noch gefühlt werden muss, dann erst verstanden. Und niemand hat das Recht jemandem zu sagen, wie er sich zu fühlen hat.

Ich glaube, das Problem ist, dass viele Menschen sich mit solchen Filmen identifizieren und ihr Selbstwertgefühl daraus ziehen - frei nach dem Motto: “Ich gucke anspruchsvolle Kunstfilme, also bin ich auch intelligenter und viel anspruchsvoller als die Konsumenten hohler Hollywood-Mainstream-Produktionen”. Werden die Filme jetzt kritisiert und angegriffen, fühlt man sich dementsprechend auch persönlich angegriffen und reagiert beleidigend und abweisend, um (vielleicht auch aus einer Angst heraus, dass sich der ach-so-anspruchsvolle Film doch nur als lieblos zusammengebasteltes Werk entpuppt) den Film und damit sich selber vor “feindlichen Einflüssen” zu verteidigen.

Allerdings muss ich auch sagen, dass ich (obwohl ich insgesamt nicht wirklich allzu viele Filme gucke) auch einschreite und dagegen argumentiere, wenn ich das Gefühl habe, dass eine Kritik unberechtigt ist der Komplexität eines Films nicht entspricht. Das darf nur nicht auf der Ebene “Hey, deine Kritik ist scheiße, du bist halt zu dumm um den Film zu kapieren” ablaufen, sondern eher als Hinweis: “Hast du dir schonmal überlegt, dass man deinen Kritikpunkt X auch so und so im Gesamtwerk interpretieren kann, dann bekommt das Ganze gleich einen anderen Sinn und Bedeutung”

Mir ist nicht klar was the serbian film sagen wollte außer dass es kranke Menschen gibt.

Nebenbei das einige Srdjan Spasojevic damit gedroht haben den Kopf abzuschneiden weil er den Film, den serbischen Film nannte.

Was wollte er damit sagen das Krieg Leute verrohen lässt, dann warum spielt er dann in Belgrad wo man außer bei den Luftangriffen vom Krieg nur über Berichte, Gerüchte und das Fernsehen etwas erfahren hat, wenn man sich nicht unbedingt einer paramilitärischen Organisation angeschlossen hat. Den Film kann man sich nur am Anfang anschauen und dann kann man einfach nicht mehr, der ist so pervers mein Gott.

Ich bleibe doch bei Kusturicas Filmen wenn es um Kunstfilme aus Sudosteuropa geht.

Der Begriff “Kunstfilm” klingt doch schon irgendwie nach Euphemismus.

Ich finde, es gibt zwei Arten von Arthousemachwerken:
Einmal der Typ, der sich Erzählkonventionen sturr verweigert, und dann derjenige, der sie völlig pervertiert.
Die Verweigerer wollen so zurückhaltend-intensiv daherkommen wie Haneke, Leigh und Co. und die “Perversen” eifern impulsiven Filmemachern wie Lynch, Coen und Co. nach.

Leider sitzen in den Gremien hierzulande, die entscheiden, welche Filmprojekte bezuschusst werden sollen, nur Leute, die Filme der leisen Sorte bevorzugen und jegliches, was auch nur vordergründig nach Genre aussieht verachten, so dass ein - meiner Meinung nach - schädliches Ungleichgewicht besteht.
Filmemacher, die das “Spielen” mit den Genres beherrschen, werden so gut wie immer durchgesiebt.
Ich sag’s mal so: Wenn die Geschichte für “Pulp Fiction” einem deutschen Autor eingefallen wäre, hätte er es sehr, sehr schwer gehabt, Gelder für die Umsetzung an Land zu ziehen. Wahrscheinlich hätte man ihn genötigt, die Story nach deren Vorstellungen “zurechtzuschleifen”.
Verwunderlich ist das nicht, wenn man bedenkt, dass die letzten deutschen “Genrefilme”, die das Weltkino geprägt haben in der Weimarer Zeit gedreht wurden und dass Nachkriegskino vor allem durch den Realpolitik verseuchten “Neuen Deutschen Film” beherrscht wurde, dessen Vertreter und Liebhaber nun heute oft bestimmen, was realisiert wird.
Z.B. die Sendereihe “Das Kleine Fernsehspiel” im ZDF, deren Redaktion sich auf die Fahne geschrieben hat, Nachwuchsfilmautoren zu fördern, begünstigt fast ausschließlich Filme der Sorte “Berliner Schule”, die Oskar Roehler mal so beschrieben hat:
„Die sind immer spröde, immer streng. In den Filmen passiert eigentlich nichts. Sie sind langsam, trist und es wird nie etwas wirklich gesagt – das ist dann die ,Berliner Schule‘. Die kommen bei der Kritik immer gut weg und haben dann so 5.000 bis 10.000 Zuschauer“

Na ja, schließlich hat Haneke verdient Preise gewonnen, das kannst du nicht abstreiten.
“Das weiße Band” war, wie üblich bei Haneke, unglaublich subtil. Seine Filme bestechen erstmal durch Nichts. Sie sind vorerst einfallslos, aber mittendrin bekommt man das Gruseln und letztendlich nie eine Antwort und das macht seine Filme aus. Haneke ist ein Meister des Subtilen und der Fragwürdigkeit. Schau’ dir “Caché” oder “Benny’s Video” an, dann weißt du was ich meine.
Das Prinzip der Gültigkeit von Haneke ist, dass es keine gibt. Er marodiert in den Menschenmassen und nimmt sich Themen an, die selbst in seinen Filmen unausgesprochen bleiben. Es gibt selten eine Ordnung in diesen Filmen, aber was er nicht ausspricht ist faszinierend.
“Caché” is tz.B. so ein Film. Er beschreibt Hintergründigkeit, Sadismus und Traumatische Ereignisse, die wir Zuseher nicht fassen können, weil wir nicht begreifen, worum es geht. Am Ende natürlich schon, aber dann ist man so fertig und fragt sich: was schneidet der Mann sich die Kehle durch und warum glaubt man ihm die ganze Zeit, dass er die Videos nicht gedreht hat!

Warum sollte er nicht abstreiten können, dass Haneke die Preise verdient hat? Hat er keine eigene Meinung, oder wie? Tut mir leid, aber genau darum geht es in diesem Thread ja irgendwie. Kein Film ist unantastbar.

Zumal ich Hanekes Werke gar nicht kritisiert habe. :smt017
Ich habe davon gesprochen, dass viele sogenannte Arthousefilme so zurückhaltend-intensiv sein wollen wie Haneke oder Leigh, es aber nicht schaffen.

Was mich ärgert ist, dass Understatement in Sachen Dramatik und Spannung oft zum Maßstab für Bedeutsamkeit, besondere Tiefe oder gesellschaftliche Relevanz erklärt und bevorzugt wird, z.B. wenn es um Fördermittel oder so geht. Stichwort “Berliner Schule”:
http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Schule_(Film

Die Situation im Umgang mit “Kunstfilmen” erinnert mich ein bißchen an “Des Kaisers neue Kleider”. Diejenigen, die die Drehbücher oder Filme bewerten und/oder drehen sollen, fühlen sich natürlich um so sicherer, desto mehr Platz für Interpretationen “zwischen den Zeilen bzw. Szenen” da ist.
“Watt?! Du siehst das Kleid nicht?! Bist wohl dumm?!”