Ken Follett Reise ins Mittelalter

Moin,

gestern nach dem 2. Teil von Tore der Welt (Sat1) lief diese Sendung.

Hier übrigens die Seite dazu von der Produktionsfirma:
http://www.tandemcom.de/index.php?optio … 42&lang=de

Dort steht u.a.

Keine andere Zeit in der Geschichte regt unsere Fantasie mehr an als Das finstere Mittelalter. Es ist ein von Geheimnissen umhülltes Zeitalter… eine Zeit, in der Adelige und Priester sowie Baumeister und Mönche das Sagen hatten, wohingegen die einfachen und bäuerlichen Menschen ums Überleben kämpften. Pest, Hungersnot und Hexenverbrennungen waren Alltag. All diejenigen, die die Autorität der Kirche in Frage stellten, erfuhren die ultimative Strafe: den Tod. Trotz alledem leisteten ein paar wenige im Namen von Vernunft und Gerechtigkeit Widerstand; eine Handvoll bewundernswerter und charismatischer Männer und Frauen in einer dunklen Zeit.

Soweit, so gut. Aber was tatsächlich geboten wurde war wirklich grotesk.
Am besten mal selber ansehen, weil die Beschreibung die ich liefere, kann das Drama garnicht im Ganzen erfassen. Daher nur Stichpunktartig!

  • Alle (gefühlte) 3 Sätze wird irgendein aktueller Poptitel (!) aus den letzten 30 jahren gespielt, um die Dramarturgie zu unterstützen. Das war wirklich grotesk, wenn zB Madonna oder andere Pop-Acts plötzlich im Hintergrund erklingen, deren Musik garnichts mittelalterliches hat (zB “I’ve got the power”), sondern lediglich den gesprochenen Satz unterstützen soll. Das kam wirklich extrem amateurhaft rüber, weil besonders zum Ende hin wurde es immer plumper: Satz - Musik - Satz - Musik - Satz - Musik. Und wie gesagt, teilweise wirklich grotesk!

  • Es wurde versucht die Information zu transportieren, dass Frauen viel Macht gehabt hätten. Oder zumindest, dass sie nicht so wenig Macht gehabt hätten, wie es dargestellt wird. Das wiederum spiegelt Ken Folletts Neigung zu starken Frauen wider. Ja, natürlich gab es auch mal mächtige Frauen im Mittelalter, allerdings war das die absolute Ausnahme, und das ist historisch auch vielfach belegt. Die meisten Frauen hatten nichtmal Zugang zu rudimentärer Bildung, lesen und schreiben war nur sehr priviligierten Menschen vorbehalten, und mächtig waren auch davon nur die wenigsten! Das wurde zwar manchmal erwähnt, kam aber nur im Nebensatz vor.

  • Es wurden nie Quellen genannt! Wieder viel Konjunktiv, wenig Fakten. Es wurde erwähnt, dass die Geschichte von Jeanne D’Arc evtl etwas aufgepimpt wurde - immerhin.

Ansonsten hier nochmal eine kurze Rezension:
http://www.welt.de/kultur/medien/articl … rauen.html

Evtl. ists ja einen (kurzen) Beitrag wert, gerade jetzt wo es ja schonmal einen Beitrag zu Geschichtsverzerrung auf [-]HitlerTV[/-] N24 kam…

  • Es wurde versucht die Information zu transportieren, dass Frauen viel Macht gehabt hätten. Oder zumindest, dass sie nicht so wenig Macht gehabt hätten, wie es dargestellt wird. Das wiederum spiegelt Ken Folletts Neigung zu starken Frauen wider. Ja, natürlich gab es auch mal mächtige Frauen im Mittelalter, allerdings war das die absolute Ausnahme, und das ist historisch auch vielfach belegt. Die meisten Frauen hatten nichtmal Zugang zu rudimentärer Bildung, lesen und schreiben war nur sehr priviligierten Menschen vorbehalten, und mächtig waren auch davon nur die wenigsten! Das wurde zwar manchmal erwähnt, kam aber nur im Nebensatz vor.

Die Dokumentation war sehr schlecht, die Musik hat genervt und die Darstellung von Hildegard von Bingen als knallhart durchplanende Machthungrige war zumindest befremdlich. Und dieses doofe Grimassenschneiden war völlig fern einer realen Darstellung einer Persönlichkeit.

Aber: Zumindest im Früh- und Hochmittelalter war der Bildungsstand der Frauen erstmal etwas besser als der von Männern. Bei den Adeligen brachte man den Mädchen/Frauen das Lesen bei, die Männer waren für das Kriegshandwerk vorgesehen, eine Schreib- und Lesetätigkeit wurde als unpassend empfunden - bzw. als eine Sache für Mönche. In den Klöstern dürfte die Alphabetisierungsrate bei Männern und Frauen in etwa gleich gewesen sein. (Vielleicht dort dann etwas mehr Männer.)

Allgemein war natürlich die Alphabetisierung der normalen Bevölkerung sehr gering - ob man da dann einen großen Unterschied noch zwischen Männer und Frauen machen kann, weiß ich nicht.

Und: Mächtige Menschen waren auch allgemein im Mittelalter eher eine Ausnahme. Im späten Frühmittelalter und zu Beginn des Hochmittelalters gibt es aber eine Zeit, in der einige Frauen über indirekte Wege sehr mächtig wurden. Bei den Königen/Kaisern lassen sich zahlreiche Erwähnungen in den Urkunden von Interventionen und Bitten von Frauen finden, die zum Ausdruck bringen, dass diese einen Einfluss hatten und ihre eigene Politik und Absicherung verfolgten. Und Theophanu und Adelheid haben immerhin einige Jahre stellvertretend für ihren minderjährigen Sohn/Enkel das römisch-deutsche Reich regiert.

Siehe z.B. für einen kurzen Überblick: http://www.zeit.de/2011/45/Aebtissin-Mathilde/

Ich habe in diesem Punkt die Doku so verstanden: Es gab auch für Frauen im Mittelalter Wege, an Einfluss und Macht zu gelanden. Und das stimmt schon soweit, auch wenn es natürlich Ausnahmen waren. (Und doch: Wohl jede adelige Frau war mächtiger als ein Bauer.)

Das Mittelalter ist ein großer Zeitraum und es ist viel passiert und die Gesellschaft hat sich immer mal wieder gewandelt. Und dann gibt noch die regionalen Unterschiede, wenn man Europa betrachtet. (In Spanien gab es zahlreiche Herrscherinnen und die Herrschaft über Jerusalem würde matriarchalisch vererbt, wenn ich mich richtig erinnere.) Das Verbannen von Frauen auf ihre Kammer ist dann eher eine Sache des späten Hochmittelalters und des Spätmittelalters - und dann bald eine Sache der späteren bürgerlichen Gesellschaft.

Ein Blick in Lexika genügt, um festzustellen, dass Hexenverbrennungen gerade kein Phänomen des angeblich so finsteren Mittelalters waren, sondern erst wesentlich später (nämlich in der Frühen Neuzeit) aufkamen. Hoffentlich wird eines Tages mal dieses Klischee abgeschafft.

Und von wegen finsteres Mittelalter… dazu wären auch einige Dinge zu nennen, die ein ganz anderes Licht (hohoho) auf diese Zeit werfen. :smt018

Es ist natürlich auch nicht so ganz richtig, dass alle, die die Kirche “herausforderten” hingerichtet wurden. Die Auseinandersetzungen um die “richtige” Lehre der Kirche waren immer wieder sehr unterschiedlich und hatte sehr unterschiedlichen Konsequenzen. (Das waren auch manchmal einfach nur jahrzehntelange schriftliche Auseinandersetzungen um die richtige Deutung irgendwelcher Schriften.) Und dass die Kirche desöfteren mal Papst und Antipapst erlebten in der Zeit, dürfte wohl auch Allgemeinwissen sein. Und selbst die gescheiterten Antipäpste haben häufiger dies überlebt.

Außgerechnet Jeanne d’Arc und Hildegard von Bingen haben sie sich als “starke Frauen” ausgesucht… oha. Nunja. Ich vermute mal frei von der Leber weg, dass es zu irgendwelchen Charakteren aus dem Spielfilm passte?

Ich freu mich allerdings, dass es zu diesem Murks jetzt einen Thread gibt. Zwar hatte ich es nur auf einem Ohr mitbekommen, aber als sie “Girls just wanna have fun” spielten, dachte ich auch, jetzt wär was kaputt… Moderne Musik zum Mittelalterthema, schön und gut… aber sowas? Haben die einfach verwurstet was günstig zu haben war?

Ich will ja auch nichts sagen, aber ob ein Romanschriftsteller jetzt die Autorität in Sachen Historie ist… ich weiß ja nicht… :smt017

Er bedient leider die gängigen Klischees und es ist ja sein gutes Recht als Autor, um entsprechend Auflage zu machen. Aber einem Faktencheck halten seine Mittelalter-Romane nicht lange stand.
Solange man seine Romane und diese Doku als Unterhaltung vermarktet und nicht das Etikett “Wissensvermittlung” draufklebt, habe ich kein Problem damit.
Es ist eben ein schmaler Grat zwischen Authentizität und spannender Unterhaltung. Im Zweifelsfall entscheiden sich die (erfolgreich(st)en) Autoren für die Unterhaltung und blenden historische Unstimmigkeiten aus (oder dem Leser sind solche Unstimmigkeiten schlicht nicht bekannt).

… wenn die Symbolfrau des Mittelalters doch Imperia ist, gell?

Jeanne d’Arc und Hildegard von Bingen, why not? Der geschichtliche Hintergrund der Frauen, ihr Werdegang, das ist doch durchaus interessant. Doch irgendwie… hätte ich mir mal so richtig unbekannte aber einflussreiche, weibliche Personen gewünscht. Aber das wäre wohl zuviel Aufwand. Jeanne d’Arc hingegen kennt jeder, man kann schön eine Frau in eine Rüstung packen und ein bisschen Schwert schwingen lassen (ich halte das immer noch für realistischer als eine Fahnenträgerin) ist da weniger aufwändig. Doch das Drumherum, die Aufmachung und Musikuntermalung war halt wirklich… befremdlich. Insgesamt eine zu oberflächliche Doku, wie so oft, die technisch auch nicht so dolle ist.

Solange man seine Romane und diese Doku als Unterhaltung vermarktet und nicht das Etikett “Wissensvermittlung” draufklebt, habe ich kein Problem damit.

War nicht der Untertitel dieser Doku “Das Mittelalter - Wie es wirklich war”?

War nicht der Untertitel dieser Doku „Das Mittelalter - Wie es wirklich war“?

Siehe erster Post, erster Link:
Ergo NEIN, aber ich meine mich auch zu erinnern, dass das im Teaser gesagt wurde. Und da wären wir ja schon wieder bei einer manipulativen Aufmachung :slight_smile: