Sehr geehrter Herr Kreymeier,
I.
wenn ich jetzt Kritik übe - und das unter meinem Pseudonym (übrigens in Übereinstimmung mit meinem guten Recht gem. § 13 VI TMG) - , darf ich das überhaupt hier in Ihrem Forum? Oder ist diese Kritik deshalb jetzt weniger wert, weil ich nicht mit offenem Visir streite? Oder wird meine Kritik nun in der Schublade “geistig Verirrte Schlappschwänze, die sich hinter Pseudonymen verbergen,” abgelegt? Damit bin ich schon mittendrin in der Kommentierung ihrer Rubrik “kurz kommentiert” in Epsiode 90.
So sehr ich die insbesondere qualitativen Vorteile der nicht-pseudonymen (Anonymität gibt es im Internet nicht…) Meinungsäußerungen sehe (und auf Angeboten wie etwa heise.de oder FAZ.net auch selbst entsprechend nutze), so sehr wage ich nicht die generalisierende Behauptung, dass die Verwendung von Pseudonymen grundsätzlich falsch ist (richtig wäre an dieser Stelle: Wenn FAZ.net und heise.de die pseudonyme Meinungsäußerung zulassen würde, würde ich dort ebenfalls eher unter Pseudonym denn unter Klarnamen schreiben). Mit der gleichen Polemik nun, wie sie es gemacht haben, halte ich aber entgegen: Ohne “pseudonyme” Nutzung des Internets würden nicht wenige Menschen insbesondere in Problemgebieten dieses Landes und dieser Welt durch Lynchmobs und staatliche Repressionen massiv angegangen werden. Gerade Ihr Beispiel auch zu der Verfolgung des zunächst mutmaßlichen Täters im “Todesfall Emden” zeigt schulbuchhaft und exemplarisch, wozu “geistig minderbemittelte” “Opfer” ihrer eigenen Umstände in bzw. aus unserer anerkannten gesellschaftlichen Mitte in der Lage sind - nämlich die Zusammenrottung im Namen der vorurteilsbehafteten und simplifizierenden Gerechtigkeit, um im anonymisierenden Lynchmob gegen einzelne Personen vorzugehen. In diesem Kontext wäre die richtige Schlussfolgerung eben gewesen, gerade zum Schutz der eigenen Identität vor Lynchmobs und zweifelhaften Zeitgeistern moderne Medien wie das Internet pseudonym nutzen zu müssen.
Man denke auch nur an diejenigen, die unter Klarnamen ungewünschte (aber berechtigte oder zumindest begründete) Kritik äußern und sich Stunden oder Tage später einem Flash Mob wütender Bürger ausgesetzt sehen …
Gleichwohl pflichte ich Ihnen insoweit bei: Es gibt eine ganze Reihe echter Peniszwerge, Eierlose, Schwachmaten, sonstige Meinungskrüppel und geistlose Sonderlinge, die das Pseudonym auch auf zweifelhafte Weise missbrauchen. Das ist aber kein Problem der Pseudonyme, das ist ein Problem der Wertegemeinschaft insgesamt, die seit Jahrzehnten daran arbeitet, den “kritischen” und selbstbewussten Umgang mit zeitgenössischen Problemen zu verwässern. Gerade das Medium TV ist hier eine treibende Kraft. Insofern kann ich nur hoffen und beten, dass neben Ihnen und weiten Teilen Ihrer regelmäßigen Besucher und Fans “Ihre Botschaft” auch an die Öffentlichkeit dringt bzw. getragen wird.
Om Übrigen sei auch angemerkt, dass eben jene Peniszwerge, Eierlose, Schwachmaten, sonstige Meinungskrüppel und geistlose Sonderlinge wegen ihrer ungeahnten und nicht vorhandenen Fähigkeiten deshalb nicht “schlechtere” Menschen sind; auch nicht durch die Verwendung von Pseudonymen. Wer sich zu so einem Werturteil durchringt, der befindet sich mitten in der Problemstellung um das “unwerte Leben”, aus der man nur sehr schwer herauskommt. Die Lösung jedenfalls liegt dann nicht unter der Verhinderung von Pseudonymen, sondern in der gemeinsamen Stärkung einer/ unserer Wertegemeinschaft, die den diskussionsfreudigen und -willigen Gedankenaustausch auf Augenhöhe ermöglicht. Und so ein Gedankenaustausch betrachtet eine Debatte über Pseudonym oder Nicht-Pseudonym zwangsläufig als Makulatur, da dieses äußere Merkmal keine Aussage über die konkrete Qualität von Äußerungen ermöglicht.
II.
Neben diesem brisanten Thema sprachen Sie das in der Tat sehr zweifelhafte redaktionelle Stückwerk der ARD an, als es um Apps und Datenschutzprobleme ging. Ihre Kritik ist in einiger Hinsicht richtig: Es muss bedenklich stimmen, dass das Bild- und Tonmaterial aus Archiven für unterschiedliche Sendungsformate beliebig zusammengepuzzelt wird. Dadurch werden bezogen auf konkrete Einzelbeispiele (Shazam, Angry Birds) möglicherweise echte Falschdarstellungen getroffen.
Deshalb wunderten Sie sich auch zurecht, weshalb die Datenschutzprobleme bei Angry Birds oder Shazam nicht sorgfältiger herausgearbeitet wurden, sondern dass hier die Ergebnisse einer speziell redaktionell vorgesehenen Testsoftware einfach 1:1 auf Shazam und Angry Birds übertragen wurden. Stimmt - das hätten die Redaktionen der ARD deutlicher machen können und sogar müssen.
Gleichwohl ist das Ergebnis aus dem ARD-Beitrag letztendlich zumindest nicht falsch, wenn nicht zu sehr großen Teilen sogar absolut richtig. Ein Blick in die Nutzungsbedingungen der jeweiligen App-Anbieter (Apps = Software; Sie hätten sich also nicht selbst korrigieren müssen) zeigt das sehr, sehr deutlich. Auch Sie, Herr Kreymeier, hätten sich mit wenigen Klicks zu den Nutzungsbedingungen der Rovio Entertainment Ltd. (für Angry Birds) durchklicken können, um das zu erfahren. Das gleiche gilt für die Shazam Entertainment Ltd. Hier die entsprechenden Nutzungsbedingungen - gute Unterhaltung:
http://www.shazam.com/music/web/terms.html#12
http://www.rovio.com/Privacy
Insofern finde ich die zweifelhafte redaktionelle Arbeit der ARD angesichts der im Kern richtigen Bewertung der dargestellten Sachverhalte letztlich nicht für problematisch, weil im Ergebnis nichts Falsches dargestellt wurde. Die Softwarelösungen für Mobilfunkgeräte (und Tablets?) seitens der Shazam Entertainment Ltd. und Rovio Entertainment Ltd. erfassen personenbezogenen Daten im großen Umfang - und zwar weit über das hinaus, was die eigentlichen Softwarelösungen anbieten, um nämlich die Werbung für Vertragspartner zu optimieren; und dabei beschränken sich die Angaben nicht auf die reinen personenenbezogenen Daten der Nutzer, sondern auch auf die Daten, die diese “freiwillig” (will heißen: ohne Rücksicht auf andere) über andere mitteilen, indem sie z.B. die Spiele “weiterempfehlen” und an Freunde und Bekannte aus den Kontakten, aus der E-Mail-Korrespondenz oder oder oder.
Zudem, Herr Kreymeier, wissen weder Sie noch ich noch irgendwer, wie sehr die Aussagen der IT-Spezialisten in der originalen Reportage ebenfalls “zusammengestückelt” wurden; Sie, Herr Kreymeier, sind Journalist; Sie haben Erfahrungen mit Redaktionen und redaktioneller Arbeit; Sie selbst sind redaktionell tätig; daher werden Sie wissen, wie sehr Aussagen, Ton und Bild passend zusammengeschnitten werden (können). Deshalb kann ich Ihrer Kritik zu dieser App-Story auf ARD nur in den oben dargestellten Grenzen beipflichten. Ihre daran anknüpfenden Schlussfolgerungen teile ich nicht, da diese schlicht die notwendige Kritik an diesen App-Herstellern verwässert oder relativiert. Das ist schlichtweg nicht akzeptabel.
Naja, whatever.
Neben diesen kritischen Anmerkungen zu ihrer letzten Sendung komme ich dennoch nicht umhin zu sagen: Nichts ist perfekt, aber auch Episode 90 von fktv ist wieder sehr gelungen.
Tripple-A