Folge 83: Das 9-Euro-Ticket - Gast: Prof. Christian Böttger

Interessant fand ich am Gespräch vor allem die Position, dass wir nicht mehr Mobilität haben sollten. Der Gast hat das zwar nicht so klar formuliert, aber ich nehme aus dem Gespräch ebenfalls mit:

Es gibt ja auch gelegentlich Forderungen, die Pendlerpauschale abzuschaffen, weil sie die Kosten für die Fahrt zur Arbeit (teilweise) ausgleicht und Verkehr fördert. Von der Reihenfolge wäre es natürlich besser, wenn erst die Dezentralisierung von Arbeitsplätzen vorangebracht wird und anschließend vielleicht die Pendlerpauschale gesenkt oder abgeschafft wird. Dass mehr Firmen auf Homeoffice setzen, ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.


Ich habe den Gast nicht so verstanden, dass er bisherige Subventionen abschaffen möchte. Habe ich das überhört? Wie ihr schon schreibt, könnte man ohne Subventionen wohl keinen vernünftigen ÖPNV anbieten.


Ich habe ein Firmenticket, daher habe ich durch das 9-Euro-Ticket einiges gespart. Wirklich viel nutze ich den ÖPNV nicht, sodass sich das Firmenticket bei weitem nicht lohnt (man könnte sagen, es ist eine Spende an den ÖPNV-Betreiber). Besser als der Preis des 9-Euro-Tickets hat mir die bundesweite Gültigkeit gefallen. Ich hatte zwar nur eine längere Reise komplett mit Nahverkehr (ca. 300 km), die in einem Drittel ziemlich unangenehm war, aber im ersten Monat habe ich jedes Wochenende eine Fahrradtour außerhalb der Stadt gemacht (ca. 30 km von zuhause entfernt ausgestiegen) und musste dafür nur noch die Monatskarte für das Fahrrad bezahlen, die in dem Bereich relativ günstig war. Bis auf einmal war in der Bahn auch immer genug Platz.

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Das sagt er ab Minute 16:40. Er ist der Meinung, dass man nur die Attraktivität subventionieren sollte, um Menschen vom Auto zum ÖPNV zu bewegen, jedoch nicht den Preis.
Übersetzt heißt das, dass man Fördergelder für die Sanierung der Bahnhöfe, moderne Verkehrsmittel und den Streckenausbau bereitstellen sollte, der Betrieb muss sich aber selbst finanzieren.

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Also mein Gefühl ist gewesen, dass der gute Herr wirklich nach Haaren in der Suppe gesucht hat. So richtig Argumente, von denen ich gesagt habe das hat Hand und Fuß, waren jetzt nicht da.
Ein bisschen absurd ist es natürlich trotzdem, dass er sich mit der BahnCard 100, mit der er theoretisch und praktisch den ganzen Tag sämtliche Züge (IC und ICE auch) in Deutschland benutzen darf, sich darüber aufregt, dass Mobilität ökologisch und ökonomisch Mist wäre. Man sollte sich bei jeder Fahrt Gedanken machen, ob die Fahrt nötig wäre? Ja, genau wie bei jeder Autofahrt, oder wie? Wer fährt denn bitte schön aus Langeweile von A nach B?
Autofahren muss teurer werden? Gut, schade, dass der Satz so spät im Gespräch gekommen ist, um ihn noch weniger ernst zu nehmen. und hierbei spielt es keine Rolle, warum das Autofahren teuer ist. Wenn der Effekt der Verkehrswende nach seiner Ansicht nach nicht gegeben ist, dann ist es völlig egal ob die Leute jetzt 2,10 € für 1 l Benzin zahlen, oder irgendeine Stausteuer…

Als ich vor ein paar Wochen in Berlin gewesen bin (Hinfahrt wohl gemerkt mit dem ICE), konnte ich nicht feststellen, dass Busfahren in Berlin die Hölle ist. Im Gegenteil. Für jemanden wie mich, der auf dem Land wohnt, ist es der Himmel auf Erden. (Natürlich genauso wie in Hamburg, wo ich ebenfalls vor ein paar Wochen für ein paar Tage gewesen bin). Alle 5 Minuten fährt ein Bus, und natürlich gibt es KEINE vorrangige Ampelschaltung. Wie soll man das bitte auch bewerkstelligen bei einer Großstadt die pulsiert, mit viel Verkehr, vielen Baustellen etc. Das ist doch absurd.

Auf der anderen Seite stellt er die Überlegung an, dass Leute mit Hartz IV noch mehr finanziell entlastet werden müssen, was der öffentliche Personennahverkehr angeht. Habe ich das richtig verstanden? Da stellt sich mir wiederum die Frage, warum Menschen die Hartz IV beziehen „von morgens bis abends“ durch die Gegend fahren müssen? Das ist nicht abwertend gemeint, sondern wie ich finde eine berechtigte Frage.

Das Ticket wurde in der Freizeit genutzt? Ist nicht sein Ernst! In den Sommermonaten, wo in allen Bundesländern Ferien und warmes Wetter gewesen ist? Mal ehrlich: das ist doch wunderbar! So haben die Leute die im Moment, wahrlich genug mit Geldproblemen zu kämpfen haben dann trotzdem ihren Hintern bewegt, sind weg gefahren, und haben anderswo den Tourismus, die Gastronomie, den Handel und somit auch die Wirtschaft gestärkt, welche die letzten zwei Jahre durch die Corona Pandemie schon genug gebeutelt geworden ist.
Noch mal: worüber reden wir hier eigentlich?
Wir dürfen an dieser Stelle auch nicht vergessen, dass es sich um die Entlastung, der Bürger gehandelt hat, und nicht um irgendein lustiges Zirkusprojekt. Ich zahle im Monat für ein Busticket in meiner Stadt 83 €. natürlich war es eine große, finanzielle Entlastung für mich, aber für einen Professor, der mit der BahnCard 100 durch die Gegend juckelt, und sich über volle Züge aufregt (die es im Sommer schon immer gegeben hat), ist das natürlich kein Aspekt, Konto scheint ja voll genug zu sein. Das ist überhaupt nicht böse gemeint. Aber ich verstehe seine ganze Argumentation einfach nicht. Auch die Überlegung, die er anstellt, pro Person 1000 € im Jahr (welche ich übrigens ziemlich genau bezahle für mein Ticket, welches nur in meiner Stadt mit weniger 30.000 Einwohnern gilt,), würde doch eine Spaltung der Gesellschaft immens vorantreiben, wenn alle überzeugten und vehementen Autofahrer an der Tankstelle 2,10 € bezahlen für 1 l Benzin, und sie gleichzeitig noch 1000€ oder auch nur 500€ im Jahr für alle anderen die Bus und Bahn für sich nutzen können, sie selber aber keinen Vorteil dafür haben, blechen müssen. Da sind die Faust in der Tasche doch schon geballt.… Das ist komplett an der Realität vorbei.
Ich weiß nicht, was der gute Herr sonst so macht, aber bei dem Thema kann man ihn leider nicht ernst nehmen…
Und ich meine zu erkennen, dass Holger seiner ganzen Argumentation auch nicht zustimmen und folgen konnte, auch wenn er wie gewohnt professionell das Gespräch geführt hat☺️

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Ich hab früher mal in Moabit gearbeitet - 6 Bushaltestellen vom Hbf entfernt. Das Problem war, dass man nie wusste, wann der Bus kommt. Steht 3 Min an der Anzeige, waren es oft 15-20 Min, weil es durch die Staus einfach nicht berechenbar war. Deswegen hab ich irgendwann angefangen, mein Rad mitzunehmen. Damit war ich im Schnitt 15-20 Min schneller im Büro, als mit dem Bus.
Klar, wenn man Zeit hat, kann Busfahren auch Spaß machen - besonders wenn man sich die Stadt angucken möchte, aber zur Arbeit und zurück ist das Rad oft die schnellere Alternative.

Dasselbe gilt auch für meine Unizeit. War die selbe Buslinie nur von der anderen Seite aus, wo sie i.d.R. pünktlich startet. Durch die Tunnelsanierung der U2 in der Hardenbergstraße war man mit dem Rad trotzdem schneller, als mit dem Bus, auch wenn es in dem Bereich einschließlich Ernst-Reuter-Platz sogar Vorrangschaltungen gibt.

„Wir dürfen an dieser Stelle auch nicht vergessen, dass es sich um die Entlastung, der Bürger gehandelt hat, und nicht um irgendein lustiges Zirkusprojekt.“

Das 9€-Ticket hat vielleicht auf den ersten Blick entlastet; bezahlt werden muss es aber trotzdem. Hauptsächlich aus den Töpfen, die durch Steuermittel gefüllt werden. Insofern handelt es sich wieder einmal um einen Umverteilungsmechanismus Allgemeinheit->ÖPNV-Nutzer.
Und da bin ich dann (wie auch beim Thema „Rundfunkbeitrag“ ) auf Seiten der Kritiker. Ja, ganz ohne Förderung durch die öffentliche Hand geht es nicht, man muss es aber auch nicht übertreiben.

Letztlich fragt man sich, was das Ziel war? War es ökologischer Natur? Dann wurde das Ziel verfehlt.
War es ökonomischer Natur? Dann hängt es davon ab, wen man fragt. Im Endeffekt ist es Hose wie Jacke.

Ja logisch - man kann nicht alles alleine(!) über den Preis regeln.
Neben einem attraktiven Preis muss auch die Leistung im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln mithalten können.

Aber legen wir doch mal die Zahlen auf den Tisch:
Das 9 Euro-Ticket hat in 3 Monaten 2.500.000.000 Euro Steuermittel gekostet.
Aufs Jahr gerechnet wären das 10.000.000.000 Euro.
In Relation zu unserem Bundeshaushalt wären das 2 % des Gesamthaushaltes von ca. 500.000.000.000 €. :thinking:

Ich will mal so sagen - das wäre m. E. stemmbar, wenn man nur will.
Erst recht, wenn wir für zukünftig Preise von 30 bis 50 €/Monat veranschlagen würden.

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Dann habe ich mich missverständlich ausgedrückt.
Mein Punkt hinsichtlich der ökonomischen Seite war, daß es ohnehin vom Steuerzahler bezahlt wird.
Entweder also durch die Allgemeinheit, oder aber durch die „Nutzer“. Oder irgendwas dazwischen.
In meiner Moralvorstellung sollte man schon bevorzugt diejenigen zur Kasse bitten, die es nutzen.

Oder um den ganz großen Bogen zu spannen: Mir geht es seit einiger Zeit ziemlich auf die Nüsse, daß man das Geld, das man hauptsächlich den arbeitenden Menschen wegnimmt, benutzt um genau diese Menschen umzuerziehen, und den Rest nach dem Gießkannenprinzip verteilt.

Böse ausgedrückt: Der Taugenichts vertreibt sich die Zeit mit Bahnfahren, und der Arbeiter bezahlt den Spaß.

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Da bin ich grundsätzlich bei Dir.
Meine Basis war halt die Überlegung, was notwendig wäre, wenn der politische Wille da wäre, um die Menschen vom Auto auf die Bahn zu lenken.

Da gibt es zwei Wege:

  • Entweder das Autofahren so teuer zu machen, dass man gezwungen wäre den ÖR zu nutzen
  • Den ÖR so attraktiv gegenüber den Auto zu machen, dass man blöd wäre, den ÖR nicht zu nutzen (Ausbau hoch - Ticketpreise runter *)

Ich für meinen Teil würde das Zweite bevorzugen.

Beides sind natürlich künstliche Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf - aber das passiert ja so oder so schon - oder anders: Was meinst Du, was der ÖR in Köln nach der Versenkung des Stadtarchives an Ticketpreisen hätte nehmen müssen? :wink:


*) Gerade bei den Ticketpreisen ist ja die bundesweite Spanne sehr gestreckt.
So kann ich im Großraum Berlin für ca. 10 €/Tag komplett so rumfahren, wie ich will.
Im Großraum Köln/Bonn/Rhein-Sieg-Kreis würde ich locker das 4fache bezahlen. :man_shrugging:

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Ich verstehe deinen Ansatz, bin aber sehr skeptisch hinsichtlich der Machbarkeit.
Die Attraktivität ist im städtischen Umfeld ohne Frage gegeben und sicher hier und da noch steigerbar. Doch schon dort sehe ich Probleme. In meiner Stadt ist ein Ausbau der Straßenbahnschienen im Innenstadtbereich undenkbar; die Belastung der Strecken aber schon so hoch, daß man sich bei den kleinsten Störungen im Netz gegenseitig an den Nadelöhren im Weg steht.
Ausbau ist nur möglich und geplant für die äußeren Bereiche. Für den Busbereich sieht es etwas freundlicher aus, aber viel zu holen ist dort auch nicht.

Das große Problem ist der ländliche Raum. Dort, wo also größere Strecken zurückgelegt werden, das (im Gegensatz zur Stadt) auch wirklich nötig ist, aber sich der Ausbau des ÖPNV unter keinem Gesichtspunkt lohnt.
Um den ÖPNV für Dörfler attraktiv zu machen, müsste die Taktung viel engmaschiger sein, die Fahrten müssten für viel mehr Ziele ausgelegt sein. Das erfordert nicht nur mehr Fahrer, sondern eben auch viel mehr Fahrzeuge. Durch die doch sehr eingeschränkte Anzahl potenzieller Fahrgäste würden diese „mehr Fahrten auf mehr Fahrzeugen“ aber weitgehend leer durch die Gegend fahren.
Ein zusätzlicher Aspekt ist die Überalterung im Ländlichen. Da haben wir die verständliche Angst der Alten, mit einem Rollator in den Bus zu steigen und die Unmöglichkeit, einigermaßen sinnvoll seine Wege und z.B. die Einkäufe zu bewältigen.
Ich sehe nicht, wo man da noch einen großen Wurf landen könnte; Preis hin oder her.

"Da gibt es zwei Wege:

  • Entweder das Autofahren so teuer zu machen, dass man gezwungen wäre den ÖR zu nutzen
  • Den ÖR so attraktiv gegenüber den Auto zu machen, dass man blöd wäre, den ÖR nicht zu nutzen (Ausbau hoch - Ticketpreise runter"

Ganz genau. Hier hat man quasi Push- und Pull-Faktoren. Also die Faktoren, um die Leute auf Teufel komm raus vom Auto auf den ÖPNV ‚umzuerziehen‘ und vom Auto wegzudrängen, und die Aspekte, die es einem leicht machen, freiwillig gern Bus und Bahn zu nutzen. Und man sollte ganz klar die Pull-Faktoren ausbauen. Bus und Bahn attraktiver machen, sei es preislich, von der Taktung oder von den Verbindungen - von der Pünktlichkeit mal zu schweigen.
Denn solange ich für viele Strecken mit dem Auto besser dran bin als mit der Bahn, lohnt sich der Wechsel nicht. Wenn ich für einen Weg mit dem Auto 30 Min. benötige, mit Bus und Bahn jedoch über eine Stunde (Verspätung nicht eingerechnet), pusht bzw. pullt da bei mir gar nichts. Da ist in dem Fall das Auto attraktiver.

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Habe ich da tatsächlich „ÖR“ geschrieben? Öhm - ich meine natürlich „ÖPNV“.
Bin wohl zu sehr „Mediatheke-getrimmt“. :sweat_smile:

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Genau wie beim Tanktabatz und allen anderen Entlastungen, die so beschlossen wurden. Was wäre die Alternative? Gar keine Entlastungen für die Bürger beschließen? Letztendlich ist das keine Umverteilung, sondern eine versteckte Rückzahlung.

ÖPNV wird für Dörfler nie eine echte Alternative darstellen. Wird ja immer so getan als wäre der Arbeitsweg der einzige Knackpunkt. In der Stadt kann ich problemlos aufs Auto komplett verzichten, aber keiner transportiert seinen Wochenendeinkauf per Bus o.ä. Man kann auf dem Land keinen ÖPNV anbieten, der Kino-, Restaurant-, Discobesuche in der Stadt attraktiv macht.

Ansonsten, allgemein zum Thema, was soll bei jeder Diskussion ums 9€-Ticket das Argument mit dem verfehlten Klimaziel? Die Pendler sollten entlastet werden und das wurden sie auch, fertig.

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„Genau wie beim Tanktabatz und allen anderen Entlastungen, die so beschlossen wurden. Was wäre die Alternative? Gar keine Entlastungen für die Bürger beschließen? Letztendlich ist das keine Umverteilung, sondern eine versteckte Rückzahlung.“
Statt der Entlastungen hätte man schon beizeiten die Lohnnebenkosten senken müssen.
Das hätte dann auch endlich mal diejenigen entlastet, die den Spaß hauptsächlich finanzieren.
Vorher einigen die Kohle wegzusteuern wegzusteuern und sie hinterher allen als Wohltat anbieten ist Beschiss.

"ÖPNV wird für Dörfler nie eine echte Alternative darstellen. Wird ja immer so getan als wäre der Arbeitsweg der einzige Knackpunkt. "
Aus dem Grund habe ich den Arbeitsweg überhaupt nicht erwähnt.

"In der Stadt kann ich problemlos aufs Auto komplett verzichten, aber keiner transportiert seinen Wochenendeinkauf per Bus o.ä. "
Als ÖPNV-Fahrer habe ich schon ganze Umzüge gefahren.

„Man kann auf dem Land keinen ÖPNV anbieten, der Kino-, Restaurant-, Discobesuche in der Stadt attraktiv macht.“
Es geht nicht darum, es den Dorfbewohnern schmackhaft zu machen, zu ihren Vergnügungen in die Städte zu fahren, sondern ganz allgemein ihr mobiles Leben zu gestalten. Man kann auf dem Dorf überhaupt keinen ÖPNV attraktiv machen, der nicht die Eigenschaften des Individualverkehrs besitzt.

„Ansonsten, allgemein zum Thema, was soll bei jeder Diskussion ums 9€-Ticket das Argument mit dem verfehlten Klimaziel? Die Pendler sollten entlastet werden und das wurden sie auch, fertig.“
Weil genau das eines der Argumente der Befürworter für das 9€-Ticket war. Die Verbindung Ticket - Klima wurde schon relativ früh von den Medien etabliert.

usw usf