Du kannst nicht 1-2 Stunden am Tag etwas ansehen, ohne dass es irgendeinen Einfluß auf Dich hat - den Einfluß freilich bemerkst Du selbst oft gar nicht.
Das seh ich genau so! Wenn man das Zeug dauerhaft sieht, wird man zwar nicht notwendigerweise selber so wie die Protagonisten, aber die ethischen Maßstäbe, was man gesellschaftlich für „ok in der Öffentlichkeit“ hält - die verschieben sich langsam aber stetig !
Die ALM (Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten) sieht das zwar nicht unbedingt selbst so, sieht aber zumindest, dass viele Zuschauer (wenn nicht sogar die meisten) diesen Zusammenhang sehen. Im Beratungspapier für Programmgrenzen von 2009 heisst es u.a.
Einzelne Zuschauer oder auch Gruppen von Zuschauern fühlen sich durch die entsprechenden Angebote in ihren Gefühlen und Vorstellungen verletzt. Sie sehen darüber hinaus solche Verletzungen auch im Blick auf gesamtgesellschaftliche Werte. Sie verstehen das Fernsehen als einen Wertevernichter.
[…]
- Das Publikum fühlt sich solchen Tendenzen gegenüber hilflos und ohnmächtig.
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Kritisch ist auch zu bewerten, wenn gesellschaftliche Werte dem Interesse, ein möglichst großes Publikum zu unterhalten, geopfert werden. […] Aktuelle Beispiele für den Trend, mit den Grenzen der Rundfunkfreiheit zu spielen, finden sich zur Zeit vor allem in nicht-fiktionalen Formaten, in denen von Medienprofis gelenkte Medienlaien die Hauptdarsteller sind, ohne für ihre öffentlichen Auftritte über die nötigen Kompetenzen zu verfügen, ohne dass sie einschätzen und absehen können, worauf sie sich wirklich eingelassen haben und ohne dass sie über die Sprachkompetenz verfügen, entsprechende vor einer Kamera live geführte Auseinandersetzungen bestehen zu können
[…]
Speziell wenn es um die Frage der Menschenwürde geht, führt das Argument der Freiwilligkeit als Rechtfertigung für eine uneingeschränkte „Benutzung“ von Menschen in Programmen in die Irre. Es ist nicht dem Belieben des einzelnen Akteurs überlassen zu bestimmen, wann er sich in seiner Würde verletzt fühlt. Es ist keine individuelle Entscheidung allein, was jemand vom Kernbereich seines individuellen menschlichen Lebens dem Blick Dritter preisgeben oder sogar anbieten möchte. Menschenwürde ist nicht abschließend subjektiv und individuell zu bestimmen. Sie enthält einen interpersonalen Kern, auf den man nicht verzichten, den man nicht abdingen kann. Andernfalls könnte sie auch nicht der Ausgangspunkt der Verfassung sein (Art 1 GG), die für alle Bürger gilt.
[…]
Das Publikum interessiert sich weniger dafür, ob ein Programm legal, sondern ob es auch legitim ist.
[…]
Beachtung verdienen aber auch die nicht eklatanten Verletzungen der Rundfunkfreiheit. Für solche Fälle hat der Gesetzgeber vorgesorgt. Es sind die eher „kleinen“ Beispiele, die Fälle, die für eine rechtliche Würdigung zu klein, für ein Wegsehen aber zu groß sind, auf die geachtet werden muss. Sie [-]führen[/-] Tippfehler der ALM, es war wohl „können“ gemeint nicht nur zu öffentlichen Diskussionen über die Qualität und die „Zulässigkeit“ von TVProgrammen führen. Sie entscheiden zugleich über die Grenzen der Rundfunkfreiheit, weil sie diese Grenzen innerhalb der gegebenen Grenzen langsam und kaum sichtbar verschieben. Aus solchen eher kleinen Fällen entsteht das Material, kommen die Beispiele, die dann für die Behauptung eines Verlustes von Werten in Anspruch genommen werden.
Es war übrigens kein Papier, das sich an die Politik, sondern an die TV-Sender richtete. Und die ALM selbst halten sie sich völlig raus: ob ein Werteverlust auch wirklich stattfindet, darüber sagen sie (wie man am Schlusssatz sieht) nichts aus, sie erkennen nur, dass die Zuschauer diesen Werteverlust sehr wohl als solchen empfinden (und sich damit als durchaus medienkompetenter als die ALM erweisen :evil: ) .