Liebe® ToFe,
vielen Dank für deinen ausführlichen und sehr schönen Beitrag. Auch ich sehe das meiste genau so wie du.
Besonders gefällt mir dein erster Punkt mit der Krücken-Metapher. Den sollte man vor allem auch den Leuten einprägen, die bei solchen Diskussionen immer sagen: „Ich spreche ja sehr gut Englisch, gucke aber trotzdem lieber Synchronfassungen.“ Das kommt bei solchen Diskussionen wirklich jedesmal. Etwa so: „Ich spreche natürlich sehr gut Englisch, aber Synchronfassungen finde ich nicht so anstrengend.“ Der zweite Teil des Satzes widerspricht hier dem ersten: Wen gewisse Sprachfassungen anstrengen, der spricht eben nicht die Sprache sehr gut. – Diese Leute empfinden das offenbar als Kränkung und konstruieren sich dann als Person, die die Sprache ganz toll spricht, aber trotzdem lieber Synchronfassungen sieht. Das finde ich albern, weil es diese konstruierte Person (und ihre Argumente) in Wirklichkeit gar nicht gibt: Wer eine Sprache sehr gut spricht, wird immer das Original vorziehen. Das hast du sehr gut illustriert, danke dafür.
Nicht übereinstimme ich allerdings mit einem Argument, das du weiter unten zu vertreten scheinst, im Absatz mit der Frage, ob man Dostojewski im Original lesen soll. Da scheinst nun du dich gegen ein Argument zu richten, das ebenfalls keiner vertritt: Wer „pro Original“ ist, der sollte diese Haltung doch bei allen Sprachen vertreten, nicht nur bei Englisch, sagst du, und soweit ist das auch nachvollziehbar.
Aber dann schiebst du der Pro-Original-Fraktion in die Schuhe, sie würde aussagen, alle sollten alles immer nur im Original gucken. Das wäre in der Tat absurd anhand der sechstausend Sprachen, von denen jeder nur ein Bruchteil beherrscht. Dein Dostojewski-Argument macht das deutlich. Ich stimme dir auch hundertprozentig zu, dass normalerweise keiner allein durch Animegucken Japanisch lernt.
Das Argument, das von der „Pro-Original-Partei“ (oh: POP!) tatsächlich vertreten wird, bezieht sich jedoch auf diejenigen, die die betreffende Sprache zumindest schon in Grundzügen beherrschen. Und das beantwortet auch gleich deine Frage, warum es bei uns meist (aber übrigens keineswegs ausschließlich) um die englische Sprache geht: Das ist eben die Sprache, die alle Zuschauer tatsächlich in Grundzügen beherrschen. Und dafür hat Nils, so finde ich, am Ende ein ganz beiläufig platziertes und sehr schönes – ich nenne es mal – Nebenargument geliefert: Die Weltsprache Englisch können wir sehr gut gebrauchen (im Ausland, im Internet, um den ausländischen Kunden im Supermarkt zu bedienen, um als internationaler Politiker zu brillieren), und wir können ganz spielerisch unsere Kenntnisse verbessern, indem wir englischsprachige Filme im Original gucken – so wie die halbe Welt, die viel besser Englisch spricht als wir Deutschen.
Wir Deutschen verpassen durch unsere Synchronlust auch etwas: Die Erkenntnis – die uns natürlich vom Kopf her ganz klar ist, die wir aber nicht wirklich fühlen –, dass überall auf der Welt viele verschiedene Sprachen gesprochen werden. Deswegen bin ich im übrigen durchaus der Meinung, dass auch die anderen Sprachen entsprechend präsentiert werden müssten: Beim Filmegucken hilft da die Krücke Untertitel besser als Synchros (wer will sich schon den Eindruck vermitteln lassen, dass japanische Samurai oder Klingonen untereinander Deutsch reden?), beim Lesen eines Buchs erwischen wir hoffentlich eine Übersetzung, bei der der Übersetzer darauf geachtet hat, bestimmte Kenntnisse über die Fremdsprache zu vermitteln: indem er zum Beispiel auf typisch russische Begrifflichkeiten im Original verweist. Oder, um nochmal ein Beispiel aus dem Englischen zu bringen: Ein Sherlock-Holmes-Roman hat doch auch auf Deutsch gleich viel mehr Atmosphäre, wenn der Meisterdetektiv statt mit einem Schutzmann mit dem Constable spricht, oder?
Ich glaube, in der ganzen Diskussion, ob man lieber Original oder Synchro gucken sollte (eine Diskussion, die sich ja auf jedem DVD-Abend mit Freunden ergibt, sobald Vertreter beider Fraktionen anwesend sind), sollte es um eine graduelle Einstufung gehen: Jeder Deutsche spricht Englisch in einer Qualität von, sagen wir, 1 bis 10. Die mit 10 sprechen sehr gut Englisch und gucken sowieso lieber Original. Die mit 1 sprechen es so schlecht, dass sie es sich nicht zutrauen. Nun ist die Frage: Ab welchem Grad ist es empfehlenswert, das Original zu sehen? Nils und ich glauben, dass man sich das schon mit einem sehr niedrigen Grad zutrauen sollte, und zwar auch wegen des Lerneffekts: Ihr dürft natürlich zu Hause machen, was ihr wollt. Aber wir empfehlen: Traut euch mal ans Original ran, und ihr werdet immer besser und kommt in Zukunft besser in der Welt zurecht.
Die Bequemlichkeitsfraktion ist der Meinung, wer nicht hundertprozentig alles versteht, sollte auf die Synchro setzen. Dagegen ist natürlich überhaupt nichts zu sagen. Auch ich bin manchmal lieber bequem als wissbegierig. Aber vielleicht gibt es ja auch Leute, die besonders gerne wissbegierig sind. Massengeschmack-Zuschauern sollte diese Eigenschaft eigentlich besonders liegen, oder? Und wer weiß, vielleicht kommt man ja auf den Geschmack, und macht sich gleich danach an Dostojewskis Gesamtwerk auf Russisch.
Liebe Grüße
Olaf