Folge 201: Auf geht's in den Krieg

Hier kann darüber diskutiert werden!

Hallo Holger,

Vielen Dank für diesen sehr guten Beitrag. Ich hatte auch die letzten Wochen den Eindruck (ich habe ein paar deiner Ausschnitte live gesehen), dass wir aus Krieg eingeschworen werden sollen. Ich bin ein Kind der 80ziger, da hätte es heftige Diskussionen gegeben, wenn man einfach den Wehretat so aufstocken will, oder Panzer an die russische Grenze rollen.
Das “Kurz erklärt” ist wirklich gruslig gewesen. Es verschweigt völlig, dass die Nato sich gegen Absprachen immer mehr richtig Russland ausgeweitet hat. Und dann die Animationen mit den Bomben, das ist völlig unverantwortlicher Journalismus.
Vielleicht magst du diesen Teil bei youtube einstellen, ich finde, dass deine kritischen Anmerkungen einen größeren Kreis an Interessierten erreiche sollte. Es gibt ja nur noch drei kritische Sendungen: Manchmal heute Show, dann die Anstalt und Fernsehkritik.Tv. Das ist wirklich mager für ein ganzes Land.

Aus Beitrag: [I]„Wann und wo hat denn bitte schön Russland Estland, Lettland und Litauen militärisch bedroht?"[/I]

Wenn russische Militärflugzeuge immer wieder an der baltischen Grenze riskante „Trainingsflüge“ absolvieren, teilweise sogar in den estnischen Lauftraum vordringen, würde ich das schon als Drohung bezeichnen. Außerdem ist ein russischer Angriff auf das Baltikum nun wirklich nicht aus der Luft gegriffen, wenn man sich mal die russische Expansionspolitik ansieht und die Gemeinsamkeiten zur Krim. (1) Estland, Lettland und Litauen waren nach dem Zweiten Weltkrieg von Russland annektiert worden und (2) zumindest in Estland und Lettland leben große russischsprachige Minderheiten.

Ich halte genauso wenig wie du etwas von den Drohgebärden der Nato. Aber ich habe begründete Zweifel, dass Russland einen Deut besser ist.

[QUOTE=Wirklichkeitsillusion;485278] Ich halte genauso wenig wie du etwas von den Drohgebärden der Nato.[/QUOTE]

Ich kann mich nicht entsinnen, dass ein NATO-Mitglied jemals fremdes Territorium annektiert hat.

Warum die Kuh kaufen, wenn man den Milchpreis vorschreiben kann.

[QUOTE=Greggy;485309]Ich kann mich nicht entsinnen, dass ein NATO-Mitglied jemals fremdes Territorium annektiert hat.[/QUOTE]
Vielleicht nicht selbst offiziell annektiert, aber den Staat Kosovo, ein failed state btw., hat die NATO herbeigebombt.

Ich fand diesen Artikel unterirdisch und äußerst populistisch bis hin zu verschwörungstheoretisch. Hier schwang nicht nur eine Kritik der Berichterstattung mit (die man durchaus anbringen kann und sollte), sondern auch eine Verharmlosung der russischen Expansionspolitik bei gleichzeitigem USA/NATO Bashing.
Begründung:
Auf die Frage woher jetzt plötzlich diese 2%-Marke kommt:
Dies wurde so von den NATO-Staaten vor bereits 2 Jahren gemeinsam beschlossen.

So hatten sich die 28 Staats- und Regierungschefs der Allianz im September 2014 auf ihrem Gipfeltreffen in Wales darauf verständigt, den in vielen Ländern zu beobachtenden Trend fallender Ausgaben für Verteidigungszwecke umzukehren sowie langfristig – innerhalb eines Jahrzehnts – zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts dafür aufzuwenden.

Die USA drängt nun verständlicherweise auf diese Absprachen, da 70% des NATO-Etat von den USA kommen.
Man kann selbstverständlich darüber diskutieren, ob nun generelle Aufrüstung gut oder schlecht sei, aber Absprachen sind Absprachen.
Dann viel mir bei dem Beitrag auf, dass oftmals NATO-Einsätze mit Nationalarmeeeinsätze gleichsetzt werden.
Als Besipiel für einen NATO-Einsatz wird der Konflikt im Jemen genannt. An diesem beteiligen sich NATO-Staaten (USA,GB und FR), aber es ist noch lange keine NATO-Operation.
Weiter viel mir die scheinbare Verharmlosung von Russlands Militärinterventionen in der Ukraine und der Krim auf. Es ist von vielen NGOs bereits belegt, dass Russland stark destabilisierend in die Ukraine wirkt. Das geht nicht nur bis zur Ausstattung von Seperatisten, sondern auch um direkte russische Soldaten auf ukrainischem Boden. Und ob man es jetzt nun wahr haben will oder nicht… Das Referendum auf der Krim wurde mit russischer Militärintervention unterstützt, genau so wie es noch in der Ostukraine geschieht.
Informationskrieg seitens Russland: Es ist nicht nur eine VT, dass Russland Propaganda und sog. Cyberattacken in den westlichen Ländern durchführt. Ein gelaektes Strategiepapier seitens Russland gibt es sogar, welches genau darauf abzielt. Ein ausführlicher Bericht dazu mit Belegen findet man hier:

Wie ich am Anfang schon sagte: Mir geht es gar nicht um die Kritik an der Berichterstattung von ARD/ZDF, die teilweise tendenziös und einseitig berichtet, aber dieser Beitrag hier richtet sich nicht nur an diese Kritik, sondern betreibt massiv russische Propaganda und Fehlinformationen. Hier würde ich sogar fast von Fake News reden wollen.

Hi,

Ich fand den Beitrag auch eher enttäuschend. Zwar thematisiert er die teilweise sehr einseitige Berichterstattung der Öffentlichen (naja die Privaten sind da auch nicht so viel besser), überdreht dann aber doch in so fern das Russland selbst völlig unkritisch als “der nette Nachbar” darstestellt wird. (Für meinen Geschmack)
Da macht sich Holger die Welt imo dann ein wenig zu simple. Zumal er sich auch noch Inhaltlich auf dünnes Eis begibt (zB 2%, Russland würde ja im Traum kein Land annektieren).
Weniger wäre hier mehr gewesen.

Atti

Es wundert mich ein wenig, dass es hier nicht wesentlich mehr Kommentare gibt. Also will ich dem mal abhelfen.

So hatten sich die 28 Staats- und Regierungschefs der Allianz im September 2014 auf ihrem Gipfeltreffen in Wales darauf verständigt, den in vielen Ländern zu beobachtenden Trend fallender Ausgaben für Verteidigungszwecke umzukehren sowie langfristig – innerhalb eines Jahrzehnts – zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts dafür aufzuwenden.

Ist das ein fester Vertrag oder nur ein unverbindliches Übereinkommen? Staaten können alles aufkündigen, sie stehen in einem anarchistischen Verhältnis zueinander. Sie können auch subtil vorgehen und alles so lange vor sich her schieben, bis sie sagen können, das Abkommen sei nicht erfüllbar.

Holger kritisiert hier nicht direkt die Bundesregierung, sondern die Kritiklosigkeit der ÖR-Medien. Es ist nicht die Aufgabe eines ARD-Kommentators, die Politik in Schutz zu nehmen. Er muss die kritischen Fragen stellen, die eine Regierung aus diplomatischen oder parteipolitischen Gründen nicht öffentlich hinausposaunen darf ( bzw. will ).

Ein kritischer Nachrichtensprecher hätte sehr wohl die Frage gestellt, warum die Bundesregierung dem Drängen der Amerikaner überhaupt nachgegeben hat. Mal ganz ehrlich: Wo liegt da die zwingende Notwendigkeit? Hat uns der böse Iwan schon mal mit Invasion gedroht? Oder die Schweiz? Oder Finnland? Vielleicht Monaco? Nicht? Was soll das dann alles? Sollen wir selbst als Aggressoren im Namen der Demokratie auftreten? So wie die USA? Mal überlegen: Wie hoch war noch mal die Erfolgsquote?

Wie lange geht das eigentlich schon so? Wie lange werden wir von den Öffies schon mit der Vorstellung vertraut gemacht, in Zukunft eine militärische Interventionsmacht zu sein? War das eine schleichende Entwicklung, dass sich da kein Widerstand mehr regt? Und wie weit ist diese Entwicklung fortgeschritten, wenn sogar Joachim Gauck als Bundespräsident Werbung für diese Art Politik machen konnte, ohne mit faulen Eiern beworfen zu werden?

Ich verstehe ja, dass eine Bundeswehr, die keine funktionstüchtige Bewaffnung hat, auch gleich abgeschafft werden könnte. Aber es geht ja nicht um neue Waffen, sondern mehr Waffen.
Was die ÖRs uns liefern könnten, wäre eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Intervention. Was für Fälle gibt es, in denen sie eindeutig gut für die Menschen in dem betreffenden Gebiet war? Wurden vielleicht Völkermorde wie der in Ruanda 1994 verhindert? Wurden Kämpfe andernorts eher angeheizt?
Was mir fehlt, ist ein journalistischer Beitrag, der zu dem Thema eine ehrliche Rechnung aufmacht - und auf dem die Berichterstattung dann aufbauen kann.

Ist auch immer falsch, was die ÖR machen. Mal sind sie linksgrün versifft, mal betreiben sie gleich Kriegspropaganda. Hauptsache man kann mit harten Worten mal wieder den ÖR bashen. Der Beitrag war - in seiner Extremität - wenig überzeugend, dass Staaten im Baltikum sich tatsächlich von Russland massiv bedroht fühlen und die NATO einfordern, wurde ignoriert, russische Expansionspolitik wie in der Ukraine wurde auch ignoriert - und da ist das Kindergartenspiel “Er hat angefangen …” auch erstmal ziemlich egal. Es muss auch nicht die Aufgabe des ÖR sein, einen gesellschaftlichen Diskurs über einen NATO-Austritt - was ja letztlich die eigentliche Konsequenz sein müsste - anzustoßen.

Zitat Baru:

…dass Staaten im Baltikum sich tatsächlich von Russland massiv bedroht fühlen und die NATO einfordern…

Die Frage ist natürlich auch, ob es wirklich eine gute rationale Grundlage für dieses Gefühl der Bedrohung gibt, und wo diese Affinität zur NATO herkommt.

Man kann solche Konflikte nur dann verstehen, wenn man sich bewusst ist, dass Interessen, Beeinflussung und Propaganda auf allen Seiten zur Genüge vorhanden sind.
Über russische Interessen und Einflussnahme wird gewöhnlich ausführlich berichtet. Das ist an sich auch gut (so lange die Berichterstattung sauber ist und nicht auf Spekulationen beruht, wie sich dies in letzter Zeit allerdings leider gehäuft hat).

Umgekehrt wäre es aber natürlich auch wichtig, auch die westlichen Interessen und Einfluss-Versuche kritisch zu beleuchten. Das passiert in den westlichen Medien aber sehr selten. Eine Ausnahme ist ein Interview mit der früheren ZEIT-und Weltwoche-Korrespondentin Prof. Mária Huber hinweisen, das sich zwar primär auf die Ukraine, aber in einem gewissen Sinne auch auf Osteuropa im Allgemeinen bezieht:

[QUOTE=Enio;485427]Die Frage ist natürlich auch, ob es wirklich eine gute rationale Grundlage für dieses Gefühl der Bedrohung gibt, und wo diese Affinität zur NATO herkommt. [/QUOTE]

Die Erfahrung von Annexion und 50 Jahre sowjetischer Diktatur dürften als rationale Begründung ausreichend sein.

[QUOTE=Megabjörnie;485409]Ist das ein fester Vertrag oder nur ein unverbindliches Übereinkommen? Staaten können alles aufkündigen, sie stehen in einem anarchistischen Verhältnis zueinander. Sie können auch subtil vorgehen und alles so lange vor sich her schieben, bis sie sagen können, das Abkommen sei nicht erfüllbar. [/QUOTE]

Das wollte Holger ja nicht fragen. Er wollte ja nur wissen woher diese ominöse 2% Marke kommt. Das war die Antwort.

Na ja, die Sowjetunion hat die baltischen Staaten aber erstens entlassen und sich zweitens selbst aufgelöst. Und Russland hat es zugelassen, dass die NATO ihm bis an die Grenze gerückt ist, was auch nicht gerade ein Anzeichen von wilder Aggression ist.

Und mit einer analogen Begründung könnten wahrscheinlich viele Länder begründete Angst vor Interventionen haben. Wie beispielsweise die USA jahrzehntelang in Südamerika oder in anderen Teilen der Welt agiert haben, dürfte allgemein bekannt sein (auch wenn die westliche Presse das eher ungerne auswalzt). Klar kann man sagen, dass die entsprechenden Länder nicht direkt den USA einverleibt wurden. Die Frage ist nur: Ist das unbedingt besser? Wahrscheinlich nicht in jedem Fall, oder? Um nur mal ein Beispiel zu nennen:

Die Operation PBSUCCESS (auch Operation SUCCESS) war eine 1954 vom US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA durchgeführte Geheimdienstoperation mit dem Ziel, den demokratisch gewählten Präsidenten von Guatemala, Jacobo Árbenz Guzmán, zu stürzen. Es war die erste große verdeckte Operation der 1949 gegründeten CIA in Zentralamerika und wurde wegen ihres zunächst innerhalb der US-Regierung so gesehenen „Erfolgs“ zum Vorbild für weitere derartige Aktivitäten in Lateinamerika und in vielen Ländern weltweit.

Die Aktion ging unter anderem auf das Drängen des US-Lebensmittelkonzerns United Fruit Company (heute Chiquita Brands International) zurück, der ausgedehnten Grundbesitz in Guatemala besaß und durch die von Arbenz geplante Landreform seine Interessen gefährdet sah. Der damalige CIA-Direktor Allen Welsh Dulles war nebenbei als Rechtsanwalt und Lobbyist für das Unternehmen tätig.

Der so herbeigeführte Staatsstreich verursachte erhebliche politische Instabilität in dem sich damals gerade in einer Stabilisierungsphase befindlichen bzw. friedlichen Land und markierte den Beginn von vier Jahrzehnten repressiver Gewaltherrschaft verschiedener, sich gegenseitig ablösender Militärdiktaturen, die fast durchweg von den USA politisch, militärisch und geheimdienstlich unterstützt wurden.[1] Während dieses so bezeichneten „Bürgerkriegs“ in Guatemala wurden bis zu seinem Ende 1996 mindestens 140.000 Guatemalteken durch das Militär und staatlich gesteuerte, inoffizielle paramilitärische Todesschwadronen ermordet. Eine große Zahl wurde dabei zum Opfer der Praxis des so genannten Verschwindenlassens, sie werden auch als Desaparecidos bezeichnet.[2] Verschiedene Menschenrechtsorganisationen schätzen die Opferzahl noch höher, auf über 250.000.

Auch danach ging es, wie die Wikipedia sagt, in diesem Stil lange weiter. Und angefangen hatte es schon lange vor dem zweiten Weltkrieg. Einer der angesehensten Generäle der US-Geschichte, Smedley Butler, schrieb dazu:

I spent 33 years and four months in active military service and during that period I spent most of my time as a high class muscle man for Big Business, for Wall Street and the bankers. In short, I was a racketeer, a gangster for capitalism. I helped make Mexico and especially Tampico safe for American oil interests in 1914. I helped make Haiti and Cuba a decent place for the National City Bank boys to collect revenues in. I helped in the raping of half a dozen Central American republics for the benefit of Wall Street. I helped purify Nicaragua for the International Banking House of Brown Brothers in 1902-1912. I brought light to the Dominican Republic for the American sugar interests in 1916. I helped make Honduras right for the American fruit companies in 1903. In China in 1927 I helped see to it that Standard Oil went on its way unmolested. Looking back on it, I might have given Al Capone a few hints. The best he could do was to operate his racket in three districts. I operated on three continents.

Was wäre jetzt, wenn sich jetzt viele südamerikanische Staaten (einschließlich Kuba) zu einem mächtigen Verteidigungsbündnis unter der Ägide Russlands oder Chinas zusammenschließen würden? Vielleicht auch noch mit antiballistischen Raketen, die jederzeit selbst atomar bestückt werden könnten? Und was würden die USA dazu sagen? Wir wissen es natürlich nicht definitiv, aber wenn wir an die Kuba-Krise denken, wo die Souveränität Kubas nichts galt, oder daran, dass die USA bereit waren, ihre „Sicherheitsinteressen“ selbst im Irak (und vielen anderen Ländern) zu „verteidigen“, kann man wohl davon ausgehen, dass die Reaktion nicht gerade reine Begeisterung wäre.

Ich kann mich nicht entsinnen, dass ein NATO-Mitglied jemals fremdes Territorium annektiert hat.

Diese Bemerkung (aus einem anderen Zusammenhang) zielt offenbar auf die Krim. Dass es sich da um eine „Annexion“ handelt, hat der Jurist Prof. Reinhard Merkel in der FAZ ausführlich erörtert und eingehend bestritten. Nach Merkel ist das, was Russland getan hat, zwar nicht alles völkerrechtskonform, wiegt aber weit weniger schwer als etwa ein Angriffskrieg.

Persönlich finde ich diese Argumentation recht überzeugend, unter dem Vorbehalt, dass ich selbst kein Völkerrechtler bin.
Zumindest vom gesunden Menschenverstand aus betrachtet dürfte Merkels Einschätzung aber in jedem Fall einleuchten: Die meisten Völker dürften es vermutlich vorziehen, dass es ihnen ermöglicht wird, über sich selbst zu bestimmen, als dass sie beispielsweise einen verheerenden Krieg gegen sich zu ertragen haben. (Wie Merkel betont, kann trotz Unregelmäßigkeiten beim Referendum wohl kaum bezweifelt werden, dass das Ergebnis dem Willen der Menschen auf der Krim entsprach.)

Wenn Merkel recht hat und ein Aggressionskrieg weit schwerer wiegt als die Aufnahme der Krim in den russischen Staatsverband, dann gelangen wir zu interessanten Schlussfolgerungen, wenn wir beispielsweise an den Irak-Krieg denken. Dass die Massenvernichtungswaffen ein Vorwand waren, dürfte heute wohl allgemein anerkannt sein. (Schon der frühere Waffeninspektuer Scott Ritter hatte vor dem Krieg berichtet, dass es keine Massenvernichtungswaffen mehr gab und der Irak auch gut mit den Inspekteuren kooperiert hatte, auch wenn das in den westlichen Medien kaum berichtet wurde.) Es ging offenbar um Öl, was selbst Alan Greenspan so sieht, und darum, eine gefällige Regierung einzusetzen. Also ein typischer (neo)kolonialer Krieg. Die Anzahl toter Zivilisten wird auf über eine Million beziffert.

Wenn man das alles zusammennimmt, kann man eigentlich nur zu einem Schluss kommen: Man müsste erste einmal ein ganzes Meer von Sanktionen über die USA ausschütten, bevor man über Sanktionen gegen Russland wegen der Krim auch nur nachdenken könnte. Und Sanktionen gegen sich selbst sollte Deutschland auch gleich selbst ergreifen, denn es hat den Irak-Krieg durch das Gewähren von Überflug-Rechten ja auch unterstützt. (Manche sagen, dass es das rechtlich auch nicht anders gekonnte habe, aufgrund von Sonderrechten der ehemaligen Besatzungsmächte; wenn das aber so ist und Deutschland nicht einmal seinen eigenen Luftraum kontrollieren darf, dann soll es aber ganz offiziell bitte erklären, dass es kein souveräner Staat ist.)

Und bevor das falsch verstanden wird: Nein, ich will Russland nicht „reinwachen“. Ich glaube, dass man vieles an Russland kritisieren kann, teils auch scharf. Ich glaube aber auch, dass wir im Westen die Dinge gerne aus einer ziemlich einseitigen und selbstgerechten Perspektive betrachten, nach der wir zwar vielleicht mal kleine Fehler machen, im Grunde aber eigentlich die „Guten“ sind, während die Gegner des Westens immer die Rolle des Bösen gepachtet haben.

Der MedienwissenschaftlerUwe Krüger weist in einer empfehlenswerten Analyse auf diese Doppelmoral hin, nachdem er die Voreingenommenheit vieler Medien analyisert hat:
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2016/august/immer-einer-meinung%20%20

Das ist genau das “der hat aber angefangen”-Kindergartendenken, was ich zuvor genannt habe. Ist historisch interessant, hilft aber nicht beim Umgang mit Russland weiter. Das Baltikum ist freiwillig in der NATO, wir sind freiwillig in der NATO. Und egal was die NATO macht, Russland vertritt auch immer wieder aggressive Politik. Bevor es eine vereinigte EU-Armee gibt, brauchen wir auch gar nicht größer über einen NATO-Austritt nachdenken.

@ Baru:

Das ist genau das „der hat aber angefangen“-Kindergartendenken, was ich zuvor genannt habe.

Das sehe ich anders. Es geht darum, die Schwarz-Weiß-Malerei zu hinterfragen, wo die anderen immer die Bösen und wir immer die Guten sind. Das ist etwas anderes als Aufrechnen.

Ist historisch interessant, hilft aber nicht beim Umgang mit Russland weiter.

Eben doch. Wenn man beispielsweise in Rechnung stellt, dass womöglich auch die Politik des Westens wesentlich zum Konflikt beigetragen hat, könnte das auch die eigene Perspektive und damit das eigene Verhalten verändern.

Das Baltikum ist freiwillig in der NATO, wir sind freiwillig in der NATO.

Es gibt aber kein Recht, der NATO beizutreten - so wenig wie es eines gibt, der EU beizutreten.Und es gab ja auch Pläne für eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands, die aber nicht weiter verfolgt wurden. Und mit dem "freiwillig"ist das so eine Sache. Man erinnere sich, was Mária Huber dazu gesagt hatte, in diesem Fall zur Ukraine (mein erster Beitrag). Im Übrigen kann ich durchaus auch die Balten verstehen, und sie sind ja auch in der NATO. Nur versuche ich eben, auch Russland zu verstehen.

Und egal was die NATO macht, Russland vertritt auch immer wieder aggressive Politik.

Das wird gerne in westlichen Medien so dargestellt, ist aber unter Umständen eine Vereinfachung. Um ein Beispiel von Krüger zu zitieren:

Es gibt eine unterschwellige Identifikation mit den eigenen politischen Eliten und eine tendenzielle Dämonisierung und Delegitimierung der jeweiligen Gegenspieler.
Neulich erst las ich im Spiegel eine Anti-Putin-Geschichte über den Krieg in Syrien, in dem Putins außenpolitische Ambitionen auch mit dem Georgien-Krieg 2008 illustriert werden. Das passte schön in die Erzählung von der bedrohlichen Expansion Russlands und Putins Provokationen. Aber eine internationale Untersuchungskommission der EU sowie die OSZE haben nach diesem Krieg festgestellt, dass der georgische Präsident Saakaschwili damals der Aggressor gewesen ist. Das hat sogar ein Mitautor des jetzigen Spiegel-Artikels damals auf Spiegel Online vermeldet. Und der Spiegel hat zudem eine Fact-Checking-Abteilung mit über 70 Dokumentaren!

Zudem könnte man sich fragen, ob Russland das Vorgehen des Westens nicht umgekehrt als aggressiv empfinden könnte. Drehen wir die Sache mal um und nehmen wir an, führende russische Strategen würden offen sagen, dass man die Rohstoffe der USA kontrollieren müsse, und dass das mit der jetzigen amerikanischen Regierung nicht gehe. Um die USA zu schwächen und letztlich ihre Rohstoffe zu kontrollieren, müsse man aber Südamerika und Kanada dem US-Einfluss entziehen. Um dies zu erreichen, so nehmen wir weiter an, würde Russland Milliarden in die Beeinflussung südamerikanischer Länder investieren und sie in ein mächtiges Verteidigungsbündnis integrieren. Wenn dann irgendwo - etwa in Kanada - Proteste gegen die Regierung ausbrechen würden, würden die Russen intern sagen, wer künftig die kanadische Regierung führen soll (und so würde es dann auch passieren). Zudem, so nehmen wir weiter an, hätten die Russen bereits in der Vergangenheit viel Geld in einen Putsch in Kanada gesteckt, damit dort ein extrem Russland-freundliches Regime an die Macht kommt. Zudem würden die Russen dann auch noch auf Kuba strategisch wichtige Raketen stationieren, die auch atomar bestückbar wären.

Kann man nachvollziehen, dass die USA sich in so einer Situation bedroht fühlen würden? Ich zumindest könnte es gut nachvollziehen. Ich kann es aber eben umgekehrt auch nachvollziehen, dass Russland sich nun bedroht fühlt, denn die Situation, die ich beschrieben habe, ist ja offenbar real, nur eben unter umgekehrten Vorzeichen.

Das heißt wie gesagt überhaupt nicht, dass ich alles gut finden würde, was Russland tut. Nur denke ich eben, dass man die Sache etwas differenzierter betrachten sollte, als die westliche Presse das gewöhnlich tut.

Dafür halte ich die Tagesschau noch für zu nüchtern. Ja, eine gewisse Tendenz ist zu erkennen, es geht aber beim ÖR nicht in Richtung Verdammen.

Eben doch. Wenn man beispielsweise in Rechnung stellt, dass womöglich auch die Politik des Westens wesentlich zum Konflikt beigetragen hat, könnte das auch die eigene Perspektive und damit das eigene Verhalten verändern.

Ich kann das ganze aus der historisch neutralen Perspektive betrachten. Bringt mich aber nur in soweit weiter, dass ich versuchen kann, die alten Fehler nicht zu wiederholen. Was getan wurde, wurde aber getan und wir müssen mit dem Ist-Zustand bei solchen Fragen operieren. Das Baltikum ist jetzt Mitglied der NATO. Die NATO hat sich in Richtung Ukraine ausgedehnt und Russland hat darauf eindeutig reagiert. Damit muss nun umgegangen werden.

Es gibt aber kein Recht, der NATO beizutreten - so wenig wie es eines gibt, der EU beizutreten.

Souveräne Staaten haben aber das Recht, der NATO beitreten zu wollen.

Nur versuche ich eben, auch Russland zu verstehen.

Ist das denn hier relevant? Wir sind NATO-Mitglied. Wir haben als NATO-Mitglied eine Zahlungsverpflichtung. Und als NATO-Mitglied müssen wir auch auf die Bedrohungslage von NATO-Mitglieder zumindest irgendwie reagieren - ob gefühlt oder nicht. Ansonsten machen wir das Militärbündnis völlig sinnlos. Wir können über einen NATO-Austritt diskutieren, aber ich glaube nicht, dass es die Aufgabe des ÖR ist, so eine Diskussion zu initieren.

Das wird gerne in westlichen Medien so dargestellt, ist aber unter Umständen eine Vereinfachung. Um ein Beispiel von Krüger zu zitieren:

Dass Russlandbild ist aktuell ziemlich stimmig. Einzelne Sachen können erfunden sein oder auch nicht, die grobe Tendenz wird stimmen. Oder willst du mir sagen, dass Russland eigentlich doch eine lupenreine Demokratie ist, dass keine russischen Soldaten außerhalb von Russland unterwegs sind und dass Russland sich nicht von der NATO provoziert fühlte und darauf reagierte?

Zudem könnte man sich fragen, ob Russland das Vorgehen des Westens nicht umgekehrt als aggressiv empfinden könnte.

Das würde ich nie in Zweifel überhaupt ziehen. Wir sind aber immer noch NATO-Mitglied und müssen dazu unseren Teil beitragen oder die NATO verlassen, was uns dann aber gerade für Russland besonders anfällig machen könnte.

Differenziert betrachten ist immer toll für akademische bzw. historische Diskussionen. Aber wenn ich z. B. jemandem begegne, der mir feindlich gesonnen ist, kann es in vielen Situationen völlig egal sein, warum er mir gerade feindlich gesonnen ist. Ich muss mich trotzdem erstmal schützen und dann das beste aus der Situation machen. Ob ich mit seiner Freundin gestern geschlafen haben oder ihn vor drei Jahren verprügelt habe, ist für die Situation ziemlich egal. Und wo ziehen wir überhaupt die Anfänge beim Verständnis? Ich befürchte, dann müssen wir runter bis 1917 gehen, wobei wir dann immer noch die kulturellen Differenzen und Gemeinsamkeiten unbeachtet lassen, die mit Sicherheit auch zu einem Teil mitverantwortlich sind.

Es gab neulich eine gute Kolumne von Sascha Lobo, der die Diskussion hier sehr gut beschreibt mit dem Titel Vergessen Sie Gut gegen Böse

Whataboutismus mag im historischen Kontext interessant sein, ergibt aber im Hier und Jetzt wenig Sinn.

Hallo Baru,

in vielem sehen wir die Dinge vermutlich recht ähnlich.

Eine Differenz bleibt aber vielleicht: Ich halte die Russland-Berichterstattung der ÖR und der meisten Medien für traurig, abgesehen von ein paar wenigen Lichtblicken. So habe ich beispielsweise häufig Beschwerden der Ständigen Publikumskonferenz gelesen und mit den Antworten der jeweiligen Sender verglichen (eine sehr geeignete Methode, um beide Seiten zu hören). In vielen Fällen hat es mir schlichtweg die Sprache verschlagen, wie da selbst noch böswilligste Verdrehungen von den Sendern nicht nur produziert, sondern auch noch gerechtfertigt werden.

Dass es an Russland viel zu kritisieren gibt, bezweifle ich nicht; das große Bild, das hierzulande etwa vom Russland-NATO-Konfliktz gezeichnet wird, ist m.E. aber weit davon entfernt, auch nur weitgehend zu stimmen. Vielmehr halte ich es für hochgradig parteiisch - und diese Parteilichkeit prägt nach meinem Dafürhalten die gesamte Berichterstattung.

Ich kann das ganze aus der historisch neutralen Perspektive betrachten.

Wenn man wie ich davon ausgeht, dass das viel zu wenig passiert, und dass da eines der Grundübel für vergangene wie gegenwärtige Probleme liegt, dann wird man eben genau das für einen wichtigen Schritt halten.

Souveräne Staaten haben aber das Recht, der NATO beitreten zu wollen.

Klar, „wollen“ dürfen sie schon. Nur ist niemand verpflichtet, ihnen einen Wunsch, der nicht allein sie selbst, sondern auch andere Länder angeht, zu erfüllen. Einem multilateralen Vertrag müssen eben mehrere Länder zustimmen. Denn der betrifft ja die Souveränität aller Beteiligten. Deutschland als souveränes Land kann sich beispielsweise auch einen Handelsvertrag mit Mexiko wünschen; es liegt dann aber auch an Mexiko, ob es das auch möchte.

Und man hätte den baltischen Staaten beispielsweise sagen können, dass es im Zweifelsfall fast unmöglich sein würde, sie zu verteidigen; dass man Zusagen an Russland brechen würde, die man gegeben hat (auch wenn diese Zusagen immer wieder abgestritten wurde); dass man stattdessen lieber eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur anstrebt usw. Zudem hat man massiv „nachgeholfen“, dass es zu einem Wunsch, der NATO beizutreten, kommt. Ich kann mich hier nur wieder wiederholen und beispielsweise auf das in meinem ersten Beitrag verlinkte Interview mit der ehemaligen Zeitkorrespondentin und Professorin Mária Huber hinweisen. Sie bezog sich dabei zwar vor allem auf die Ukraine, aber m.W. hat die NATO auch anderswo Geld zur Beeinflussung der Öffentlichkeit aufgewendet. Sie schreibt:

Dabei arbeiten speziell die USA seit gut 20 Jahren daran, die Ukraine Russland zu entziehen und an den Westen zu binden. Dafür hat die US-Regierung seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 etwa 5 Milliarden Dollar ausgegeben.

Das ist wahnsinnig viel Geld in einem Land mit einer armen Bevölkerung. Und hier werden Aktivitäten finanziert, die - im Gegensatz zu militärischen Operationen - nicht sehr kostenintensiv sind. Da geht es um Gründung und Unterstützung von Medien und NGOs, Schulung von Aktivisten und so weiter.

Dazu ist zu sagen, dass dieses „Wollen“ zum großen Teil gemacht und gemanagt wird. So hatte die Nato eine sogenannte NGO mit dem Namen „Zentrum demokratische Initiative“ gegründet, die 2006 schon 1 Million US-Dollar ausgegeben hatte, um die mageren Zustimmungswerte zu einem Nato-Beitritt in der Bevölkerung zu erhöhen. Später wurde diese Summe aufgestockt.
Derzeit führt die Nato einen kostspieligen Werbefeldzug in der Ukraine. Dazu gehört eine Broschüre für Lehrer und Schulklassen mit dem Titel „Bereit für die Nato“. In 16 Großstädten hat die Nato unter dem Namen „Zentrum für euroatlantische Integration“ Informationsbüros eingerichtet, die oftmals an Universitäten angeschlossen sind. In Kiew wurden weitere einschlägige Institute ins Leben gerufen, die Publikationen wie „EuroAtlantica“ herausgeben.7 Außerdem wird ja auch Einfluss genommen auf die Auswahl der politischen Eliten in den jeweiligen Ländern.

Die Umfragewerte variieren, aber bestenfalls ist das fifty-fifty. Obwohl von Polen aus mit US-Geldern finanzierte Stiftungen agieren, um einen EU-Beitritt zu propagieren.

Aber gut, in gewisser Weise ist das ja eh Geschichte. Aber auch hier könnte man vielleicht etwas lernen und zumindest vorsichtig sein.

Und als NATO-Mitglied müssen wir auch auf die Bedrohungslage von NATO-Mitglieder zumindest irgendwie reagieren - ob gefühlt oder nicht.

Und das ist eventuell nicht ungefährlich - nämlich wenn eine nur gefühlte (das heißt eingebildete) Bedrohung einer unnötigen Eskalation Vorschub leistet. Aus westlicher Sicht sind es natürlich immer die Russen, die provozieren - aber das ist eben eine Perspektive, die man hinterfragen kann. Beispiel: Der frühere NATO-Oberbefehlshabende in Europa, der amerikanische General Philip Breedlove, arbeitete offenbar gezielt darauf hin, dass die militärischen Spannungen mit Russland zunehmen, wie der Intercept mit Berufung auf geleakte Emails beichtet:

But the leaked emails provide an even more dramatic picture of the intense back-channel lobbying for the Obama administration to begin a proxy war with Russia in Ukraine.

“I think POTUS sees us as a threat that must be minimized, … ie do not get me into a war???” Breedlove wrote in an email to Harlan Ullman, senior adviser to the Atlantic Council, describing his ongoing attempt to get Powell to help him influence Obama.
“Given Obama’s instruction to you not to start a war, this may be a tough sell,” Ullman replied a few months later, in another string of emails about Breedlove’s effort to “leverage, cajole, convince or coerce the U.S. to react” to Russia.

The emails, however, depict a desperate search by Breedlove to build his case for escalating the conflict, contacting colleagues and friends for intelligence to illustrate the Russian threat.

Dabei zögerte Breedlove wohl auch nicht, die Lage zu dramatisieren und beispielsweise russische Truppenmassierungen zu berichten, die es so gar nicht gab:

Breedlove’s numbers were “significantly higher” than the figures known to NATO intelligence agencies and seemed exaggerated to German officials. The announcement appeared to be a provocation designed to disrupt mediation efforts led by Chancellor Angela Merkel.
In previous instances, German officials believed Breedlove overestimated Russian forces along the border with Ukraine by as many as 20,000 troops and found that the general had falsely claimed that several Russian military assets near the Ukrainian border were part of a special build-up in preparation for a large-scale invasion of the country. In fact, much of the Russian military equipment identified by Breedlove, the Germans said, had been stored there well before the revolution in Ukraine.

Die Wikipedia berichtet dann:

Im Kanzleramt wurde in diesem Zusammenhang sogar von „gefährlicher Propaganda“ gesprochen und es kam zu einer Intervention von Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Mit anderen Worten: Hätte Breedlove sich mit seinen Bestrebungen und Behauptungen durchgesetzt, so wäre es - womöglich auch aufgrund einer in diesem Fall „gefühlten“ russischen Bedrohung - vielleicht zum Krieg gekommen. Und der hätte dann mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit zur Vernichtung der nördlichen Hemisphäre dieser Welt geführt. Deshalb bin ich nicht dagegen, auf reale Bedrohungen zu reagieren, aber skeptisch, aggressiv auf „eingebildete“ Bedrohungen zu antworten. Schlimmstenfalls schaukelt sich das hoch.

Nebenbei: Wurden diese hochinteressanten Enthüllungen in den deutschen Medien-Medien groß berichtet und kommentiert? Wurden sie ÜBERHAUPT berichtet? Nach meiner vorläufigen Google-Suche jedenfalls nicht. So, wie auch vieles andere nicht berichtet wird, was nicht in das Schema passt.

Ich möchte hier den Medienwissenschaftler Prof. Ulrich Teusch zitieren („Die Lückenpresse“):

Stellen wir nun einmal zwei Nachrichten gegenüber, die ich selbst formuliert habe
und die beide auf seriöse, zuverlässige Quellen zurückgreifen. Die erste Nachricht
basiert auf einem Beitrag im Online-Magazin The Intercept 98, die andere auf einer
Pressemitteilung des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und
Jugend. 99 Die erste Meldung lautet so: »E-Mails des früheren NATO-
Oberkommandierenden in Europa, General Philip Breedlove, sind gehackt worden.
Das berichtet die von dem Journalisten Glenn Greenwald verantwortete Website
The Intercept. Die EMails belegen, dass Breedlove viele Hebel in Bewegung
setzte, um die NATO und insbesondere US-Präsident Obama im Zuge des Ukraine-
Konflikts in eine militärische Konfrontation mit Russland zu treiben.«
Ist das eine interessante Nachricht? Ganz sicher.

Die zweite Mitteilung betrifft die Förderung von Kitas durch den Bund, von der Teusch meint, dass auch dies eine „Nachricht“ sei. Teusch fährt dann fort:

Was, abgesehen vom Inhalt, ist der wesentliche Unterschied zwischen den
beiden Nachrichten? Sagen wir es so: Die eine hat beste Chancen auf Verbreitung
durch die Medien, die andere nicht. Welche der beiden Meldungen mag es wohl
sein, die von den Medien aufgegriffen wird?
Eine rhetorische Frage. Es ist natürlich die Kita-Meldung.

Zitat Baru:

Wir sind aber immer noch NATO-Mitglied und müssen dazu unseren Teil beitragen oder die NATO verlassen, was uns dann aber gerade für Russland besonders anfällig machen könnte.

Das ist ein großes Dilemma. Ich würde auch nicht unbedingt raus wollen (jedenfalls nicht ohne Alternative). Man müsste aber zumindest versuchen, auf eine Deeskalation hinzuwirken. Ein NATO-Sprecher der USA hatte bereits vor Jahren gesagt: „Wir werden Russland bis zur Schmerzgrenze reizen.“ Das mag im (vermeintlichen) strategischen Interesse der USA liegen (wobei die Positionen wichtiger amerikanischer Strategen in den deutschen Medien ja auch kaum „stattfinden“). Die Frage ist nur: Liegt es auch in unserem Interesse als Europäer?

Differenziert betrachten ist immer toll für akademische bzw. historische Diskussionen. Aber wenn ich z. B. jemandem begegne, der mir feindlich gesonnen ist, kann es in vielen Situationen völlig egal sein, warum er mir gerade feindlich gesonnen ist.

Die Frage ist hier schon: Wie sehr ist der andere einem tatsächlich feindlich gesonnen? Kann man vielleicht mit ihm reden? Liegt meine Wahrnehmung seiner Feindseligkeit vielleicht bis zu einem gewissen Grade auch an mir, und ließe sich eine Konfrontation umgehen? Wenn eine Eskalation bedeuten kann, dass wir am Ende alle tot sind, sollte man sich die Frage schon stellen, ob es Möglichkeiten gibt, die Eskalation zu vermeiden. Das heißt nicht, dass man seine Waffen wegwerfen sollte; es heißt aber vielleicht schon, dass man nicht auf eine Bedrohung aggressiv reagieren sollte, ohne sich wenigstens zu überlegen, ob die real oder eingebildet ist. Und man könnte auf der Grundlage, dass man auch sein eigenes Verhalten als aggressiv erkennt, und nicht nur das des anderen, den Konflikt vielleicht auch besser lösen.

Kennst Du eigentlich den Film „Russland im Zangengriff“ von Peter Scholl-Latour (der „linker“ Tendenzen sicher unverdächtig war)? Das war noch vor der ganzen Krise, wohl vor ca. zehn Jahren. Im Nachhinein wirkt der Film fast schon prophetisch. Und Scholl-Latour - der sicher kein Linker war - versucht auch, die Vorgänge wirklich zu verstehen. Es sind nur die ersten acht bis zehn Minuten, um die es geht.

Ich sage nicht, dass das „die einzige“ oder die „richtige“ Perspektive wäre. Es ist aber zumindest eine interessante und wichtige Sichtweise. Aber wie oft taucht die in unseren Medien auf?

@ RKern:

Berechtigt ist der Whataboutism-Vorwurf nur dort, wo jemand mit dem Verweis auf das Unrecht des einen das Unrecht des anderen entweder entschuldigen oder von ihm ablenken will. Teilweise wird der Vorwurf auch auch benutzt (bzw. missbraucht), wenn es einfach nur darum geht, dass jemand ein Messen mit zweierlei Maß ablehnt und sich um ein ausgewogenes Bild bemüht.

Ich bin so wütend, ich habe nun sogar ein Forumsaccount :wink:

Aber im Ernst: Ich will mal gar nicht zu sehr in die Tiefe gehen (wie oben ja schon zwei Forenteilnehmer angefangen haben), aber der Teil in diesem Abschnitt, in dem die „mit lustige Slapstickgeräuschen untermalten Fragen bei den vdL-Interviews eingeblendet“ werden ist unglaublich schlecht!

Wer diese Fragen „formuliert“ hat oder sie sich ernsthaft stellt, hat sich nicht mal ansatzweise mit dem Thema auseinandergesetzt sondern setzt nur auf plumpe und plumpeste Bild-Niveau erreichenden Populismus! Ich habe gar nicht die Lust dazu, alle Fragen hier „auseinander zunehmen“… aber:
Nur weil es nicht die eigene Meinung ist, hier so einen Pseudoverriss zu machen, der nicht mal ansatzweises Grundwissen mit dem Thema zeigen lässt, ist schon SEHR … ja, was eigentlich? Entäuschend? Albern? Keine Ahnung, jeder kann sich ein passendes Adjektiv selbst wählen.

Ich kann die vdL ueberhaupt nicht ausstehen, und sie ist eine grandiose Fehlbesetzung, aber diese „Fragen“ sind es ebenso! Bitte bleib ein klein wenig sachlicher! (Und lass bitte diese "klong-Geräusche, das sind doch hier nicht die Kindernachrichten auf KiKa :wink: