Es ist zwar wirklich geekig, aber mein Lieblingsfilm 2010 ist der zweite Rebuild von Neon Genesis Evangelion.
Rebuild of Evangelion 2.22: You can (not) advance
Es gibt ja Menschen, die interessieren sich für Animationsfilme. So wie ich. Und da Japan nach den USA die fleißigste Trickfilmnation mit einer beeindruckenden Tradition ist, kommt man um “den Anime” nicht herum. Der Anime, wenn man ihn nun wirklich definieren will, lässt sich genauso wie die Filme der übrigen Kulturen in sämtliche Niveaustufen aufteilen, von denen seit seinem Erscheinungsdatum der Anime “Neon Genesis Evangelion” in den oberen Niveaustufen anzusiedeln ist.
In meinem Bekanntenkreis befinden sich viele “Anime-Fans”, zu denen ich mich explizit nicht zähle, weil mein Interesse generell Animationsfilmen gilt, und diese “Anime-Fans” interessieren sich zum größten Teil für den Unterhaltungsdünnschiss der japanischen Trickfilmindustrie.
Und es fällt auf, dass gerade die ausschließlichsten Animefans NGE nicht als das Meisterwerk erkennen, dass es ist, weil um NGE zu verstehen, ein ganz erhebliches Vorwissen an allerlei Themenkreisen nötig ist; dieses Wissen lässt sich aus Anime allein nicht ziehen, sondern muss in der Pop- und Hochkultur gleichermaßen erworben werden.
So weben sich um die trivial beginnende und zunehmend tiefgründiger werdende Handlung um den Kampf Minderjähriger gegen übernatürliche Wesen in einer postapokaliptischen Welt voller Verschwörungen Fragen nach Identität, Geist, Realität, Sinn, sozialen Bedürfnissen, Pflicht, Vergangenheit, der Angst selbst, Existenz, Freundschaft, Familie, Liebe und vielem mehr. Oft wird auf andere Werke wie etwa Mecha-Klassiker wie Mobile Suite Gundam aber auch auf Kubricks 2001: Odysee im Weltraum angespielt.
Der Regisseur Hideaki Anno hat auch abseits des Anime bewiesen, dass er ein Meister der chirurgisch genauen, anatomisch korrekten Psychoanalyse von Charakteren ist, dessen Fähigkeiten als Regisseur denen eines David Lynch sehr nahe kommen und mit dem Anno auch oft verglichen wird.
Als einer der führenden Autoren des postmodernistischen Anime hat er die Szene nachhaltig geprägt.
Leider, jedenfalls dachte ich das zunächst, hat Anno den direktoralen Kardinalfehler überhaupt begannen. 2007, 10 Jahre nach dem durchschlagenden Erfolg von Neon Genesis Evangelion ist mit Rebuild of Evanglion 1.01 You are (not) alone ein Remake produziert worden. Nachdem ich diesen gesehen hatte, bin ich beinah innerlich zusammengebrochen. ANNO, wie kannst du nur! Würdelose Selbstrezitation, die alten Szenen wurden digital aufgefrischt und durch ein paar neue ergänzt. Ich dachte, wie kann man seinen eigenen Mythos zu Grabe tragen durch diese sinnbefreite Neuauflage…
Und dann 2010: der zweite Rebuild.
Ich hatte dem entsprechend eine dürftige Erwartungshaltung. Nachdem der erste Rebuild die ersten 8 Folgen im Eiltempo zusammenfasste, erwartete ich hier das gleiche.
Umso größer war die Überraschung, als sich der zweite Rebuild als radikale Neuinterpretation des Stoffes entpuppte. Es wurden kaum alte Szenen verwendet und alte Handlungsstränge wurden entweder weggelassen und alte Charaktere und Motive umgedeutet oder neu hinzugeschrieben. In etwa umfasst er die Originalfolgen 9 bis 22 der Serie, wobei einiges ausgelassen wurde.
Immernoch zeigt sich Anno (mit seinem langjährigen Assistenten, Kazuya Tsurumaki, der eigenständig ebenfalls einen einflussreichen Anime namens FLCL produziert hat und mittlerweile als profilierter Filmemacher gilt) als sensibler Regisseur, der es perfekt versteht, Gefühle der Charaktere auf der Leinwand greifbar darzustellen. Die psychologische Kamera wurde wohl selten im Animationsfilm derart effektiv genutzt wie in der Neuverfilmung, die in der tat eine Neuerrichtung darstellt.
Die alte Handlung wurde an den richtigen Stellen geändert und OBWOHL man die Originalserie gesehen hat (oder grade weil?) ensteht eine ungeheure Spannung, da bekanntes so verändert wurde, dass man verunsichert ist, was als nächstes geschehe. Die Charaktere wurden weiterentwickelt und noch realistischer gestaltet.
Die Animationen sind grandios, suchen ihresgleichen und sind jenen von Rebuild 1.01 meilenweit überlegen. Das Ende gleicht einem intensiven Farbenfeuerwerk.
Zusammenfassend betrachtet wurde alles, was an NGE gut war im Rebuild weiterentwickelt und auf den Punkt gebracht. Für Kenner der Serie ein Muss!
Und nun sitze ich hier und warte auch den dritten Rebuild. :smt024