Diesen Thread möchte ich mal als Auslagerung und Fortsetzung einer Diskussion von anderswo (siehe ab hier) erstellen.
Es ging in der engeren Diskussion eigentlich um die „Majestätsbeleidigung“ (Beleidigung in- und ausländischer Staatsoberhäupter) als Sondertatbestände und ihren unzeitgemäßen und einer modernen Demokratie unwürdigen Charakter.
In diesem Zusammenhang kam auch der Hinweis auf den Blasphemie-Paragrafen 166 StGB. Dieser lautet:
„(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.“
Ich hatte geschrieben:
Nebenbei: Natürlich bin ich dafür, dass auch sehr scharfe Kritik und Satire im Hinblick auf religiöse Bekenntnisse möglich sein sollen. Aber nehmen wir mal die Situation an, dass irgendwelche Neonazis sich vor einer Moschee versammeln und per Megafon minutenlang Sachen sagen wie „Euer Allah ist [setzte hier die allerwiderlichsten Beschimpfungen und Fäkalausdrücke ein, die einem nur einfallen]“. Es ginge nicht um Kritik, nicht um Satire, nicht mal um „Gotteslästerung“, sondern wirklich nur um massive Provokation, um beispielsweise Tumulte herbeizuführen. Also darum, den öffentlichen Frieden, um den es im § 166 ja geht, zu stören. Nehmen wir an, das passiert immer wieder, und irgendwann käme es dann tatsächlich zu Handgreiflichkeiten, aufgehetzter Stimmung usw., und die Muslime würden (verständlicherweise) das Gefühl bekommen, dass man sie wie Dreck behandeln kann.
Fände ich jetzt auch nicht gut. Der Paragraf 166 hat ja nicht den Sinn, die Ehre Gottes zu schützen, sondern ähnlich wie der Paragraf zur Volksverhetzung den öffentlichen Frieden. Steht auch so drin. Klar, jetzt kann man sagen, dass im Sinne der Meinungsfreiheit auch Ereignisse wie gerade beschrieben hinzunehmen wären. Diese Auffassung kann man vertreten, und manche in diesem Forum werden das sicher tun. Aber ich finde, dass man das auch anders sehen kann. Ich persönlich finde den Paragrafen, wenn er zurückhaltend benutzt wird und Extremfälle verhindern soll, so schlecht dann auch nicht.
Stardogg hatte geschrieben:
Ok, von mir aus. Erst § 90 weg, dann diskutieren wir weiter :voegsm:. Ich muss aber sagen, dass auch wenn ich dein Beispiel irgendwo nachvollziehen kann, ich die Sekularisierung als Konzept doch fuer wertvoller halte.
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@ Stardogg:
Ok, von mir aus. Erst § 90 weg, dann diskutieren wir weiter . Ich muss aber sagen, dass auch wenn ich dein Beispiel irgendwo nachvollziehen kann, ich die Sekularisierung als Konzept doch fuer wertvoller halte.
Auch ein säkularer Staat sollte gewährleisten, dass die verschiedenen Gruppen von Menschen friedlich und einigermaßen zivilisiert zusammenleben. Das heißt dass bei aller (mitunter auch sehr scharfen) Kritik nicht ständig extreme Beschimpfungen und Diffamierungen gegen die Religion oder Weltanschauung mancher Menschen erfolgen sollen. Das muss natürlich für alle Weltanschauungen gelten. Es ist in § 166 StGB ja auch die Rede vom Beschimpfen vom „Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer“, und nicht allein vom Beschimpfen von Religion.
Du kannst Dir auch folgendes Szenario vorstellen. Neonazis halten Schilder vor einem jüdischen Gottesdienst zum Gedenken an den Holocaust hoch, auf denen keine Juden beleidigt werden und der Holocaust nicht geleugnet wird, wo aber die Religion dieser Juden auf die denkbar bösartigste Weise verächtlich gemacht wird. Und nehmen wir an, es wäre nicht nachweisbar, dass sich der Angriff gegen die Juden als konkrete Personen richten würde.
Damit eine Gruppe von Menschen sich in einem Land wohlfühlen und respektiert fühlen kann, kann es auch notwendig sein, (extremen) Arten der Verächtlichmachung ihrer weltanschaulichen Überzeugungen entgegenzutreten. Wenn sie gar das Gefühl haben müssen, dass das, was ihnen heilig ist, ständig aus Bösartigkeit und um der Provokation willen in den tiefsten Dreck gezogen wird, dann werden sie sich irgendwann der Gesellschaft entfremden.
Wenn der Staat einen entsprechenden Schutz überhaupt nicht mehr gewährleisten würde, könnte es auch zu einem wachsenden Fundamentalismus, zu wachsenden Spannungen und einer Verrohung der Sitten im Allgemeinen kommen. Menschen, die sich angegriffen und allein gelassen fühlen, neigen zum Rückzug und zur Ausbildung einer Wagenburg-Mentalität. Das könnte im Fall einer Minderheit - beispielsweise im Hinblick auf Muslime und ihre Integration - üble Folgen haben und die Anzahl der Salafisten erhöhen. Nach dem Motto: Die Mehrheitsgesellschaft sch…t auf Dich und lässt es zu, das man Deinen Gott öffentlich ständig als [denk Dir die allerübelste und provokanteste Fäkal-Beleidigung aus, die Dir einfällt] bezeichnet; verteidige Du die Ehre Deiner Religion!
Und wenn es beispielsweise die Christen als Mehrheit träfe, würde dies sehr wahrscheinlich dazu führen, dass auch viele Christen mit moderater Einstellung nach rechts rücken würden, wenn sie das Gefühl haben würden, dass man ihre Religion beliebig und auf extreme Weise schmähen kann. Ähnlich würden vermutlich selbst nicht wenige „Kulturchristen“ und Konservative reagieren, die solche Verhältnisse einfach als wüst empfinden würden. Sehr wahrscheinlich würden Parteien wie die AfD deutlich Aufwind bekommen, um wieder „Ordnung“ herzustellen; und die würden es dann vermutlich nicht dabei belassen, besonders schwere Schmähungen von Weltanschauungen zu verbieten, sondern die Meinungsfreiheit deutlich mehr einschränken. Das könnte dann vielleicht dazu führen, dass im Extremfall die „Gotteslästerung“ tatsächlich noch als solche strafbar wird.
(Ich möchte gar nicht von Ländern sprechen, in denen sich die Angehörigen verschiedener religiöser und ethnischer Gruppen ohnehin ziemlich angespannt gegenüberstehen, und wo selbst ein überzeugter Atheist Gott danken wird, wenn alles ruhig bleibt. Da könnte dann jeder Fanatiker und Volksverhetzer versuchen, durch die übelste Beleidigung der Religion anderer Unruhen oder gar einen Bürgerkrieg zu entfachen. Wir sind zum Glück von so etwas weit entfernt. Aber vielleicht hat das ja auch ein wenig damit zu tun, dass wir extreme Hetze gegen Weltanschauungen eben schon lange nicht mehr hinnehmen. Ich will gar nicht unbedingt ganz genau wissen, wie es andernfalls aussähe oder weitergehen würde.)
Vielleicht braucht man für den Mindest-Schutz, den ich meine, den § 166 nicht. Es gibt Leute, die meinen, dass §130 (Volksverhetzung) ausreicht. Beispielsweise der Bundesrichter Thomas Fischer:
Mag sein, aber ich habe das Gefühl, dass man ihn da je nach Fall ziemlich weit auslegen müsste, nämlich vor allem dann, wenn nicht eine weltanschauliche Gruppe direkt, sondern „nur“ deren Weltanschauung übelst beschimpft wird (was ja beispielsweise auch passieren könnte, um diese Gruppe indirekt verächtlich zu machen und zu provozieren). Dieser Tatbestand (siehe meine Beispiel oben) wird nach meinem Eindruck zumindest bei einer textnahen Interpretation des Volksverhetzungs-Paragrafen nicht abgedeckt.
Ich kann und will mir da kein definitives Urteil erlauben, und vielleicht bin ich ja im Unrecht. Und ich sehe auch, dass der § 166 missbraucht und zu restriktiv angewandt werden kann. Ich möchteihn auch nicht einfach bedingungslos verteidigen. Vielleicht sollte man ihn ändern. Und vielleicht reicht die Volksverhetzung ja wirklich schon aus (vielleicht müsste man den Volksverhetzungs-Paragrafen dazu auch nur etwas erweitern).
Nur ärgere ich mich immer wieder ein bisschen, wenn so getan wird, als sei eine „Beleidigung Gottes“ hierzulande als solche strafbar; und als sei sie das, um so die Ehre Gottes zu schützen - ganz so, wie die Beleidigung von Staatsoberhäuptern strafbar ist, um deren Ehre zu schützen. Das ist aber nicht der Fall. Und es ist nach meinem Dafürhalten auch nicht so, dass hinter diesem Paragrafen nur finsterstes Mittelalter und überhaupt kein rational nachvollziehbares Argument stehen würde, über das man auch nur vernünftig diskutieren oder nachdenken könnte.
@ Mods: In der Überschrift des Threads heißt es: „Der „Blasphemie“-Paragraf“ statt „Der „Blasphemie“-Paragraf“. Warum weiß ich nicht. Kann man das aber korrigieren, wenn das keine große Mühe ist?