Als Doku getarnte Werbung (Beispiele)

Hallo,

versteckte Werbung im TV gibt es bekanntlich öfters; das ist hier vermutlich nichts neues. Ich nenne trotzdem ein aktuelles Beispiel, als Themenvorschlag.

Am besten vorspulen auf 2:30:

Auf mich wirkt dieser Beitrag wie einer dieser typischen, von Werbefirmen produzierten “Dokumentationen”. Warum?

• Es werden zwar verschiedene Gemüsechips-Artikel gezeigt – das ist in Ordnung --, aber es geht darum, deren Qualität mit jener der Kartoffelchips zu vergleichen; und der einzige Vertreter der Kartoffelchips ist in diesem Vergleich die Packung von Funnyfrisch. Funnyfrisch steht immer im Mittelpunkt. Der Film zeigt auf, dass die Gemüsechips nicht so gut sind, wie die Hersteller es versprechen, dass sie fast genauso viel Kalorien haben, und nicht nennenswert gesünder sind als Kartoffelchips, und dass man daher weiterhin ebenso auch Kartoffelchips essen könne, man brauche also nicht auf Gemüsechips ausweichen. Und im Zentrum dieser Botschaft steht einzig und allein die Packung von Funnyfrisch, als zentraler Vertreter aller Kartoffelchips. Wäre dieser Bericht neutral, wäre diese “allgemeine Kartoffelchips-Metapher” neutral verpackt.

• Die Szenen mit den kommentierenden Passanten wirken gekünstelt und vorgetextet, im Stil eines [I]“Brille? Sielmann!”[/I]-Spots. Bild und Schnitt zielen meiner Ansicht nach mehr auf Werbe-Ästhetik als auf Realität.

• Die Texte der Passanten fügen sich allzu gut in die Dramaturgie des Films: Er setzt auf hohe Erwartungen, also extreme Differenzen in den erwarteten Kalorienwerten, bei den Vitaminen und so weiter, bauscht die Erwartungsstimmung auf wie in einer Unterhaltungssendung, nennt dann schließlich die Tatsachen – und darauf sagen die Passanten natürlich, der Dramaturgie entsprechend, Texte wie [I]“Ach! Nein!”[/I] und [I]“Mir verschlägts die Sprache”[/I] und so weiter. Und genau an solchen Punkten kommt stets Funnyfrisch ins Bild. Nur Funnyfrisch. Die Botschaft: Funnyfrisch ist nicht schlechter als all diese Gemüsechips.

Es gibt angeblich Firmen, die spezialisiert sind, solche “Dokus” zu produzieren und an die Sender zu verkaufen (vermutlich verkaufen sie die für einen sehr niedrigen Preis). Dort laufen sie dann hier und da bei ZDF Wiso und anderen Verbrauchersendungen.

Nicht für ungut, aber auf mich wirkt der Film eher wie eine Art Antiwerbung für Chips allgemein…

Sehe ich nicht ganz so. Ich meine, vordergründig wird zwar schon der Zucker- und Fettgehalt aller Chips thematisiert, aber im Detail fokussiert werden nur die Gemüsechips. Die freundliche, werbemelodische Off-Stimme schließt den Beitrag dann auch mit diesem fundamentalen Satz:

[I]“Gemüsechips sind alles andere als gesund, und dabei drei bis vier Mal so teuer wie herkömmliche Kartoffelchips.”[/I] – Ende.

Also ich bezweifle wirklich sehr, daß Funnyfrisch sich über diese “Werbung” freuen wird (oder gar dafür bezahlt). Aber:

[QUOTE=Quck;468212]Die Szenen mit den kommentierenden Passanten wirken gekünstelt und vorgetextet, im Stil eines “Brille? Sielmann!”-Spots. Bild und Schnitt zielen meiner Ansicht nach mehr auf Werbe-Ästhetik als auf Realität.[/QUOTE]

Das ist mir auch aufgefallen aber halt typisch für diese “Aufklärerformate” - ehrlich gesagt sollte jedem klar sein, daß alles kalorienreich wird, wenn man es zu Tode frittiert. Aber in diesen Beiträgen hat grundsätzlich kein Passant jemals etwas geahnt und fällt dann aus allen Wolken.

Das allerdings:

[QUOTE=Quck;468212]Die Botschaft: Funnyfrisch ist nicht schlechter als all diese Gemüsechips.[/QUOTE]

ist nur konsequent und ja letztenendes auch eine richtige Schlußfolgerung.

Erstaunlich, dass Ihr beiden das als generelle Antiwerbung empfindet.

Ich empfinde das wirklich als Ermutigung, weiterhin normale Kartoffelchips zu essen und nicht auf diese Gemüse-Chips auszuweichen. – (Bis dahin will ich auch keinen Vorwurf machen.)

Die Kartoffelchips, die ja sonst in solchen Tests die typischen Verlierer sind, enden hier mal nicht als Verlierer, weil sie qualitativ mit den Gemüse-Chips mithalten können. Im Gegenteil, sie bieten noch einen weiteren Vorteil: im allerletzten Satz bekommt man gesagt, sie seien sogar drei bis vier Mal billiger als Gemüse-Chips.

Also, esst weiterhin Kartoffelchips! Sie sind genauso gut, und dabei noch viel billiger!

Und, liebe Zuschauer, verbindet diese frohe Botschaft bitte mit Funnyfrisch! Deshalb zeigen wir ja schließlich die ganze Zeit nur Funnyfrisch – und keine andere Kartoffel-Chips-Marke.

Das ist nur ein Beispiel von vielen. Solche “Dokumentationen” werden subtil und vorsichtig entworfen. Gerade so am Limit, dass man hinterher stets Neutralität behaupten kann. Dafür gibt es spezielle Produktionsfirmen.

[QUOTE=Quck;469005]Solche “Dokumentationen” werden subtil und vorsichtig entworfen. Gerade so am Limit, dass man hinterher stets Neutralität behaupten kann. Dafür gibt es spezielle Produktionsfirmen.[/QUOTE]

Das will ich auch gar nicht bestreiten. Nur wird ja auch gezeigt, daß man beispielsweise statt 100g Chips (und die sind ja schnell weggefuttert) genauso gut auch eine Tafel Schokolade oder einen BigMac essen kann. Ich finde, denen geht es in dem Beitrag wirklich nur um die Kernaussage, daß Gemüsechips nicht gesünder sind als gewöhnliche Chips, die nur aus Kartoffeln hergestellt werden. Und diese Aussage ist ja durchaus wahr.

Daß mal wieder überdramatisiert und effektheischend berichtet wird, geschenkt. Und ja, man hätte auch hier drei verschiedene Kartoffelchips-Marken nehmen können. Allerdings wäre dann der direkte Vergleich nicht so schön plakativ dargestellt (nach dem Alle-gegen-einen-Prinzip). Und hätte man die Kartoffelchips anonymisiert, hätte das (finde ich) noch mehr Fragen aufgeworfen. Allen voran: “Warum zeigen sie die nicht, wenn sie doch alle anderen Marken zeigen.”

Auch hat man immerhin keinen “Geschmackstest” gemacht, sondern sich wirklich nur auf die Zahlenspiele beschränkt. Und soweit ich weiß ich Chipsfrisch ungarisch einfach der unbestrittene Marktführer (http://www.stern.de/wirtschaft/lebensmittel-mit-knackigen-kartoffelchips-zum-deutschen-marktfuehrer-3507256.html - ist allerdings von 2003), von daher finde ich es tatsächlich gerechtfertigt, diese Marke exemplarisch zu nehmen.

[QUOTE=Quck;469005]
Also, esst weiterhin Kartoffelchips! Sie sind genauso gut, und dabei noch viel billiger!
[/QUOTE]

Das ist aber ganz klar nicht die Aussage. Die Aussage ist: Sie sind genauso SCHLECHT UND UNGESUND… und billiger.

Wie gesagt. In der schönen, freundlichen Art, wie dieser Film daher kommt, wirkt auf mich die allseits bekannte Tatsache, dass Kartoffelchips ungesund sind, nicht wie ein Vorsichtshinweis, sondern wie eine Ermunterung.

Vielleicht ist noch nicht ganz verständlich, was ich meine.

Der Trick funktioniert zum Beispiel auch mit Ikea und all den Discountermärkten. Jeder kennt die Tücken dieser Waren. Trotzdem werden sie gerne gekauft. Wenn man dann entsprechende “Kritiken” sich anschaut, weiß man schon im Voraus deren Ergebnisse. Man ist nicht überrascht. Aber im Lauf der fröhlichen, unterhaltsamen Sendung werden Vergleiche mit der qualitativ besseren Konkurrenz aufbereitet, und genau hier hüpft der springende Punkt.

Die Botschaft: Die schlechten sind gar nicht so schlecht wie ihr Ruf! Das ist schön! Weil es eine gute Nachricht ist.

Und das ist die Werbung; die Botschaft ist untermalt mit positiver Musik, unterhaltsamer Sprache, herzhafter Intonation der Off-Sprecher etc. – fernab von Sachlichkeit. Die eigentliche, anvisierte Firma, sei es Funnyfrisch, Ikea, Aldi oder sonstwelche, steht in ihrer Sparte konkurrenzlos als Sieger da. Juristisch gilt das aber nicht als Schleichwerbung, weil durchaus andere Firmen genannt werden. Das werbestrategische Schlupfloch liegt darin, dass diese anderen Firmen ein anderes Marktsegment abdecken.

Für manche Zuschauer mag die eine oder andere Absicht “ganz klar” erscheinen. Aber das gilt nicht für alle Zuschauer gleichermaßen, meine ich.

Werbefachleute wissen, der letzte Satz in einem Clip ist der entscheidende. Der letzte Satz muss hängen bleiben, bewusst oder unterbewusst. Ich zitiere nochmal den letzten Satz dieses Filmes:

[I]“Gemüsechips sind alles andere als gesund, und dabei drei bis vier Mal so teuer wie herkömmliche Kartoffelchips.” [/I]

In einem neutralen Film müsste er etwa so lauten:

[I]“Gemüsechips sind genauso ungesund wie herkömmliche Kartoffelchips, und dabei drei bis vier Mal so teuer.” [/I]