Es kam ja in einigen Diskussionen in letzter Zeit immer mal wieder der Vorwurf, ich würde alles durch “die Nostalgiebrille” sehen. Nun ist es aber so, dass ich lange nicht der einzige bin, der sich ein wenig nach guter alter Nostalgie sehnt. Ich sehe das in meiner Umgebung immer mehr. Viele Leute die ich kenne hören fast nur noch Musik aus den 80ern und 90ern oder Musik von heute, die aber so klingt wie in den 80ern und 90ern aufgenommen (gerade im Wave und Post-Punk-Bereich ein riesen Trend seit Jahren). Musiksammler sammeln vermehrt wieder auf Vinyl und gar Kassette! Ja, die gute alte Audiokassette feiert ebenfalls ein Revival.
Gerade in den USA ist der sehr krass! Ich habe allein in den letzten Monaten sicherlich 30, 40 Wave und Post-Punk Bands auf Bandcamp gesehen, die ihre Veröffentlichung auf Kassette verkaufen. Es gibt auch wieder kleine Musiklabels, die sich allein auf Kassetten spezialisieren, sogenannte Tape-Labels: https://lostsoundtapes.com, http://www.noproblematapes.com
Wie gesagt, wieviele Tapes auf Bandcamp wieder verkauft werden: http://bandcamp.com/tag/cassette
Dann gibt es natürlich Retro-Gamer, die immer mehr werden. In Deutschland eröffnen immer mehr Computerspielmuseen und auch Flippermuseen gibt es schon hier und da. Da ist ebenfalls derzeit viel in Bewegung.
Man könnte jetzt sicherlich noch mehr Beispiele nennen, was es da alles gibt.
Die Frage ist aber: [B]Wieso ist das so?[/B]
Das ist ja schon lustig. Da haben wir eine hochtechnisierte Welt, sind ständig mit Smartphones erreichbar, wir vernetzen uns, man kann alles digital erledigen. Ich sag Euch was: genau DAS ist das Problem. Wenn man eine Zeitmaschine hätte und man würde jemanden aus den Jahr 1994 ins Jahr 2014 beamen, der würde garnicht zurecht kommen, da bin ich mir sicher. Zu krass hat sich die Welt in den letzten 20 Jahren verändert. Nicht nur in technologischer Sicht, sondern auch in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher. Waren prekäre Arbeitsplätze vor 20 Jahren noch in der absoluten Minderheit und Tafeln bestenfalls eine Berliner Randerscheinung gibt es heute tausende von Tafeln in ganz Deutschland, Millionen Menschen arbeiten in prekären Verhältnissen und die Schere zwischen arm und Reich ist sehr sehr krass auseinandergetriftet. Zudem spielt die Welt einfach verrückt. Wir stehen an der Schwelle eines drohenden Weltkrieges, wenn das so weitergeht wie bisher, die Menschen sind heute weit egoistischer und kälter eingestellt. Auch klassische Subkulturen wie Gruftis, Punks, Metaller, usw. gibt es nicht mehr in dieser Form wie vor 20 Jahren. Nicht mehr in dieser rebellischen, gesellschaftsablehnenden Form. Nicht in Zeiten wo Metal-Kreuzfahrten gutes Geschäft machen, Gruftis von Medien hofiert und ehemalige Szenebands wie Faun bei Carmen Nebel spielen. Und der Punk ist sowieso seit Ende der 80er tot.
Die Welt entwickelt sich immer schneller und schneller. Was diese Woche noch ein großer Skandal ist, ist nächste Woche schon vergessen. Gauchotanz der deutschen Nationalmannschaft? Kein Thema mehr. Menschenunrecht in Südamerika? Kein Thema mehr! Fukushima? Was war das gleich nochmal?
Die Menschen arbeiten statistisch gesehen immer mehr für real weniger Lohn, die Welt entwickelt sich rasant schnell in Richtungen, die man nicht mehr überblicken kann und gleichzeitig werden die Menschen jeden Tag mit tausend Informationen bis in die Besinnungslosigkeit zugeballert.
Es ist ein gesellschaftliches Problem. Der Einstieg in die digitale Informationsgesellschaft kam für viele zu schnell. Fast halbjährlich ändern sich die Anforderungen an Menschen, privat wie beruflich. Es ist eine Zeit, die die wenigsten so recht überblicken können. Und gleichzeitig auch eine große Ernüchterung der letzten 20 Jahre. Wir erinnern uns zurück: Die 90er wirken heute in der Retrospektive auf viele Menschen so unbeschwert, weil die Menschen damals Hoffnungen entwickelten, nachdem aus den Kalten Krieg doch kein Heißer wurde. Nachdem die Mauer fiel und beispielswiese viele Subkulturen richtig aufblühten. Politiker versprachen uns, dass die Rente sicher sei. Das die Zukunft rosig wird. Es war eine Art neue Aufbruchsstimmung und heute? Was ist davon geblieben aus der Zeit von vor 20 Jahren? Die große Ernüchterung ist eingetreten.
Und viele Menschen bauen sich daher sozusagen ihre eigene Welt auf. Wo man eben wieder Musik auf Kassetten und Vinyl hört, wo man wieder Spiele in Pixelgrafik spielt, wo man sich auch bewusst gegen Smartphones entscheidet. Auch das beobachte ich immer mehr bei Leuten, die das Ding einfach nirgendswo mehr mit hinnehmen.
Und daraus resultiert dann auch eine argwöhnischere Skepsis gegenüber Steam oder der noch krasseren Digitalisierung von Videospielen. Ja, es gibt zig Leute denen ist das unglaublich wichtig sich etwas ins Regal stellen zu können! Aber wie gesagt, das sind nur die alltäglich sichtbare Erscheinungen. Die Gründe sind gesellschaftlich und liegen viel tiefer.