Fernsehkritiker, you made my day!
Ich finde diese Anschuldigung ein wenig weit hergeholt.
Genauso wie man nicht einfach sagen sollte, böse Killerspiele seien Auslöser für Amokläufe so kann man die Schuld auch nicht einfach beim Fernsehen suchen.
Aha es sind also nicht die Spiele, sondern das Fernsehen. Das bewegt sich doch auf dem gleichen Niveau.
Nein, da muss ich dir widersprechen. Computerspiele werden immer als Auslöser von Gewalt propagiert. Beim Fernsehn ist es ein ganz anderer Faktor. Unser Attentäter hatte wohl extreme Minderwertigkeitskomplexe - so wie eigentlich alle seiner Art. In der Schule gemobbt, keine Freunde, vereinsamtes Leben. Der Schrei nach Aufmerksamkeit ist groß, wird aber immer nur mit Hass beantwortet. Die Leute gehen nicht auf einen ein sondern mobben einen noch mehr. Die Wut staut sich an und an PC-Games kann man sich bedingt abreagieren.
Nun kommt aber der entscheidende Punkt: Im Fernsehn bekomme ich mit, dass ich durch auffälliges Verhalten Anerkennung finde. Ich erinnere mich an Steinhäuser, der Tagelang in der ganzen Welt rauf und runter diskutiert wurde. Dann der Amoklauf in den USA und die Erkenntnis, dass man damit seinen tiefentladenen Aufmerksamkeits-Akku wieder laden kann - wenn auch zum letzten Mal.
Meiner Meinung nach ist es genau diese Form der Sensations-Berichterstattung, die gefährtete Personen in ihrer Überlegung bekräftigt. In einem Land voller Voyeure und Gaffer zieht das eben auch wunderbar. Wo es knallt und scheppert, muss es etwas Interessantes geben.
Leider sind selbst ausgebildete Psychologen meist Blind oder gehen kurzsichtig durch die Welt. Leider ist die psyche des Menschen viel zu kompliziert, als das man sie durch das Spielen von WoW und CSS erklären könnte. Das Ganze tendiert eher in Richtung der berühmten Gleichung mit zweihundert Unbekannten, wovon Spiele nur eine Variable ausmachen. Ansonsten müsste es täglich Amokläufe geben.
Auch das Argument mit den 16 Toten kann ich nur bedingt verstehen. Ich gehe davon aus, dass es viele nur wegen der Sensationsberichterstattung so kränkt. Letztenendes sind das doch für den Löwenanteil von uns völlig unbekannte Menschen, die wir noch nie gesehen haben. Warum also herumjammern? Oder erweißt sich meine These als Wahrheit: Man spielt die Trauer nur vor, damit niemandem Auffällt, dass man duch das Schauen dieser Sendungen ausschließlich seine Sensationsgeilheit befriedigen will. Wenn in einer sonst so langweiligen Welt im Örtchen nebenan ein Spinner 16 Menschen erschießt, kann das dem eigenen Selbstwertgefühl durchaus positiv zuarbeiten.
Und jetzt mal ehrlich: Das war doch eine reine Win-Win-Situation: Der ewige Außenseiter hat endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die man ihm sonst tatkräftig verwehrte. Seine Peiniger wurden bestraft. Die Menschen in Deutschland und in der ganzen Welt konnten ihre Sensationsgeilheit befriedigen. Die Menschen saßen am Fernseher, was gute Quoten brachte und die Werbepausen haben den Sendern viel Geld zugespielt. Die Firmen haben gute Werbung schalten können und Herr Pfeiffer kann wieder seine verbitterte einseitige Polemik in die Welt hinaus tragen. Nicht zu vergessen ist Hornauer, der mal wieder seine Fresse in mein Hirn brennen konnte. Das Volk hat wieder einen selbstgebackenen Feind, wir unseren Aufreger der Woche. Was bleibt am Ende?
Jede Sekunde verhungern in Afrika drei Kinder - wir haben sie ermordet (vgl. Jean Ziegler). Wenn ich die Zahl recht im Kopf habe, kommen jeden Tag 180 Menschen im Straßenverkehr um - viele davon völlig unschuldig. Wie viele Zivilisten werden im Irak täglich erschossen? Jeden Tag rennen in Deutschland drei Menschen vor einen Zug - die Lokführer meist für ihr Leben geschädigt und völlig von unbegründeten Schuldgefühlen zerfressen. Wer gedenkt der hunderten AIDS-Toten jeden Tag?
Niemand! Es ist einfach nicht spektakulär genug. Wäre alle zwei Tage ein Amoklauf, würde es nach einer Woche auch niemanden interessieren. Ich kann nicht um die 16 Unglücklichen Menschen trauern - damit würde ich die vielen anderen Opfer in der Welt verhöhnen, die durch ähnliche oder andere Umstände fremdverschuldet zur selben Zeit ums Leben gekommen sind. Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.
Diese ganzen Fernseh-Sonderberichte zeugen in meinen Augen von Lächerlichkeit. Heute eine Schweigeminute und das Klassenzimmer abgeschlossen. Morgen nur noch letzteres bis nächste Woche und dann geht alles weiter wie vor vorgestrigem Mittwoch. In einem Monat wird sich keiner mehr an die Gewalttat erinnern und die gemobbten bleiben weiterhin in ihrer Stellung. Es wird sich nichts ändern! Die nordwestliche Gesellschaft ist dazu viel zu kaputt. Solange Neid, Hass und Eifersucht weiterhin in unseren Köpfen sind, wird es auch in zwei Jahren wieder knallen. Es wird wieder eine Woche diskutiert und dann geht das Leben wieder weiter.
Manchmal tut die Wahrheit eben weh, doch wir haben es uns selbst so ausgesucht. In diesem Sinne eine gute Nacht wünscht
André
PS: Mir sind die Opfer natürlich nicht egal. Allerdings ist ihr Tod nicht tragischer als der der 5000 afrikanischen Kinder, die verhungert sind, während ich diesen Text niederschrieb. Ein Trost bleibt: Es wurden ungefähr genau so viele neue geboren.