Diskussion über den Blog-Artikel: “Vorurteilsfrei und interessiert”
Man fragt sich ja mitunter, wo die Sender eigentlich so ihre Protagonisten her kriegen - dabei ist es gerade heutzutage ja relativ einfach: Das Internet macht’s möglich! Zu fast jedem Thema, jeder Abart, jeder Meinung, jedem Schicksal gibt es entsprechende Foren und Interessenseiten - und oftmals ist es noch nicht einmal besonders schwer, an die Telefonnummer und die Adresse von Leuten zu kommen.Eine entsprechende Erfahrung hat auch Marius gemacht, der mir kürzlich eine E-Mail schrieb. Auf der Seite StudiVZ nahm er an einer geschlossenen Diskussionsgruppe teil, in der Menschen miteinander diskutierten, die noch keine Beziehung hatten. Der 21-jährige Student dachte eigentlich, das Ganze sei anonym genug, um nicht weiter damit in die Öffentlichkeit zu gelangen. Doch weit gefehlt, denn schon kurz erhielt Marius eine Mail von einem Redakteur der RTL-Sendung “Extra”:
"Hallo Marius,
für das RTL-MAGAZIN “EXTRA” suche ich Menschen, die bislang keinerlei Beziehungs-bzw. Sex-Erfahrungen gesammelt haben. Hiermit verspreche ich, dass es kein reißerischer Beitrag ist, dass ich dem Thema völlig vorurteilsfrei und interessiert gegenüber stehe und mich sehr freuen würde, eine Antwort zu erhalten. Es ist mir einfach wichtig, in der von Sex dominierten Gesellschaft auch eine Plattformen für andere Lebensformen zu bieten!
VIELEN DANK UND BESTE GRÜSSE
von Heiko, Redakteur"
“Andere Lebensformen”? Allein schon diese Formulierung brachte Marius dazu, dem RTL-Menschen folgendes zu antworten:
"Hallo Heiko,
eine Sache müsste man aber vorher klarstellen: Ich meinerseits vertrete keine “Plattform für andere Lebensformen”, soll heißen, dass ich mich z.B. nicht als asexuell etc. bezeichnen oder mir keine Partnerschaft wünschen würde. Ich habe bisher lediglich keine von den o.g. Erfahrungen gesammelt.
Beste Grüße
Marius"
Natürlich ließ sich der Fernsehmensch nicht so leicht abschütteln:
"Hallo Marius,
vielen Dank für Deine Antwort, das ist kein Problem für mich - ganz im Gegenteil: Wärst Du so lieb und könntest mir ein paar Infos zu Deiner Person schreiben und auch woran es Deiner Ansicht nach liegt, dass Du noch keine Erfahrungen gesammelt hast. Und gestattest Du mir noch die Frage, ob das auf dem Bild tatsächlich Du bist ???
Beste grüße
freu mich, von Dir zu lesen
Heiko"
Marius, zu dem Zeitpunkt zum Glück bereits regelmäßiger Zuschauer von Fernsehkritik-TV, ließ sich (natürlich nicht nur deswegen) von den auffallend überfreundlichen Worten des Redakteurs nicht beeindrucken und schrieb diplomatisch zurück:
"Hallo Heiko,
nach längerem Überlegen habe ich entschieden, dass es für mich angenehmer wäre, diese ganze Thematik nicht öffentlich darzustellen bzw. zur Sprache zu bringen. Dies soll keineswegs ein fehlendes Vertrauen dir bzw. deiner Berichterstattung gegenüber sein, sondern hat lediglich interne Gründe.
Ich hoffe, du verstehst das. Ich wünsche dir natürlich viel Erfolg bei der weiteren Suche, laut der Gruppe müsste es ja genug Menschen geben ;).
Beste Grüße
Marius"
Folgende Antwort kam dann vom RTL-Heini:
"Hallo Marius,
natürlich verstehe ich das, für mich ist das aber sehr bedauerlich, denn die meisten anderen denken genauso wie Du. Und wenn niemand spricht, bleibt es weiter ein Tabu-Thema. Tu mir doch bitte den Gefallen und denk nochmal darüber nach - wir müssen auch nicht Deinen echten Namen nennen und könnten Dich auch vollständig anonymisieren oder über ein Honoror für Dich verhandeln.
Denk drüber nach und/oder ruf mich einfach an
Beste Grüße
Heiko
p.s.: Ich geb nicht so schnell auf …:-)"
Bei diesen Sätzen schüttelt es mich besonders, denn sie erinnern mich an meine schreckliche Zeit beim Boulevard-Fernsehen. Um Leute “einzutüten”, wie immer so schön gesagt wurde, redet man ihnen zum einen ein schlechtes Gewissen ein (“Sie würden doch anderen damit helfen, wenn Sie sich dazu äußern. Zeigen Sie Verantwortung der Allgemeinheit gegenüber”) und zum anderen wird dann mit Geld gelockt (natürlich erst dann, wenn jemand nicht sofort zu TV-Aufnahmen bereit ist, wird zu diesem Mittel gegriffen). Und dann, das erinnere ich auch sehr gut, wird auf den Redakteur Druck ausgeübt (“Hast du den nun endlich überredet? Bis heute Abend ist das Interview mit dem im Kasten, verstanden?”). Entsprechend gereizt ist dann eben die Mail, die der Redakteur Marius kurz darauf schrieb, nachdem dieser nicht mehr geantwortet hatte:
"HALLO MARIUS,
WÜRDE MICH SEHR FREUEN, NOCHMAL WAS VON DIR ZU HÖREN BZW. ZU LESEN !!!
BESTE GRÜSSE
HEIKO"
Marius hat sich zum Glück nicht weichkloppen lassen, denn all die netten Worte, all die Versprechungen und Streicheleinheiten seitens der Redakteure sind in dem Moment unbedeutend, in dem das Material gedreht ist. Dann hätte sich der “nette Heiko” keinen Moment mehr länger für Marius interessiert, sondern wäre längst auf der Suche nach dem nächsten TV-Opfer.