Warum darf man Neger nicht Neger nennen? Wesentlich mehr gibt’s dazu auch nicht festzustellen.
[SPOILER]Die Menschen dunkler Hautfarbe, deren Vorfahren aus Afrika stammten und teilweise als Sklaven in die ganze Welt, aber vor allem nach Amerika verschleppt worden waren, nannte man dort – als Sklaven und als rechtlose Billigarbeiter – „Nigger“, seit der Bürgerrechtsbewegung dann „Farbige“, „Schwarze“ oder „Blacks“.
Jede dieser Bezeichnungen wurde nach einiger Zeit wieder als diskriminierende Beleidigung empfunden und entweder von den Schwarzen selbst offensiv verwendet oder sie wurde aus dem Verkehr gezogen. Die analoge Verwendung des Wortes „Weiße“ – etwa in Südafrika oder den USA – wurde dagegen nie als Diskriminierung angesehen, obwohl auch sie den Unterschied zwischen Menschen an der Hautfarbe festmacht.
Dass das so ist, liegt daran, dass die Unterscheidung der Menschen nach Hautfarbe oder anderen Rassemerkmalen die sichere Grundlage ihrer Bewertung kennt. Das ist nämlich die soziale Lage, die die politökonomische Weltordnung den Schwarzen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – weltweit zuweist: Sie stellen immer noch den überwiegenden Teil des sozialen Bodensatzes in den USA, darüber hinaus den größten Teil der Bevölkerung in den Elendsregionen der globalisierten Welt, von denen etliche in Schwarzafrika liegen. In Europa sind sie als Elendsimmigranten in die unterste Schicht der Bevölkerung verbannt, bewohnen zusammen mit den übrigen Angehörigen des Subproletariats die Vorstadt-Ghettos. Manche sind als rechtlose Erntehelfer oder Ähnliches geduldet, andere als Asylbewerber von Abschiebung bedroht.
Darauf baut sich dann der [I]Rassismus [/I]des ideologischen Urteilens auf, der den Elendsgestalten ihre Lage und Stellung in der Gesellschaft als [I]ihren [/I]Mangel anlastet: So wird ihre schlechte [I]soziale Stellung[/I] schlicht gerechtfertigt durch eine schlechte [I]Meinung über sie[/I]. Das, was die miserablen Lebensumstände mit den Leuten, die sich in ihnen durchschlagen müssen, anrichten, dient dieser so parteilichen wie billigen Denkweise als Beleg dafür, wie gut doch die [I]Wesensart [/I]der Heruntergekommenen und ihre soziale Lage zusammenpassen. So lässt sich das Elend, in das die Leute gebracht werden, als Resultat ihres für minderwertig befundenen Charakterschlags besprechen.
Ursprünglich neutrale Namen für Rassen, Völker, Stände und soziale Charaktere, die in der weltweiten Klassen- und Nationenscheidung unten landen, werden genau deshalb zu verächtlichen Bezeichnungen. Dieses Schicksal teilt das Wort „Neger“ mit nicht wenigen anderen Namen von Volksgruppen wie „Kanaken“, „Kaffer“, „Zigeuner“, aber auch mit Bezeichnungen für niedere soziale Stände wie Bauer oder Proletarier („Du Bauer!“, „So ein Prolet“).
Demokratischen Wertvorstellungen zufolge gehört es sich heutzutage zwar nicht mehr, die interessierte Musterung der dann für tauglich oder untauglich befundenen Charaktere an Hautfarbe oder Kopfform, also an der [I]äußeren biologischen Natur[/I] festzumachen. Aber die Ideologie, dass der Mensch mit seinen Anlagen mehr oder weniger exakt dem Platz entspricht, den er in der Hierarchie der Gesellschaft einnimmt, hat die moderne, zeitgemäß bürgerliche Legitimation der Verhältnisse mit der Denkart des alten rassistischen Menschenbildes gemein.
Wenn der Mensch heute bekanntlich eine [I]Würde [/I]hat und als [I]von Natur aus gleichwertig[/I] gilt, bewahrt ihn das nämlich keineswegs davor, dass sein Scheitern in der Konkurrenz der bürgerlichen Welt als Ergebnis seiner mangelnden Begabung, Intelligenz oder seines schwächeren Charakters ausgelegt wird. Diese elementare Ideologie der bürgerlichen Konkurrenz wird in der Regel auch von den toleranten Menschenfreunden nicht in Frage gestellt, sondern höchstens um die Sorge ergänzt, ob man denn auch wirklich aus jedem Individuum das Beste seiner Anlagen herausholt oder manche gar nicht erst dazu (sprich: zu einer fairen Konkurrenz) kommen lässt.
Was jedenfalls die [I]moralische Bewertung[/I] der schlechter Gestellten und Erfolglosen angeht, da engagieren sich die Zeitgenossen für [I]political correctness[/I]. Sie empören sich über die Verachtung der schlecht gestellten Leute und reden für die [I]Anerkennung[/I], die diesen zustehe. Um das materielle Elend selbst, um seinen objektiven Grund und um die Frage, wie man damit aufräumen könnte, geht es da jedenfalls nicht. Vielmehr ereifern sie sich über den mangelnden Respekt, der den Elendsgestalten entgegengebracht wird, und über die [I]Sprache[/I], die diese Geringschätzung ausdrückt.
Indem sie sich für kritische Sprachpflege stark machen, also „unbelastete“ Namen für die Neger erfinden, halten sie sich selbst für enorm [I]rassismuskritisch[/I], ohne den Rassismus in seiner Logik zu kritisieren oder die Verhältnisse, die ihn hervorbringen. Wo Leute de facto zum Abschaum gemacht und so behandelt werden, fällt diesen Menschenfreunden ein, dass man die Leute dann aber doch bitte nicht so nennen sollte, das sei „diskriminierend“. Und diese Korrektur müsse der Neger dem guten demokratischen Gewissen und Anstand doch wert sein. Sie meinen offenbar, damit sei das größte Unrecht schon mal aus der Welt, und machen die Verwendung ihrer alternativen Wortschöpfungen zum Prüfstein korrekter Gesinnung, so als wäre nicht die Sache schlimm, sondern der Klang der Bezeichnung.[/SPOILER]