Jetzt steht der bayerische Innenminister in der Kritik. Hatte er doch das schreckliche Unwort “Neger” benutzt. Unglaublich, gewiss. Denn: “Jeder halbwegs gebildete Mensch weiß, dass ‘Neger’ eine Beleidigung ist.” Das wiederum weiß Stefan Kuzmany im Spiegel.
Denn es “herrscht in zivilisierten Kreisen dieses Landes längst Einigkeit darüber, dass das N-Wort eine Beleidigung für Menschen dunkler Hautfarbe ist und deshalb nicht verwendet werden soll”.
Darf ich an dieser Stelle einmal ganz naiv und politisch unkorrekt fragen, wer das eigentlich bestimmt? Wer das so festlegt? Wer das so entscheidet?
Es existieren Ausdrücke, die allgemein von den Sprechern einer Sprache negativ empfunden werden. In manchen Fällen hat der Sprachgebrauch sich vielleicht erst im Lauf der Zeit so entwickelt, dass ein Wort immer mehr negativ konnotiert wurde - aber eben aufgrund einer allgemeinen spontanen Sprachentwicklung.
Wie aber verhält es sich mit dem Wort "Neger? Bezogen auf das englische "Negro"stellt Gallup fest:
[I]“In fact, a 1969 Gallup poll of blacks found ‘Negro’ to be the most widely preferred term among blacks – at 38%, compared with 19% for “black” and 10% for ‘Afro-American’.” [/I]
In Martin Luther Kings berühmter Rede “I have a Dream” taucht das Wort “Negro” dann auch gleich 15mal auf.
Dann wurde das Wort “Negro” bzw. “Neger” rasch zurückgedrängt. Aktivisten fingen damit an, Zeitungen folgten. Aber dabei blieb es nicht. Anstatt dass das Wort nur aus der Mode gekommen wäre, wurde es zunehmend verfemt. Die deutsche Entwicklung sieht laut Wikipedia so aus:
[I]“In den 1980er Jahren versuchten Mitglieder der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der Diskriminierung von Minderheiten mit Hilfe einer Sprache entgegenzuwirken, [B]die sie selber[/B] als ‚nicht wertend‘ und ‚neutral‘ [B]empfanden[/B]. Später identifizierten [B]diverse Stimmen[/B] im deutschsprachigen Raum ‚Neger‘ als wertenden Begriff. Die Pejorativität wurde schließlich in Wörterbüchern explizit dargestellt. Ulrike Kramer schloss aus der Betrachtung von Wörterbucheinträgen, „daß sich Neger in seiner Wortgeschichte vom ursprünglichen Extrem einer wertfreien Bedeutung weg- und in die Richtung eines anderen Extrems, nämlich eines Schimpfwortes, hinbewegt“ habe.”[/I] (Hervorhebungen durch Enio.)
Zur Begründung geben die selbsternannten Sprachwächter an, dass das Wort “Neger” angeblich in seiner Entstehungszeit negativ konnotiert gewesen sei - bei einem Wort, das laut Wikipedia im 17. Jh. entstanden ist, scheint mir dies aber ein ausgesprochen schwaches Argument zu sein. (Wie viele Wörter, die heute neutral gebraucht werden, waren vielleicht vor Jahrhunderten einmal negativ konnotiert?)
Angeblich sei das Wort aber die ganze Zeit negativ konnotiert gewesen, und man habe das nur nicht problematisiert - eine wohl ziemlich gewagte Behauptung. Im Zweifelsfall dürfte wohl nicht so sehr das spezifische Wort selbst, sondern eher die mit ihm bezeichnete Gruppe von Menschen Gegenstand einer Abwertung gewesen sein.
Dann wird behauptet, dass das Wort Neger auch [I]heutzutage[/I] “rassistisch” konnotiert sei. Mag sein - aber an was liegt das dann? Wer hat die Konnotation da reingebracht?
Kann es sein, dass der Ausdruck “Neger” nicht deswegen in Verruf geraten ist, weil bei neutraler Betrachtung an ihm objektiv irgendetwas Pejoratives/Abwertendes zu finden wäre? Und auch nicht deswegen, weil die Allgemeinheit (die Betroffenen eingeschlossen!) ihn als negativ konnotiert empfunden hätte?
Kann es sein, dass vielmehr eine winzig kleine, aber extrem lautstarke Elite der Allgemeinheit (samt den Schwarzen selbst) “verordnet” hat, dass das Wort “Neger” unschicklich sei?
Wie so etwas geschieht, ist leicht nachzuvollziehen: Einige Autoren fangen an, zu behaupten, dass es rassistisch sei, ein bestimmtes Wort zu gebrauchen. Anfangs sind sie wenige. Aber der politisch korrekte Bürger will ja nun nicht als “Rassist” dastehen und vermeidet das entsprechende Wort vorsichtshalber. Und vielleicht schließt er sich auch noch an mit seiner Warnung vor dem angeblich bösen Wort. Es gibt ohnehin genügend Leute, die gerne vorne mit dabei sind, wenn es darum gilt, moralische Regeln aufzustellen und zu überwachen.
Wie bei einem Dominospiel geht es weiter: Je weniger Leute das fragliche Wort benutzt wird, und je mehr über diejenigen schimpfen, die es immer benutzen, desto mehr wird das Wort dann im allgemeinen Sprachgebrauch auch als negativ konnotiert empfunden. Desto mehr halten Wörterbücher und Lexika seinen pejorativen Charakter fest, was wiederum einen Rückkoppelungseffekt auf den Sprachgebrauch zeitigt. In dieser Situation ist das Schicksal des entsprechenden Wortes dann besiegelt: Es wird zum Tabu.
[I][B]Nur: Das alles ist dann nicht etwa das Ergebnis einer natürlichen Sprachentwicklung, sondern das Resultat der Eigendynamik einer irrationalen und aggressiven politischen Korrektheit.[/B][/I]
Im Grunde könnte dies mit anderen Worten genau so gehen: Man nehme an, einige Aktivisten oder Autoren definieren morgen, dass der Ausdruck “Schwarze” diskriminierend sei und etwa durch “Farbige” ersetzt werden müsste. Wenn es hinreichend viele wären, die das fordern - auch wenn sie eine kleine Minderheit wären und niemals die Mehrheit der Schwarzen repräsentierten - so könnte dies zum Erfolg führen. Und einige Jahre später würde “kein zivilisierter Mensch” mehr von “Schwarzen” sprechen.
Kürzlich hatte ich gelesen, dass nach einer aktuellen Umfrage viele Schwarze den Ausdruck “Neger” bzw. “Negro” nach wie vor akzeptieren oder sogar präferierten. Ich finde den Artikel leider nicht mehr, kann es also nicht beweisen. Aber die Sprachgemeinschaft als Ganze sollte m.E. aushandeln - mit besonderer Sensibilität für die Anliegen der Betroffenen - was als beleidigend gilt und was nicht.
[B][I]Und nicht winzige elitäre Minderheiten, die sich selbst als Avantgarde betrachten, ihre höchst subjektiven Präferenzen und Empfindungen zur allgemeinen Norm erklären dann moralischen Druck auf den Rest der Bevölkerung ausüben. [/I][/B]
Ein besonders extremes Beispiel für eine selbstgerechte Sprachpolizei: Ein Moderator wird niedergebrüllt, weil er die berühmteste Rede von Martin Luther King vorlesen will, in der nun einmal das Wort “Neger” vorkommt:
http://www.taz.de/!5068913/ (Lesenswerte Kolumne übrigens.)
Solchen Leuten geht es m.E. nicht um die Schwarzen, sondern um sich selbst und ihr Wohlgefallen an ihrer eigenen Pseudo-Moralität; wirkliche Moralität vermögen sie aufgrund ihrer eigenen ethischen Unterbelichtung nicht von einer besonders absurden Ausgestaltung von “Political Correctness” zu unterscheiden.
Besonders traurig finde ich, dass auf diese Weise auch ernste und respektable Anliegen - etwa der Kampf gegen nach wie vor bestehende rassitische Vorbehalte - diskreditiert werden.