Stolpersteine - Sinnvoll oder Sinnlos?

Hallo zusammen,

heute möchte ich mal ein Thema zu Debatte stellen, das mir schon länger unter den Nägeln brennt. Und zwar geht es um die allseits bekannten “Stolpersteine”, welche an die ermordeten Juden Europas erinnern. Nachdem aufgrund aktueller Ereignisse in meiner Heimatstadt das Thema wieder näher in mein Umfeld gerückt ist, wollte ich mal wissen, wie ihr zu dem Projekt steht. Warum ich mich jetzt erst damit befasse? Nun, vor kurzem gab es hier ein Volksfest, das nach dem letzten Tag seines Bestehens mit allseits bekannten Folgen für die Stadtreinigung aufwartete. Genauer gesagt wurden mir mehrere Ecken bewusst, in die einige übereifrige Trinker augenscheinlich ihren Magen- und Blaseninhalt entleerten.

Da ich am nächsten Tag einen längeren Rundgang absolvierte, fiel mir eine ganz besonders schmudelige Lache an Erbrochenem auf, unter der sich besagte Stolpersteine befanden. Irgendwie dachte ich mir: “Ein wenig würdelos ist das aber schon, oder?”. Meinen Gedanken folgend, suchte ich mal in der Stadt nach anderen Stolpersteinen, und stellte fest, das sämtliche davon entweder völlig verdreckt, versifft, zerkratzt oder anderweitig unleserlich waren. Manche waren sogar so schmutzig, dass man sie nicht mehr vom Belag unteschieden konnte. Irgendwie kommt mir die ganze Sache sinnlos vor, denn was hat es für einen Sinn, diese Steine zu verlegen, wenn sie anschließend eh nicht gepflegt- und/oder an Stellen eingelassen werden, die absolut unscheinbar sind? Und außerdem: Tritt nicht jeder Bürger, der auf einen Stolperstein tritt, unwissentlich das Andenken dieser Toten mit Füßen?

Unterm Strich halte ich diese Steine einfach nur für würdelos. Es lassen sich sicher bessere Möglichkeiten des Gedenkens finden.

Ich finde die Idee der Stolpersteine gut. Lässt sich relativ einfach verwirklichen und fällt relativ schnell auf. Ich sehe allerdings auch das Problem, dass die Steine relativ schnell verdrecken können. Bei mir iner Stadt gabs da am Freiwilligentag ne Putzaktion. Ich muss aber dazu sagen, dass die meisten Steine in nem ziemlich guten Zustand sind. Übrigens habe ich neulich einen Film über eine Frau gesehen, deren Verwandte im KZ umgekommen sind, und ihr gefiel die Idee.

Eine der Gründe für die Stolpersteine ist doch vermutlich, dass man für die zahlreichen einzelnen Opfer und die Orte man nicht immer ein vollwertiges Denkmal aufstellen kann. Die Kosten wären dann viel viel größer und Reinigungskosten wären trotzdem vorhanden.

Ich halte Stolpersteine für sinnvoll. Natürlich sind aber die Städte gefragt, diese auch zu pflegen und fehlende Pflege sollte man dann auch gezielt bei der Stadt anpragern.

Man sollte vorher überlegen, ob man diese Steine verlegt, denn in meinem Fall ist es so, dass die Stadt stets am Rande des Bankrotts entlang schlittert und nicht mal für die notwendigsten Dinge Geld übrig hat. An sich sind die Steine wirklich keine schlechte Idee, aber heruntergelatscht von tausenden Fußtritten und völlig verdreckt, macht es keinen Sinn und ist entwürdigend. Normalerweise ist die schöne Goldfarbe recht auffällig, aber ungepflegt wird daraus ganz schnell ein Schandfleck.

Es geht aber auch anders, denn an einer Stelle sind bei uns drei Steine frontal in die Mauer eines Hauses eingelassen und mit einer Infotafel ergänzt, die das Schicksal einer jüdischen Arztfamilie dokumentiert. Selbige nahm sich kollektiv 1941 das Leben, da keiner von ihnen den Stern tragen wollte und sie lieber in Würde starben. Hat man in so einem Fall nicht eine Zweiklassen-Opfergesellschaft? Die einen Toten sind wertvoller als andere und verdienen einen “besseren” Stein?

[QUOTE=Baru;329735]Eine der Gründe für die Stolpersteine ist doch vermutlich, dass man für die zahlreichen einzelnen Opfer und die Orte man nicht immer ein vollwertiges Denkmal aufstellen kann.[/QUOTE]

Das stimmt. Und man sollte den Opfern ein Andenken setzen.
Ich möchte übrigens noch zwei Sachen anmerken:
1.) Vor einer bekannten Osnabrücker Kneipe gibt es auch zwei Stolpersteine. Die Kneipenbesitzer haben ein Loch in den Bodenbelag gemacht, damit man die Stolpersteine sehen kann. Find ich gut.
2.) Enzio: Ich finde es gut, dass du diesen Therad aufgemacht hast. Istn interessantes Thema.

Edit:
Enzio: Vielleicht wäre bei euch dann auch so ne Freiwilligen-Putzaktion wie bei uns ne Lösung? Nur son Gedanke.

Ich finde die Stolpersteine sinnvoll. Gerade da die zeitliche Distanz zunimmt holen sie die damaligen Geschehnisse näher; wo ich vorher wohnte waren vor einem normalen Haus sieben Steine, das hat mir schon zu Denken gegeben.

Ich sehe sie als Erinnerung an einzelne Opfer. Ich trete eher nicht drauf, finde das aber auch nicht so schlimm, so sind sie nunmal angelegt.

Ich habe noch keine unansehnlichen Exemplare gesehen. Vllt hängt das mit der Gegend zusammen? [SPOILER]Um nicht zu sagen, dass die Zone voller Faschos ist. ;)[/SPOILER]Mir fällt spontan keine bessere Möglichkeit ein. Verpflichtende Plaketten an Häusern oä wären stärkere Eingriffe in die Rechte der Bewohner/Besitzer, die Stolpersteine sehe ich als sehr niedrigschwellige Maßnahme.

Diese Steine, die ich persönlich super finde, werden übrigens privat finanziert, und die einzelnen Projekte von der Recherche bis zur Verlegung von allerlei Initiativen, z.B. Schulen vor Ort und dgl., durchgeführt. Zudem nicht nur in D, sondern europaweit. Nix Städte / Steuergelder oder dergleichen, dann gäbe es wohl keine bislang 42.000 Steine.
Ich habe bisher nur blitzblanke Steine gesehen, allerdings alle in Westdeutschland ^^

[SPOILER]wen soll ausserdem ein Stein an der Wand zum Stolpern bringen - Spiderman? :ugly [/SPOILER]

Na ja, voller Faschos ist meine Stadt nicht gerade. Hängt wohl eher mit dem allgemeinem Desinteresse an solchen Themen (“Juckt mich nicht, ist 70 Jahre her”) und der schon erwähnten absoluten Knappheit der Kasse zusammen. Verpflichtende Plaketten sind natürlich in meinen Augen keine Lösung, aber irgendwas anderes wäre mir da schon lieber als der jetzige, reichlich unwürdige Zustand. Schon traurig, wenn nicht mal das Geld und der Wille für eine Säuberung solcher Steine vorhanden ist. Entweder verlegt man sie und kümmert sich anschließend darum, oder man lässt es bleiben und spart sich die erneute Erniedrigung der Opfer. Die meisten der von mir begutachteten Steine waren so schmutzig, dass man kaum noch die Namen entziffern konnte, und aufgefallen sind mir die Dinger auch erst, als ich aktiv gesucht habe. Eine zentrale Gedenkstätte hätte natürlich den Vorteil des besseren Pflegbarkeit, aber dann ist auch das Risiko gegeben, dass man sie “verziert”.

Edit:

@Mamalupe

Schön, wenn das durch private Geldgeber ermöglicht wird, aber dann sollte es keine einmalige Goodwill-Aktion sein, sondern aktiv gepflegt werden. Da scheint es bei uns hier noch zu klemmen. Offiziell ist man extrem betroffen, lächelt in die Kamera beim verlegen der Steine und latscht ein Jahr später ohne Weiteres unbeachtet über das schmutzige Stück Metall.

PS: Die Steine der jüdischen Arztfamilie in der Wand sind ein schöner Blickfang und haben mein Interesse schon eher geweckt als die Dinger, über die man einfach drüberlatscht, da man sie nicht sieht.

[QUOTE=Enzio;329754]Schön, wenn das durch private Geldgeber ermöglicht wird, aber dann sollte es keine einmalige Goodwill-Aktion sein, sondern aktiv gepflegt werden. Da scheint es bei uns hier noch zu klemmen. Offiziell ist man extrem betroffen, lächelt in die Kamera beim verlegen der Steine und latscht ein Jahr später ohne Weiteres unbeachtet über das schmutzige Stück Metall.

PS: Die Steine der jüdischen Arztfamilie in der Wand sind ein schöner Blickfang und haben mein Interesse schon eher geweckt als die Dinger, über die man einfach drüberlatscht, da man sie nicht sieht.[/QUOTE]

Bzgl. der Pflege hast du zweifellos Recht. Ich muss aber sagen, dass ich die Stolpersteine recht schnell sehe. Aber ich glotze ja auch immer stumpf aufen Gehweg, wenn ich irgendwo langlatsche.:mrgreen:

Also, naja ich weiß ja nicht, wies bei euch abläuft, also bei uns gibts ne Gehwegreinigung. Und nicht alle Steine haben mit Juden zu tun.
Ich finds okay. Da weiß man, wer damals in der Stadt am Start war. Stört mich also nicht im Geringsten.

Joar… zudem geht das auf eine Initiative eines Künstlers zurück, und die Intention ist u.a. dass man sich eben bücken muss, wenn man das lesen will, quasi eine Verbeugung vor den Opfern.
Unter http://stolpersteine.com kann man sich informieren.

Kommentare zu Ossis und Gehwegreinigung spar ich mir lieber mal… wo ist eigentlich greggy, wenn man ihn braucht?

Erster Absatz: Yo.

Zweiter Absatz: Spars Dir doch einfach ganz.

Ich denke, würdelos ist allenfalls das Verhalten der Menschen im Umgang mit den Steinen.

Ansonsten sehe ich da keinen wirklichen Anlaß, darüber zu diskutieren.

Das Contra-Argument, dass die Leute drüber latschen, ist unangebracht übersensibel gedacht und verkennt den Nutzen dabei.

Gerade dass diese „Stolpersteine“ ganz unkompliziert im Belag öffentlicher Gehwege platziert werden, macht die Idee doch so großartig.
Die Steine stören - außer Revisionisten und Antisemiten - niemanden, weder die Stadt noch die derzeitigen Eigentümer der geschichtsträchtigen Immobilien, aber sie stellen gleichzeitig eine äußerst wirksame, kostengünstige und dauerhafte Möglichkeit des Mahnens und Gedenkens dar.
Im schlimmsten Fall werden die Messingplatten durch mangelnde Pflege nicht mehr wahrgenommen oder die Schrift läßt sich nicht mehr entziffern. Die Benutzbarkeit des Bürgersteigs bleibt ja trotzdem erhalten. Und die Steine verschwinden ja auch nicht und können jederzeit wieder vom Dreck befreit werden.
Doch in der Regel dürften nach dem nächsten starken Regen, dem Verschwinden des Herbstlaubs oder dem Schmelzen des Schnees die speziellen Steine wieder sichtbar hervortreten, jedenfalls solange kein Vandalismus im Spiel ist oder die Stadt allgemein ein Sauberkeitsproblem hat. Ist ja zum Glück auch nicht mehr so, dass Bäche aus Schlamm und Scheiße durch die Gassen fließen.

In einigen Städten ist das anscheinend üblich, dass Bürger eine „Putzpatenschaft“ für die Stolpersteine ihrer Wahl übernehmen:
http://www.stolpersteine-dresden.de/paten
Das klingt nach einer machbaren Regelung.
Für Menschen wie Enzio, die sich aufrichtig Gedanken um das sinnvolle Gedenken an die ermordeten Juden machen, dürfte eine solche ehrenamtliche Aufgabe eine Selbstverständlichkeit sein.

Vor kurzem habe ich im TV einen Beitrag?, eine Reportage? oder Dokumentation? gesehen, wo es auch um einen bestens verlegten Stolperstein ging.
Und zwar war da so ein spezieller Bücherladen, in dem vor allen Dingen rechtslastige Literatur aus den Zwanziger und Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts angeboten wurde. Der Besitzer, ein ewig gestriger Mensch, der einen Haß auf alles schiebt, was an die Verbrechen der Nazis erinnert, wußte nicht, als er Haus und Laden kaufte, dass die Bude eine jüdische Vergangenheit hat und war dementsprechend negativ überrascht, als man einen Gedenkstein direkt vor seiner Ladentür in den Gehweg setzte. Und er wollte das Ding natürlich loswerden.

Bei einer Gedenktafel am Haus wäre ihm das wohl auch gelungen.

PS:
Ich hätte das entsprechende Video gern verlinkt, weiß aber nicht mehr, wo und nach was ich suchen muß.

@MBS: Such mal in Verbindung mit “Extra 3”, das klingt als hätte ich das auch schon mal gesehen und ich meine das es bei X3 war.

Bitte schön! :wink:

//youtu.be/FwmCq7gRkh8

Der Beitrag ist aber doch schon etwas älter ( 2008 ).

Danke schön!
Genau den Beitrag meinte ich.
Außer dass ich aus dem Internetcafé des Herren einen Bücherladen für Naziliteratur gemacht habe.

In meiner Heimatstadt sind übrigens auch so einige Stolpersteine notwendig.
Von drei Häusern weiß ich, dass sie jüdischen Familien gehörten. Was mit diesen Familien geschah, ob sie deportiert wurden oder rechtzeitig fliehen konnten, weiß ich nicht.