Diskussion über den Blog-Artikel: Schöner saufen mit dem BR
Die zeitliche Nähe zum bizarren “Roast of Jenny Elvers” letzten Montag auf Comedy Central, ähm, NDR3 bringt es mit sich, dass dem Zentralorgan für praktizierten Nächstenhass bild.de die Balance zwischen geheuchelter Sorge um eine gefallene Schmuckdesignerin einerseits und Besäufnisvoyeurismus auf dem Oktoberfest andererseits nicht ganz reibungslos gelingt.
Das sieht konkret dann so aus, dass direkt neben einer Trittbrettstory zur Causa Elvers, Boris Becker mit glasigem Blick an der Stelle vorbei schielt, wo man Christine Neubauer mit hochgeschnürten Hupen und vollem Humpen über seine halbleere Maß montiert hat. (Screenshot vom 24.09.12, 09:00 Uhr)
Anbei der Service für meine englischsprachigen Leser. Die Schlagzeile unten links bedeutet “Heidi Klum’s bodyguard is enjoying ATM”)
Generell scheint es keine Bedenken zu geben, Prominente in besonderem Zustand fürs Fernsehen zu interviewen, solange sie im Dunstkreis des Käferzelts rumtorkeln; z.B. in der Vergangenheit Roberto Blanco oder Ottfried Fischer.
Die Sonderstellung der Wiesn im deutschen Sudel- und Fuseljournalismus erschließt sich mir als Rheinländer nicht. Mich überfordert ja schon der Karneval, wo ganz normale Honks in die Kameras lallen.
Deshalb habe ich mir aus ethnologischem Interesse und kultureller Überlegenheit ein Bild aus beinahe erster Hand machen wollen. Als Primärquelle zum Verständnis sonderbarer bajuwarischer Riten dient mir:
Wiesn live 2012 (BR3, Montag, 24.09.; 17:00 - 17:30 Uhr)
Wäre dies eine Show von Stefan Raab, müsste sie als “Dauerwerbesendung” gekennzeichnet werden. Aber da die bayerische Spezerlnwirtschaft in sämtlichen Gremien läuft wie geschmiert, geht das 30minütige Informercial zugunsten der geladenen Gäste, eines speckigen Bierzeltimpresarios mit dem ulkigen Namen Schottenhammel (aus der Leiche seines Ururopas wurde der allererste Haggis gebacken) und einer heiseren Achterbahnbetreiberin mit Timoschenkozopf (dafür aber leider ohne Stimmbänder) ungebremst über den öffentlich-rechtlichen Sender. Moderiert wird der krachledernde Laberkäse übrigens von einem kumpelnden Kasperlkopp namens Tilmann Schöberl, dessen kantiger Schädel ganz offensichtlich aus einem alten Radi geschnitzt worden ist.
Eine geschlagene halbe Stunde lang wird in Wort und Einspielfilm eifrig Reklame für die Unternehmen der beiden Großkopferten betrieben. Auf dem Fahrgeschäft der krächzenden Matrone werden selbstredend nie, nie, nie Handys vom Fahrtwind aus den Taschen der Insassen ejakuliert. Dafür sitzt der Sicherheitsbügel viel zu eng. Das passiert nur bei der Konkurrenz. Und als ob es Zufall wär, fand das humoreske Interview mit dem feixenden Landesvater Seehofer justament im Ausschankbereich vom Schottenhammel Sepp statt.
Der Minderwertigkomplex der radebrechenden Süd-“Deutschen” gebietet es, dass man sich im Rahmen dieser Sendung, die auch im Rest der Republik verfolgt wird, mit der Troika der klassischen Tugenden Saufen, Dirndl, Blasmusik nicht zufrieden gibt, um am Ende als die Hinterwäldler dazustehen, die sie ja auch tatsächlich sind. Nein, nein! Der Spagat zwischen Laptop und Lederhose gelingt aufs … na ja, Vierminus reicht auch.
Die obligatorische Netzreporterin, die auf den Namen Vivian Perkovic hört, hat sich mit entsichertem Klapprechner an den Biertisch geklemmt, um den Zuschauern Interaktivität vorzugaukeln. Das gipfelt in einem Skype-Versuch mit einer jungen Frau am anderen Ende der Festwiese über irgendein Thema, das schlussendlich vollkommen egal ist, weil eine Verbindung in den Marianengraben auch nicht schlechter ausgefallen wäre.
Währenddessen tobt im Livechat der Mob:
“Vivian, sprech bayrisch. Du redest ein viel zu hartes deutsch.” (Toniboandlkramer); Reinhard moniert das offensichtlich silikonverstärkte Dekolleté der Netzreporterin: “Seid ihr wahnsinnig geworden beim BR? Ich bin bestimmt nicht prüde, aber die “Maskerade” von Vivian ist voll daneben. Wollt ihr unbedingt das Oberbayern-Niveau auf’s Oktoberfest holen? M.E. langfristig eine Beschädigung des Oktoberfestes.”
Der Reinhard ist bestimmt ein Öko. Wenn man sich erstmal bewusst ist, dass wir die Erde von unseren Kindern nur geliehen haben, dann sorgt man sich natürlich tagein, tagaus um den ganzen Plastikschrott, den die Maderln heutzutage mit sich rumschleppen. Womit wir beim zweiten Feigenblatt der Weltoffenheit dieses merkwürdigen Propagandaprogramms angekommen sind: Dem Umweltschutz.
Ein weiterer Einspielfilm belehrt uns, dass zum Schluss des Festes lediglich 900 Tonnen Restmüll übrig bleiben (im Prinzip also gar nix). Da sind die Implantate der Charityopfer Ente und Chiara Ohoven, die in einem weiteren Clip ihre Lippen ins Bild drängen, sowie die Giftmüllwitze der beiden “Comedians”, die der BR in schlimmster Pocher-Manier auf die nichtsahnenden Besucher losgelassen hat, noch nicht mitgerechnet. Immerhin entfleucht einer der beiden Flachwitzschabracken der ehrliche antiaufklärerische Scherz: “Es regnet! Soviel zum Thema Klimawandel!”
Am Ende der verdepperten halben Stunde ist von meiner Eingangsfrage leider Gottes nichts übrig geblieben, weil man zwar ständig Mittel- bis Vollbetrunkene bestaunen konnte, jedoch war niemand von denen prominent. Selbstreinigung des Fernsehens? Oder doch nur ein bedauerliches Versehen? Ich könnte es in den kommenden Folgen herausfinden, denn der Mist läuft künftig jeden Werktag. Aber ich bin doch nicht bescheuert!
Bis die Tage!