RTL Spiegel TV Extra: Lob für Unterschichtendeutsch

Hat jemand gesagt, dass ein Sprecher eines Dialekts, Soziolekts oder Ethnolekts nicht auch die Standard-Sprache seiner Heimat lernen sollte? Ist ja nicht so, dass die Sprecher eines deutschen Dialektgebietes nicht auch Standard-Deutsch lernen würden.

„Standard-Deutsch“? Kenne ich nicht, wo lernt man das? :wink:

Ich wünschen diesen Leuten jedenfalls viel Erfolg, schließlich müssen wir als Gesellschaft insgesamt dahinkommen, mehr höherwertige Arbeitsplätze zu schaffen. Dieses „Tüttensuppen-Niveau“ hat insgesamt keine Zukunft und wird immer mehr in prekären Jobs enden.

Der Affentanz um den vermeintlichen Sprachverfall und die Kritik am Kanackenslang gehen gern einher mit unterschwelligem Rassismus.

Das seit der Leitkultur-Debatte gebetsmühlenartig veröffentlichte Dogma, dass zu einer gelungenen Integration das Beherrschen der deutschen Sprache gehört, hat zusätzlich dafür gesorgt, jeden schlecht deutsch sprechenden Migranten Integrationsdefizite zu attestieren oder gar als Anpassungsverweigerer zu brandmarken.

Ein falsches Signal von oben, meiner Meinung nach, das nun verstärkt als selbsterfüllende Prophezeiung herumgeistert und sich wieder und wieder in den Medien spiegelt.

Fehlende Sprachkompetenzen im Zusammenhang mit Integration und Unterschicht sollten von der Politik nicht so an die große Glocke gehängt werden, weil es als Problem zweitrangig ist.
Obwohl, genau deswegen wird das Thema ja aufgebauscht, weil es von den erstrangigen Problemen ablenken soll.

Abschließend möchte ich noch auf ein thematisch passenden Song hinweisen, und zwar von Eko Fresh, der sich im knallharten, brutal-gefährlichen Mönchengladbacher Ghetto sein Straßendeutsch angeeignet hat:

http://www.youtube.com/watch?v=eIIDS6D1 … page#t=21s

Noch eine kleine Ergänzung zum Thema „Sprachverfall“. Hier ein Ausschnitt Staddarddeutsch des 13. Jahrhunderts (Mittelhochdeutsch genannt) aus dem Nibelungenlied:

Ez wuohs in Burgonden ein vil edel magedîn,
daz in allen landen niht schœners mohte sîn,
Kriemhilt geheizen: si wart ein scœne wîp.
dar umbe muosen degene vil verliesen den lîp.

Also, wenn die deutsche Sprache „verfallen“ kann, dann ist sie das schon längst. Oder gibt es hier jemanden, der diese in Standarddeutsch geschrieben Strophe ohne Probleme versteht? Sprache entwickelt sich immer weiter - egal ob mit oder ohne Türken. Jede Weiterentwicklung oder Veränderung in der Umgangssprache pauschal als „asozial“ oder „Sprachverhunzung“ zu bezeichnen, ist schlicht vermessen.

Also, locker bleiben und das Problem mit dem Dönerbudendeutsch und der Jugendsprache nicht so verbissen sehen.

Und zum Abschluss quote ich mich selbst, denn diese Meinung habe ich nach wie vor von diesem Thread:

@ Baru:

Ohne linguistische Studie lohnt es sich nicht mal um das Thema größer zu diskutieren.
Es kann doch keiner von uns sagen, ob dieses Kiez-Deutsch eine Regelhaftigkeit und einen stabilen Wortschatz hat und ohne so eine Feststellung kann ich weder die Ausgangsthese-These bestätigen noch falsifizieren.

Für eine gründliche wissenschaftliche Analyse wäre das nötig. Stimmt. Deswegen hatte ich auch vorsichtshalber geschrieben:

Mein Beitrag steht unter dem Vorbehalt, dass die Darstellung des Kiez-Slangs im SPON-Artikel adäquat und die Beispiele paradigmatisch sind. Davon ist aber wohl auszugehen…

Es wäre aber jedenfalls zumindest überraschend, wenn eine regelhafte Grammatik bestünde. Denn wenn viele Leute aus verscheidenen Sprachen versuchen, eine dritte, nicht beherrschte Sprache einigermaßen zu sprechen, dann sind sicher erst einmal keine ausgefeilte Grammatik und kein einheitlicher Wortschatz zu erwarten. Meine Kritik stützt sich auf den SPON-Artikel, von dem ich hoffe, dass er halbwegs zuverlässig ist. (Außerdem, berücksischtige ich das, was man sonst so hört und liest; schließlich hört man ja auch Leute manchmal so sprechen.) Die Darstellung des Spiegel-Artikels stimmt jedenfalls mit der durchaus positiv-werbenden Seite kiezdeutsch überin. http://www.kiezdeutsch.de/sprachlicheneuerungen.html
Hier spricht m.E. auch ohne eine lange lingusitische Analyse dafür, dass das Kiez-Deutsch eine stark simplifizierte eigentlich provisorisch aufgebaute Gebrauchs-Sprache mit wenig Regeln ist, mehr nicht. Es fehlen Artikel, Vokabular und grammatische Struktur.

Erstmal hat sich nur Frau Wiese mit dem Thema ausführlicher beschäftigt - und für eine Entscheidung, ob ihre Arbeiten wissenschaftlichen Kriterien genügen, müsste man sie auch erstmal lesen.

Ja. Aber speziell jene Thesen, die sie laut SPON-Artikel vertritt, erscheinen als äußerst schwach und schwach begründet. Ihr Beweis für eine logische Überlegenheit der Kiez-Sprache etwa ist m.E. offenkundig unsinnig (siehe meinen ersten Beitrag).
Andere Thesen von Frau Wiese kann und will ich natürlich nicht beurteilen; dazu wäre dann eine spezifische Beschäftigung notwendig. Aber das, was sie laut SPON sagt, ist doch sehr verwunderlich.

Was keine sachlichen Argumente sind:

  1. Photo mit Kind zeige, mit welcher Ernsthaftigkeit Frau Wiese arbeite […]

Da hast Du m.E. durchaus recht!

Zumindest der Buchtitel drückt eine noch nicht abgeschlossene Entwicklung aus und das Kiezdeutsch wird in dem Anfangsstadium einer Dialektentwicklung verortet und nicht als vollentwickelten Dialekt.

Ich kann mich hier wieder nur auf den SPON-Artikel beziehen, und da ich nicht alle Artikel ürpfen kann, muss ich eben provisorisch einmal von einer einigermaßen adäquaten Darstellung ausgehen. Und demnach scheint Wiese das Kiezdeutsch eben gerade nicht als eine (noch) mangelhafte, schwache Sprache mit positivem Potential zu begreifen, sondern als eine, die dem Hochdeutsch jedenfalls nicht unterlegen, wenn nicht partiell sogar überlegen ist. Wohlgemerkt geht es um das heutige, nicht um ein hypothetisches zukünftiges Kiez-Deutsch, wenn Wiese schreibt:

Wer Wiese wütend erleben will, der sagt am besten, Kiezsprache sei falsches, schlechtes Deutsch. Wiese ist überzeugt, dass die Sprache aus den sozialen Brennpunkten oftmals logischer ist als Standarddeutsch. Die häufige Verwendung des Wörtchens „so“ sei ein Beispiel - es werde benutzt, um die Bedeutung eines Objekts hervorzuheben: „Sind wir so Kino gegangen“.

Meine Kritik dazu: Siehe erster Beitrag von mir.

Wenn ich mir so die Rubrik anschaue, in der dieses Topic steht:
Hat eigentlich irgendjemand außer dem Threadersteller auch die Sendung gesehen und kann was zu der Sendung selber sagen und nicht nur zu den Thesen? Die Sendung wird ja hoffentlich nicht nur deswegen schlecht gewesen sein, weil sie eine These vorstellt, die man persönlich nicht mag.

Zur Sendung kann ich zumindest nichts sagen, habe das aber auch ausdrücklich nicht getan; ich äußere mich nur zum Artikel, und den habe ich gelesen.

Zitat deissler:

Ich kann mich täuschen. Aber soweit ich weiß unterschlägst du Wieses Kernthese, nach der die meisten Sprecher des Kiezdeutschen dazu in der Lage sind, zwischen ihren Codes zu switchen. Das untergräbt m.E. deine unbesonnenen und persönlichen Tiraden

Das mag durchaus sein, dass manche Sprecher des Kiez-Deutschen switchen können. Mir geht es aber nicht in erster Linie um die Sprecher, sondern die Sprache. Und die wurde offenbar geprägt von Menschen, die die deutsche Sprache nur notdürftig beherrschen, egal, ob sich dann andere anschließen und diesen Slang auch sprechen (ober jedenfalls Vokabeln aus ihm übernehmen). Wenn jemand switschen kann, dann ist das ein Vorteil für ihn, aber nicht unbedingt für das „Kiez-Deutsch“.

Das ist übrigens auch keine Spitze gegen Migranten, denn es ist niemandem ein Vorwurf zu machen, wenn er eine neue, komplexe Sprache nicht leicht lernt. Den dann entstehenden Slang aber als geleichwertig oder sogar oftmals logisch überlegen gegenüber dem Hochdeutschen darzustellen, halte ich für eine gewagte These. So hatte ich das übrigens von Anfang an gesagt, weswegen ich den Vorwurf „persönlicher und unbesonnener Tireden“ nicht nachvollziehen kann. Du känntest an meinem Beitrag sehen, dass ich durchaus sachlich und am konkreten Fall argumentiere; und wo ich etwas polemsch bin, dort gegenüber Frau Wise aus jeweils konkretem Anlass, und nicht gegenüber Ausländern.

da z.B. der häufige Gebrauch des Verbs machen nicht für Sprachnotstand steht, sondern Ausdruck sprachlicher Ökonomie ist. Da sprachliche Zeichen arbiträr sind sehe ich kein Problem. Die Bedeutung speist sich aus der Handlungssituation und ist der Pragmatik zu zurechnen.

Theoretisch kann man eine Sprache mit einem einzigen Substantiv und einem einzigen Prädikat kosntruieren. Nur macht das keinen Sinn. Damit eine Sprache differenziert ist, muss sie über eine hinreichende Anzahl von Vokabeln verfügen. Daran ändert das Prinzip der Sprachökonomie auch nichts.

Alle Menschen, die eine Sprache beherrschen, verwenden daher auch bestimmte Vokebeln, setzen also dem Prinzip der sprachlichen Ökonomie eine deutliche Grenze. Kein Deutscher sagt: „Machst Du rote Ampel.“ Genau so wenig sagt ein Angelsachse: „Make you red traffic light.“ Analoges gilt mit Sicherheit für alle anderen Sprachen auch, egal ob Französisch, Spanisch oder Finnisch.
Wer als Muttersprachler aufgrund hinreichender Kenntnis eine andere Wahl hat, der wird ein solches Reden normalerweise vermeiden. Wenn also in so einem Fall wie der Ampel nur noch ein einheitliches Verb wie „machen“ benutzt wird, dann hat das nicht den Grund, dass man sich kompetente Spracher um eine sinnvolle Sprachökonomie bemühen, sondern dass dem in der Sprache nur mangelhaft kompetenten Sprecher die richtigen Worte fehlen, und damit auch die Fähigkeit zum differenzierten Sprechen. Man sollte niemanden deswegen geringschätzen, aber aus der „Not“ auch keine Tugend machen.

Im Beispiel mit der roten Ampel fehlt beispielsweise die Unterscheidung von Imperativ und einer einfachen Aussage. Es ist auch nicht klar, ob jemand über eine rote Ampel fährt, ob er über sie geht, ob er über sie fahren soll, ob er über sie gehen soll. Oder kann „machst Du rote Ampel“ vielleicht auch heißen: „Pass auf die rote Ampel auf“? So geht jeder präzise Sinn verloren.

Machen wir ein noch deutlicheres Beispiel. Analog zu dem obigen Beispiel müsste "Du fährst mit dem Fahhrad " soviel heißen wie „Machst Du Fahhrad“. Das kann nun wohl bedeuten: „Fahre mit dem Fahrrad“ oder auch „Du fährst mit dem Fahhrrad“ oder, wenn jemand Fahrräder fabriziert: „Stelle ein Fahrrad her!“ oder auch „Du stellst ein Fahrrad her.“ Oder was ist, wenn jemand sein Fahrrad säubert oder lackiert: Ist das alles „machen“?

Wenn „machen“ für alles stehen, dann gibt es keine Unterscheidung mehr, ob man eine Sache selbst „macht“, oder ob man nicht sie selbst „macht“ sondern mit ihr etwas macht. Und des Weiteren: Was man denn mit ihr macht.

Je Vokabeln nun bereit stehen, um ein breites Bedeutungsspektrum abzudecken, desto geringer wird die Trennschärfe der Worte. Auf diese Weise verliert eine Sprache ihre Differnezierungsfähigkeit, und somit ihren Reichtum und ihre Ausdruckskarft. Genau das macht nämlich (auch) das Niveau einer Sprache aus: Dass man in ihr möglichst einfach etwas genau Bestimmtes und Abgegrenztes sagen kann. Und das bedeutet, dass ein erhebliches Maß an sprachlicher Differenziertheit besten muss. (Auch aus diesem Grund entweickeln Fachsprachen weitere Differenzierungen: Für uns ist eine Wolke eine Wolke, für den Metereologen nicht.)

Eine Sprache, die dem Prinzip der Differenzierung nicht mehr hinreichend gerecht wird, ist eben keine vollwertige differenzierte und gehobene Sprache mehr, sondern bestenfalls eine simplifizierte Ersatz-Sprache. Mehr will ich auch nicht sagen, und ich will auch die Sprecher nicht angreifen. Aber wenn man nun sagt, dass ein solcher Slang mindestens so gut wie die Hochsprache und soogar noch logischer ist, dann ist das nicht nachvollziehbar.
(Zudem wird Sprache auch schnell fade und langweilig, wenn man stets dieselben möglichst breiten Allgemeinbegriffe nbbenutzt: Auch das zeichnet eine gute Sprache aus, dass sie Variabilität beistzt und somit Raum für Vielfalt bietet.)

@ Pierre Kirby Groupie:

Sprache ist schon seit vielen tausend Jahren permanent im Wandel: Wörter veralten, neue Wörter kommen hinzu. Und Slangs und „Unterschichtensprache“ gab es in Deutschland auch schon immer - lange schon bevor „Unterschichtler aus dem Islambereich“ nach Deutschland kamen.

Allerdings werden solche Sprachen gewöhnlich von Leuten gesprochen, die aus der Muttersprache herkommen, und der Dialekt bewegt sich dann in ähnlichen grammatischen Bahnen und besitzt ein vergleichbares Niveau wie die Ursprungssprache. Ich möchte noch einmal an mein ersten Beispiel erinnern, an mein schlechtes Französisch: Wäre ich gezwungen, mich ständig auf Französisch auszudrücken und könnte es nicht besser lernen, meine Sprache wäre primitiv, falsch und mangelhaft, undifferenziert und ohne gute grammatische Struktir. Sie entspreäche also genau dem Kiez-Deutsch, wie es sich nach verschieddenen Artikeln darstellt.

Was ich allerdings auch nicht nachvollziehen kann,ist, wenn man die Thematik „nutzt“, um eine verkappte Ausländer-oder gar Islam-Feindlichkeit in einem eigentlich sachfremden Gebiet kaum versteckt zum Besten geben zu können. Das lehne auch ich ab und finde es daneben. Das gehört m.E. auch keineswegs zum Thema hier.

Eigentlich ist es doch ganz einfach: Aus Sicht des Hochdeutschen ist diese “Sprache” falsch. Und, diese Wertung erlaube ich mir mal, wenn auch vielleicht funktional, dann doch sehr ausdrucksarm.

Es ist möglich, diese “Sprache” als eine Art Pidgin-Sprache, als eine Hilfssprache zur Kommunikation anzusehen, die durch Vereinfachung und Vermischung entsteht. Diejenigen (vereinfachend gesagt) Türken, die aus bildungsfernen Schichten stammen, lernen dann kein richtiges Deutsch mehr, sonder ein pidginisiertes Deutsch, und dieses wird auch von aus ähnlichen Schichten stammenden Deutschen dann gelernt. Selbstverständlich kann so eine im Rahmen ihrer Verwendung komplett funktionale Sprache mit eigener Grammatik entstehen, und dann ist diese Sprache selbstverständlich auch grammatikalisch richtig, nach ihren eigenen Regeln.

Fakt bleibt aber, dass die korrekte Beherrschung des Hochdeutschen fast überall Grundvoraussetzung für beruflichen Erfolg ist, und dass - oft unterschätzt - das Niveau der Beherrschung nicht selten entscheidet über gute oder schlecht bezahlte Arbeit.

So lange das Umschalten beherrscht wird zwischen beiden Sprachebenen, ist alles wunderbar. Ebenso wunderbar wie beim Sachsen, der bei Bedarf vom Sächsischen ins (sächsisch klingende) Hochdeutsch wechseln kann.

Und demnach scheint Wiese das Kiezdeutsch eben gerade nicht als eine (noch) mangelhafte, schwache Sprache mit positivem Potential zu begreifen, sondern als eine, die dem Hochdeutsch jedenfalls nicht unterlegen, wenn nicht partiell sogar überlegen ist.

Eine Sprache, die dem Prinzip der Differenzierung nicht mehr hinreichend gerecht wird, ist eben keine vollwertige differenzierte und gehobene Sprache mehr, sondern bestenfalls eine simplifizierte Ersatz-Sprache. Mehr will ich auch nicht sagen, und ich will auch die Sprecher nicht angreifen. Aber wenn man nun sagt, dass ein solcher Slang mindestens so gut wie die Hochsprache und soogar noch logischer ist, dann ist das nicht nachvollziehbar.

Das sagt doch niemand? :smt017
Im Artikel ist die Rede davon, dass Fr. Wiese das Kiezdeutsch als „Dialekt“ anerkannt haben möchte und dass diese Mundart oftmals logischer ist als Hochdeutsch.
Und warum auch nicht?
Wie Baru schon gesagt hat, ist der Artikel ein wenig dürftig, um ihre Behauptungen angemessen in Frage zu stellen.

Das einzige, direkt auf ihre Behauptung bezogene und für eine Komplettkritik ihrer Thesen sicher nicht ausreichende Beispiel ist das:

Die häufige Verwendung des Wörtchens „so“ sei ein Beispiel - es werde benutzt, um die Bedeutung eines Objekts hervorzuheben: „Sind wir so Kino gegangen“.

Du versuchst das folgendermaßen zu widerlegen:

Hier irrt Frau Wiese. Denn natürlich kann man auch in korrektem Deutsch etwas hervorheben. Dann sagt man etwa: „Wir sind tatsächlich ins Kino gegangen.“ Nur ist es natürlich unsinnig, ständig etwas ohne Grund hervorzuheben. So etwas doch zu tun, zeugt auch nicht im Entferntesten von überlegener Logik, sondern schlicht und ergreifend von schlechter Sprache.
Auch ist das „so“ hier wohl keine überflüssige (und daher fehlplatzierte) Hervorhebung, wie Wiese meint, sondern ein reines Füllwort, das aber aufgrund seiner ständigen Verwendung ebenso fehl am Platze ist wie eine ständige Hervorhebung.

  1. Sie hat ja nicht behauptet, dass man in korrektem Deutsch nichts hervorheben kann.
  2. Wie kommst du darauf, dass ständig und ohne Grund Objekte mit „so“ hervorgehoben werden, und wieso sollte das unsinnig sein? :smt017
    Um beim Beispiel zu bleiben:
    „Kino“ wird durch „so“ herausgehoben, und du meinst, ohne überhaupt den Kontext der Aussage zu kennen, dass das zwar unsinnig ist, aber wenn überhaupt, dann sollte man „tatsächlich“ oder ein ähnlich passendes Wort verwenden.

Ist es nicht egal, mit welchem Wort Objekte deutlich gemacht werden, solange die Message beim Empfänger ankommt?

„Was habt ihr gestern abend unternommen?“

  • „Sind wir so Kino gegangen.“

„Was habt ihr gestern abend unternommen?“

  • „Wir sind tatsächlich ins Kino gegangen.“

Und warum genau nun Fr. Wiese denkt, die Verwendung von „so“ in so einem Zusammenhang sei logischer als (z.B.) „tatsächlich“, wird im Artikel nun mal nicht erläutert. Oder weißt du, was sie mit „logischer“ genau meint?

Was mir z.B. als Nicht-Linguist schon mal auffällt ist, dass so aus zwei Buchstaben besteht und tatsächlich aus 11. Also wäre es doch logischer SO zu verwenden, um ein paar Millisekunden Sprechzeit zu sparen.
Auf ein ganzes Leben hochgerechnet, kommt bestimmt genug Zeit für einen Kinoabend bei rum. :mrgreen:

Meistens werden ja bestimmte Wörter beim Sprechen hervorgehoben durch stimmliche Betonung.
Ich denke mal, dass das „so“ in diesem Beispiel vor allem diese stimmliche Akzentuierung ersetzen kann oder soll.
Also statt „sind wir kino gegangen“ mit hörbarer Betonung von „Kino“, sagt der Kiezdeutsch-Sprecher alternativ „Sind wir so Kino gegangen“ in einer Tonlage und betont einfach per Zusatzwort.

Er kann natürlich als Steigerung das „so“ verwenden und zusätzlich auch tonal hervorheben. Also eine doppelte Betonung verwenden.

Es gibt ja auch in manchen Sprachen die doppelte Verneinung, die es im Standarddeutsch nur noch teilweise gibt, die man also über die Jahrhunderte wegrationalisiert hat.
Aber es gibt sicher Situationen, in denen ein doppeltes Nein durchaus geeigneter wäre, als die heute übliche einfache Negation.

http://de.wikipedia.org/wiki/Doppelte_Verneinung

Und das „Rote Ampel“-Beispiel braucht man nicht allzu Ernst nehmen.
Das hast du unnötig auseinander klamüsert.
Ich schätze mal, dass das, erstens, bei weitem nicht so häufig verwendet wird wie die anderen Beispiele „yallah“, „lan“, usw., und zweitens, wenn überhaupt, eher scherzhaft gemeint ist.
Sowie: „Ich hab Rücken“ oder „ich mach dich Krankenhaus!“

Theoretisch kann man eine Sprache mit einem einzigen Substantiv und einem einzigen Prädikat kosntruieren. Nur macht das keinen Sinn. Damit eine Sprache differenziert ist, muss sie über eine hinreichende Anzahl von Vokabeln verfügen. Daran ändert das Prinzip der Sprachökonomie auch nichts.

Ich möchte noch einmal an mein ersten Beispiel erinnern, an mein schlechtes Französisch: Wäre ich gezwungen, mich ständig auf Französisch auszudrücken und könnte es nicht besser lernen, meine Sprache wäre primitiv, falsch und mangelhaft, undifferenziert und ohne gute grammatische Struktir. Sie entspreäche also genau dem Kiez-Deutsch, wie es sich nach verschieddenen Artikeln darstellt.

Na und?!
Kommt doch drauf an, in welcher Situation man auf schlechtes Französisch zurückgreifen muss.
Was zum Problem werden kann, wenn man z.B. jemandem die Relativitätstheorie erklären muss, kann sich in einer anderen Situation als Vorteil herausstellen, z.B. wenn man eine franz. Austauschstudentin balzen möchte.

Fazit:
Es macht wenig Sinn, dieses Kiez-Deutsch pauschal mit der Standardsprache zu vergleichen, weil es halt ein Slang ist, der in einem bestimmten Milieu, von bestimmten Leuten und bei bestimmten Gelegenheiten gesprochen wird.
Die fehlende Grammatik oder der geringe Wortschatz sind vernachlässigbare Werte.
Man vergleicht doch auch keinen PKW mit einem Flugzeug unter der Rubrik „Fortbewegungsmittel“ und beanstandet dann, dass das Auto nicht als Fortbewegungsmittel bezeichnet werden sollte, da ihm die Flügel fehlen.

Wenn eine Sprache oder Mundart sich etabliert hat und angewandt wird, hat sie auch ihre Daseinsberechtigung und ist deshalb als absolut gleichwertig mit jeder Sprache der Welt zu betrachten.

Sprachen entwickeln sich stetig weiter, weil die Menschen sie nicht bloß einsetzen, sondern auch pausenlos „zurechtschleifen“, ihren Bedürfnissen anpassen.
Wenn also mit der Zeit der Wortschatz schrumpft oder die Grammatikregeln nicht mehr so streng eingehalten werden, sollte das, erstmal, weder als positiv noch als negativ betrachtet werden, da nämlich das Kommunikationsvolumen dadurch nicht abnehmen kann.
Der vermeintliche Verlust von Vokabeln wird sicher durch Kommunikationen anderer Art ausgeglichen.
Also bildlich ausgedrückt:
Man stelle sich das gesamte Kommunikationsvolumen als Ballon vor. Wenn dieser an einer bestimmten Stelle eingedrückt wird und sich dadurch der Wortschatz verringert, ändert sich natürlich nichts am Gesamtvolumen.

Und das im Spon-Artikel vom Bangen um die Reinheit der Sprache Goethes und Schillers die Rede ist, find ich erstaunlich, da kein Arsch mehr so spricht, wie die beiden gedichtet haben.
Um bei Hinterteilen zu bleiben:
Wenn ich mich nicht irre, hat doch J.W.G in irgendeinem seiner Dramen im damals üblichen Slang „Lecken sie mich im Arsch!“ geschrieben.
Wird ja in dieser Weise formuliert heutzutage auch eher selten laut ausgesprochen.
Höchstens mal von einem deutsch-mäßig nicht sattelfesten Ausländer, oder vielleicht noch als wortgetreu gemeinte Aufforderung beim Liebesspiel zwischen Charlotte Roche und ihrem Mann.

Wie Baru schon gesagt hat, ist der Artikel ein wenig dürftig, um ihre Behauptungen angemessen in Frage zu stellen.

Ich brauche doch keinen vollen Artikel vorgesetzt zu bekommen um mir ein Urteil bilden zu können. Diese Dünnpfiffsprache ist doch wohl jedem ausreichend bekannt und somit kann man sich, als normaler Mensch auch sein Urteil bilden. Grundsätzlich bezweifle ich zb. ersteinmal, das diese Sprache auch nur annähernd einer erklärbaren Logik folgt.

Mfg
Chris

Tja Chris, und da liegt der Fehler. Ich sehe keinen Grund es zu bezweifeln. Ich rede zwar so nicht und finde so etwas auch eher amüsant, wenn jemand so spricht, aber dieser Soziolekt (ich denke, da kann man übereinkommen, dass es weder Regiolekt noch Dialekt noch Ethnolekt ist) hat nunmal seine eigene Funktion und Daseinsberechtigung.

Sprache war schließlich auch immer schon Abgrenzungsmethodik, beispielsweise wenn sich das Wort “geil” in der Jugendkultur hocharbeitet, oder “knorke” vor ein paar Jahrzehnten oder oder oder… Das ist hier erstmal auch gegeben: Die Sprecher fühlen sich bereits von der Gesellschaft ausgegrenzt, weil sie größtenteils am unteren Rand der Gesellschaft leben, und übertragen das einfach in ihre Sprache. Das korreliert dann mit oftmals niedrigem Bildungsstand und sein Sprechvermögen trainiert man ja u.a. auch damit, dass man sich trainiert, durch Lesen etc.
In niedrigeren Schichten ist eben meist weniger Geld für Bücher etc. da, und ich kann es einem 18-jährigen mit Hauptschulabschluss, arbeitslos und ohne Berufsaussichten mit Tendenz zur Armut eben nicht verübeln, dass er sich nicht zuhause Kafka reinzieht. Bildung ist halt schon irgendwo ein Luxusgut. Da müsste ohnehin bei weitem endlich mal angesetzt werden.

Folgt dieser Soziolekt eigenen Regeln? Klar. Sachen gehen beispielsweise einfach nur nicht mit eindeutig definierten Genera einher. Man kann ja auch sowohl “Das Laptop” als auch “Der Laptop” sagen, auch wenn mir das erstere weniger intuitiv erscheint, oder “Das Level” und “Der Level”, da gibts dann auch noch verschiedene Pluralformen.
“Ich mach dich Mutter fertig” - nehmen wir mal den Satz. In der Valenz des Verbes “fertig machen” werden zwei Sachen verlangt - Subjekt und Objekt, genauer: Akkusativobjekt. “Ich” ist Subjekt, “dich Mutter” ist Akk.-Objekt.
Jetzt kann man natürlich sagen: “Aber es muss DEINE Mutter heissen”. Im Prinzip, ja. Aber: “dich Mutter” ist nur eine Weiterführung von “dich” (meine Hypopthese). Und “dich” wäre Akkusativ. Das heisst wir haben hier einfach nur eine Abwandlung des Possesivartikelworts vorliegen.

Zu dem Beispiel “Machst du Fahrrad”. Jetzt werden mich einige steinigen, aber: “machen” impliziert ja nicht zwingend erstmal eine handwerkliche Tätigkeit (so wie Herr Bastian Sickus es verlangt). Der Großteil der Sprecher sagt auch “Das macht Spaß”. Viel lustiger ist es natürlich bei “Sinn machen”. Das “machen” hat hier, als anglizistischer Einzug in die deutsche Sprache, einfach das “Sinn ergeben” verdrängt, sodass man mittlerweile beides sagen kann. Genauso kann man das dann auch auf das “Fahrrad machen” transferieren.
Sprache ist schließlich immer kontextabhängig. So wird der angesprochene, wenn er vorher gesagt hat “Kann nich komm, Auto kaputt”, verstehen, dass, wenn der andere sagt “Machst du Fahrrad”, er meint: “Fahr halt mit dem Rad”. Genauso wenn er vorher sagt: “Mich Fahrrad voll scheiße aussehen tut, Farbe so abblättern und so scheiß” - dann weiß er, dass der andere meint: “Mach dein Fahrrad wieder heil”. Kontextabhängigkeit ist bei Sprache immer gegeben und die einzelnen Sprecher werden sich immer gegenseitig verstehen.
Genauso wie ein Hauptschüler nicht verstünde, wenn ich sage “Naja, also mein epistemischer Zweifel impliziert, dass du hier Korrelation und Kausalität in trivialem Maße verwechselst” (vorsicht, der Satz ergibt keinen wirklichen Sinn…hoppla, macht keinen Sinn meinte ich), so muss ich die auch nicht verstehen. Klar wäre es schön, aber Sprache ist, wie oben ausgeführt, auch Abgrenzung. In meinem Fall in der Hinsicht, dass ich mich an wissenschaftliche Zirkel wende, denen die Verwendung des Fachvokabulars klar ist. Im anderen Fall in der Hinsicht, dass sich der Sprecher an seine Freunde wendet, die den Soziolekt ebenfalls beherrschen und ihn verstehen. Und mehr braucht man doch auch nicht.

Zu dem Nibelungenlied: Hey, in zwei bis drei Semestern werd ich das verstehen. Muss mittelhochdeutsch lernen. Bäh. Hups, da hab ich hier wohl wieder mal in Soziolekt geschrieben…äh: “Pass auf, innerhalb von mehreren Semestern werde ich diese Textpassage eindeutig und intuitiv verstehen, da ich für mein Studium der Germanistik die Sprache des Mittelhochdeutschen lernen und verstehen muss, was mir aber nicht sehr gefällt.”

@Mr. Morizon

Für diese sachliche Darstellung erstmal meinen Dank. Aber ich fürchte, einigen hier ist einfach nur jedes Thema recht, um mal wieder ein bisschen Ausgrenzungsrhetorik ablassen zu können.

“Machst du Fahrrad” als im Kontext klar verständliche Antwort auf “Kann nich kommen, Auto kaputt” funktioniert einwandfrei. Und warum diese Art zu sprechen anderen Varianten der Umgangssprache (tiefstes Pfälzerisch…) unterlegen sein soll, erschließt sich mir eh nicht. Es sei denn natürlich, man hält die Sprecher (ich zitiere mal: “türkische Unterschichtler”) für per se z.B. einem Pfälzer für unterlegen.

Entscheidend ist, ob die Fähigkeit erlernt worden ist, situativ in ein allgemein verständliches Hochdeutsch zu wechseln, wenn dies gefordert wird, z.B. in der Schule. Das ist aber wiederum ein Problem, was in ungebildeteren Kreisen auf den Übergang Dialekt zu Hochdeutsch ebenso zutrifft. Ich verweise nur mal auf die zahlreichen Untertitelungen bei RTL-Pseudo-Dokus, weil die Protagonisten eben nicht imstande sind, situativ in die Hochsprache zu wechseln.

@ Mannbärschwein:

Das sagt doch niemand?
Im Artikel ist die Rede davon, dass Fr. Wiese das Kiezdeutsch als „Dialekt“ anerkannt haben möchte und dass diese Mundart oftmals logischer ist als Hochdeutsch.

Frau Wiese sagt, dass Kiezdeutsch im Vergleich zum „normalen“ Deutsch keinesfalls etwa schlecht oder falsch sei, sondern oftmals sogar logischer. (Das bedeutet dann auch, dass Kiezdeutsch zwar nicht in jedem Einzelfall, aber doch bei globaler Betrachtung dem Hochdeutschen logisch über ist.) Das wird man allgemein so verstehen (dürfen), dass das Kiezdeutsch nicht schlechter als das Hochdeutsch ist, dass es dem Hochdeutschen also mindestens ebenbürtig und in einem wichtigen Punkt oftmals sogar überlegen ist. Und genau so habe ich das auch dargestellt und kritisiert.

Wie Baru schon gesagt hat, ist der Artikel ein wenig dürftig, um ihre Behauptungen angemessen in Frage zu stellen.

Kiezdeutsch ist kein Esperanto, keine uns unbekannte Wissenschaft, jedenfalls wenn damit dieser wohlbekannte Slang gemeint ist, das insbesondere manche Menschen mit Migrationshintergrund sprechen; den kennen wir alle dann kennen wir alle doch einigermaßen und wissen, wovon die Rede ist.

  1. Sie hat ja nicht behauptet, dass man in korrektem Deutsch nichts hervorheben kann.

Und warum genau nun Fr. Wiese denkt, die Verwendung von „so“ in so einem Zusammenhang sei logischer als (z.B.) „tatsächlich“, wird im Artikel nun mal nicht erläutert. Oder weißt du, was sie mit „logischer“ genau meint?

Sagen wir es mal so: Ich nehme es an. Denn ich unterstelle (wie Du sicher auch), dass sowohl Frau Wiese als auch der Spiegel-Autor sich etwas gedacht haben und daher so formulieren, dass man die Botschaft normalerweise verstehen kann. Und so versuche ich, die Worte möglichst sinnvoll zu interpretieren. Im Original heißt es ja:

Wiese ist überzeugt, dass die Sprache aus den sozialen Brennpunkten oftmals logischer ist als Standarddeutsch. Die häufige Verwendung des Wörtchens „so“ sei ein Beispiel - es werde benutzt, um die Bedeutung eines Objekts hervorzuheben: „Sind wir so Kino gegangen“.

Unterstellen wir also, dass diese Sätze mit einander im Bezug stehen und einen Aussagesinn haben, und dass man den aus dem Kontext erschließen kann, und eventuell auch ungefähr, was mit „logischer“ gemeint ist. Es wäre ja unsinnig, etwas zu sagen, von dem nicht ansatzweise beim Leser ankommt, was gemeint ist.

Die Botschaft ist nun offenbar, dass es „logischer“ sei, wenn man sagt „Sind wir so Kino gegangen“, als wenn man sagt: „Wir sind ins Kino gegangen.“
Und warum ist das logischer? Offenbar, um am Text zu bleiben, weil durch das Wörtchen „so“ die „Bedeutung eines Objekts“ „hervorgehhoben“ wird. Gemeint ist mit „logischer“ also offenbar „differenzierter und nunancierter“ und damit „ausdrucksreicher“. Oder anders: Kiezdeutsch ist oftmals logischer als das Standard-Deutsch, weil man beispielsweise die Bedeutung eines Objekts mittels des Wörtchens „so“ hervorheben kann.

Das macht aber nur dann Sinn, wenn man unterstellt, dass eine analoge Lösung im „Standard-Deutschen“, um etwas hervorzuheben, nicht existiert. Wenn man nämlich im Standard-Deutschen etwas genau so hervorheben kann wie im Keiez-Deutschen, oder sogar besser, dann ist das Kiezdeutsche in dieser Hinsicht keinesfalls „logischer“ oder ausdrucksreicher als das Hochdeutsche.

Dass das Hochdeutsche nicht so gut wie das Kiezdeutsche in der Lage wäre, etwas zu unterstreichen, ist nun aber eindeutig falsch. Noch dazu ist das ständige Hervorheben im Kiezdeutschen kein Zeichen überlegener Differenzierung, sondern da solche Ausdrücke wie „so“ und „voll“ ständig gebraucht werden, fehlen sie gerade, wenn es darum geht, etwas wirklich zu betonen. Somit ist Kiezdeutsch, wenn schon, weniger differenziert als Hochdeutsch, nicht umgekehrt. Und das gilt ja nicht nur hier, sondern auch aufgrund der fehlenden Vokabeln und der Überladenheit vieler Begriffe mit einer enormen Varanz an inhaltlicher Bedeutung (s.u.).

So geht jedenfalls meine Interpretation von Frau Wise und dem Spiegel-Autor. Schließlich sollte man ja irgendeinen Sinn in diesen Sätzen finden. Wenn jemand aber eine bessere Interspretation auf Lager hat und diese textnah begründen kann, dann ist mir das gerne willkommen! Wenn ich den Sinn der Aussage aber korrekt erfasst habe, wovon stark auszugehen ist, dann ist meine Kritik an Wieses Argumentation absolut berechtigt.

  1. Wie kommst du darauf, dass ständig und ohne Grund Objekte mit „so“ hervorgehoben werden, und wieso sollte das unsinnig sein?

Weil mir das Kiezdeutsch wie gesagt nicht gänzlich unbekannt ist, weil ich mich auch schon mit Leuten unterhalten habe, die es sprechen, weil Kiezdeutsch keine entrückte Kunstsprache ist, sondern man es immer wieder hören kann. (Oder Frau Wiese und ich sprechen über zwei paar Stiefel.) Ein anderer inflationärer Ausdruck zur Pseudo-Hervorhebung, der ebenfalls zum sinnlosen Füllwort verkommen ist, ist übrigens „voll“. „Find ich voll krass“, oder sogar: „Das ist voll leer.“

Beispiel für einen typischen Kiezdeutsch-Satz (nicht von mir erfunden):

Typischer Kiez-Satz (nicht von mir erfunden!):
„Isch kann misch gut bewegen, wa? Ischwöre. Egal, was für ein Hiphopmusik isch höre, ey, mein Körper drinne tanzt voll, lan."
http://www.focus.de/kultur/mode/lifesty … 13533.html

„Ischwöre“ ist ebenfalls so ein inflationärer Füller, ebenfalls „ey“, und natürlich wie gesagt schon „voll“.

Um beim Beispiel zu bleiben:
„Kino“ wird durch „so“ herausgehoben, und du meinst, ohne überhaupt den Kontext der Aussage zu kennen, dass das zwar unsinnig ist, aber wenn überhaupt, dann sollte man „tatsächlich“ oder ein ähnlich passendes Wort verwenden.

Dass ich keinen Kontext kenne, ist nicht meine Schuld. Das Beispiel stammt von Frau Wiese und wurde ohne Kontext gegeben. Meine Meinung, dass Wörter wie „so“ oder „voll“ in einer inflationären Weise benutzt werden und nichts mehr hervorheben können, sondern Füllwörter sind, stammt auch nicht aus dem Beispiel, sondern wie gesagt aus meiner allgemeinen Kenntnis des „Kiez-Deutschen“. Wenn man etwas tatsächlich betonen will, dann würde ich das auch in der Tat anders als im Kiezdeutschen ausdrücken. Das war aber gar nicht Sinn meiner Aussage, und das ist auch ein Stück weit arbiträr.
Sinn war es, dass das Hochdeutsche genau so Hervorhebungen erlaubt wie das Kiezdeutsche „so“, weswegen dieses „so“ für die Behauptung, das Kiezdeutsche sei "oftamals " logischer als das Hochdeutsche, alles andere als ein überzeugendes Beleg-Beispiel ist.

Was habt ihr gestern abend unternommen?"

  • „Sind wir so Kino gegangen.“

„Was habt ihr gestern abend unternommen?“

  • „Wir sind tatsächlich ins Kino gegangen.“

Im normalen Hochdeutsch antwortet man aber auf die allgemeine Frage, was man gestern abend unternommen hat, nicht mit „Wir sind tatsächlich ins Kino gegangen“. Man lässt das „tatsächlich“ weg. Anders als im Kiezdeutschen. Da sagt man oft „so“ oder „voll“, ohne Sinn, und ohne etwas besonders betonen zu müssen. Das darf man von mir aus auch gerne tun. Mit so einem Beispiel aber dann konstruieren zu wollen, dass Kiezdeutsch dem Hochdeutschen logisch überlegen sei, da in vielen Fällen logischer, ist dann doch ziemlich abenteuerlich.

Also statt „sind wir kino gegangen“ mit hörbarer Betonung von „Kino“, sagt der Kiezdeutsch-Sprecher alternativ „Sind wir so Kino gegangen“ in einer Tonlage und betont einfach per Zusatzwort.

Was macht es für einen Sinn, „Kino“ überhaupt zu betonen?

„Warst Du gestern abend im Theater?“
„Nein! ich war allein und ich war im Kino.“
„Aber Jan hat Dich im Theater gesehen.“
„Er muss mich verwechselt haben. Glaube mir, ich war im Kino.“

So macht eine Hervorhebung durch Betonung Sinn (als Beispiel), aber nicht einfach so.

Und das „Rote Ampel“-Beispiel braucht man nicht allzu Ernst nehmen.
Das hast du unnötig auseinander klamüsert.
Ich schätze mal, dass das, erstens, bei weitem nicht so häufig verwendet wird wie die anderen Beispiele „yallah“, „lan“, usw., und zweitens, wenn überhaupt, eher scherzhaft gemeint ist.
Sowie: „Ich hab Rücken“ oder „ich mach dich Krankenhaus!“

Im SPON-Artikel wurden im Anschluss zwei Beispiele dieser Art angeführt, und auf der positiv werdbenden Seite über Kiezdeutsch, die ich zuletzt verlinkt hatte, sogar drei. Und nirgendwo wurde auch nur angedeutet, dass das scherzhaft sei. Wieso sollte es auch? Wenn man eine Vokabel nicht kennt, muss man sie eben auslassen oder durch eine (unpassende) Standard-Vokabel ersetzen. Und das ist ja Kiezdeutsch seinem Urprung nach: Eine Sprache derjenigen, die kein richtiges Deutsch können. Das sage ich ohne jede Abwertung, einfach als sachliche Feststellung.

Na und?!
Kommt doch drauf an, in welcher Situation man auf schlechtes Französisch zurückgreifen muss.
Was zum Problem werden kann, wenn man z.B. jemandem die Relativitätstheorie erklären muss, kann sich in einer anderen Situation als Vorteil herausstellen, z.B. wenn man eine franz. Austauschstudentin balzen möchte.

Ich vertrete ja auch gar nicht die These, dass Kiezdeutsch „schlecht“ sei. Wenn man kein gutes Deutsch sprechen kann, ist es sicher hilfreich. Und wenn jemand es freiwillig spricht, ist das seine Sache. Nur ist dieser Slang eben ggü. dem Hochdeutsch deutlich unterlegen, und das ist eigentlich klar. Und ob es im Regelfall beim Flirten hilft, wenn man sich nur auf einm sprachlich geringen Niveau ausdrücken kann, ist doch etwas fraglich.

Es macht wenig Sinn, dieses Kiez-Deutsch pauschal mit der Standardsprache zu vergleichen, weil es halt ein Slang ist, der in einem bestimmten Milieu, von bestimmten Leuten und bei bestimmten Gelegenheiten gesprochen wird.
Die fehlende Grammatik oder der geringe Wortschatz sind vernachlässigbare Werte.

Versteh ich nicht. Darum dreht sich aber doch gerade die Debatte: Nicht, ob Kiezdeutsch einen Sinn hat und für manche Menschen sogar nützlich ist, sondern ob es - vergleichen mit dem Hochdeutschen - keineswegs schlechtes Deutsch ist, und dem Hochdeutschen logisch sogar oft überlegen. Es also doch um die Frage, wie Kiezdeutsch qualitaiv nach lingusitischen Kriterien einzuschäzen ist. Und wenn es um eine EInschätzung einer Sprache geht, sind doch gerade Wortschatz und Grammatik ganz zentrale Gesichtspunkte.

Man vergleicht doch auch keinen PKW mit einem Flugzeug unter der Rubrik „Fortbewegungsmittel“ und beanstandet dann, dass das Auto nicht als Fortbewegungsmittel bezeichnet werden sollte, da ihm die Flügel fehlen.

Nur ist da ein Unterschied. Ein Flugzeug ist nicht geeignet für eine Fahrt zum Einkaufszentrum in der Innenstadt. Man kann hingegen im normalen Deutsch praktisch alles formulieren, was man auch im Kiezdeutsch sagen kann, und das viel besser, viel exakter, viel differenzierter; und man kann darüber auch inhaltlich viel mehr sagen. Man müsste den Vergleich anders machen: Auf der einen Seite ein gutes, brauchbares Auto, auf der anderen Seite dasselbe Auto, nur mit vielen Schäden und Flickschustereien, und zudem mit der fiktiven Auflage, dass es keine Bundesstraßen und Autobahnen benutzen darf.

Wenn eine Sprache oder Mundart sich etabliert hat und angewandt wird, hat sie auch ihre Daseinsberechtigung und ist deshalb als absolut gleichwertig mit jeder Sprache der Welt zu betrachten.

Mit der Daseinsberechtigung magst Du durchaus recht haben. Bei der „Gleichwertigkeit“ käme es ganz darauf an, was man darunter versteht. Wenn man den Begriff im offenbar von Frau Wiese intendierten Sinne benutzt, dann kann ich dem nicht zustimmen.

Sprachen entwickeln sich stetig weiter, weil die Menschen sie nicht bloß einsetzen, sondern auch pausenlos „zurechtschleifen“, ihren Bedürfnissen anpassen.
Wenn also mit der Zeit der Wortschatz schrumpft oder die Grammatikregeln nicht mehr so streng eingehalten werden, sollte das, erstmal, weder als positiv noch als negativ betrachtet werden, da nämlich das Kommunikationsvolumen dadurch nicht abnehmen kann.

Im Fall des Kiezdeutschen ist es aber ja nun so, dass Menschen einfach kein gutes Deutsch sprechen und daher gezwungnermaßen Grammatik und Vokabeln über Bord werfen, weshalb auch eine anspruchvolle Konversion kaum noch möglich ist. Das kann man nicht vergleichen. Bei allem Respekt vor Menschen, die sich mit der komplexen Sprache namnes „Deutsch“ schwertun: Man mache aus der Not keine Tugend.

Um nochmals auf Frau Wiese zurückzukommen scheint sie ein Faible für absurde Argumente zu haben. Jedenfalls, wenn man der FAZ Glauben schenken darf:

Ähnliche Fälle, die es im Deutschen schon gibt - „Krawatte tragen“, „Angst machen“ -, werden herangezogen, um auch „Messer machen“ für „greife dich mit dem Messer an“ ganz im Rahmen zu finden. Selbst wenn das „Tragen“ der Krawatte, anders als das „Machen“ des Messers, semantisch ungebleicht, nämlich im Wortsinn erfolgt. Doch Wiese ist weder wissenschaftlich noch normativ wählerisch. Wenn statt „dem Manne“ inzwischen meist „dem Mann“ gesagt wird, rechtfertigt das für sie - „die Vereinfachungen sind im Deutschen angelegt“ - auch weitere Simplifikation wie „Das ist mein Schule“. Vielleicht dann folgerichtig auch „mein Schul“?

http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/deb … 64452.html

Tatsächlich wird beim „Messer machen“ ja nicht nur ein Artikel abgeschliffen wie bei „Krawatte targen“, sondern es wird ein anderes Wort mit andere semantaischer Bedeutung statt des ursprünglichen Ausdrucks benutzt.(Und zwar ein Wort, das auf solche Weise eine enorme Überfülle an Bedeutung bekommt und dadurch an Bestimmtheit und Anwendungswert verliert. Das führt zu einer semantischen Verarmung in dem Fall der „Verinfachung“ im Fall Messer, nicht aber in dem der Krawatte. Siehe auch unten meine Antwort an Mr. Morizon.)
Der eine Fall ist mit dem anderen aus linguistischer Sicht also nicht einmal vergleichbar.

Sollte Frau Wiese also tatsächlich auf einem solchen Niveau argumentieren, wie die FAZ das behauptet, so wäre das für eine Person mit linguistischer Ausbildung wenigstens „erstaunlich“ und „bemerkenswert“, um es diplomatisch zu sagen. Wenn also nicht FAZ und Spiegel gemeinsam Frau Wieses Argumentationen falsch darstellen, dann gibt das Anlass zu einigen Fragen hinsichtlich der Art und Weise, wie sie „argumentiert“.

@ Mr. Morizon:

Zu dem Beispiel „Machst du Fahrrad“. Jetzt werden mich einige steinigen, aber: „machen“ impliziert ja nicht zwingend erstmal eine handwerkliche Tätigkeit (so wie Herr Bastian Sickus es verlangt). Der Großteil der Sprecher sagt auch „Das macht Spaß“. Viel lustiger ist es natürlich bei „Sinn machen“. Das „machen“ hat hier, als anglizistischer Einzug in die deutsche Sprache, einfach das „Sinn ergeben“ verdrängt, sodass man mittlerweile beides sagen kann. Genauso kann man das dann auch auf das „Fahrrad machen“ transferieren.
Sprache ist schließlich immer kontextabhängig.

Manche Begriffe haben verschiedene Bedeutungen und lassen sich in verscheinen Kontexten einsetzen. Man hat dann Homonyme bzw. Äquivokationen. Das ist an sich kein Problem, solange eine einigermaßen klare, bestimmte Bedeutung in jedem dieser Fälle erhalten bleibt. „Sinn machen“ ist beispielsweise eindeutig definiert, und das „machen“ hat hier eine bestimmte Bedeutung, die wenig mit dem „machen“ im Sinne von Herstellen zu tun hat.

Problematisch wird es jedoch, wenn bestimmte Begriffe mit weitem Bedeutungsgehalt derart überstrapaziert werden, dass sie praktisch alles abdecken müssen, weil nämlich jemand einfach nicht die geeigneten Ausdrücke kennt, die jeweils zu verwenden wären. Die Intension (nicht: Intention) von Begriffen und sprachlichen Ausdrücken wird dann uferlos.

Wenn man beispielsweise „machen“ nicht mehr allein für Herstellen oder in bestimmten anderen, wohldefinierten Kontexten verwendet, sondern für jede Art der Aktion, dann bezeichnet „machen“ nicht mehr etwas hinreichend Greifbares und Abgegrenztes.
„Machen“ bedeutet im Kiez-Deutschen nicht nur etwas machen oder herstellen, und es wird nicht nur in definierten und eingrenzbaren anderen Kontexten verwendet, sondern bezeichnet überhaupt fast jede Art von Aktion: Also wenn man irendetwas mit irgendeiner Sache macht, oder wenn man auch nur irgendetwas im Hinblick auf eine Sache macht.
Beispiel: „Machst Du rote Ampel“. Man macht da etwas im Hinblick auf die rote Ampel, und zwar indem man ihr zum Trotz über die Straße geht. Das war es dann aber mit dem „machen“ auch schon.

Wenn Begriffe nun „irgenetwas“ im weitesten Sinne bedeuten, dann bedeuten sie fast alles und somit wieder nichts. Genau deswegen gehen Ausdriuckskraft und Differenzierungsfähigkeit verloren. Der Extremfall wäre: „Irgendetwas tut irgendetwas.“ Je mehr Begriffe mit enorm ausufernder Intension eine Sprache oder ein Slang besitzt, und je mehr sie gebraucht werden, desto mehr verliert die Sprache ean Eindeutigkeit und Klarheit. Man kann sie dann immer nur in einem möglichst klaren Kontext und mit viel Fantasie verstehen. Aber genau das macht eben gute Sprache auch aus: Dass die Ambiguität möglichst klein ist.

Und selbst Dichtung, bei der Ambiguität oder die Verschiebung von Bedeutungen gewünscht wird, setzt bereits eine hinreichend definierte und differenzierte begriffliche Fülle voraus. (Irgendwelche Rap-Texte sind für mich höchstens in einem stark eingeschränkten Sinne „Dichtung“.)

Um sich wirklich differenziert auszudrücken und beispeilsweise eine anspruchsvolle Diskussion zu führen, ist Kiezdeutsch zweifellos völlig ungeeignet. (Es sei denn, es macht so viele Anleihen beim Hochdeutschen oder entwickelt sich so sehr weiter, dass es aufhört, Kiezdeutsch zu sein.)
Poesie, aber auch Wissenschaft und anspruchsvolle Erörterungen kann es in einer stark simplifizierten Behelfssprache nicht geben.

Wenn daher gesagt wird, dass das Kiezeutsche vergleichen mit dem Hochdeutschen keineswegs ein „schlechtes Deutsch“ sei, sondern diesem logisch oftmals sogar überlegen (gemeint ist offenbar die Ausdrucks- und Differenzierungsfähigkeit), dann ist das schlichtweg falsch.

@ alle: Vielleicht sollten wir etwas weiter differenzieren. Ich versuche mal, meinen eigenen Standpunkt klarzumachen.

Kiezdeutsch mag nützlich für diejenigen sein, die kein richtiges und gutes Deutsch sprechen können. Und das ist ja auch in Ordnung. Und wenn jemand, der es besser kann, es freiwillig spricht, beispielsweise um mit Leuten zu kommunizieren, die kein Kiezdeutsch können, dann ist das seine Sache.
Kiezdeutsch ist vielleicht sogar „gut“ für manche Menschen, weil es ihnen hilft, sich zu verständigen, und sie es anders nicht können.
Wichtig wäre natürlich für die Betroffenen selbst, und zwar in ihrem Interesse, dass sie wenigstens zusätzlich in der Lage sind, „normales“ Deutsch zu sprechen.

Ist Kiezdeutsch dem normalen Deutsch unterlegen? Natürlich, und zwar weit: Hinsichtlich Grammatik, Wortschatz, Differenzierungs- und damit Ausdrucksfähigkeit. Kiezdeutsch ist seinem Ursprung nach eine stark simplifizierte Behelfssprache von Menschen, die kein richtiges Deutsch können, und genau das prägt diese Sprache ganz entscheidend. Deswegen ist es, vergleichen mit dem Standard-Deutsch, natürlich auch ein schlechtes Deutsch. Das ist eine simple Wahrheit, und die muss man sagen dürfen.

Ich meine, dass dies eigentlich klar ist und dass man das auch sagen darf, und dass dadurch weder Ausländer diskriminerit werden, noch dass dadurch der Sinn des Kiezdeutschen für manche Gruppen von Sprechern geleugnet wird. Natürlich hilft Kiezdeutsch manchen sicher. Aber wenn man nun darauf besteht, dass dieser Slang keineswegs schlechtes Deutsch und dem Hochdeutschen logisch sogar oftmals noch logisch überlegen ist, dann tut man auch den Sprechern des Kiezdeutschen sicher keinen Gefallen.

Denn diese These muss als dermassen offensichtlich falsch und unsinnig erscheinen, dasss man leicht zur Überzeugung gelangt, dass hier unmöglich sachliche, sondern politische Gründe das Urteil motivieren. und das provoziert und führt so zu Gegenreaktionen.

Warum nicht einfach der Wahrheit ins Gesicht sehen? Kiezdeutsch ist für manche Menschen hilfreich und daher legitim, hat auch seinen Sinn, ist aber, wenn man den allgemein üblichen Sinn der Worte zugrundelegt, natürlich dem richtigen Deutsch stark unterlegen. „Unterlegen“ nicht im Hinblick auf seine Funktionalität bei einer bestimmten Gruppe, sondern unterlegen im Hinblick auf Ausdrucksfähigkeit, Vokabular und Grammatik. Daraus folgt aber natürlich weder, dass der Slang selbst nutzlos oder seine Sprecher schlechte Menschen wären.

Gegenfrage: Ist dann auch das Deutsche dem Finnischen unterlegen, weil wir nur 4 Kasus haben und die 15+ 12 adverbiale Kasus mit eingeschränkter Verwendung? (Die Frage ist ernst gemeint)

Wie können Sprachen an sich falsch oder unterlegen sein? Sie sind selbstreferentiell, da sie Verständigung durch Nominaldefinitionen generieren. Basiskenntnisse Sprachtheorie.

@ Mr. Morizon:

Gegenfrage: Ist dann auch das Deutsche dem Finnischen unterlegen, weil wir nur 4 Kasus haben und die 15+ 12 adverbiale Kasus mit eingeschränkter Verwendung? (Die Frage ist ernst gemeint)

In gewisser Weise: Ja! Nämlich in der Hinsicht grammatischer Ausgefeiltheit und Differenziertheit.

Ob das Neuhochdeutsche dem Finnischen oder dem Vedischen oder dem Indoeuropäischen aber auch im Hinblick auf seine semantische Differenzierungs- und Ausdruckskraft unterlegen ist, das weiß ich nicht. Das kann nur jemand sagen, der den Vergleich hat.

Jedenfalls besitzt das Deutsche auch genug Differenzierungen, um die meisten Sachverhalte ziemlich trennscharf darszuetellen: Ob ich ein Fahrrad nun fahre, es lackiere, es repariere, es herstelle, es fahre, es schiebe und so weiter: Für all das stehen verschiedene wohldefinierte sprachliche Ausdrucksformen zu Gebote, so dass man vieles klar und eindeutig sagen kann, ohne bei jedem Satz stets erst den Kontext kennen und betrachten zu müssen.

Und da man im Deutschen aber auf jeden Fall anspruchsvolle Texte in allen wissenschaftlichen Disziplinen verfassen, ausdrucksstarke Dichtung bertreiben und großartige Literatur schaffen kann, mitreißende Reden halten und intellektuell anspruchsvolle Debatten führen kann, würde ich sagen, dass Deutsch hinsichtlich seiner Klarheit, seines Reichtums und seiner Ausdrucksstärke hinreichend entwickelt ist, um als gehobene Sprache dienen zu können.

Genau das bezweifle ich beim Kiez-Deutschen aber massiv, und wenn ich mich nicht wirklich ganz mächtig täusche, dann auch zurecht. Kiez-Deutsch ist darauf angelegt, dass man sich im Alltag in einer einfachen Lebenswelt verständigen kann, nicht, um Wisssenschaft und Philosophie zu betreiben oder große Dichtung und Literatur zu schaffen. Und wahrscheinlich nicht einmal, um eine differenzierte und komplexe Diskussion zu führen, wie wir es hier etwa (hoffentlich und einigermaßen) tun.

Wenn man beispielsweise die Texte, die wir hier schreiben, ohne enormen Verlust an Differenziertheit und damit Bedeutung und Klarheit ins Kiezdeutsche „übersetzen“ könnte, so wäre ich mehr als verwundert.

Daher mein Urteil: Das Kiezdeutsche ist ein schlechtes, behelfsmäßiges Deutsch, das mit dem Hochdeutschen zu vergleichen oder ihm gar als oftmals sogar überlegen hinzustelen geradezu unsinnig ist. Damit streite ich aber natürlich nicht ab, dass dieser Slang eine sinnvolle Aufgabe für seine Sprecher erfüllt, oder dass man mit ihm in vielen alltäglichen Situationen nicht gut zu Rande käme.

(Aber die Qualität einer Sprache besteht eben nicht nur darin, dass man im Alltag mit ihr gut „überlebt“, sondern auch, dass man in ihr auch reflektierte und distinguierte Diskussionen beispielsweise über Linguistik, Syntax und Semantik führen kann.)

@ Dercoolstehier:

Wie können Sprachen an sich falsch oder unterlegen sein? Sie sind selbstreferentiell, da sie Verständigung durch Nominaldefinitionen generieren. Basiskenntnisse Sprachtheorie.

Was der Hinweis auf die Selbstreferentialität hier soll, vestehe ich nicht ganz.
Falsch können Saprchen natürlich nur im Hinblick auf eine andere Sprache sein. Ich kann mir auch ein Deutsch definieren, das kein "der und „die“ mehr kennt, sondern nur noch „das“ als Artikel. Dann ist mein Privat-Deutsch nicht in Bezug auf sich selbst, wohl aber in Bezug auf das allgemein akzeptierte Deutsch „falsch“.

Überlegenheit und Unterlegenheit eines konventionellen Gebildes wie einer Sprache kann natürlich in vielerlei Hinsicht bestehen: Beispielsweise hinsichtlich des Reichtums an Vokabeln, der Trennschärfe von Begriffen, der Frage, ob die uns bekannte Wirklichkeit begrifflich möglichst vollständig und lückenlos sprachlich abgebildet wird, der Differenziertheit der Grammatik, allgemein der Ausdruck- und Differenzierungsfähigkeit der Sprache. Je mehr man komplexe Gedanken über möglichst viele Gegenstandsbereiche adäquat sprachlich ausdrücken kann, desto leistungsfähiger ist die Sprache in dieser Hinsicht. Das schreiben wir doch schon die ganze Zeit, und das liegt doch auf der Hand. Und m.E. zeichnet es eine Sprache auch wesentlich aus, wenn man in ihr wirklich große Dichtung und Literatur verfassen kann.

Gehobene Sprache dient nicht NUR dazu, im (Großstadt)-Dscungel zu überleben, sondern ermöglicht es dem Menschen auch, sich wissenschaftlich und kulturell zu entfalten. Und eine Sprache, die das in hohem Maße kann, ist somit in einer ganz wesentlichen und wichtigen Frage einer Sprache überlegen, die das nicht oder nur rudimentäer zu leisten vermag.

Ich verstehe nicht, wie man solche eigentlich doch „banalen“ Binsenweisheiten leugnen kann…

Wir sind tatsächlich ins Kino gegangen.

In meinen Ruhrpottdeutsch: Sin waa doch inne Kino gelatscht.
Die Ruhrgebietgrammatik zu erklären, würde hier echt Seiten füllend werden.
Nur ein Beispiel: Das Auto gehört meinen Vater. - De Karre gehören mein Vaddaa sein tun.

Aber zum Glück wurde ich ja dann billingual aufgewachsen. :lol:

Ich habe mal ein Buch gelesen, ein Hamburger Schriftsteller, er hat das Buch nur in messingsch geschrieben.
Ähnelt ein bisschen in der Grammatik der Ruhrgebietsprache, darum viel es mir nicht schwer.

Meine Frage, darf zu den altbekannten Dialekten oder auch Regiodialekten kein neuer dazu kommen?

Ach nochmals zu den Artikeln, der, die das.
Besonders osteuropäische Einwanderer haben damit sehr viel Probleme, da in ihrer Sprache diese Artikel nicht gibt.
Da werden so einige alles gerne mit “das” betiteln, oder auch gleich die Artikel weglassen.
Oder es glatt verwechseln, was bei einem Deutschen zum Schmunzeln bringt.
Mein polnischer Nachabar:“Das war die Gerd.”

Findet jetzt hier jemand Rechtschreibfehler oder gar Grammatikfehler, behalte sie, ich änder nichts mehr, falls es mir selbst nicht auffällt.

Frau Wiese sagt, dass Kiezdeutsch im Vergleich zum „normalen“ Deutsch keinesfalls etwa schlecht oder falsch sei, sondern oftmals sogar logischer. (Das bedeutet dann auch, dass Kiezdeutsch zwar nicht in jedem Einzelfall, aber doch bei globaler Betrachtung dem Hochdeutschen logisch über ist.) Das wird man allgemein so verstehen (dürfen), dass das Kiezdeutsch nicht schlechter als das Hochdeutsch ist, dass es dem Hochdeutschen also mindestens ebenbürtig und in einem wichtigen Punkt oftmals sogar überlegen ist. Und genau so habe ich das auch dargestellt und kritisiert.

Du glaubst also tatsächlich, dass Fr. Wiese dieses „oftmals logischer“ in einem ganz allgemeinen und nicht situationsbezogenen Vergleich festgestellt hat, dass also das Kiezdeutsch in allen Belangen, ob als Sprache für ein Verkaufsgespräch oder für die Doktorarbeit, „oftmals logischer“ sei.
Ganz ehrlich, so eine schwachsinnige These würde nicht mal ein Grundschüler ernsthaft äußern, geschweige denn eine Sprachforscherin.
Ich glaube du überinterpretierst den Artikel zu einem angenomenen Streitfall.
Sie wird das „oftmals logischer“ mit Sicherheit mit Einschränkung auf das Milieu der Slang-Sprecher behauptet haben, also sozusagen „oftmals logischer“ im Sinne von oftmals alltagstauglicher oder oftmals effizienter.
Wie gesagt, ich bin kein Linguist, aber ich denke mal, dass Wortschatz und Grammatik zwei Kriterien von vielen anderen sind, um eine Sprache zu bewerten.
Etwas exakter und differenzierter ausdrücken zu können, ist eine Sache, ob es aber auch notwendig und nutzbringend ist, die andere. Oder um es überspitzt zu sagen: Drogendealer kommen selten zusammen, um über den Einfluß des Existenzialismus auf die heutige Gesellschaft zu diskutieren.

Ich glaube, Mannbärschwein würde der Austauschstudentin gerne bei Nachhilfestunden näherkommen. :wink:

@ Librarian:

Danke für den PN-Hinweis! Offenbar ist mir im vorletzten Posting ein Fehler passiert und ein Großteil ist doppelt und zwischen den ersten und zweiten Textteil gerutscht, wo ich dann z.B. Mr. Morizon geantwortet hatte. Habe es nun korrigiert.

Ich glaube, Mannbärschwein würde der Austauschstudentin gerne bei Nachhilfestunden näherkommen.

Ach so! :slight_smile:

@ Mannbärschwein:

Du glaubst also tatsächlich, dass Fr. Wiese dieses „oftmals logischer“ in einem ganz allgemeinen und nicht situationsbezogenen Vergleich festgestellt hat, dass also das Kiezdeutsch in allen Belangen, ob als Sprache für ein Verkaufsgespräch oder für die Doktorarbeit, „oftmals logischer“ sei.
Ganz ehrlich, so eine schwachsinnige These würde nicht mal ein Grundschüler ernsthaft äußern, geschweige denn eine Sprachforscherin.

Sie wird das „oftmals logischer“ mit Sicherheit mit Einschränkung auf das Milieu der Slang-Sprecher behauptet haben, also sozusagen „oftmals logischer“ im Sinne von oftmals alltagstauglicher oder oftmals effizienter.

Nun, „logischer“ und „alltagstauglicher“ sind zwei Paar Stiefel. Ich kann mich ja nur an den Text halten, der natürlich vom Spiegel und nicht von ihr direkt stammt, was bedeutet, dass es im Original vielleicht etwas anders klang. Im Artikel aber war eben allgemein davon die Rede, dass Kiezdeutsch „oftmals logischer“ sei als das normale Deutsch. Wenn das so generell formuliert ist, wird man das nahelegenderweise auch so generll verstehen. Anderes Beispiel: Wenn ich sage, dass Sprache X sehr viel detailliertere Beschreibungen als Sprache Y erlaubt, dann wird man das auch erst einmal allgemein verstehen, also dass das immer oder fast immer gilt.

Aber ich habe nachrecherchiert (was tut man nicht alles). „European Circle“ fragt Frau Wiese:

Warum ist die Jugendsprache manchmal so viel logischer als unser Hochdeutsch?

Wiese:

Das haben wir eigentlich bei allen Dialekten. In manchen Bereichen sind sie logischer oder systematischer. Ein Beispiel das aus dem Kiezdeutsch bekannt ist, ist das es eine andere Art der Wortstellung hat wie „vorhin ich war noch zuhause, jetzt ich bin hier“. Wenn man sich das aus der Sicht der Informationsstruktur ansieht, also wie verpacke ich Informationen, dann ist das sinnvoller. Ich möchte erstmal sagen, wann etwas passiert also „jetzt“, dann um wen es geht „mich“ und dann was passiert „hier sein“. Diese Satzstellung verwendete man im Deutschen bereits vor ein paar hundert Jahren. Es gibt Texte in denen steht: „Danach die edle Königin fuhr nach Ungarn.“ Kiez-Deutsch bringt uns diese Möglichkeit wieder zurück. Das hatten wir verloren in der Sprachgeschichte und haben es jetzt wieder.

http://www.european-circle.de/applausal … alekt.html

Demnach ist Kiezdeutsch also nicht nur „milieutauglicher“, sondern (u.a.) strukturell grammatisch überlegen. Ob diese Satzstellung nun tatsächlich „logischer“ ist, kann man natürlich hinterfragen. Denn warum will ich erst einmal wissen, wann etwas passiert ist, und nicht mit wem? Satzstellungen sind natürlich prinzipiell arbiträr und haben so oder so Vorteile und Nachteile. Aber über so etwas kann man natürlich grundsätzlich streiten, und so etwas kann sich auch im Lauf der Zeit ändern.

Andererseits verändern sich Sprachen schrittweise und im Einklang mit dem Sprachempfinden der Muttersprachler, und ruckartig völlig fremde Satzsstrukturen auf einen Schlag einzuführen, nur weil manche Menschen die korrekte Grammatik nicht beherrschen (was ich ihnen nicht „vorwerfen“ will), erscheint mir als etwas gewalttätig.

Etwas exakter und differenzierter ausdrücken zu können, ist eine Sache, ob es aber auch notwendig und nutzbringend ist, die andere. Oder um es überspitzt zu sagen: Drogendealer kommen selten zusammen, um über den Einfluß des Existenzialismus auf die heutige Gesellschaft zu diskutieren.

Wie Du richtig bemerkst, kommt es ganz auf den Kontext an, und darauf, was man mit einer Sprache erreichen will. Aber hier setzt auch meine Kritik ein: Eine qualitativ hochwertige Soprache ist in vielen Kontexten einsetzbar, Man kann sich knapp ausdrücken, aber man kann mit ihr auch Kultur schaffen und Wissenschaft betreiben.

Deswegen ja meine Meinung: Zum „Überleben“ im (Großstadt-)Dschungel mag das Kiezdeutsche so tauglich sein wie das Hochdeutsche, vielleicht sogar eine Note tauglicher, jedenfalls wenn man mit Nicht-Muttersprachlern zusammen ist. Aber für uns als Menschen, die wir geistige Individuen sind, ist es auch wichtig, Kultur zu schaffen, Wissenschaft zu betreiben, komplizierte Techniken zu beherrschen, effektiv hochkomplexe Organisation (beipsielsweise Stattsverwaltung) zu bewältigen usw.

Und deswegen ist das „Standard-Deutsche“ dem Kiezdeutschen auch in für uns als Menschen ganz wesentlichen Aspekten weit überlegen. Damit sage ich nicht, dass Kiezdeutsch nicht für manche Sprecher seinen Sinn haben kann, aber ich verwehre mich dagegen, wenn Kiezdeutsch und Hochdeutsch auf eine Stufe gestellt werden, oder wenn Kiezdeutsch sogar als oftmals überlegen hingestellt wird.

@ Katzenvieh. Ich habe nichts prinzipiell gegen neue Dialekte. Aber das Kiezdeutsche ist nicht unbedingt ein typischer Dialekt. Ein normaler Dialekt besitzt verbindliche Grundstrukturen, etwa in der Grammatik. Er hat ein reiches Vokabular. Der Dialekt ähnelt der Hochsprache und kann sie substituieren, also prinzipiell etwa dasselbe leisten. Auch geht der Dialekt gewöhnlich mit einem gewissen Sprachgefühl einher.

Und das Kiezdeutsche? Hier herrscht offenbar eine große Regellosigkeit, die einfach darauf zurückgeht, dass die Schöpfer die Regeln nicht kennen. Das gilt für die Grammatik und Satzstruktur, aber auch für das Genus. So heißt es im Kiezdeutschen sowohl „die Schule“ wie „der Schule“. Wenn nun aber beispielsweise das Genus nicht mehr festgelegt ist, dann macht es selbet eigentlich auch keinen Sinn mehr, dann kann man es sich ganz sparen und ein einheitliches „the“ wie im Englischen gebrauchen. Eine Beliebigkeit des Genus wie im Kiezdeutschen wird man daher nicht oder nur in minimalem Umfang in einem Dialekt finden. Die Ausdrucksmöglichkeiten des Kiezdeutschen sind zudem offenbar sehr gering, es kann nicht ansatzweise das Hochdeutsche substituieren.
Auch geht das Kiezdeutsche oft gegen das Sprachgefühl:

Machst du rote Ampel.
[= Du gehst bei „rot“ über die Straße.; vgl. auch oben zur Verb-erst-Stellung]
Ich mach dich Messer.
[= Ich greife dich mit dem Messer an.]
Wir sind jetzt anderes Thema.
[= Wir sind jetzt bei eineam anderen Thema. / Wir behandeln jetzt ein anderes Thema.]

http://www.kiezdeutsch.de/sprachlicheneuerungen.html

Solche Wendungen gehen oft mit einem wesentlichen semantischen Verlust sowie verminderter Klarheit und Differenziertheit der Sprache einher (siehe mein vorlertzer Beitrag) und stellen starke Übersimplifizierungen dar. So würde nie ein Muttersprachler die Sprache vereinfachen. Es ist einfach schlechtes Deutsch, und so hört es sich auch an.

Man sollte auch nicht einfach das Sprachempfinden derjenigen, die eine Sprache gut beherrschen, gewaltsam niederbügeln. Ohne dieses Sprachempfinden lässt sich nicht mehr zwischen gutem und schlechtem Stil entscheiden, und wir können die ganze Literaturwissenschaft vergessen.

Ich habe kein Problem, wenn ein Ausländer sich schlecht ausdrücken kann und deswegen „Machst Du rote Ampel“ sagt, wenn er meint, dass man bei roter Ampel über die Straße geht. Ihm fehlen die richtigen Worte, und deswegen ist er geezwungen, sich notbehelfsmäßig und schlecht auszudrücken. Daraus mache ich ihm keinen Vorwurf.

Ich weigere mich aber, mit Frau Wiese zu sagen, dass das ein gutes Deutsch sei, und dass das auf derselben Ebene rangiere, wie wenn man aus „Ich trage einen Schlips“ das „Ich trage Schlips“ macht, und dass ein Slang, der voll von solchen und ähnlichen Schwächen ist, so gut wie irgendein deutscher Dialekt und das Hochdeutsche ist, und in einer ganz wesentlichen Eigenschaft sogar oftmals noch besser.

Ist das denn wirklich so schwer einzusehen? Soll ich statt „Ich arbeite am Computer“ künftig „Mach ich Computer“ sagen, und anstatt „Ich schreibe im Forum“ künftig „Mache ich Forum“, und dann behaupten, dass das gutes Deutsch sei? Ist das denn wirklich nicht begreiflich? Kann man nicht Menschen, deren Deutsch schlicht und ergreifend sehr schlecht ist, respektieren, ohne ihr schlechtes Deutsch zu einem guten umzudeuten?

Nehmen wir einmal folgende fiktive Situation: Der kleine Ali muss einen Deutsch-Aufsatz schreiben. Leider ist sein Deutsch als Ausländer (verständlicherweise) sehr schlecht. Er weiß nicht, wie die richtigen Artikel gehen, und so schreibt er anstatt „die Schule“ manchmal auch „der Schule“, und so entsprechend in anderen Fällen. Er weiß auch nicht, wie die richtige Satzsstellung geht, und deswgegen verwendet er verschiedene Satzstellungen, auch solche, die dem deutschen Sprachgefühl völlig zuwiderlaufen, aber denen seiner Heimatsprache ähneln mögen. Zudem fahlen dem kelinen Ali viele Wörter und Wendungen. Er hat gehört, wie ein Mann einen anderen bedroht hat, ihn mit einem Messer anzugreifen (oder ihn abzusteche; das ist ja zweierlei!), falls dieser bei rot über die Ampel geht. Aber da Ali sich nicht richtig auszudrücken vermag, muss er die Drohung so wiedergeben: „Machst Du rote Ampel mach ich Dich Messer!“
Und eines liegt auf der Hand: Wenn überhaupt, dann kann Ali vielleicht mal einen Satz korrekt niederschreiben. Aber sich gewählt und gehoben auszudrücken vermag er nicht einmal im Ansatz; davon ist er verständlicherweise meilenweit entfernt. Stilistisch ist sein Aufsatz naturgemäß extrem schlecht, falls eine solche Wertung überhaupt noch sinnvoll ist.

Aber Ali ist nicht der einzige, sondern zwei oder drei weiteren Kindern in der Klasse geht es so: Sie können auch kaum Deutsch sprechen. Andere können zwar richtiges Deutsch, aber sie sind mit Ali aufgewachsen und sprechen wie er, wenn sie sich mit ihm unterhalten.

Und nehmen wir weiter an, die Lehrerin dieser Klasse heißt zufällig Frau Wiese. Sie wird nun nicht sagen, dass das Deutsch von Ali sehr schlecht ist (was es ist), sondern dass es genau so gut wie Hochdeutsch ist. Dass es nicht falsch, sondern korrekt ist. Dass es sogar oftmals noch viel logischer als unser Hochdeutsch ist. Dass die vielen Fehler gar keine Fehler, sondern wertvolle Innovationen seien. Dass die Regellosigkeit keine Regellosigkeit, sondern Flexibilisierung und Erneuerung bedeute. Dass Ausdrücke wie „Mach ich Dich Messer“ nicht etwa radebrechendes Deutsch ist, sondern sinnvolle Vereinfachungen und Weiterentwicklungen der dt. Sprache darstellen. Dass künftig auch alle anderen statt „die Schule“ gerne auch „der Schule“ schreiben sollen (siehe in meinen vorletzen Beitrag Zitat aus der FAZ), usw.

Kommen wir doch einmal wieder zur Besinnung und Nüchternheit. Das Deutsch des fiktiven Ali ist schlicht und ergreifend sehr schlecht. Dass es auch einige sinnvolle Elemente enthalten mag, vielleicht sogar ein paar Innovationen, und dass es als Gebrauchssprache helfen mag, das alles sei zugestanden. Vergleichen mit Hochdeutsch ist und bleibt es jedoch einfach ein schlechtes Deutsch, das typisch für jemanden ist, der eine Sprache kaum beherrscht; ganz anders übrigens als bei einem Dialekt, der ausgeformt, differenziert und gehaltvoll ist.

Der frühere Bundespräsident Roman Herzog sagte einmal, dass es erlaubt sein müsse, einen guten Schüler wieder „gut“ und einen schlechten „schlecht“ zu nennen. In diesem Sinne muss es auch möglich sein, ein gutes Deutsch gut und ein schlechtes Deutsch schlecht zu nennen.

Warum ist das offenbar bei uns einfach nicht mehr möglich?

Dass man auch das Kiezdeutsche untersucht und auf seine funktionale Bedeutung hinweist ist sicher legitim; aber wenn man es als ein gutes Deutsch, das dem Hochdeutschen in wesentlicher Hinsicht sogar oftmals überlegen sei, anpreist, dann tut man den Sprechern keinen Gefallen.

Denn diese These muss bereits auf den ersten Blick als derart offensichtlich abwegig und unsinnig erscheinen, dass man schnell zum Schluss kommt, dass Frau Wiese die Wissenschaft der Linguistik für Sozialpolitik missbraucht. Und das provoziert dann und kommt wie ein Boumerang zurück.

Wiese:

[quote][…] Ein Beispiel das aus dem Kiezdeutsch bekannt ist, ist das es eine andere Art der Wortstellung hat wie „vorhin ich war noch zuhause, jetzt ich bin hier“. […] Diese Satzstellung verwendete man im Deutschen bereits vor ein paar hundert Jahren. […] Das hatten wir verloren in der Sprachgeschichte und haben es jetzt wieder.
[/quote]
Hatten wir? Hm, das scheine ich verpasst zu haben. Ich benutze jedenfalls häufiger diese Satzstellung im Gespräch - Kiezdeutsch spreche ich aber definitiv nicht.

Ob diese Satzstellung nun tatsächlich „logischer“ ist, kann man natürlich hinterfragen. Denn warum will ich erst einmal wissen, wann etwas passiert ist, und nicht mit wem?

Wenn meine Mutter mich fragt, was ich den halben Tag gemacht habe (weil ich nicht ans Telefon gegangen bin), ist das „wer/mit wem“ ja schon geklärt - da erkenne ich keine logischen Probleme in der Antwort „Heute Nachmittag war ich in der Stadt“ .

Der frühere Bundespräsident Roman Herzog sagte einmal, dass es erlaubt sein müsse, einen guten Schüler wieder „gut“ und einen schlechten „schlecht“ zu nennen. In diesem Sinne muss es auch möglich sein, ein gutes Deutsch gut und ein schlechtes Deutsch schlecht zu nennen.

Warum ist das offenbar bei uns einfach nicht mehr möglich?

Ich glaube, da greift die bei vielen im Kopf vorhandene Angst, jemanden zu diskriminieren.
Selbst wenn es gar keine echte Diskriminierung sondern nur mangelndes Wissen, mangelnde Fähigkeiten des anderen ist, verbiegt man sich lieber selbst, als Klartext zu reden.

Da hier mehr über das sogenannte Kiezdeutsch und Frau Wieses Thesen als die Spiegel TV-Sendung diskutiert wird, habe ich den Thread mal nach „Das Leben“ verschoben.

@Librarian

„Da hier mehr über das sogenannte Kiezdeutsch und Frau Wieses Thesen als die Spiegel TV-Sendung diskutiert wird, habe ich den Thread mal nach „Das Leben“ verschoben.“

:ugly

Nein. Das ist nicht das Leben, das ist RTL.