Report München vom 02.12.2014 "Das Geschäft mit den Schmerzen"

Am 2. Dezember lief im ERSTEN bei Report München folgende Reportage :

http://www.br.de/fernsehen/das-erste/sendungen/report-muenchen/videos-und-manuskripte/grauzone-physiotherapie-104.html

Ich bin selber Physiotherapeut und ich weiß ob dieser Reportage nicht was mich mehr erschüttert. Die absolut grottenschlechte “journalistische” Arbeit der Autoren mit der eine ganze Berufsbranche in Misskredit gebracht wird, die Vermischung von Populismus, Halb- & kompletten Unwahrheiten die hier als Investigativ-Journalismus verkauft wird, die Ignoranz gegenüber der desolaten Arbeitsverhältnisse deutscher Physiotherapeuten oder einfach nur die Tatsache, daß diese Grütze von unseren Gebühren finanziert wurde.

Einen guten Überblick über die EIGENTLICHE Problematik des Berufsbildes Physiotherapeut und warum die Reportage von Report München so wahnsinnig sachverstandslos daherkommt, bekommt man in den über 400 Kommentaren auf der Blog-Seite des BR :

Hier noch eine recht treffende & auf den Punkt gebrachte Gegendarstellung der VPT Fellbach :

http://www.vpt-fortbildung.de/fileadmin/vpt_fortbildung/report_München.pdf

In Sachen Physiotherapie kenne ich jetzt nicht so aus, jedoch ist mir schon des öfteren aufgefallen dass gerade bei diesen ganzen öffentlich rechtlichen Sendungen (report München, report Mainz , Frontal 21 und wie sie alle heißen) , “die Sensationsgeilheit” über journalistische sorgfalt gestellt wird.

Die von Ihnen angesprochenen desolaten Arbeitsverhältnisse haben also keine Auswirkungen das es Einzelfälle gibt die schlicht falsch behandelt werden?

Ich als Aussenstehnder der weder betroffen noch in der Medizin tätig ist kann nur soviel aus dem Beitrag mitnehmen: Es gibt also auch auf diesem Feld, wie in den großen Kliniken, Altenheimen und bei Hebammen ein, wenn nicht gar mehrere, Probleme.

Daß es in der PT-Branche Einzelfälle fragwürdiger Praktiken gibt, bestreitet ja auch niemand. Doch diese Reportage erzeugt den Eindruck, daß dies flächendeckend der Fall sei. Und das ist schlichtweg falsch !!!

Ich möchte Euch die angesprochen Arbeitssituation gerne (vereinfacht) näherbringen:

Ausgangslage :

Die deutschen Krankenkassen bezahlen einer PT-Praxis rund 15 € pro durchgeführter Behandlung (15-25 Minuten) Krankengymnastik bzw. Manueller Therapie. Das rechnet sich hoch auf einen Stundenumsatz von rund 30-45 € [B]brutto[/B]. Dieser Wert blieb in den letzten 10 Jahren nahezu unverändert. Die abzuziehenden Nebenkosten (Steuern,Strom,Heizkosten etc.) hingegen haben sich mittlerweile verdoppelt. Den “schwarzen Peter” schieben sich dabei die Krankenkassen und die Politik abwechselnd zu.

Konsequenz 1 :

Eine Praxis (oder jede andere Art von Unternehmen) ist heutzutage mit dieser Umsatzlage [B]nicht[/B] zu halten. Praxisinhaber sind dadurch von vornherein gezwungen, privat zu bezahlende Therapiemethoden anzubieten. Das ist ja aber auch legitim und auch legal, so wie jede Versicherung neben der gesetzlichen Rente auch private Absicherungen verkauft oder wie man an vielen Tankstellen zur Tankfüllung noch ne Brezel zum Sonderpreis angeboten bekommt.

Konsequenz 2 :

Angestellten Physiotherapeuten kann eine Praxis basierend auf dieser Umsatzlage in aller Regel nur 1300-1500 € netto im Monat bezahlen, obwohl man für die Ausbildung zum PT 10.000 € löhnen “durfte”. Um mit der stetigen Weiterentwicklung in der Medizinwissenschaft Schritt zu halten, kommen für den PT noch regelmäßige Fortbildungen dazu, die sich preislich im höheren dreistelligen bzw. vierstelligen Rahmen bewegen.

Konsequenz 3 :

Wie erwähnt hat jeder Therapeut rund [B]20[/B] Minuten pro Patient. Bestandteile dieses Zeitrahmens sind
*Begrüßung
*An/Auskleiden des Patienten
*Befundungsgespräch
*Behandlung
*schriftliche Dokumentation jeder Behandlungseinheit
*direkter Übergang zum nächsten Patienten

Auch jedem “Nicht-Mediziner” dürfte sich darstellen, daß da eine effektive Behandlung eines Patienten mit 30jähriger Schmerzhistorie (wie im Bericht vorgekommen) etwas “schwierig” ist…
…zumal die Diagnosen mit denen die Patienten vom Arzt zum Therapeuten kommen oft schwammig sind. Meine “Lieblingsdiagnose” ist hierbei die DORSALGIE. Klingt super-medizinisch und vielsagend heißt übersetzt aber lediglich “SCMERZEN HINTEN” !!!

Sorry, viel Text für ein abschließendes, grundlegendes Fazit: Die allermeisten Physios sind Berufsidealisten, die ihren Beruf gewissenhaft und aus Überzeugung ausüben. Und wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender mit öffentlichen Geldern diese Überzeugungen diffamieren ist für mich eine Grenze erreicht !

Ich als Beteiligter fühle mich zumindest wie ein leidenschftlicher Gamer, dem durch eine RTL-Reportage angedichtet wird, er & seine gesamte Community könne sich weder waschen noch ein Deo benutzen, obwohl er weiß, daß 99,9999 % der Szene das durchaus drauf haben.
Zumindest in dieser Sachverstandslosigkeit & Sensationsgeilheit gleichen sich Report München & der damalige RTL-Bericht zur Gamescom…

Statement des im Beitrag interviewten Therapeuten & Funktionärs Rüdiger v. Esebeck:

http://www.physio-verband.de/fileadmin/dokumente/Dokumente_fuer_Netzmeldungen/Netzmeldungen_2014/2014-12-05_NM_Gegendarstellung_LV_Bayern_report_Muenchen_Anlage.pdf

@ Hollywood vielen Dank für die Ausführungen und Erklärungen. Ich kann das voll nachvollziehen die Situation und auch die Wut darüber, dass der Berufsstand schuld sein soll, wo es vielmehr das System zu sein scheint indem sich dieser bewegen muss.

An der Aufrichtigkeit der Ärzte und Pfleger oder Therapeuten und Arzthelferinnen besteht für mich kein Zweifel, die Arbeiten so gut es die Personal und Budgetierungssituation zulässt und sind wie erwähnt gezwungen Igelleistungen anzubieten.

Ich als Einzelperson kann es nur als ein Puzzlesteinchen aufnehmen und einsetzen in das Bild der überforderten Altenpfleger, der Bugetierung im Allgemeinen, der Politik der KV. Der Idee Krankenhäuser profitorientiert zu betreiben usw.

Noch ein Video über einen Arzt der sich “Strafbar” macht, wenn er kostenfrei behandelt. Minute 5 bis 7

//youtu.be/-t98AgyBWPg