Ich weiß, ich polarisiere. Ich weiß, ich ecke an. Ich weiß, es ist manchmal nicht ganz einfach. Aber alles hat einen guten Grund. Alles was ich heute bin, geht auf einer der schlimmsten Zeiten zurück, die ich in meinem Leben erlebt habe.
Wir schreiben das Jahr 1997. Ich bin gerade 13 und fing langsam an mich zu orientieren. Damals, so naiv ich war, wusste ich noch garnicht was eigentlich in Chemnitz brodelte. Um es kurz zu machen: Chemnitz war damals einer DER Hochburgen der sächsischen Neonaziszene. Vorallem das Fritz-Heckert-Gebiet und der Sonnenberg, zwei Stadtteile hier, waren damals überschwämmt von Neonazis. Aber auch in anderen Stadtteilen waren diese vertreten.
Ich orientierte mich damals aber anders. Habe Punks kennengelernt, mir die Haare rot gefärbt und nen Undercut rasiert und fing an schöne, klassische Punk-Musik zu hören: WIZO, Vicki Vomit, Die Toten Hosen, Abstürzende Brieftauben, Die Skeptiker, usw. Noch heute spiegelt ein Song wie “Hier kommt Alex” meine Lebenseinstellung zu 100% wieder!
Auf jeden Fall: mit diesem Outfit, knallbunte Hose, Springerstiefel mit roten Schnürsenkel, zerissenen Jeans, usw. bin ich natürlich angeeckt. Das normale anecken war mir damals in meiner Sturm und Drang Phase sowieso unwichtig. Und im Endefekt war das ja auch nicht schlimm, war ja noch derselbe Mensch. Die Leute mussten sich eben erstmal an die andere Frisur usw. gewöhnen, das war dann aber auch alles. Was ich nicht bedacht hatte, damals noch arnicht überblicken können, war die Tatsache wie gut organisiert die Neonaziszene in Chemnitz war. Das fing an bei uns in der Schule wo ab 1998/99 angefangen wurde “Schulhof-CDs” zu verteilen und die Jugendlichen waren dafür empfänglich. Die Anfangsmasche der Demagogen glich frappierend dem was im Frei.Wild-Thread so geschrieben wird. “Das muss mal jemand ansprechen”, “Wir lieben nur unsere Heimat” und den ganzen Kram. Genau das, über was Frei.Wild heute so singen, nur das sie versteckter formulieren.
Aber dabei blieb es nicht. Zwei aus meiner Klasse haben sich bald extremisiert und wurden auch gewalttätig. Diese wurden nach der schule von ihren Nazikumpels abgeholt. Nunja, und ich? Nachdem ich von denen einmal extrem verprügelt wurde, wurde es schwierig. Zum Glück waren die Lehrer auf meiner Seite und es gab immer jemand, der selbst Feierabend hatte wenn unsere Klasse Schulschluss hatte. Da konnte ich dann immer im Auto mitfahren. Sonst wäre ich echt angearscht gewesen. Die anderen Jugendlichen aus den Klassen? Die haben geschwiegen. Aus Angst selbst eine in die Fresse zu bekommen.
Das waren so die ersten Erlebnisse und Zusammenstöße mit Neonazis. Und mit der Zeit wurde es immer schlimmer. Die haben uns vor unserem Jugendclub aufgelauert. Einmal war ich mit einer Freundin unterwegs. Sie ist schwarzhäutig und ich wollte nur mal auf die andere Seite von der Zentralhaltestelle um zu schauen wie die Busse fahren. Da wurde sie von drei Glatzköpfen, während ich drüben war, zusammengeschlagen. Die Passanten um sie herum schauten weg. Die Drei konnten gefasst werden, wurden aber vor Gericht nicht bestraft “aus Mangel an Beweisen”. Immer wieder wurde ich, Freunde oder Bekannte Opfer von rechter Gewalt. Oder wenn man auf offener Straße sieht, wie Ausländer angepöbelt werden oder Opfer von Übergriffen wurden und die Polizei lässt sich dann immer ganz besonders viel Zeit, dann wächst in einem Menschen ein Gefühl: Hass!
In den Folgejahren began ich mich damit auseinanderzusetzen wie die Neonaziszene strukturiert war. Wie konnten sie immer soviele Jugendliche für sich gewinnen? Mit welchen Methoden gehen diese vor? Immer war es das gleiche Schema: erst kommt die Musik, dann so harmlos-völkisch klingende Thesen und Schritt für Schritt wird es dann extremer. Ich kam mit Aussteigern in Kontakt und erfuhr so sehr viel über die Szene und deren Struktur. Das Schlimme: viele sind eigentlich nur Mitläufer, wollen irgendwo dazugehören und übernehmen unkritisch Parolen. Das Gemeinschaftsgefühl, damit locken Rechtsextreme. Aber wehe Du entwickelst Dich weiter, willst vielleicht aussteigen: dann stehst Du, Deine Familie, Deine Freunde, usw. selbst auf der Abschussliste.
Seit dem NPD-Wahlerfolg 2004 hier in Sachsen, als die Partei mit 9,2%!!! gewählt wurde, wurde es auf der anderen Seite ruhiger. Die verscheidenen Gruppen zerstritten sich, die Gruppen selbst wurden auch immer kleiner. Hier in Chemnitz gibt es zwar noch eine Untergrundbewegung aber der große Boom ist seit vielen Jahren eigentlich vorbei - zum Glück. Viele haben sich dann auch in die Sächsische Schweiz verabschiedet, wo sie heute leider immer noch die Dörfer “beherrschen”.
Wisst ihr, wenn man soviel mit rechter Gewalt zu tun hatte, wenn man sich sehr ausgiebig mit diesen Strukturen bechäftigt hat, dann merkt man auch schnell, wann es jemand ernst mit der Distanzierung ist. Man weiß ziemlich bescheid über Botschaften und wie rechte Gruppen ihren Nachwuchs anwerben. Im Grunde ist es heute nicht anders wie früher, nur der Look der Menschen ist angepasster geworden. Statt Glatze und Bomberjacke präsentieren sie sich heute mit schnittiger Kurzhaarfrisur, gepflegtem Äußeren und modisch-modernen Klamotten. Aber die Inhalte bleiben dieselben: “Diese Tabus müssen wir mal ansprechen”, “Unsere Heimat muss doch verteidigt werden” usw.
Das was Frei.Wild da so erfoglreich besingen, die ganzen Inhalte kenne ich zu gut. Nämlich von früher. Genau mit solchen Inhalten in der Musik wurden schon damals Jugendliche geködert. Wenn solche Inhalte in den Köpfen der Jugendlichen ankommen, dann haben die verschiedenen Gruppen ziemlich leichtes Spiel!
Und genau davor habe ich Angst. Ich bin ganz ehrlich: ich habe Angst vor einem erstarkten Rechtsradikalismus. Die Umstände sind ja auch sehr gut für solche Leute: die Mittelschicht rutscht derzeit massiv ab, die Jugendlichen sehen die immer weiter klaffende Schere zwischen Arm und Reich und selbst bekommt man keine Perspektive. Da kommen dann Leute, die einem eine starke Gemeinschaft und Solidarität versprechen, gerade recht. Oder wieso benennt sich der NPD derzeit ganz kuschelig als “Die soziale Heimatpartei”? Das ist doch genau dieser Terminus, der von Bands wie Frei.Wild und anderen gesäht wird. Und genau deswegen bin ich auch so geschockt und entsetzt, dass solch eine Band ein Forum bei FKTV bekommt.
Aber zurück zum eigentlichen Thema. Ich bin wie ich bin durch meine Erahrungen im Leben. Ich lehne jede Form von Nationalismus und Rechtsradikalismus nicht aus politischer Überzeugung ab, nein ich verachte diese Dinge, weil ich miterlebt habe, was diese Dinge bewirken können. Wie Menschen dadurch Leid angetan wird. Deswegen zeige ich mein Gesicht gegen Rechtsradikalismus jeglicher Art. Auch die Graustufen lehne ich entschieden ab! Und aus diesen Gründen erhebe ich, wann immer ich kann, meine Stimme. Dies ist nicht unreflektiert, wie mir etwa der Fernsehkritiker vorwarf, sondern Ergebnis vieler Erlebnisse und Erfahrungen.
Wer jetzt kommen mag mit den immer gleichen Mythos, ich sei ja linksradikal, dem sei gesagt: ich habe noch nie jemanden aus politischer Motivation verletzt. Ich verachte auch Menschen nicht, die eine andere, konservative (!) Meinung haben. Aber ich hasse alles was Jenseits der Konservativität und der Toleranz liegt. Insbesondere natürlich den Rechtsradikalismus. Aber auch mit Linksradikalen habe ich meine Probleme, da diese nicht besser sind, nicht im geringsten solidarisch eingestellt sind. Habe ich letztens erst wieder durch eine Diskussion auf Facebook erlebt.
Warum habe ich diesen Thread jetzt eröffnet? Ich weiß es nicht. Ich wollte natürlich nicht, dass dieser Text im Flamewar des Frei.Wild-Threads untergeht. Aber ich wollte mir das jetzt auch einfach mal aus der Seele schreiben zu dieser nächtlichen Stunde. Einfach mal ein Statement hier rein setzen, da ich hoffe, dass dies jemanden zum Nachdenken animiert. Unterlasst Trollkommentare, dafür ist der andere Thread besser geeignet.
Wenn ihr antwortet, dann bitte ernsthaft, ohne den politische Kram, den wir uns hier normalerweise an die Köppe hauen. Nein, versteht diesen Text einfach als Statement gegen Rechtsradikalismus und für Toleranz.
Und mit diesem Lied, der 20 Jahre nach Veröffentlichung scheinbar immernoch hochaktuell ist, möchte ich meine Worte an Euch beenden: