Diskussion über den Blog-Artikel: Nebelkerzen statt Aufklärung?
Ich habe gerade mit großem Erstaunen die ARD-Dokumentation “Tod einer Richterin” gesehen, die ich Ihnen ja auch als TV-Tipp des Tages ans Herz gelegt hatte. Man könnte auch eher sagen: Ich bin entsetzt! Erwartet hatte ich eigentlich eine mutige Dokumentation darüber, dass der angebliche Selbstmord der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig im Sommer 2010 bis heute viele Fragen aufwirft - bekommen habe ich einen belanglosen Film, der schon gleich in der ersten Sendeminute feststellt: “Kirsten Heisig hat Selbstmord begangen.” Ach, wirklich?
Warum verschwieg die Dokumentation diverse ungeklärte Punkte im Zusammenhang mit Heisigs Tod? So musste etwa ein Journalist erst vor Gericht ziehen, um die lange Zeit geheim gehaltene Ermittlungsakte über den Tod der Richterin ausgehändigt zu bekommen (was er bekam, war dann trotzdem nur ein [vierseitiger Bericht](http://info.kopp-verlag.de/data/image/gerhard_wisnewski/2010-11/Fall Heisig die Auskunft/Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft 19.11.2010.pdf)). Ist den Redakteuren nicht selbst aufgefallen, dass es niemanden gab (auch in den Interviews äußerte sich niemand entsprechend), der von einer angeblichen Depression Heisigs wusste? Im Gegenteil: Gerade in dem Teil des Filmes, wo es um die letzten Tage im Leben von Heisig ging, äußerten sich die Leute, mit denen sie zu tun hatte, so, dass Kirsten Heisig weit weg war von der Absicht, einen Selbstmord zu verüben. Sie war als Fußballfan mitten im WM-Fieber, sie war in unglaublicher Vorfreude auf ihr damals bald erscheinendes Buch “Das Ende der Geduld”. Der Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky hatte noch kurz vorher mit ihr zu tun und beschreibt sie im Film als lebensfrohe Frau. Und: Warum kamen die beiden Töchter und der Ex-Mann Heisigs nicht zu Wort? Hinterlässt eine Mutter von zwei minderjährigen Töchtern nicht zumindest einen Abschiedsbrief? Heisig jedenfalls hat dies nicht getan. Im Film wird gesagt, es sei festgestellt worden, Heisig habe sich “in eine Schlinge fallen lassen”. Könnte das nicht womöglich jemand anders getan haben? Und als weiterer Fakt wird angeführt, sie habe vor ihrem Tod eine “Überdosis” Antidepressiva geschluckt. Auch das könnte ihr jemand anders verabreicht haben. Im Grunde müsste ein gut recherchierender Journalist doch direkt mit der Nase auf diese ungeklärten Fragen stoßen - stattdessen wird einfach knallhart gesagt, es habe sich um Selbstmord gehandelt.
Kirsten Heisig hatte durchaus Feinde. Sie war eine knallharte Richterin, sie war bei vielen Richterkollegen wegen ihrer Kritik an laschen Urteilen unbeliebt (was auch im Film angesprochen wird). Sie galt bei Jugendlichen in Neukölln als Personifizierung des Bösen (“Für uns war sie der Teufel”, sagt ein Jugendlicher im Film). Und auch interessant: Gerüchten zufolge spielte sie mit dem Gedanken, in die Politik zu gehen. Gab es da vielleicht Interessengruppen, die etwas dagegen hatten?
Natürlich ist nicht auszuschließen, dass Kirsten Heisig tatsächlich Selbstmord begangen hat. Aber es wäre die Pflicht der Autoren gewesen, auf die Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit ihrem Tod hinzuweisen. So zementierte der Film womöglich eine Selbstmord-These, die gar nicht stimmt. Der Richterin hat man posthum damit sicher keinen Gefallen getan.