Diskussion über den Blog-Artikel: Missbrauch light
Wenn Erwachsene sich in Dokusoaps zum Deppen machen, ist das schon schlimm genug. Manch einer sagt: Das sind reife Menschen und wissen was sie tun. Ich sage jedoch: Selbst Erwachsene sind sich mitunter nicht im Klaren darüber, worauf sie sich einlassen, wenn sie ein Kamerateam bei sich in die Wohnung oder sonstwohin lassen.
Bis vor einiger Zeit war ich zumindest naiv genug zu glauben, dass Einigkeit darin besteht, Kinder weitestgehend vor solchen televisionären Abgründen zu bewahren. Und noch naiver war meine Annahme, dass öffentlich-rechtliche Sender hier ihre besondere Verantwortung wahrnehmen und gar nicht erst auf die Idee kommen, entsprechende Sendungen zu produzieren. In beiden Fällen habe ich mich leider getäuscht.
Das ZDF sucht für den Kinderkanal derzeit fünf Mädchen zwischen zwölf und vierzehn Jahren für eine Dokusoap namens “Die Mädchen-WG”, die im Sommer gedreht und im Herbst ausgestrahlt werden soll. Darin sollen die Mädchen, von Kameras begleitet, zusammen wohnen - und zwar ohne Eltern. Das dürfte dann sozusagen die Vorstufe der “Mädchen-Gang” sein oder die jungfräuliche Version der “Model-WG”? Vielleicht sollte man es auch einfach als “Kinder Big Brother” bezeichnen. Wie auch immer: Kinder werden hier zu willigen Protagonisten geformt, um Quote zu machen. So lief es auch schon mit der Sendung “Die Jungs-WG”, die gerade ausgestrahlt wurde und bereits grenzwertig genug war. Die Mädchen-Variante droht eine erhebliche Stufe schlimmer zu werden: “Der Nutz- und Unterhaltungswert des Formats soll nicht aus Konflikten und Konfrontationen resultieren, sondern durch interessante Charaktere geschaffen werden”, verspricht die Kindercasting-Agentur LE UND LA zwar in einer Rundmail. Aber dann geht’s weiter: Gesucht würden “charismatische Persönlichkeiten, deren Geschichten die Zuschauer interessieren und berühren”. Mit anderen Worten: Kinder, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, deren Mama tot ist oder ähnliche Storys erlebt haben, sind besonders willkommen. Auch die Agentur HAMBURG CASTING sucht für die selbe geplante Sendung nach Kindern - und teilt in einem Casting-Aufruf mit: “Voraussetzungen für die Teilnahme sind das Einverständnis der Eltern sowie große Bereitschaft, Einblick ins eigene Leben zu geben.” Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. Die fünf Mädchen sollen ordentlich die Röcke runterlassen und aus ihrem verkorksten Leben erzählen - ein 12-jähriges Kind ist ja besonders redselig. Kein Wunder, dass die Eltern nicht dabei sein dürfen - denn die könnten sich ja wehren! Wobei natürlich die Frage berechtigt ist, was Eltern überhaupt dazu veranlasst, ihre Kinder so leichtfertig in die Hände einer gnadenlosen TV-Produktion zu geben. Man möge sich nur mal die Internet-Seiten von LE UND LA und HAMBURG CASTING anschauen, um mit Grausen zu sehen, wie Kinder hier wie eine Ware angeboten werden.
Natürlich werden auch Kinder für fiktionale Filme und Serien benötigt - aber da haben die Eltern ja die Kontrolle und wissen anhand des Drehbuches vorher, worauf sich ihre Kinder einlassen sollen. Hier aber wird ohne Drehbuch und ohne Eltern gearbeitet - stattdessen wird das Innere nach außen gekehrt und natürlich sollen auch Konflikte provoziert werden, denn diese sind bekanntlich das Salz in der Suppe bei Dokusoaps.
Besonders bemerkenswert aber ist, dass dies Gebahren von unseren Gebühren niemanden zu interessieren scheint. Was wäre eigentlich, wenn ein Sender wie RTL “Die Mädchen-WG” produzieren würde? Sofort wären doch alle Jugendschützer und Politiker (zu Recht) auf den Barrikaden. Nur, weil es sich nun um eine Sendung für den Kinderkanal handelt, soll sie pädagogisch wertvoller sein? Wer das immer noch glaubt, sollte sich die Inhalte von ARD und ZDF mal ein bisschen genauer anschauen - gerade im Bereich des Kinderfernsehens.