Informationssperre bei Amokläufen/Terroranschlägen

Wann immer ein Amoklauf geschieht, geht es nach anfänglichen Beileidsbekundungen bald um die Schuldfrage: Was ist dafür verantwortlich zu machen, dass Menschen zu Massenmördern werden? Das Antwortenspektrum reicht von Killerspielen und Mobbing über weltanschauliche Überzeugung, schlechte Erziehung und lockere Waffenrechte bis zu neurologischen Defekten und (im Scherze) dem Verspeisen von Brot. Eine Antwort, die mir offensichtlich scheint, wird allerdings fast nie genannt: Die Nachrichtenredaktionen. Ich bin der Ansicht, dass die Nachrichtenflut einen entscheidenden Effekt auf Häufigkeit und Opferzahl der Amokläufe hat. Im Nachfolgenden erläutere ich drei Thesen und frage euch im Anschluss, ob zunächst einmal jede These im Speziellen sinnvoll erscheint und zweitens, wie man die entsprechend gezogenen Schlüsse politisch umsetzen soll. Und los:

  1. Tipps und Tricks für den erfolgreichen Amoklauf.
    Die meisten als Amoklauf bezeichneten Akte haben mit dem ursprünglichen “aus dem Affekt heraus” bedeutenden Amokbegriff nichts zu tun. Stattdessen zeichnet sich häufig ein ganz anderes Bild ab: Die Todesschützen planen ihre Tat über Wochen und Monate. Sie erstellen Todeslisten, Abschiedsbriefe, Manifeste oder Tagebücher, planen den Ablauf und bestellen ihre Waffen und Munition. Sie planen einen Anschlag. Dazu gehört auch, dass sie Nachrichtenartikel von früheren Amokläufen durchlesen. Damit sie nicht die selben Fehler machen oder auch einfach nur damit sie das volle Tötungspotential ausschöpfen. Die vergangenen Amokläufer sind die Idole, denen sie nachzueifern versuchen.
    Und angesichts der Informationsdichte ist das heute auch überhaupt kein Problem. Minutiös wird der genaue Tötungsablauf geschildert, mitsamt beschrifteter Gebäudepläne. Man erfährt, woher der Täter die Waffen hat, wie er sich verhalten hat, ob es einen Sekundäranschlag gegeben hat und so weiter. Ich bin mir absolut sicher, dass es bei den heutigen Amokläufen seltener gleichzeitig zu Bombeneinsätzen käme, wenn nicht darüber berichtet würde. Die Informationen vergangener Amokläufe dienen als Ideengeber für alle späteren Amokläufer. Wäre nicht über die Bombenanschläge des Amoklaufs Bath 1927 berichtet worden, womöglich hätten die Täter in Columbine 1999 oder ebenso die Amokläufer von Utøya 2011 oder Aurora 2012 nicht die Idee entwickelt, selbst Bomben einzusetzen. Und wenn es nur einer gewesen wäre, der ohne die Literatur nicht selbst auf den Gedanken gekommen wäre, dann hätte das schon Menschenleben gerettet (Columbine ausgenommen, wo die Bomben nicht zündeten). Aber es geht nicht nur um Bomben, sondern allgemein um jede Info, die dazu geeignet ist, Amokläufe zu “optimieren”. Nachdem der Lehrer Rainer Heise dadurch bekannt geworden ist, Robert Steinhäuser durch einen psychologischen Trick eingesperrt zu haben, ist es zum Beispiel mehr als unwahrscheinlich, dass ein künftiger Täter auf Ähnliches reinfallen würde. Amokläufer lernen voneinander! Jeder Hinweis zum Ablauf eines Amoklaufs hilft ihnen, Fehler zu vermeiden und erschwert es allen anderen zu überleben. Es darf nicht sein, dass jeder Trottel heute weiß, dass es am effizientesten ist, zunächst den Hausmeister zu erschießen, dann die Schule zu verriegeln und schließlich den Feueralarm auszulösen, damit einem alle Opfer in die Arme - oder in präparierte Bomben - laufen und weder jemand heraus noch jemand anderes ins Gebäude herein kommt. Das ist gefährliches Wissen, welches mit Menschenleben bezahlt wird. Man sollte stattdessen die Information so gering wie möglich lassen, damit die Amokläufer Fehler machen.

  2. Amokläufe kommen in Mode.
    Stellt euch mal eine Welt vor, in der es noch keine Amokläufe gegeben hat. Irgendjemand hat diesen überwältigenden Tötungswunsch, aber es gibt kein Wort dafür. Die Vorstellung, tatsächlich wild um sich zu schießen und wahllos Leute zu ermorden, ist völlig surreal. Man könnte sich nun selbst für gefährlich und verrückt halten. Der Trieb ringt sich mit dem moralischen "Das kannst du doch unmöglich tun!"
    Und nun stellt euch die selbe Situation in unserer Welt vor. Das psychologische Phänomen wird zum gesellschaftlichen Phänomen. Das Problem ist kein individuelles mehr, sondern eines der Natur des Menschen. Die Verantwortung liegt gedanklich nicht mehr so sehr bei einem selbst, sondern die Menschen erhalten das, “was sie verdienen”. Durch andere Amokläufe motiviert entwickelt sich immer häufiger ein “Du musst das auch tun!” Es entsteht ein Werther-Effekt: Wenn das einzige, was einem zur Durchführung seines Vorhabens fehlt, die Bestätigung von außen ist, dann löst ein Amoklauf Folgeamokläufe aus. Diese Effekte sind statistisch nachweisbar und begrenzen sich auch nicht auf Amokläufe. Viele erinnern sich noch an die Stein- oder Holzklotzattentäter: Als einige Medien berichteten, wie Kinder Steine von Autobahnbrücken auf vorbeifahrende Autos warfen und damit ganze Familien auslöschten, machten sie es einfach nach; teils aus stupider Langeweile. Und dasselbe gilt eben auch für Amokläufer. Jeder, der nur kurz davor steht, selbst einen Amoklauf zu begehen, wird durch jeden weiteren Amoklauf in seiner Überzeugung final bestätigt. Diese Ansicht schlägt sich teilweise selbst auf normale Bürger nieder. So findet man nach geglückten Schulamokläufen in vielen Webforen Beiträge wie: “Der hat es halt nicht ertragen, ständig gemobbt zu werden und irgendwo geschiehts den Idioten dann auch Recht, die ihn immer geärgert haben.” Und das ganz unabhängig davon, ob überhaupt Mobbing vorlag, ob die Opfer in irgendeiner Beziehung zum Täter standen und ungeachtet der krassen Relation zwischen Mobbing und Mord. Das Töten von Mitmenschen wird - in gewisser Weise - moralisch relativiert. Bei einem Amoklauf vor mehreren Jahren geriet sogar der Abschiedsbrief des Täters an die Öffentlichkeit und viele Menschen sympathisierten mit dem Täter: “Ich würde vielleicht nicht ganz so weit gehen, aber verstehen kann ichs schon.” Man kann sicher so ziemlich alles verstehen, wenn man es aus der Sicht desjenigen zu lesen bekommt. Deshalb ist es wichtig, dass man das gerade nicht zu lesen bekommt. Man darf sich mit demjenigen nicht identifizieren. Und genau das schlägt der Pressekodex bei Suiziden vor und findet seit vielen Jahren Beachtung. Nur zu Amokläufen ist das noch nicht durchgedrungen.

  3. Ruhm und Ehre für Amokläufer.
    Das Wichtigste für einen Amokläufer ist die mediale Aufmerksamkeit. Sie wollen sich in ihrer aufgebauten Realität wenigstens einmal Gehör und Macht verschaffen. Alle Welt soll sehen, wie sie sich gegen die Gesellschaft erfolgreich zur Wehr gesetzt haben. Und genau diese Plattform bieten die Redaktionen. Egal, wo auf der Welt ein Amoklauf geschieht, wir können ziemlich sicher sein, darüber informiert zu werden. Während die Opfer nur aufgezählt werden, wird der Schütze zum Prominenten. Er wird analysiert und charakterisiert. Die Kameras sind immer dabei, anfangs in stundenlangen Livestreams, um immer neue Sensationsmelden minutenaktuell zu verkünden und später, um jede kleine Wendung in den monatelangen Prozessen zu vermelden. Zumindest in den Fällen, in denen der Täter sich stellt. Ob er lebt oder stirbt, in jedem Fall wollen sie mit ihrem wirren Weltbild ein Nachdenken anregen. Sie halten sich für wichtige Vordenker, die als einzige geistig klar sehen. Sie wollen der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Aber all das können sie nur, weil sie wissen, dass die Gesellschaft mitspielt. Sie wissen, was nach ihrem Tod geschieht. Die Interviews und Schlagzeilen, Diskussionen und so weiter. Präsident Obama hat seine Wahlkampftour abgesagt beim Batman-Attentat. Schön und gut, aber das signalisiert künftigen Amokläufern, wie weitreichend ihre Handlungen sein können. Und je mehr Menschen sie töten, umso größer der Aufschrei in der Gesellschaft. Was aber, wenn stattdessen niemand sich erhebt, wenn die Informationen zurückgehalten werden und über den Ort hinaus kaum jemand erfährt, was überhaupt passiert ist? Dann wirkt der Amoklauf aussichtlos. Wenn die Gewalt nur innerhalb regionaler Grenzen bekannt wird, dann versteht jeder Amokläufer, dass auch er nichts ändern wird. Egal, wie viele Menschen er tötet. Also vielleicht tötet er dann nur sich selbst.

Also, ergeben die einzelnen Punkte für euch Sinn oder wo seht ihr Widersprüche oder habt andere Ansichten? Fallen euch weitere Punkte ein?
Und was ergibt sich als Konsequenz für die mediale Behandlung von Amokläufen/Attentaten/Terrorakten?

Meine Meinung dazu ist:
Man sollte bei solchen persönlich motivierten Gewaltakten eine Informationssperre verhängen, weil das Leben möglicher Opfer weit schwerer wiegt als die Informationspflicht der Medien, die gerade in solchen Fällen nur die Sensationsgier der Massen bedienen will. Das ist ein emotionales Thema, was jedes Mal aufs Neue große Schlagzeilen garantiert. Schlagzeilen, die lebensgefährlich sein können und es auch sind aus oben genannten Gründen.
Viele schreien bei dem Gedanken auf, weil Zensur heute vielfach als einer der schlimmsten denkbaren Eingriffe in die Informationsfreiheit gilt. Aber vielleicht sollte gar nicht jede Information frei sein. Schon heute wird vieles und überall zensiert. Es ist gar nicht möglich, nicht irgendwelche Informationen zurückzuhalten. Es wird nur das berichtet, was in besonderem Maße interessant oder wichtig ist. Und wenn man Menschenleben damit retten kann, dass man den Menschen weniger Interessantes bietet, bin ich dafür. Nur die Lokalpressen sollten über solche Akte der Gewalt berichten dürfen. Denn wenn das die globale Presse tut, entsteht ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Heute ein Amoklauf in Peking, morgen einer in Toronto, da wird der Eindruck der Alltäglichkeit vorgegaukelt, Amokläufe als etwas Normales verstanden.
Ist jemandem aufgefallen, wie oft seit dem Sinken der Costa Concordia Nachrichten über andere Fähren folgten? Beinahe wöchentlich, hatte ich den Eindruck. Davor habe ich seit der Estonia nicht wirklich was in Erinnerung. Es wird immer das Bewusstsein für ein Thema geschärft und dann nur noch darüber berichtet. Die Nachrichten werden selektiert. Nicht Aktuelles wird negativ selektiert, also zensiert. Aber man sollte auch Gefährliches zensieren, denn die Journalisten müssen sich auch in ihrer Verantwortung sehen: Wenn die ausführliche Berichterstattung die Wahrscheinlichkeit für Amokläufe und höhere Opferzahlen hebt, dann soll man entweder gar nicht berichten oder nur in einer kurzen Randnotiz. Es ist ja auch für die Leser und Zuschauer völlig unerheblich, wie der Täter die Tat ausgeübt hat, welche Waffen er benutzte, was sein Beruf war oder was seine Eltern dazu sagen. Dieses Wissen ist “nice to know”, aber es hilft uns in keiner Weise weiter. Potentiellen Amokläufern dafür umso mehr. Daher bin ich für eine Ausweitung der Zensur von Suiziden auf Amokläufe.

tl;dr
Die Medien sollten davon Abstand nehmen, mögliche Nachahmungstäter zu informieren und zu motivieren und daher durch Selbstzensur Menschenleben retten.

Nicht nur in Sachen Länge, sondern auch in Gehalt, Tiefsinn und Weitblick einer der besten Posts im gesamten Forum möchte ich meinen.
Nachdem ich den Schleim aus meinen triefenden Poren gewischt habe, steht natürlich das Problem zur Diskussion - die Medien, die die Größe besitzen sollten von der Berichterstattung Abstand zu nehmen.

Egal welche Publikation du zu diesem Thema befragst, wird die offensichtliche Antwort lauten:

“Wenn wir es nicht bringen, wird es jemand anderes tun hustBildhust. Also weshalb sollten wir uns potentielle aufmerksamkeits-schwangere Themen durch die Lappen gehen lassen und eventuell reißerischen Blättern als dem unseren Leserschaft überlassen?”

Es hat mit persönlicher Größe zu tun. Und Süddeutsche, Bild etc. sind keine persönliche Publikation, sie sind Maschinen und die sind darauf optimiert Inhalt zu generieren.

Ich sehe derweil leider keine kurzfristige Lösung.

MfG Forger

Danke für die Lorbeeren.

Es stimmt, die Veränderung müsste in jedem Fall global geschehen. Dazu wären weitreichende politische Änderungen nötig. Aber den symbolischen Anfang würde ich mir vom Deutschen Presserat wünschen, der über den Pressekodex viel Einfluss zumindest hier in Deutschland hat. Und von da aus können die Ansichten sich weiter verbreiten.
Nur zuerst Mal müssen wir die gesellschaftliche Diskussion in Gang bringen, während “die da oben” weiter über Waffengesetze und Schulsysteme streiten und zu keiner Lösung finden.

DAS WAR KEIN AMOKLAUF in Colorado!!!
Das war ein Anschlag ; von mir aus auch ein Attentat, eine Bluttat, ein Massenmord aber kein Amoklauf! :smt013

Ich finde das ebenfalls sehr gut überlegt und stimme mit dir überein.
Ich denke aber, dass wird ein sehr langfristiges Unterfangen.
Im Zeiten des Internets findest du schnell was, selbst wenn der Deutsche Presserat das jetzt sofort so umsetzen würde.
Es wird viele Blogger und News über Facebook oder andere social networks verteilt. Und irgendwann wären wir wieder da wo wir heute sind.Oder es wird gefährlicher durch falschinformationen.
Was aber klappen kann ist die detailiertheit reduzieren. Also wie du sagtest interview mit verwante oder weg des schützen" komplett weglassen und die häufigkeit wie über dieses Thema berichtet wird reduzieren.

legolas1812: Was es genau war, ist gegenwärtig noch nicht bekannt. Kannst du denn ausschließen, dass es ein Racheakt an der Gesellschaft war? Für mich ist ein Anschlag/Attentat zum Beispiel an eine bestimmte Person/engruppe gerichtet, ein Amoklauf nicht zwingend. Aber auch wenn ich mich schwerpunktmäßig auf Amokläufe gestützt habe, gilt ganz Ähnliches für verwandte Gewaltakte.

Teroi: Danke, ich wollte in meinem Beitrag noch die Frage aufwerfen, inwieweit ein medialer Maulkorb in unserem dezentralen Informationszeitalter noch sinnvoll sei, habe diese aber dann vergessen. Um gleich selbst eine Antwort zu geben: Wenn alle Redaktionen (offline wie online) sich über ein Thema ausschweigen, dann glaube ich, dass es sich auch über unabhängige Plattformen wie Twitter langsamer und weniger weit verbreitet, denn man muss dann schon gezielt danach suchen. Auch Twitter, Facebook, Reddit und Co. müssten sich dann an der Zensur beteiligen, indem sie beispielsweise dieses heiß diskutierte Thema nicht auf der Hauptseite promoten oder ähnliches. Da gilt es natürlich viele technische und rechtliche Aufgaben zu bewältigen.

Ich möchte noch mal zwei Anmerkungen machen, damit es nicht zu eventuellen Missverständnissen kommt:

  • Die Medien sind nicht Schuld dafür, dass es Amokläufe gibt. Aber sie trifft meines Erachtens eine große Mitverantwortung dafür, was die Meldungen aus künftigen potentiellen Amokläufen machen. Denn die Medien gestalten im Wesentlichen die für uns erfahrbare Realität. Damit sind sie ein wichtiges wie gefährliches Werkzeug bei sensiblen Themen.
  • Es ist nicht meine Absicht, dass das Thema komplett verleugnet werden soll oder dass man sich nicht mehr darüber unterhalten darf. Auch soll niemand überwacht werden, der online gezielt danach sucht. Aber die Präsenz in den Medien muss drastisch heruntergefahren werden, wenn nicht gar zu einem Nulllevel, sofern sich die Tat nicht gerade in der Region ereignet hat. Und statt Videointerviews mit panischen Augenzeugen genügt auch in den regionalen Medien der unmittelbaren Tatumgebung ein nüchterner Beitrag. Als tagesaktuelles Beispiel mit sehr vergleichbaren Opferzahlen: http://www.spiegel.de/politik/ausland/bombenanschlaege-mindestens-17-menschen-sterben-nahe-bagdad-a-845802.html

Sich mit sowas übermäßig zu beschäftigen ist für mich typisches Hausfrauendenken, ein Mittel zum Zweck wo man auch ja seine Empathie darstellen kann. Sowas kommt in der westlichen Welt 1 mal im Jahr auf 1 Millarde Menschen vor, in anderen anderen Teilen der Welt sterben pro Tag in Bürger/Drogen/Clan/Religions-kriegen 100 mal soviele Menschen.Für die Leute geht die Welt auch irgendwie weiter.
Ich finde den Vorschlag,daß nur die Lokalpresse bereichten sollte aber relativ gerechtfertigt (wenn auch unrealistisch), weils mich mich nicht übermäßig interessiert.
Aber natürlich ist auch klar,sowas lässt sich besonders toll ideologisch ausschlachten, zB in der Anti-Waffen-Ideologie usw.

Natürlich war es ein Amoklauf, warum sollte es keiner sein?

Wodurch habe ich denn bei dir den Eindruck erweckt, es ginge mir um die Darstellung meiner Empathie? Welche “Hausfrauen” schnattern über Sinn und Unsinn von Zensuren? Und muss man wirklich erst alle anderen Probleme lösen, bevor man über dieses überhaupt nachdenken darf?
Es ist übrigens schön, wenn sich die Welt für dich weiterdreht, solange du nicht selbst betroffen bist. Für einige Menschen tut sie das allerdings nicht mehr.

Wenn Du wirklich drüber nachdenken willst warum es in der Tendenz vermehrt zu solchen Taten kommt?

Es ist relativ einfach, weil in der westlichen Welt Begriffe wie Familie, Gemeinschaft und Volk vernachlässigt und diskreditiert werden und eine Entsolidarisierung und Egoismus stattfindet.Solche Taten werden in der Zukunft eher noch zunehmen und ich wunder mich darüber nicht.

Ich glaube im übrigen nicht daran, daß die Berichterstattung über solche Taten Nachahmer hervorruft, ich gehe zumindest bei Leuten, die das aus eigener Unzufriedenheit machen würden sogar eher von einer Katharsis aus. Das gilt natürlich nicht für politisch/religiöse Attentäter.

Erst einmal vielen Dank an Lee für diesen wunderbaren Thread.
Um deine Thesen zu untermauern möchte ich hier Götz Eisenberg zitieren, der ähnliches fordert.

Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/?p=12985

Ich wäre im übrigen auch für eine Art „Zensur“ diesbezüglich. Ein paar Zeilen zu einem solchen Ereignis würden schon ausreichen bei solch einem Ereignis, damit wäre der Berichterstattung schon genüge getan.
Anstatt seitenlang über Opferzahlen und über eine detailierte Chronik des Amoklaufs zu berichten, wäre eine gesellschaftliche Analyse durchaus wichtiger.

Die Gesellschaft ist nicht schuld, wenn jemand sich hinstellt und Leute umbringt. Das sagt man hinterher gerne, weil es schwer aushaltbar ist, einzugestehen, dass es eben Menschen gibt, die sich an keinerlei Werte gebunden fühlen und so handeln. Die Schuld für solches Geschehen liegt bei dem, der abdrückt.

Das heißt nicht, dass es an der Gesellschaft nichts zu kritisieren gibt.

@ TimeLady:

Dies wurde meines Wissens noch nicht weitgehend diskutiert, ob gesellschaftliche Prozesse mitverantwortlich für Amokläufe sind. Es war doch bislang immer gängige Praxis, Gewalt in Filmen und Videospielen verantwortlich zu machen.

Mit einer Informationssperre würde man den Amokläufern zumindest die Plaung und damit die Durchführung erschweren und man hätte somit vielleicht ein paar Menschenleben gerettet.

Ok, ich hätte es klar machen sollen, dass ich mich auf einen Post von Knight beziehe:

“Es ist relativ einfach, weil in der westlichen Welt Begriffe wie Familie, Gemeinschaft und Volk vernachlässigt und diskreditiert werden und eine Entsolidarisierung und Egoismus stattfindet.Solche Taten werden in der Zukunft eher noch zunehmen und ich wunder mich darüber nicht.”

Also die westliche Welt ist böse und egoistisch und Schuld.

Also die westliche Welt ist böse und egoistisch und Schuld.

Nein, das ist mir zu einfach. Ich würde sagen es hat ein Wertewandel stattgefunden, diesbezüglich, dass Familie und Gesellschaft immer weiter in den Hintergrund getreten sind.
Wenn eine alleinerziehende Mutter beispielsweise neben ihren Job auch noch Nebenjobs braucht, um sich über Wasser zu halten, hat sie halt weniger Zeit für ihre Kinder. Was zur Folge hat,dass die Kinder weniger Liebe und Aufmerksamkeit bekommen. Zudem bleibt weniger Zeit, um über Probleme des Kindes zu reden. Das Kind zieht sich somit zurück und im schlimmsten Falle sinkt das Gewaltpotential, was dann an deren Kindern auf dem Schulhof ausgelassen wird. Kommt es zusätzlich noch zu Frust, wegen Schulnoten, kann es dann auch durchaus sein, dass der Filius durchdreht.
Wir leben doch in einer Zeit, in der der Leistungsdruck so enorm hoch ist und wer dem nicht standhält bleibt außen vor. Das gilt dann auch für Eltern und es kann zu einer Vernachlässigung der Kinder kommen, wie oben beschrieben. Das sind durchaus gesellschaftliche Probleme, die Amokläufe befördern können. Und deshalb müssen wir, als Gesellschaft dies, so weit es geht ändern.

Ich finde die Berichterstattung solcher Ereignisse auch als extrem unangehnem. Mir würden die Grundinformationen reichen, alleine weil ich gegen eine Zensur bin und viele Menschen ja Interresse daran haben. Allerdings dieses wochenlange Detailgenaue aueinandernehmen und die tagelangen liveberichte sind schon sehr unangenehm. Allerdings gibt es wohl keinen weg „Aasgeier“ vom fressen abzuhalten. Es gibt ja einen Presserat und trotzdem wird regelmässig etwas gesendet was so nicht sein sollte (wie wohl jeder hier im Forum gut weiß). :wink:
@ Otto Welz, die Sache mit dem wertewandel find ich immer eigenartig, wenn ich meine Eltern und Großeltern befrage kommt doch heraus das die heutigen Generationen friedlicher sind als alle anderen zuvor. Auch hatten meine Großeltern keine frage wie viel sie Arbeiten, sie mussten durchbuckeln, da ist das heute zumindest nicht schlechter.
Ich glaube das solch ein Zorn eher durch die heuschelei anderer ausgelöst wird, Eltern die einem als kind eine Welt präsentieren die nicht wirklich ist (als eine Disney Welt könnte man sagen), Lehrer die in Arroganz und dummheit dann diese Welt einschlagen, Staatliche Organisationen die einen nicht beschützen sondern steuern und kontrollieren sollen. Dazu die Presse die die verdrehtesten Ansichten als normal vetreten. Immer heist es Gewaltlos sein, hart Arbeiten und dann gehörst du dazu. Stimmt nur für viele nicht und die fühlen sich dann nunmal betrogen.
Ich selbst hab Jahre damit verbracht darüber nachzudenken was ich meinen Lehrern antun kann. Zum Glück hab ich ihnen nur meine Verachtung gezeigt und bin reingehauen, aber die Grenzlinie war sehr schmal und ich war sehr zornig, änliches bei Polizisten die mir mit 12 Jahren zum erstenmal gegen den Kopf getreten haben (es war nur ein Fußballspiel und ich habe nicht randalliert). Allerdings was einen dazu bringt mitschüler oder wahllos andere umzubringen weiß ich nicht, bei den Leuten die ich kenne wird der größte Zorn von der heuschelei der Generationen vor uns ausgelöst.
P.s. Bevor sich jemand sorgen macht, wirklich Gewaltphantasien hab ich nicht mehr, allerdings halte ich Gewalt zum selbstschutz als wichtiges mittel, wer von sich selber sagt immer friedlich zu sein läd andere dazu ein in zu missbrauchen (hier nicht sexuell gemeint).
p.p.s. Ich weiß das es evtl eckelig klingt, aber nach jedem Amoklauf waren die Lehrer viel netter und an uns Interressierter, vorbei war es mit sprüchen wie: „Ich sitze halt am längeren Hebel!“, insofern hatte es für mich hin und wieder sogar Positive Effekte (was nicht heist das ich gehofft habe das es jemand tut, verteidigne kann ich mich alleine, Aber ihre Arroganz für ein paar Tage gegen angst eingetauscht zu sehen war eine perverse Genugtuung). :wink:

Ich will hier gar nicht weit auf die Diskussion Computerspiele und Amoklauf/Attenat eingehen, aber die Medien schießen mMn auch aus dem Grunde mit Kanonen auf Spatzen, weil sie genau wissen das sie solche Taten in gewisser Form präsentieren (also genau wie von Lee beschrieben) - Oder zumindest ihr schlechtes Gewissen reinwaschen wollen.

"Wenn wir es nicht bringen, wird es jemand anderes tun hustBildhust

Das kommt mir wie ein Kindergarten-Argument vor: „aber der hat angefangen“
Also bevor die Anderen Geld damit verdienen kann man ja auch selbst den Knüller bringen.

Aber wir wollen es doch auch so. Die Medienlandschaft im Informations und Nachrichtenbereich lebt doch geradezu davon. Sie verdienen ihr Geld durch das Leid anderer, durch möglichst Imposante Szenen und herzzerreißende Geschichten. Weil sie grausam und bösartig sind? Nein, weil es ein Geschäftsfeld ist. Und im Kapitalismus geht es nun einmal darum, Geld zu verdienen.
Zäunen wir die Pferde von andersherum auf: Hat ein Herausgeber, der sich an gewisse moralische Richtlinien hält eine Chance auf diesem Markt? Vermutlich nicht.
Die Menschen wollen Information und es ist unserer rasanten technischen Entwicklung geschuldet, dass wir immer mehr Informationen bekommen und noch mehr wollen. Wir wollen alles wissen.
Das Problem ist doch, dass die Gesellschaft der medialen Entwicklung hinterherhängt. Wir reflektieren nicht, wir differenzieren nicht, wir kritisieren nicht. Medienkompetenz ist bei den meisten Mitbürgern ein Fremdwort.

Was erreicht man mit einer Informationssperre?
Ich bezweifle das dies irgendetwas bringen wird, denn es bekämpft nicht die Ursache.
Seien wir doch einmal ehrlich, selbst wenn man sich nicht auf die Informationen vergangener Attentate/Amokläufe berufen kann, wird man ja wohl mit etwas Zeit und Intelligenz selbst auch einen Plan schmieden können.

Daher bin ich für eine Ausweitung der Zensur von Suiziden auf Amokläufe.

Grundsätzlich verständlich, aber ich finde Zensur ist immer die falsche Lösung.
Es ist letztendlich nichts anderes als der Versuch, die Menschen vor etwas zu beschützen.
Doch dieses geschieht durch Bevormundung - und das widerspricht in so ziemlich allen Punkten der Aufklärung.
Viele haben auch damals genauso gedacht, ob jetzt Klerus, Souveräne oder andere „Vordenker“ - Nur läge das Ermessen, was richtig oder falsch ist, was wissenswert oder gefährlich, einzig in der Hand dieses Zensierenden.
Und dann geht es los: Was ist gefährlich? Sind Informationen zur NPD gefährlich, weil man dazu angeregt werden könnte, sich über die dahinterliegende Ideologie zu informieren - und eventuell Interesse daran zu entwickeln?
Und vor allem: Aus welcher Sicht sind welche Dinge gefährlich? Wer würde eine solche Zensur etablieren?

Wir haben hier in Deutschland die (theoretische) Meinungsfreiheit. Dies ist nicht nur ein Recht, wir haben auch die damit eingehenden Pflichten zu tragen. Diese Pflichten sind nicht notiert im GG, aber sie sind unabdingbar damit dieses System der freien Meinungsäußerung funktionieren kann. Wir müssen lernen, Informationen zu verarbeiten, zu bewerten, zu kritisieren. Selbst wichtiges von unwichtigem trennen - Dafür brauchen wir keine Nachrichtensendung, es gibt auch das Internet. Informationen nicht nur aus einer Quelle ziehen.
Wir haben so unglaublich viele Möglichkeiten uns zu informieren, uns zu bilden - Doch wir überlassen das bewerten und lehren zu oft anderen.
Das findet aber nicht statt und daher funktioniert die Meinungsfreiheit nicht wie gedacht, deswegen entsteht der Wunsch nach Zensur. Denn diese Freiheit wird instrumentalisiert, zum Bollwerk gegen jegliche Zensur und auch jeglichen gesunden Menschenverstand. Würden unsere Gesellschaft und unsere Medien aus diesen moralischen Überlegungen heraus handeln und agieren - Wir bräuchten keine Zensur.

Ich widerspreche dir nicht einmal darin, dass die Informationen zu vielfältig, zu nichtssagend und über die Maße der Information herausgehend zu detailliert sind. Es ist einfach gesagt völlig irrelevant, was teilweise als Information verkauft wird.
Nur eine vollständige „Zensur“ lehne ich ab, denn das ist der falsche Weg und vor allem ein nach hinten gerichteter. Nur weil heute schon viel zensiert wird, heißt das noch lange nicht, dass es zu tolerieren ist.

Zusammenfassend: Die Berichterstattung über Suizid/Amoklauf/Attentat offenbart ein systemrelevantes Problem in Gesellschaft, Kultur und in der Medienlandschaft. Wir verstehen es nicht, mit den Informationen umzugehen die wir bekommen.

Also die westliche Welt ist böse und egoistisch und Schuld.

Die Leute, die die westliche Welt wirklich regieren und solche Tendenzen wie die Zerstörung von Familien und Völkern, die die Entwurzelung von eigener Kultur und die den 68er-Egoismus propagieren, die bezichtige ich der Schuld.

Auch wenn ich mich zuerst durchaus für eine Nachrichtensperre aussprach, muss ich sagen, es ist ja auch besser wenn man eine Krebserkrankung früh durch Symptome bemerkt.

Lee, erstmal danke für deinen guten Eröffnungspost, den ich leider heute erst entdeckt habe. Schade, dass die Diskussion darüber wohl schon eingeschlafen ist, obwohl viele hier gute Beiträge dazu geschrieben haben. Ich habe mir aufgrund der jüngsten Ereignisse auch so meine Gedanken gemacht. Nun werde ich nochmal auf deinen ersten Post eingehen.

Zu 1. Ich bin mit dir völlig einer Meinung, dass über viel zu viele Details berichtet wird, während der Tat und auch danach. Gerade die Nachberichterstattung finde ich besonders problematisch, da, wie du erwähnt hast, ein potenzieller Amokläufer viel lernen kann. Nun stellt sich für mich noch eine andere Frage : Was dürfte denn generell im Fernsehen gezeigt werden ? Selbst aus einem ganz normalen Krimi könnte ein potenzieller Täter lernen. Mir fällt dabei der letzte Krimi ein, den ich gesehen habe. ( Wallander, “Das Leck”) Täter zündet an mehreren Stellen in der Stadt Bomben, dann ist die Polizei beschäftigt, und er kann in aller Seelenruhe einen Geldtransport ausrauben.
Tolle Idee, wäre ich nie drauf gekommen.
Ich habe auch mal in irgendeiner Zeitschrift gelesen, dass die Polizei stark moniert, dass Polizei/Profilerarbeit im Fernsehen zu detailliert dargestellt wird. Täter wüssten nun durch Serien, was ein Geoprofil ist, wie man den Tatort vernünftig reinigt, welche psychologischen Sprüche sie wohl bei einer Geiselnahme zu hören bekommen, usw.
Sollte man also die Realität ausblenden und Täter lernen dann aus US-Amerikanischen Serien ? Also ist eine Nachrichtensperre für mich auch nicht der Weisheit letzter Schluß, nach wie vor bin aber der Meinung, sich gerade in der Nachberichterstattung mit Details zurück zu halten, da man aus der Realität doch mehr lernt als aus fiktiven Drehbüchern. Und aus Respekt gegenüber den Opfern sowieso. Aber das hat die Medien ja noch nie Interessiert.

Zu 2. Ja, Amokläufe kommen in Mode, warum, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Sicher ist das intensive Berichten der Medien nicht ganz schuldlos daran.
Fast alle Täter haben auf ihre Mitmenschen einen geistig gesunden Eindruck gemacht, sie waren zwar Außenseiter, aber ja mein Gott, die gab es immer und wird es immer geben. Warum wird der eine zum Amokläufer, der nächste nicht ?
Es ist mir sowieso unbegreiflich, wie sich eine psychische Störung so dermaßen krass auf die Umwelt entladen kann.
Man nimmt ja an, die Leute bekämen sonst “nur” Depressionen oder begehen Selbstmord. Sicher gibt es diese Auswirkung auch im Alltag, in häuslicher Gewalt. Aber eigentlich kennt man es doch, dass sich eine psychische Störung gegen sich selbst richtet oder auf das unmittelbare Umfeld.
Was jetzt nun den einzelnen bewegt, Amok zu laufen, ist wohl eine Menge in einander verzahnter Schlüsselreaktion.
Ach ja, und nun das, mir völlig unverständliche, Mitgefühl für den Täter.
So fließen hier quasi Punkt 2 und 3 ineinander.
Der Täter wünscht sich Aufmerksamkeit und Anerkennung, wie jeder andere Mensch auch. Sollte es tatsächlich zum Amoklauf kommen, nehme ich mal an, dass der Täter die Hoffnung längst aufgegeben hat, Anerkennung durch andere Mittel zu bekommen, bzw. den Gedanken daran.
Da er der Meinung ist, dass sich an diesem Zustand nichts ändern wird und er sein Leben generell für nutz- und wertlos hält, möchte er selbigem jetzt ein Ende setzten und dabei möglichst viele andere töten, die seiner Meinung nach Mitschuld an seinem Dilemma sind. So bekommt er wenigstens einmal in seinem Leben Aufmerksamkeit, und was für welche. Dass er sein Leben dabei verliert und die Aufmerksamkeit gar nicht mehr “genießen” kann, wird in Kauf genommen, bzw. gewünscht. Für mich vielleicht das grösste Paradoxon. Daher habe ich auch kein Mitgefühl für die Täter.
Und das grösste Problem bei “Ruhm und Ehre” : Die Leute wollen es ja wissen. Wo eine Nachfrage besteht, wird immer ein Angebot herrschen. Dass man die Details zurückhält, finde ich, wie bereits erwähnt, wünschenswert. Aber das wird wohl auch Wunschvorstellung bleiben.

Zäunen wir die Pferde von andersherum auf: Hat ein Herausgeber, der sich an gewisse moralische Richtlinien hält eine Chance auf diesem Markt? Vermutlich nicht.

Das sehe ich ähnlich. Allerdings würde kein Verlag gleich bankrott gehen, wenn er über Amokläufe nicht mehr berichten würde.

Was erreicht man mit einer Informationssperre?
Ich bezweifle das dies irgendetwas bringen wird, denn es bekämpft nicht die Ursache.

Nein, natürlich nicht. Aber solange die Ursache nicht bekannt ist, ist es doch schon mal ein Anfang, wenigstens die Symptome zu lindern.

Es ist letztendlich nichts anderes als der Versuch, die Menschen vor etwas zu beschützen.
Doch dieses geschieht durch Bevormundung - und das widerspricht in so ziemlich allen Punkten der Aufklärung.

Unser Grundgesetz ist ebenso eine Bevormundung. Denk mal drüber nach. :slight_smile:

Dein Absatz über Meinungsfreiheit und Zensur hat mir gut gefallen, sehr richtig beobachtet!

Ich widerspreche dir nicht einmal darin, dass die Informationen zu vielfältig, zu nichtssagend und über die Maße der Information herausgehend zu detailliert sind. Es ist einfach gesagt völlig irrelevant, was teilweise als Information verkauft wird.

Ja, ich erinnere mich an den ausführlichen SPON-Artikel über den Batman-Attentäter, in dem es ausschließlich darum ging, dass dieser das Internet genutzt, sich dort aber nicht all zu sehr profiliert habe. Eine journalistische Glanzleistung.

Silverblack:

  1. Ich dachte mir schon, dass früher oder später auch die Frage aufkommen würde, inwiefern fiktive Erzählungen nicht ebenso dienlich sein können, Verbrechen zu planen. Ich freue mich bei einer Serie natürlich immer, wenn alles so realistisch wie möglich dargestellt wird. Gerade dadurch lernt der Zuschauer aber viel, was ihn umso gefährlicher macht: Welche Chemikalie lässt sich im Blut nicht nachweisen, wie entsorgt man am besten eine Leiche und so weiter. Das führt dann dazu, dass auch in der Realität mehr Täter ihre Patronenhülsen mitnehmen, ihre Handys zerstören und sich Alibis besorgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man alle Krimis/Thriller/Actionfilme verbieten kann oder will. Es ist somit ein sehr berechtigter Einwand, dass generell jedes Wissen Macht bedeutet. Ob das medizinisches, technisches oder rechtliches Wissen ist. Der eine kann den Tod natürlich aussehen lassen, der andere wie einen Unfall und der dritte lässt den Mord wie Notwehr aussehen. Darum halte ich es wie du: Die realen Geschehnisse sollen trotzdem weit weniger ausführlich berichtet werden, weil es noch mal ein großer Unterschied ist zu sehen „Aha, der Täter hat das und das gemacht bzw. nicht gemacht und ist seit fünfzehn Jahren nicht gefasst“, etwa bei einer Folge XY. Aus realen Fehlern lässt sich mehr lernen, weil sie mehr Aufschluss über die reale Arbeitsweise der Ermittler geben.

  2. Nach meiner Theorie gibt es zwei Typen von Amokläufern.
    A: Die gepeinigten Amokläufer. Bei diesen entlädt sich eine ganz persönliche Wut, die gegen spezielle Menschen aus dem Umfeld gerichtet ist, von denen sie sich misshandelt fühlen. Die Wut ist aber nicht hauptursächlich für den Amoklauf, sondern dem gehen die Verzweiflung voraus, auf die Selbstmordgedanken folgen. Das Leben scheint nicht mehr lebenswert. Daraus entsteht bald die Überlegung, sich vor dem Suizid auch noch an allen zu rächen, die in irgendeiner Weise Schuld an der Situation sind. Dieser Gedanke erscheint so erlösend, dass er schließlich das einzige ist, der diese Amokläufer noch antreibt.
    B: Die Nihilisten. Das sind Versager im Leben, die eigentlich gute Voraussetzungen haben, aber in allem, was sie anfassen, nur scheitern. Aus anfänglicher Frustration wird zunächst eine Depression. Doch irgendwann wird die Schuld auf andere abgewälzt. In diesem Moment glauben sie, den völligen Einblick zu haben in alles, was in der Gesellschaft nicht funktioniert. Es entsteht ein Überheblichkeitsgefühl: Die übrigen Menschen führen ihr kleinbürgerliches Leben, aber keiner sieht die Welt mit richtigen Augen. Die Mitmenschen werden daher als minderwertige und mechanische Objekte betrachtet. Irgendwann erscheint dem Amokläufer die ganze Gesellschaft als so rückständig und banal, dass er keinen Grund mehr sieht, warum er nicht einfach ein Massaker verüben sollte. Er versucht zu überleben, weil er sehen will, ob er damit eine Änderung erzielt. Gleichsam sehnt er sich nach Anerkennung. Die Menschen, so minderwertig sie ihm auch erscheinen, sollen ihn überhaupt in irgendeiner Weise beachten.
    Es kann auch eine Psychopathie vorliegen, also eine pathologische Ursache für gestörtes Mitgefühlsempfinden. In solch einem Fall kann einerseits zusätzlich der Wunsch mitschwingen, überhaupt etwas zu empfinden und er kann andererseits dazu dienen, Mitgefühl als eine Schwäche anzusehen, was das eigene Überheblichkeitsgefühl noch weiter steigert.

Das sind meine Überlegungen dazu, was Menschen zu so grausamen Taten treibt.

Ich habe - angeregt durch eure Kommentare - festgestellt, dass man die Zensur beliebig weit ausdehnen und so für eine friedvollere Gesellschaft sorgen kann. Weil das Mitgefühl einfach flöten geht. Hier tausend Leute auf der Flucht, da 40 Tote durch Überschwemmungen, hier 15 Tote bei Raketenangriffen, dort 22 bei einem Attentat, 140 Tote bei Flugzeugabsturz, Massencrash auf der Autobahn, blablabla. Das interessiert doch alles niemanden mehr. Aufgrund der globalen Vernetzung der Medien verstumpft der Leser/Zuschauer völlig. Würde man nur einmal alle paar Jahre von einem Anschlag hören, wäre das eine Sensation. So ruft das allenfalls ein müdes Gähnen hervor. Diese Abgestumpftheit kann dann meines Erachtens dazu führen, dass auch eigene Gewalt nicht mehr als so krass empfunden wird. Alles, was man schaut, liest oder spielt, das ist für das eigene Bild der Gewalt mitverantwortlich. Wenn wir unserem Serienhelden zusehen, wie er versehentlich einen Menschen erschießt und dann unter den Schuldgefühlen leidet, dann fühlen wir das mit und verarbeiten das auch ein Stück weit mit. Wir sind schon erfahren im Umgang mit Gewalt nur dadurch, dass wir sie immer wieder zu sehen bekommen. Auch ein Kind in einem Krisengebiet wird ziemlich abgestumpft sein, wenn es schon so viel Leid miterlebt hat. Dementsprechend scheint es moralisch legitimer, selbst Gewalt auszuüben als wenn man in einer scheinbaren Friede-Freude-Eierkuchen-Welt lebt, in der alles durch die rosarote Brille zensiert wird. Man kann fast sagen, es wird dann eher von anderen akzeptiert, wenn man gewaltätig wird.
Ich weiß nicht, ob ein gewalttätiges Umfeld gewaltlose Menschen dazu treiben kann, Gewalt auszuüben. Aber ich bin mir sicher, dass ein gewalttätiges Umfeld gewalttätige Menschen zusätzlich dazu motiviert, Gewalttaten auszuüben.

Aber die wichtige Frage - die hier auch schon gestellt worden ist - ist halt, ob wir lieber in einer scheinbar friedvollen Welt oder in einer realistischen Welt leben wollen. Was bringt es, alles zu wissen, wenn einen das unglücklich macht? Was bringt es, glücklich zu sein, wenn man in einer Illusion lebt?
Ich beantworte die Frage so: Gewalt ist für jede Gesellschaft schlecht und sollte auch in den Medien nicht breitgetreten werden. Denn je herzzerreißender die Geschichten, um überhaupt noch Mitgefühle auszulösen, umso schlimmer ist die eigene Wahrnehmung von der Gesellschaft. Wenn eine Bombe fällt und dabei 60 Menschen sterben, dann ist das halt so. Dass jeder dieser Menschen ein Leben und Träume hatte und wohin er gerade auf dem Weg war, das ist vernachlässigbar. Immer, wenn Leute sterben, haben sie eine Geschichte. Darum gehts aber nicht bei der Nachrichtenerstattung. Für sowas gibts Filme. Von Nachrichten erwarte ich nüchterne Sachlichkeit. Und deswegen sollen zumindest schon mal alle Menschlichkeiten weggelassen werden. Als zweiten Punkt würde ich Gewaltakte nur ziemlich sparsam berichten. Nachrichten müssen auch einen Gehalt haben. Wenn in Australien ein Flugzeug abstürzt, dann muss ich das wissen, weil ich dann vielleicht Verwandte in der Maschine sitzen hatte. Deswegen wird ja auch immer dazu gesagt: „Ein Deutscher“, damit man dann weiß, wenn beide Eltern drin saßen, war es eine andere Maschine. Das verstehen die meisten Zuschauer nicht mal und für sie hört es sich dann eher so an wie: „Ein Deutscher - und scheiß doch auf den Rest!“ So viel zur Medienkompetenz. Egal, was ich damit sagen will: Es muss einen Grund geben, warum die Info mitgeteilt wird. Und das ist bei Gewaltakten insbesondere dann der Fall, wenn sie politisch motiviert sind. Dort besteht ein politisches Interesse, damit etwa unsere Politiker wissen, wie sie sich im Fall Syrien zu verhalten haben und das auch auf gesellschaftlicher Ebene diskutiert werden kann. Handelt es sich im Umkehrschluss um einen vollkommen sinnlosen Akt der Gewalt wie beim Amoklauf eines Psychopathen, dann reicht eine kurze Randnotiz. Einfach nur, um zu wissen, ob es Deutsche unter den Opfern gab. Thema abgehakt, nächster Artikel.

Allerdings würde kein Verlag gleich bankrott gehen, wenn er über Amokläufe nicht mehr berichten würde.

Das wohl nicht, aber er wäre nicht mehr so konkurrenzfähig. Unser Gesellschaftsystem ist sehr anfällig für etwas, was allgemein hin als „Gruppenzwang“ bekannt ist. Es geht immer weniger darum, ein Individuum zu sein.
„Man definiert seine eigene Persönlichkeit nur noch über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe“ (Serdar Somuncu)
Daher kommen auch diese Argumente wie „Die anderen machen das aber auch“, „Er hat angefangen“, etc.

Das ist ja auch eine Form von Trittbrettfahrerei, ein Verlag hält sich an diese moralischen Grundlagen und bessert damit den Ruf der gesamten Presse, während die anderen diesen Ruf nutzen UND dennoch weiter schamlos über alles mögliche berichten können und im Zweifelsfall die einzigen sind, die davon profitieren.
Deswegen sage ich nicht immer offen was ich denke, gerade wenn es nicht die einhellige Meinung der Gesellschaft ist. Ich verkneife mir meine ganz anderen Standpunkte zu Suizid, Amokläufen, Attentaten. Ich lasse mich nur vordergründig auf dieses Mitleid, diese oberflächliche „Trauer“, dieses verlogene Gutmenschentum ein.

Unser Grundgesetz ist ebenso eine Bevormundung.

Natürlich. Aber wie so oft muss man da eine Grenze setzen. Der Wille nach Zensur und Kontrolle kommt nicht immer nur von Menschen, die sich manipulieren lassen von Politik und Medien, ständiger Terrorangst und Angst vor allem, was irgendwie unbekannt scheint.
Es ist nicht selten eine Frage des Menschenbildes. Denn wenn ich absolut kein Vertrauen in die Menschheit habe, nicht glaube, dass sie sich selbstständig an ungeschriebene Regeln halten würden, man sie voreinander schützen muss, kann ich zu einem ähnlichen Schluss kommen.
Das der Mensch, zumindest heute, überhaupt nicht bereit dafür ist, wirklich frei zu sein. Weil er mit der Verantwortung nicht umgehen kann oder will.
Dan fragt sich allerdings, ob eine Demokratie überhaupt Sinn macht, wenn man dies denkt.

Ganz ohne Bevormundung klappt es nun wohl doch nicht. Deswegen ist „Freiheit“ eigentlich auch ein missverständlicher Begriff. In Wirklichkeit ist es mehr das Privileg alles tun zu dürfen, solange ich jemanden anderes nicht in seiner Freiheit einschränke]. Im Grunde ist dies, verbunden mit dem kategorischen Imperativ Kants eigentlich alles, woran man sich orientieren muss, wenn man für alle verpflichtende Grundsätze festschreibt.
Jedoch bin ich keiner, der glaubt das die Menschheit ohne Bevormundung sich an diese (im Grunde) klugen Grundsätze halten würde…

Hier tausend Leute auf der Flucht, da 40 Tote durch Überschwemmungen, hier 15 Tote bei Raketenangriffen, dort 22 bei einem Attentat, 140 Tote bei Flugzeugabsturz, Massencrash auf der Autobahn, blablabla.

Vor allem ist es nur relevant, wenn Deutsche darunter sind. Wie oft hören wir denn von Anschlägen in Afghanistan, wenn keine deutschen Soldaten beteiligt sind? Das sind für uns nur Terroristen, die es auf den Westen abgesehen haben. Das die meisten aber hauptsächlich ihre eigenen Leute über den Haufen ballern, das weiß kaum einer.
Die Anschläge von Al-Qaida waren schlimm, keine Frage. Aber besitzt die Mehrheit unserer Bürger überhaupt die Kompetenz oder das Interesse, zu verstehen was da eigentlich los ist?
Ich habe da meine Berechtigten Zweifel. Es ist wie im Kinofilm: Gut gegen Böse. Es gibt keine Graustufen.

Nur es läuft auf eine Überlegung heraus, die ich auch schon vorher geäußert habe: Ich glaube nicht, dass die Gesellschaft sich genauso schnell entwickelt hat wie die Informationsdichte, die wir heute haben.
Aber die Frage ob wir dann nicht lieber in einer Illusion leben wollen, zusammen mit deinen sehr guten Argumenten - ehrlich gesagt ist das ein Widerspruch in sich, zumindest für mich. Es ist ein unlösbares Dilemma, eine Frage auf die ich einfach noch keine Antwort habe, nicht ein sinnvolles Argument pro oder contra.

Immer, wenn Leute sterben, haben sie eine Geschichte. Darum gehts aber nicht bei der Nachrichtenerstattung. Für sowas gibts Filme. Von Nachrichten erwarte ich nüchterne Sachlichkeit

In diesem Punkt muss ich dir zustimmen,das wäre tatsächlich mal ein Anfang.