Furchtbare Aufmachung von Reportagen und Dokumentationen

Hallo Gemeinde!

Heute muss ich euch mit meinem ganz persönlichen Aufreger belästigen. Ich weiß nicht, ob das hier bereits thematisiert wurde, und ob ich hier genau vermitteln kann, was ich meine. Aber der „Posch-Beitrag“ brachte mein ganz persönliches Aufreger-Fass zum überlaufen und ich muss mich jetzt einfach mal auskotzen :stuck_out_tongue:

In letzter Zeit ist mir ganz besonders aufgefallen, dass bei allen möglichen Dokumentationen und Reportagen - ob das jetzt eine „wissenschaftliche“ Sendung auf ProSieben ist, ein hanebüchener Gutmensch von Rechtsanwalt bei RTL oder eine Reportage über einen ganz furchtbar schrecklichen Unfall auf N24 - gar nicht mehr versucht wird, einen Eindruck der Authenzität und Seriosität zu vermitteln. Stattdessen wird viel mehr Wert darauf gelegt, die einzelnen Szenen ausschauen zu lassen wie im Kinofilm.

Alles muss furchtbar dramatisch aussehen: Ständig gespannte Gesichter in Nahaufnahme; wenn ein Protagonist vor einem Rechner sitzt, dann stets im abgedunkelten Raum mit schummeriger Ausleuchtung. Wenn den Gutmenschen von Rechtsanwalt ein Anruf erreicht, dann wird zuerst das Handydisplay eingeblendet, damit der Zuschauer auch sehen kann, WER da gerade anruft, im nächsten Moment die nächste Nahaufnahme des Telefonierenden mit aufgeregter Miene. Dem DNA-Forscher lässt vor lauter Begeisterung über seine neueste Erkenntnis sein Reagenzglas fallen, welches darauf in Zeitlupe auf dem Boden zerspringt. Wenn der Polizist Fingerabdrücke vom Tatort mit der Datenbank abgeleicht, sieht man den PC-Bildschirm in Großaufnahme, begleitet von schummeriger Musik, und ihn dann - natürlich höchstdramatisch - in Zeitlupe zum Telefon greifen, um seinen Dienststellenleiter zu informieren, wenn er den Täter überführt hat. Im nächsten Schnitt ist dann wiederum der Dienststellenleiter zu bewundern, wie er auf sein Handy schaut, sieht wer anruft, mit gespannter Miene telefoniert und dann vor Freude über die positive Ermittlungsarbeit sein Wasserglas fallen lässt, welches kurz darauf in Zeitlupe auf dem Boden zerspringt (siehe oben). Auch die Überlebende des dramatischen Unglücks berichtet nicht einfach nüchtern über ihre Erlebnisse, sondern sieht in „Traum-Optik“ noch einmal all die schrecklichen Szenen, die auf den Zuschauern in schnellster Schnittfolge und mit dramatischer Musik untermalt einprasseln.

Ich könnte noch ewig viele Beispiele bringen, aber ich hoffe, ihr wisst nun, was ich meine.

Wieso muss immer alles visuell so dramatisch und spektakulär aufbereitet werden? Mich stört dabei nicht nur, dass der eigentliche Inhalt der Sendung dadurch zur Nebensache wird, sondern auch jegliche Authenzität und Glaubwürdigkeit verloren geht.

Halten die Produzenten uns „Konsumenten“ für zu blöde, um nachzuvollziehen, dass jede einzelne der vielen Szenen gestellt sein MUSS, um auf diese Art möglichst spektakulär von der Kamera eingefangen zu werden? Schlimm genug, dass es mittlerweile soviel inhaltlichen Fake gibt - Kann man sich da nicht wenigstens die Mühe geben, die Aufmachung sachlich und glaubwürdig zu gestalten?

Wenn ich wilde Actionszenen, knisternde Dramaturgik und düstere Stimmung haben möchte, schaue ich mir den nächstbesten Blockbuster im Kino an.

Von Reportagen und Dokumentationen erwarte ich jedoch, dass nicht jegliche Seriosität durch eine durchweg gestellte Aufmachung verloren geht! :evil:

Was erwarten sich die Produzenten davon?

So… Jetzt erstmal tief durchatmen und eine rauchen :smt025

Nun geht es mir schon viel besser, aber das musste ich jetzt einfach mal loswerden :smt002

Ich hoffe, ihr könnt nachvollziehen, was ich meine. Bin ich der Einzige, der sich daran stört, oder regt euch das ebenso auf wie mich?

Viele Grüße,

–taurus–

„Es ist der Morgen des 1. Septembers 2010. Taurus verlässt wie jeden morgen das Haus. Alles scheint wie immer. Er redet noch kurz mit dem Nachbar. Auch dieser ahnt nichts von dem was bald passieren wird…“ :mrgreen: So wäre wohl in alten XY-Ungelöst Folgen ein Ereignis von dir wiedergegeben. Heute reicht dieser Stil natürlich nicht mehr. Würde heute über dich berichtet - egal ob du vermisst wirst, von Kannibalen gefressen wurdest oder die falsche U-Bahn genommen hast - müsste es weitaus dramatischer präsentiert werden. Jenseits von Videoclip-Schnitt und GZSZ-Dramaturgie rafft der „wissbegierige“ Zuschauer halt nichts mehr. Oder so ähnlich. Die Reportagen und Dokumentationen (wenn man sie denn so nennen kann) müssen halt zur Corporate Identity des Senders passen. Und wenn sonst nur Krawall gesendet wird…

Halten die Produzenten uns „Konsumenten“ für zu blöde, um nachzuvollziehen, dass jede einzelne der vielen Szenen gestellt sein MUSS, um auf diese Art möglichst spektakulär von der Kamera eingefangen zu werden?
Ja, ich denke schon.

Was erwarten sich die Produzenten davon?

Das frage ich mich nicht nur bei diesem Thema. Wahrscheinlich einfach eine gute Quote in der werberelevanten Zielgruppe. Man könnte, wenn man böse wäre, natürlich auch vermuten daß in bestimmten Fällen (z. Bsp. Reportage über „Sozialschmarotzer“) mit den genutzen Mitteln ganz gezielt auf Emotionen (bei den Zuschauern, welche diesen Stil bewusst oder unbewusst mögen) hingearbeitet wird. Um zum Beispiel eigene, wie soll ich sagen, „Vorstellungen“ zu präsentieren. Einer muss als „der Böse“ dargestellt werden. Es muss ein Feindbild, eine Bedrohung gepflegt werden. Das klappt mit entsprechender Musik und überemotionalisierten Gesichtern besser als in einer sachlichen Präsentation. Oder halt einfach mal nur „emotional ansprechen um inhaltliche Schwächen zu überspielen“. Könnte man alles annehmen, wenn man böse wäre. Oder Hauptsache billig das Ganze. Oder den Produzenten ist eh wurscht was da gesendet wird (man kann zumindet behaupten auch Dokus im Programm zu haben!). Oder, oder, oder…

Ich glaube, es ist eine reine Illusion der Macher das alles so dramatisch darstellen zu müssen. Natürlich muss man den Zuschauer auch ein wenig bei der Stange halten, nur dass kann man auch besser machen.
Ein Punkt ist sicherlich auch, dass es sehr einfach ist, solche Szenen zu zeigen. Ich muss nichts von Molekularbiologie wissen um einen Mann in Kittel zu zeigen, der vor Schreck ein Reagenzglas in Zeitlupe fallen lässt.

Die fatale Auswirkung davon ist natürlich, dass der Zuschauer noch weiter vom sachlichen Kern der Sendung abgelenkt wird. Der Zuschauer glaubt dann, informiert zu sein, der Bildschirm hat ja ständig geflimmert, aber angekommen ist nur sehr wenig. Schneidet man die unsinnigen “Drama-Szenen” heraus, so behält der Zuschauer mehr von der Sendung.

Ich finde die Sender sollten sich viel häufiger wissenschaftliche Berater hinzuziehen. In Universitätsstädten ist das relativ einfach, für 100 Euro (das sind da Peanuts) arbeitet so ein Student locker ein Wochenende durch.

Sorry, da ich ins Bett will hab ichs nur überflogen und weiss nicht ob jemand vielleicht genau das selbe ansprach wie ich.

Genau das selbe dachte ich letztens auch. Bei Zeug wie Galileo Mystery, Posch oder wie der ganze 0815 Schund heisst ist das ja okay. Das ist billiger Müll, der sich ruhig auch so in Szene setzen kann.

Enttäuscht und auch schockiert hat mich das letztens bei Terra X (ZDF). Das sah aus wie eine niveauvollere Kopie von Galileo Mystery. Aber niveauvoller als GM bietet immer noch viel Raum um scheisse zu wirken.
Eigentlich ist das doch eine interessante Serie, welche immer mal wieder gute Themen aufgreift. Aber wieso haben die das nötig, das so in Szene zu setzen. Was sie bei mir damit bewirkt haben ist, dass die Glaubwürdigkeit der Produktion extrem leidet.

Gute Nacht :wink:

Das fing alles Ende der 90er mit Guido “Der zweite Weltkrieg in Farbe” Knopp an (dramatische Musik, moderne Schnitte in Hitlers Helfer etc.). Dafür gab’s damals auch entsprechende Kritik von Historikern, Medienwissenschaftlern und dem Feuilleton; Laut den Kritikern wurde dort Geschichte zu Unterhaltung verwurstet. Kurz darauf ging man dann dazu über historische Ereignisse nachzustellen, was ich persönlich eigentlich sehr schön finde. Leider wird das ganze immer schriller und übertriebener.
Seit meiner frühen Jugend habe ich immer sehr gerne Terra X geschaut. Obwohl Terra X ja schon immer eher leichtere Kost war, erinnern die Folgen von früher im Vergleich mit den Heutigen eher an diese charmant langweiligen FWU-Schulfilme die wir uns früher ansehen mussten.

Das Problem liegt wohl mal wieder darin, dass diese Art der Wissensvermittlung sich negativ auf Schüler auswirken kann. Da muss der Schulunterricht gleich wieder ein gutes Stück langweiliger wirken.