Es ist wieder soweit: Es wird Fußball gespielt. Zeit also für den Deutschen seine Fähnchen an die Autos zu hängen und Jogis Jungs brav anzufeuern. Zeit sich und die eigenen geschundene deutsche Volksseele zu beweihräuchern. Denn sonst darf man ja nicht zum eigenen Land stehen ohne gleich als Nazi zu gelten. Wer sagt das eigentlich?
Nun frage ich mich: ist das wirklich alles “harmloser Patriotismus”, wie es immer so schön dargestellt wird? Nun, wir waren gestern auch in der Chemnitzer Innenstadt. Was wir da zum Teil gesehen und gehört haben, hat mich mal wieder sehr erschreckt. Da haben viele davon gebrüllt, dass Deutschland “das geilste Land der Welt” sei. Dass es nur ein Reich gäbe: Deutschland. Und vereinzelt auch “Deutschland den Deutschen”, ohne dass da jemand etwas dagegen gesagt hätte. Das ist seit ein paar Jahren bei solchen Fußballgroßveranstaltungen immer so: Deutschland wird glorifiziert, Deutschland wird über andere Länder gestellt. Dieser ganze “Patriotismus” ist sowas von herablassend und überheblich, dass es nicht nur mir schlecht davon wird. Und dazwischen gibt es auch Leute die eindeutig faschistische Parolen rufen - das Schlimme: niemand scheint sich daran zu stören. Ist dieser “Patriotismus” also wirklich harmlos? Oder kommt in dieser Zeit der oft so versteckte Alltagsrassismus offener zum vorschein?
Und noch ein weiterer Grund, warum ich diese Spektakel schrecklich finde: sämtliche politischen unangenehmen Entscheidungen werden “rein zufällig” in genau diese Zeit verlegt. Die Zeitungen sind ja eh voll von “Schland” und “Jogis Löwentruppe”. So entscheided am 20.6. der Chemnitzer Stadtrat über die EKKO Beschlussvorlage: http://www.chemnitz.de/chemnitz/de/buer … orlage.pdf
Wenn ihr Lust habt könnt ihr euch ja mal durchlesen was da so alles gekürzt wird, vorallem im sozialen, kulturellen und sportlichen Bereich. Und das nur, weil Geld fehlt. Aber daran zu denken den Bau eines neuen millionenteuren Stadions für den CFC abzubrechen … auf die Idee kommt niemand. Nun, der 20.6. wäre die beste Möglichkeit Präsens seitens der Bürger zu zeigen - das man damit nicht einverstanden ist. Immerhin wären ca. 20 (ZWANZIG) Projekte und Vereine in den angesprochenen Bereichen direkt betroffen und müssten danach gar ihre Arbeit aufgeben, das wäre ein riesiger Schaden - gerade für die Kinder und Jugendarbeit in der Stadt. Wir versuchen auf sozialen Netzwerken, in Chemnitzer Communities usw. die Chemnitzer zu informieren, aber erschreckenderweise interessieren sie sich nur für … Fußball. Auch als wir gestern in der Stadt waren um Flugblätter zu verteilen, hat es die allerwenigsten interessiert. Von den meisten bekamen wir zu hören “Ey, wir wollen hier SPAß haben! Geht woanders hin ihr Spaßverderber!”. Wohlgemerkt: wir haben keine Flugblätter wegen Tierquäler oder sowas verteilt, sondern Flugblätter über die ganzen Sparpläne der Stadt und für die Demo, die wir für den 20.6. organisieren.
Und das ist die eigentliche Gefahr. Wenn Fußball ist, ist vielen Leuten alles andere egal. Sie wollen von nix anderes hören, selbst wenn es sie direkt betrifft. Daher werden immer bundes-, regional- und kommunalpolitische Entscheidungen in diese Zeit verlegt, weil da der Widerstand seitens der normalen Bevölkerung am geringsten ist. Also ist dieser “Patriotismus” wirklich so harmlos? Ich schreibe es in Anführungsstrichen, weil: gehört es nicht zum Patriotismus sich auch für die Vorgänge in der eigenen Stadt zu interessieren? Sich vorallem demokratisch zu betätigen?
Das sind so die Dinge, die mich ratlos, verwirrt aber irgendwo auch sauer zurücklassen. Hauptsache SPAß und alles andere ist egal? Ist das der Sinn?