@ Tilman:
Ne. Der Paragraf, um den es geht, ist nicht normale „Verleumdung“, sondern ein anderer, nämlich § 103 (1) StGB:
Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Es geht hier also um drei Monate bis drei oder fünf Jahre. Und drei Monate wären nur in einem sehr milden Fall möglich. Gelangt ein Gericht zur Überzeugung, dass das durchaus nicht so milde ist, muss die Strafe eigentlich (deutlich) über den drei Monaten liegen.
Ginge es nicht um ein Staatsoberhaupt, sondern um einen Normalsterblichen wie Dich und mich, dann käme vermutlich nicht die „Verleumdung“ (der von Dir zitierte § 187) infrage, sondern „Beleidigung“ (§ 185):
Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
@ Mara-Jade:
Zitat Mara_Jade:
Sehe ich nicht so, denn die Verfassungswidrigkeit ist meiner Meinung nach (bin kein Experte, korrigiert mich, wenn ich da falsch liege) erst gegeben, wenn das Bundesverfassungsgericht dies entschieden hat. Bin dahin gilt dieser Paragraph, auch wenn man ihn für verfassungswidrig halten mag, und man muss ihn, so wie er im Gesetzbuch steht, zur Anwendung bringen.
Wenn jetzt irgendwann in den 70ern jemand aufgrund dieses Homosexualitätsparagraphen angezeigt wurde und ein Richter damals schon progressiv und der Meinung war, dass der Paragraph gegen die Menschenwürde und den Gleichbehandlungsgrundsatz, Freiheitsrechte und das Grundgesetz überhaupt verstößt, dann konnte er ja trotzdem nicht sagen: „Ich persönlich halte den Paragraphen für verfassungswidrig und wende ihn daher nicht an.“ Dann muss er schon den Umweg über das Bundesverfassungsgericht gehen und sich da erst mal die Bestätigung holen, dass der Paragraph verfassungswidrig ist.
Das Bundesverfassungsgericht hatte aber entschieden, dass die Kriminalisierung männlicher Homosexualität (denn nur um die ging es) verfassungsgemäß sei. Bis heute gelten die Opfer dieses Paragrafen als zurecht verurteilte Kriminelle, während diejenigen, die sie eingesperrt haben, fette Pensionen kassieren. Niemand hat sich bei den Betroffenen entschuldigt, und niemand hat sie rehabilitiert.
Heißt dies, dass Männer, die homosexuelle Akte „begingen“ (denn nur Männer wurden bestraft!), zu Recht verurteilt wurden? Bestenfalls in einem rein legalistischen Sinne, der aber ohne Bedeutung ist. Denn niemand kann Justizverbrechen wie die Verfolgung Unschuldiger legitimieren. Sie bleiben Verbrechen. Und ein Staat, der sie legitimiert und vollzieht, wird damit definitiv zum Unrechtsstaat. Sonst könnte man (im Extremfall) auch das Unrecht des Dritten Reichs zum Recht erklären. Ein „Recht“, bei dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, ist ganz sicher kein Recht - egal, was das Bundesverfassungsgericht oder wer immer sagt.
@ Stardogg:
- Wenn ein Paragraf ausdrücklich vorsieht, dass die Regierung nach dem Opportunitätsprinzip entscheiden kann, ob eine Strafverfolgung stattfindet: Wieso sollte die Regierung dann nicht den ihr ausdrücklich zugebilligten Entscheidungsspielraum nicht nutzen dürfen, um ihre Zustimmung zur Strafverfolgung zu verweigern? Genau dafür ist der Entscheidungsspielraum doch da!
Die Regierung muss sich nicht über das Gesetz und nicht einmal über diesen Paragrafen stellen, wenn sie ihr Einverständnis verweigert, sondern nur das tun, was der Paragraf selbst ihr ganz ausdrücklich gestattet.
Hätte der Gesetzgeber nicht gewollt, dass die Regierung nach Ermessen darüber entscheiden kann, ob sie die Strafverfolgung nach besagtem Paragrafen ermöglicht oder nicht, dann hätte er das Gesetz wohl kaum so formuliert. In anderen Gesetzen wird so ein Spielraum gewöhnlich jedenfalls nicht genannt. Das ist die formale Seite.
Aber da die Strafverfolgung nach diesem Paragrafen rechtsstaatlich betrachtet ganz sicher nicht geboten (sondern eher illegitim) ist, ist eine Verweigerung dieses Antrags auch inhaltlich gerechtfertigt.
Man könnte es auch so sagen: Der Paragraf ermöglicht eine absurde Sonderbehandlung ausländischer Staatsrepräsentanten, er schreibt sie aber aber nicht vor. Würde man so tun als ob, dann wäre man päpstlicher als der Papst.
Viel schlimmer finde ich, dass die Regierung eine Strafverfolgung selbst schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit jederzeit unterbinden kann, wenn sie meint, dass das so im Interesse der Staatsräson sei. Hier wird politischer Opportunismus eindeutig vor die Rechtsstaatlichkeit gestellt:
Eigentlich geht man doch in unserem Rechtsstaat davon aus, dass einer, der schlimme Straftaten begangen hat, dafür auch verurteilt wird. Einer zum Beispiel, der mit dafür gesorgt hat, dass Menschen gefoltert werden. Aber, dem muss nicht so sein. Denn es gibt § 153d der Strafprozessordnung. Ist einem jetzt vielleicht nicht so geläufig. Aber nach § 153d kann ein Verfahren fallen gelassen werden, wenn Deutschland dadurch schwere Nachteile entstehen könnten. Aha. Als schwerer Nachteil für Deutschland galt mal, dass man den syrischen Diktator Assad verärgern könnte. Und deshalb hat die rot-grüne Bundesregierung einen der berüchtigtsten Spione seines Terrorregimes einfach frei gelassen. Und ihm sogar Asyl gewährt. Und so lebt er hier unbehelligt bis heute.
DAS finde ich erschreckend. (Und erschreckend finde ich auch, dass offenbar kaum jemand außer mir sich an so was stört.)
Aber wenn Erdogan sich eben wie ein Normalmensch auf den normalen Tatbestand der Beleidigung stützen muss, dann werden ihm seine legitimen Rechte nicht genommen. Es wird ihm nicht die Möglichkeit verwehrt, zu seinem Recht zu kommen. Verwehrt wird ihm nur ein absurder Anspruch, der aber eh nur bedingt (nämlich abhängig von der freien Entscheidung der Bundesregierung) besteht. Deshalb ist das nicht nur formal-juristisch, sondern auch rechtsstaatlich gesehen in Ordnung. Würde man Erdogan das Recht verwehren, normale Strafanzeige zu stellen, oder würde die Justiz es ablehnen, seine Beschwerden ernsthaft zu prüfen und ihnen ggf. stattzugeben, dann fände ich das auch schlecht.
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Nehmen wir an, ein Paragraf besagt, dass die Straftaten gegen Sinti und Roma weniger hart (oder härter) bestraft werden als die gegen Deutsche. Soll die Regierung dann auch ihr Einverständnis geben, wenn sie es in der Hand hätte? Oder würde nicht die Anwendung eines solchen Paragrafen einen absolut unrechtsstaatlichen Akt darstellen, der durch nichts zu legitimieren ist? Und was sollte an der Ungleichbehandlung eines ausländischen Potentaten akzeptabler sein?
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Ja, im Prinzip ist eine Geldstrafe möglich. Wenn das Gericht aber beispielsweise eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten zugrundelegt (die Geldstrafe wird ja immer nach Tagessätzen berechnet), dann ist es doch eher unwahrscheinlich, dass die da eine Geldstrafe rauskommt. Und selbst wenn, wäre das in dieser Größenordnung sehr hart.
Noch als Ergänzung zum letzten Punkt: Mindeststrafe beträgt wie gesagt drei Monate.
Und als vorbestraft gilt man bei allem über drei Monate. Ist vielleicht eher symbolisch, aber hat doch irgendwo ein gewisses Gewicht.