Filmkritik ... die IV. (Inglourious Basterds)

— “Inglorious Basterds” —

!!! Achtung, diese Kritik enthält gespoilerte Handlungsstränge !!!

“Warst Du im Kino?”
“Nein, ich war in einem Tarantino-Film”

Die Logik hinter dieser - offensichtlich sinnfreien - Antwort auf eine inhaltlich klare Frage offenbart sich nur dem wahren Fan des genannten Regisseurs; andere Kinogänger der Spezies “cineastischer Konsument” werden begriffsstutzig den Kopf schütteln und damit einem Naturgesetz dieses Genres erneut Leben einhauchen: “Für Tarantino gilt: love him or hate him!”.

Und genau im Sinne dieser beiden Kernaussagen ist auch Tarantinos neuestes Werk gestrickt: Die Charaktere sind klar und schematisch gezeichnet, es gibt keine Grauzonen, es gibt keinen Verhandlungsspielraum: böse ist böse und gut ist gut. Es gibt keine Helden, es gibt keine Lichtgestalten. Die Schauspieler durchlaufen eine Handlung, die sie formt und leitet. Die Kriegsfilme der amerikanischen Filmfabriken haben stets das gleiche Handlungsschema: Einige experimentierfreudige Generäle gründen eine Top-Secret-Commandoeinheit, die auf verschlungenen Pfaden ein Geheimunternehmen ausführt, das einen weiteren Baustein zum Sieg der Allierten liefert. Im Laufe dieser Filme werden wir mit den Einzelschicksalen der Protagonisten konfrontiert, entwickeln Sympathien und - natürlich für den Feind - unsere Abneigungen. Egal ob in den Ardennen, in Korea, in Vietnam oder am Little Big Horn: die US-Boys sind die Guten.

Tarantino zeichnet seine Charaktere selbst. Keine Wandlungen, keine Gewissensbisse, keine Skrupel. Der Zuschauer selbst entscheidet, wer gut und wer böse ist. Tarantinofilme sind realfilmische Comics, in denen die Charaktere fast plakativ und in leuchtend kraftvollen Farben gezeichnet und … überzeichnet werden.
[spoiler]Die Handlung:
Kaum das die nervigen Werbespots und Trailer kommender Filme abgeflimmert sind, stutzt der Zuschauer bereits zum ersten mal: der Vorspann aus Titel und Darstellern scrollt in einem Schriftbild, einer Färbung und mit einer Hintergrundmusik, das man sich fast fragt, ob man im falschen Film sitzt. Mein erster Eindruck: gleich kommt ein Westernepos und Clint Eastwood und Eli Wallach liefern sich packende Pistolenduelle. Kurz darauf stecken wir mitten in der Handlung.

Landidylle im von den Deutschen besetzten Frankreich des Jahres 1941. Der Milchbauer Perrier LaPadite (Denis Menochet) kümmert sich um das Feuerholz, seine drei Töchter um den Haushalt, als ein offener Mercedes mit einer Motorradeskorte aus der Ferne heranrollt. LaPadite schickt seine Töchter in’s Haus und dem Wagen entsteigt der deutsche Oberst Hans Landa (Christoph Waltz). Der Zuschauer erwartet unwillkürlich bellende Befehle und eine sich überschlagende Handlung, aber nichts davon geschieht. LaPaditte bittet Landa auf dessen Drängen in’s Haus und es entspinnt sich einer der skurrilsten Dialoge der Filmgeschichte. Tarantino lässt den “Judenjäger” Landa in einer freundschaftlichen und fast jovialen Art einen Dialog (eher Monolog) - in fliessendem Französisch - beginnen, in dessen Verlauf LaPaditte zunehmend fahriger und gehetzter wirkt. Selbst die Bitte Landas, das weiterführende Gespräch nunmehr auf Deutsch weiterführen zu dürfen, wirkt durch die Rollengestaltung von Christoph Waltz wie eine Bagatelle.

Landa wechselt - fast ohne Zwischentöne - vom einfachen Plauderton zum scharfsinnigen Verhör eines Ermittlers und konfrontiert LaPadite mit dem Umstand, das er in seinem Haus eine flüchtige jüdische Familie vermutet. Schon durch den Umstand, das er von LaPadite die Namen erfragt, diese aber auf seine Liste abhakt (wie können sie dort stehen, wenn er sie noch nicht kennt) zeigt Tarantino, das Landa gefährlich ist … gefährlicher, als der Zuschauer bis jetzt noch erahnt. Landa lässt den zerbrochenen LaPadite das Versteck der Flüchtlinge verraten, bittet - nunmehr wieder in französisch - seine Männer, unter dem Vorwand LaPadites Töchter anzusprechen, herein und die Flüchtlinge unter den Dielen des Fußbodens durch MG-Garben hinrichten. Als einzige Überlebende entkommt die Tochter Shosanna Dreyfus (Mélanie Laurent) dem Massaker.

Schnitt.
Der amerikanische Lieutenant Aldo Raine (Brad Pitt) formiert aus jüdischen Flüchtlingen, die in die USA emigriert sind eine Spezialeinheit, die nur ein Ziel hat: Nazis töten. Keine Gefangenen, keine Verhöre … nur die kompromisslose Tötung des Feindes. Tarantino hält sich nicht an Details auf, die uns die Vorbereitung und das Training zeigen … er pflanzt die “Inglorious Basterds” ohne Vorwarnung mitten in die französische Kulisse. Alles was wir wissen müssen, wird in der Ansprache Raine’s vor seinem Haufen komprimiert: er hat indianisches Blut in den Adern, er hat keine Skrupel und … er will Skalps. Und das wortwörtlich.

Die Basterds (der Schreibfehler ist beabsichtigt) räumen in traditioneller Guerillataktik und mit - für Tarantino typischer - Brutalität unter den Deutschen auf. Das Markenzeichen der Basterds, die Skalpierung, wird nicht nur angedeutet und dann abgeblendet, der “Bärenjude” Sgt. Donny Donowitz (Eli Roth), dessen bevorzugte Hinrichtungsmethode das Zerschmettern der Köpfe mit einem Baseballschläger ist, darf seinem Hobby kamerawirksam frönen.

Parallel zur Rahmenhandlung nimmt Tarantino den Faden der geflüchteten Shosanna Dreyfus wieder auf, die jetzt unter einer anderen Identität in Paris als Kinobesitzerin lebt. Eine Zufallsbekanntschaft mit dem deutschen Scharfschützen Fredrick Zoller (Daniel Brühl ), der durch die Tatsache, das er alleine 300 feindliche Soldaten aus einem Glockenturm heraus tötete, zu einem Volkshelden und willkommenen Propagandainstrument aufgebaut wird, ändert ihr Leben komplett. Die Uraufführung des mit Zoller produzierten Propagandafilms wird vom Ritz in das Kino von Shosanna verlegt und als Großereignis mit allen führenden Nazigrössen aufgebaut. Als sie bei einer “Einladung” durch Propagandaminister Goebbels (Sylvester Groth) dem, für die Sicherheit verantwortlichen SS-Standartenführer Hans Landa vorgestellt wird, erkennt sie in ihm den Henker ihrer Familie wieder und sinnt auf Rache. Sie plant, das Filmtheater während des Filmes zu verschliessen und mit ihm die komplette Führungsriege des Naziregimes zu verbrennen.

Von dieser Filmvorführung bekommt auch der britische Nachrichtendienst Wind, der daraufhin den britischen Lieutenant Archie Hicox (Michael Fassbender) durch den Airforcegeneral Ed Fenech (Mike Myers) und im Beisein von Winston Churchill (Rod Taylor) instruiert, mit den inglorious Bastards Kontakt aufzunehmen, und selbst die Vernichtung der führenden vier Nazigrössen (Hitler, Goebbels, Bormann und Göring) vorzunehmen.

Der ursprüngliche Plan, einige der Basterds bei der Filmpremiere als deutsche Offiziere einzuschleusen, scheitert bei einem konspirativen Treffen mit der deutschen Doppelagentin Bridget von Hammersmark (Diane Kruger), das in einem Massaker endet. Raines entschliesst sich daraufhein zu einem improvisierten Plan, bei dem von Hammersmark ihn und zwei weitere Basterds als italienisches Filmteam einschleusen soll. In einem - nunmehr seit fünf Kapiteln vorgezeichneten - Showdown gelingt es SS-Standartenführer Landa den Plan der Basterds aufzudecken, er kann ihn aber nicht mehr verhindern, was ihn seinerseits dazu bringt die Seiten zu wechseln und - in Erwartung einer deutschen Niederlage - in die USA zu desertieren. Shosanna kann in letzter Instanz ihren ursprünglich gefassten Plan umsetzen und brennt das Kino in einem Inferno mit Hilfe ihres schwarzen Lebensgefährten Marcel (Jacky Ido) nieder.[/spoiler]

Tarantino lässt nichts in seinem neuesten Film aus. Ursprünglich hatte er das Werk, das er als „Es ist mein Haufen-von-Kerlen-mit-einer-Mission-Film. Es ist meine Version von Das dreckige Dutzend, Agenten sterben einsam und Die Kanonen von Navarone.“ als Western anlegen wollen, entschied sich aber dann zu einer Handlung im 2. Weltkrieg. Und diese ursprüngliche Idee lässt er nie ganz fallen: Anspielungen finden sich im (bereits oben geschilderten) Vorspann, im Soundtrack, in den Dialogen.

Und Tarantino zitiert wie ein Weltmeister. Das Schicksal des deutschen Scharfschützen (vom Kriegsheld zum Filmheld) erinnert stark an Audie Murphy, der Name Bridget von Hammersmark lässt Verbindungen zu Brigitte Helm und Florian Henckel von Donnersmarck zu, und … und … und.

Selbst wenn das Thema ernst und dargestellten Tötungsszenen kaum Platz für Humor lassen, schafft es Tarantino nicht nur einmal, den Zuschauer schmunzeln zu lassen.
[spoiler]Als Raines nach dem Massaker in der Taverne auf Plan B umschalten muss und sich selbst “gute Italienischkenntnisse” bescheinigt, kommt man aus dem Lachen nicht heraus, als Landa ihn versucht - in fliessendem italienisch - in eine Diskussion zu verwickeln und Raine daraufhin nur “Grazie” und “Si” als Redebeiträge hervorbringt, bei der Vernehmung im französischen Bauernhaus zündet sich LaPadite eine Maiskolbenpfeife an und Landa - nach der Bitte, es ihm gleichtun zu dürfen - zückt eine hast skurril gigantische Shagpfeife, im Stile Sherlock Holmes und … als Landa im Kino Raines enttarnt und seinen Leuten am Telefon mit den Worten “Der im weissen Smoking” den Auftrag zur Ergreifung gibt, sieht man Brad Pitt für geschlagene 1,5 Sekunden in entspannter Pose mit Champagnerglas, bevor ihn ein Pantersatz eines deutschen Soldaten nach rechts aus dem Bild fegt; eine Szene die einen unwillkürrlich lachen und nach dem Replaybutton suchen lässt.[/spoiler]

Und die für mich beste Rolle in diesem Film ist mit Christoph Waltz besetzt. Waltz - der für seine Darstellung den Darstellerpreis der 62. Filmfestspiele von Cannes erhielt - gibt dem “Judenjäger” Landa Züge, die einen unwillkürlich auf sein nächstes Erscheinen neugierig machen. Waltz spielt Pitt mit Bravour an die Wand. Keine Rolle hat soviel Charisma, ist so widersprüchlich angelegt und so meisterhaft verkörpert. So wie Alan Rickman in Kevin Costners “Robin Hood” diesen auf die Plätze verwies, so schickt Christoph Waltz Brad Pitt in die Reserve.

Fazit:
Für mich ist dieser Film ein “must see”. Tarantino-Fans kommen voll auf ihre Kosten, Actionfans werden auch nach allen Regeln der Kunst bedient und Leute mit empfindlichen Nerven sollten vielleicht besser in “Heffalump” gehen. Der Film erhebt keinen Anspruch auf historische Authentizität, er ist ein realfilmisches Comic und die Akteure tun alles, um ihre Charaktere zu karikieren … ein Stilmittel und kein Fehler.

In diesem Sinne:
Lt. Aldo Raine: So you’re "The Jew Hunter."
Col. Hans Landa: [giddy] That’s a bingo!
[Lt. Aldo and PFC. Utivich stare at him in confusion]
Col. Hans Landa: Is that the way you say it: "That’s a bingo?"
Lt. Aldo Raine: You just say “Bingo.”

Also released:
[ul]
[li]Filmkritik … die I. (Die Jagd nach dem Schatz der Nibel.)[/][/li][li]Filmkritik … die II. (Der Bibelcode) Pro 7[/][/li][li]Filmkritik … die III. (Public Enemies)[/][/li][]Filmkritik … die IV. (Inglourious Basterds)[/*][/ul]

gute Kritik zu einem super Film.