Leider wurde der Ursprungsthread soeben geschlossen. Da ich aber gerade eine Stunde an einer Antwort geschrieben habe - und diese wirklich kein Off Topic ist - bitte ich darum, diesen Beitrag vielleicht noch in den Strang einzufügen oder ihn hier stehen zu lassen. Er kommt dafür auch völlig ohne Beleidigungen, Fullquote und Trollerei aus, sondern beschäftigt sich nur ganz ehrlich mit der eingangs gestellten Frage von Cherubino.
[QUOTE=Cherubino;490444]Das habe ich auch nicht behauptet. Ich habe nur gefragt, welchen Nutzen es haben soll. Außer den, dass mehrere Leute dran verdienen und ihnen leichter ist, weil sie sich “ausgedrückt” haben.[/QUOTE]
Nutzen ist immer das, was Du daraus machst. Als einfaches Beispiel: Ich habe die Degustabox & Tokyo Treat (Lebensmittelboxen) abonniert. Ich habe einen Blendle-Zugang (virtueller Zeitungskiosk) und lese gerne Blogs wie den Shopblogger, das Lawblog oder das Landlebenblog. Welchen Nutzen hat all das?
Bereits die Boxen lassen sich mit Verweis auf die notwendige Nahrungsaufnahme nur unzureichend rechtfertigen, schließlich “nutzt” es mir nichts, ein Kiwi-Gel-Bonbon oder einen Glibberblock, bei dem ich nichtmal weiß, was er sein soll, zu essen (anstelle von einem Vitamin-B12-haltigen Steak).
Bei Blendle kann ich mich online durch viele verschiedene in Printform erscheinende Magazine blättern und die einzelnen Artikel unkompliziert aber für teuer Geld kaufen. Selbst wenn man den einzelnen Zeitschriften nun noch einen personenbezogenen “Nutzen” zusprechen will, da sie Wissen vermitteln, ist der von mir gewählte Zugang zu diesem Wissen vorrangig erstmal von Nutzen für die holländische Portalbetreiberfirma.
Und dann noch die Blogs: Was für einen Nutzen soll es haben, wenn mir jemand, dessen Beruf ich nicht selbst auch ausübe, etwas von meinem Arbeitsalltag erzählt? Ich weiß nun, daß Björn Harste Aufsteller mit Aktionswaren über alles liebt; daß Udo Vetter es sehr nervig findet, wenn Kommentatoren ihn auf Rechtschreibfehler hinweisen und daß Friederike Kroitzschs Hühner gerade vom Fuchs gestohlen wurden.* Allerdings habe ich keine Hühner (und plane nicht, welche anzuschaffen), habe Herrn Vetter noch nie auf Rechtschreibfehler hingewiesen (erstaunlich, daß er das nicht mag) und kaufe Lebensmittel gleich welcher Art nicht in Europalettenmengen ein (mein Nachname ist auch nicht Lohse).
Und doch haben alle drei Dinge für mich eminente Wichtigkeit: Sie gestalten mein Leben angenehmer. Mir gefällt es, neue, mir unbekannte Dinge zu schmecken (wenn sie keinen Koriander enthalten), ich lese gerne bequem genau die Artikel, die ich auch wirklich lesen will (wie beispielsweise auch Geschichten aus Reportagen und Crime, bei denen man in der Regel nichts Weltbewegendes** lernt) und ich finde es tatsächlich spannend, in die Lebenswelten anderer Menschen einzutauchen (ganz abgesehen davon, daß man im Lawblog gute Tipps für den richtigen Umgang mit der Polizei bekommt). Sie haben für mich ganz genau den selben Nutzen wie Seinfeld, Outer Limits, Titus, Duckman, Fear and Loathing in Las Vegas, Pastewka und all die anderen Filme und Serien, die ich mag: Es macht mir Spaß, sie ihrem Bestimmungszweck zuzuführen (hier: anzuschauen).***
Daher als quaestio conclusio ratio****: Was für einen “Nutzen” hast Du vom Leben? Was bringt Dir Dein Leben - und hat es jemals etwas für Dich getan?
Wenn Du Filmen und Serien für Dich einen Nutzen absprichst, ist das ja völlig legitim (wobei ich mich die ganze Zeit frage, warum Du Schauspiel am Theater aus dieser auf mich willkürlich gewählt wirkenden Liste ausschließt) - ich für meinen Teil kann keinen Nutzen aus mathematischen Abhandlungen, Religion oder Globuli ziehen. Für mich völlig OK. Ich käme aber nie auf die Idee, nach einem insgesamten Nutzen für diese Dinge zu fragen - weil für mich feststeht, daß ich es nicht brauche; ich aber auch in der Lage bin, meinen Tellerrand zumindest gedanklich zu verlassen und so zu erkennen, daß dieser Nutzen für andere Menschen durchaus gegeben ist. Ob dieser Nutzen dann wiederum etwas Gutes***** darstellt (Terrorfürsten als Nutznießer von Religion; Sadisten, die ihre Schüler mit Hilfe von Zahlenkolonnen quälen; Til Schweiger, der unliebsame Konkurrenten auf Zuckerkügelchen ausrutschen und sich Extremitäten brechen lasst) bleibt immer offen. Wenn Du also einen wirklichen gesellschaftlichen Nutzen hinterfragen willst, kommen wir über den Webstuhl vermutlich nicht hinaus. Aber darum ging es Dir ja anscheinend auch nicht.
- Bis vor Kurzem hätte ich nie gedacht, daß ich dieses Wissen überhaupt einmal irgendwo anbringen kann und im nächsten Moment nutze ich es schon als gedankliche Brücke für ein Argument. Der Nutzen als Selbstzweck, quasi.
** Weltbewegend deshalb, weil alles immer einen Nutzen haben kann, egal wie klein oder um die Ecke dieser auch ist. In einem einfachen und wahren (Ich schwöre, Alda) Beispiel habe ich bei Blendle einen Reportagen-Artikel kaufen wollen und musste mein Konto mit PayPal aufladen. Ich merkte dadurch zeitnah, daß mein PayPal-Konto gehackt worden ist (zwei Stunden zuvor) und nun gesperrt ist. Ich konnte somit glücklicherweise so zeitnah alles klären, daß die ganzen Zahlungen rückgängig gemacht wurden, ich die knapp 3000 Euro zurückbekam und den Händlern (von diversen GiftCards/Vouchers) auch kein Schaden entstand. Doppelter Nutzen. Flügelschlag des Schmetterlings undsoweiter.
*** Darüberhinaus prägt der Konsum von Filmen/Serien auch in gewisser Weise und schafft Raum für neue soziale Interaktion: Man tauscht sich mit Gleichgesinnten über die Handlungsstränge aus, bringt Referenzen zur Serie an passenden und unpassenden Stellen als gruppeninternen Witz unter oder adaptiert gar bestimmte Verhaltensweisen für einen kurzen Zeitraum entweder als Witz, als Experiment oder aus anderen Gründen.
**** Ich spreche kein Latein, hatte hier aber das unstillbare Bedürfnis, eine vermeintlich lateinische Phrase einzubauen. Das nutzt nun wirklich nur mir.
***** “Gut” stellt eines der menschlich-wertendsten Adjektive dar (wie auch der vermeintlich objektive “Nutzen” immer etwas wertendes beinhaltet) und sagt eigentlich immer nur etwas über den Nutzer (haha) selbst, nie aber etwas Konkretes aus. Trotzdem kann sich der Sinn der Aussage hier vermutlich jedem erschließen, da es eine große Übereinstimmung zwischen klar “guten” (Flamingos retten) und klar “schlechten” (Sandburgen zerstören) Taten gibt, während die Grenzfälle (Til Schweiger retten) automatisch ausgeklammert werden.