Wie oft kommt es vor, dass du während einer Partie (die du selbst leitest) aus dem Bauch heraus eine Szene bewertest bzw wie ist deine Tendenz strittige Situationen zu entscheiden?
Meinst du eine Szene falsch bewerte? Keine Ahnung. Würde ich wissen, dass die Entscheidung falsch ist, dann fälle ich diese natürlich nicht 
Aber kommt natürlich schon mal vor, dass man beim Pfiff weiß: „Scheiße, das war jetzt falsch“… man zieht die Entscheidung einfach durch. Wenn es ein einfacher Freistoß ist… Pff… passiert halt. Beim Strafstoß sollte man hingegen den Arsch in der Hose haben und wenn man weiß, dass das jetzt eine Fehlentscheidung war, dann diese auch korrigieren. (Spielfortsetzung: Schiedsrichter-Ball an Ort, wo Ball zum Zeitpunkt des Pfiffes).
Man kann auch Spielern, wo man hinterher weiß, dass das Foul falsch war, in einem Gespräch unter 4 Augen sagen, wenn zum Beispiel gerade eine Spielunterbrechung ist, dass man beim „nochmal im Kopf durchgehen der Situation“ eine Fehlentscheidung getroffen hat. Ist zumindest lieber gesehen, statt dass ich mich auf den Platz stelle und sage: „So, was ich entscheide, ist immer richtig!“ So etwas kommt arrogant rüber und hinterlässt einen eher bitteren Beigeschmack bei den Spielern, wenn man die Mannschaft irgendwann erneut pfeifen sollte.
Die Sache mit der Tendenz: ich sage mir immer, was ich auch zu meinen Assistenten in der Ansprache sage: im Zweifel für die verteidigende Mannschaft. Also gerade was Eckstoß/Anstoß, Abseits oder knappe Einwürfe an der Torlinie angeht: lieber so entscheiden, statt dass wir als Gespann aus unserer Fehlentscheidung heraus den Angreifern keine weitere Torchance ermöglichen und bei einem 1:1 für das 2:1 in der 89. Minute verantwortlich sind.
Etwa wenn du eine Szene nicht vollständig oder gar nicht gesehen hast?
Dann entscheide ich gar nichts. Wir sind Schiedsrichter, nicht Gott. Wir können beispielsweise nicht durch Spieler hindurch gucken. Wenn zwei Spieler Richtung Tor laufen und ich im Rücken stehe und der Vertediger geschickt seinen Ellenbogen vor dem Körper dem Angreifer in den Bauch rammt… was ich nicht sehe, kann ich nicht entscheiden. Insbesondere bei einer roten Karte. Da muss mindestens ein Assistent, wenn ich es schon nicht sah, dies mitbekommen haben. Ist wirklich nur ganz selten, dass ich sowas dennoch pfeife, dann aber maximal eine gelbe Karte ausspreche.
Kurze Anekdote: mein erstes Herrenspiel: ein Angreifer rennt mit dem Verteidiger Richtung Seitenlinie, ich komme vom Zentrum des Feldes, kann es also nicht sehen. Der Angreifer zerrt dem Verteidiger am Trikot, der Verteidiger stößt daraufhin den Angreifer um. Ich pfeife auf Foul für den Angreifer. Der Angreifer war empört darüber, ich sagte, dass ich eben nur das entscheiden kann, was ich sehe. So stößt er aus Verärgerung den Angreifer um und bekommt von mir Rot. Einfache Kiste, mit bitterem Ausgang. So in etwa handhabe ich das. Manche würden zwar auch das Risiko eingehen und dennoch auf Foul entscheiden… aber wie gesagt: was man nicht sieht, kann man nicht bewerten.
Gehst du auf die Spieler ein oder Fragst du nur die Mannschaftsführer?
Kommunikation mit den Spielern ist eins der wichtigsten Punkte in einem Spiel. Für mich sind Transparenz in Entscheidungen genau so wichtig, wie, dass ich die Regeln korrekt umsetze. Beispielsweise eine andere Geschichte: in der jetzt vergangenen Saison rannte ein Torwart raus und sprang als letzter Mann Höhe Mittellinie in den Angreifer hinein. Ganz klar: rote Karte. 5 Minuten später wurde der letzte Mann auf der anderen Seite an der Mittellinie umgefoult und ich zeigte nur Gelb. Natürlich wollten die jetzt auch Rot sehen, aber als Begründung meinte ich u.a., dass hier im Gegensatz das Tor nicht frei war, also der Spieler nicht einfach mal so vom Mittelfeld auf das leere Tor schießen konnte, weil der Torwart ja noch im Tor stand. Außerdem standen 3-4 Abwehrspieler etwa 5m entfernt. Wenn ein etwas schnellerer dabei ist, könnte dieser noch locker im Sprint bis zum Strafraum den Angriff fair unterbinden. Und auf der Mittellinie zeigt man NORMALERWEISE keine rote Karte wegen Torvereitelung, eben wegen den gerade genannten Punkten. Aber egal
Also ich rede generell mit jedem Spieler und Trainer. Man muss nur einen vernünftigen Ton anschlagen. Wer meint, mit mir pissig umzugehen, den kann ich das Leben auf dem Spielfeld schneller ein Ende bereiten, als ihm lieb ist. Gelbe Karten/Rote Karten kann man ja auch durch den Ermessensspielraum mal etwas härter oder etwas großzügiger verteilen 
Und reflektierst du solche nach dem Spiel bzw gibt es Rückmeldungsmöglichkeiten an den DFB?
In der Halbzeit/nach Spielende erfragt man i.d.R. beim Assistenten, ob die ein Foul anders entschieden hätten. So tauscht man sich aus und gewinnt im Idealfall für das nächste Spiel mehr Erfahrung.
Der DFB ist hier allerdings nicht Ansprechpartner. Also im Kreis kontaktiert man, wenn, dann den Landesverband bei irgendwelchen Sachen, obwohl es auch in jedem Kreis einen Schiedsrichter-Ausschuss gibt, den man auch zu Rate ziehen sollte, wenn man mit irgendwas ein Problem hat. Aber Fehlentscheidungen werden jetzt nicht bürokratisch notiert, sondern zählen eben wie ein verschossenen Torschuss: man arbeitet dran und beim nächsten Spiel macht man es besser.
Für die Abseits-Analyse jedoch nicht relevant.